Beweis, dass jeder ein unphysikalisches Selbst haben muss
Wie der Titel schon sagt, glaube ich beweisen zu können, dass wahrscheinlich jeder von uns ein unphysikalisches Selbst hat. Richtig verstanden könnte man das durchaus als "Seele" bezeichnen.
Gleich mal vorweg:
Ich bin kein religiöser Mensch und ich bin auch nicht in einer Sekte oder so. Die Folgerungen, die sich aus meinen Überlegungen ergeben, stehen denn auch in krassen Gegensatz zu meinem übrigen Weltbild, zu meiner persönlichen Erfahrung und Sicht der Welt. Von daher ist mir auch nicht ganz wohl bei der Sache. Andererseits finde ich meine Überlegungen so zwingend, einleuchtend und bemerkenswert, dass ich sie nicht einfach so ignorieren kann.
Zunächst aber muss ich erst mal erklären und definieren, was genau ich unter einem "Selbst" verstehe.
Dazu muss ich etwas ausholen. Also: Wenn du auf dein bisheriges Leben zurückblickst, dann hast du erst mal einen Haufen Erinnerungen. Diese beweisen aber nicht, dass du das alles erlebt hast, was du meinst erlebt zu haben. Es könnte sich um Einbildungen handeln, oder vielleicht war es jemand anders, der es erlebt hat. Vielleicht existierst du erst seit zwei Minuten. Die Philosophen haben hier traditionellerweise bereits halt gemacht, da sie nur an Gewissheiten interessiert waren, und da man keine Gewissheit über diese Frage gewinnen kann. Ich plädiere allerdings dafür, dass wir einmal etwas weiter spekulieren, da sich dabei etwas Interessantes ergeben könnte. Es ist doch ganz einfach so, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt: Entweder man hat es wirklich erlebt, oder eben nicht. Die meisten von uns glauben ganz selbstverständlich, dass ihre Erinnerungen an ihr bisheriges Leben wenigstens in groben Zügen tatsächlich das wiedergeben, was sie wirklich selber erlebt haben.
Wenn ich annehme, dass ich es wirklich erlebt habe, stellt sich die Frage nach dem Träger der Identität. Das heisst: Ich jetzt und ich damals sind ein und dasselbe Subjekt, die gleiche Person - wie immer man es auch nennen mag - wir nehmen an, dass die beiden identisch sind, d.h dass es eine Identität über die Zeit hinweg gibt. Deshalb ergibt sich die Frage, worauf diese Identität beruht, oder worin sie besteht. Ich gebe diesem Identitätsträger nun provisorisch das Label "Selbst". Damit lasse ich aber vorerst völlig offen, was genau darunter zu verstehen ist. Ein Materialist wird selbstverständlich annehmen, dass dieses Selbst nichts weiter als der Körper, oder genauer, das Gehirn ist. Ein Buddhist wird sagen, dass das Selbst eine Illusion ist (wobei man dann aber erklären müsste, wie es zu so einer Illusion kommen kann, d.h. wie so eine Illusion überhaupt möglich ist).
Wie auch immer, hier haben wir jedenfalls die erste Bedeutung meines Selbst-Begriffs.
Die zweite Bedeutung ergibt sich aus der Tatsache, dass es zu einem beliebigen Zeitpunkt oft gleichzeitig eine riesige Menge an bewussten Erlebnissen auf der Welt gibt. Da stellt sich doch die Frage: Wie komme ich aus diesem Wust an Erlebnissen zu gerade meinen Erlebnissen? Die Erlebnisse, die ich jetzt habe, sind nur eine kleine Teilmenge aller Erlebnisse, die es jetzt gibt. Was genau bestimmt, welche Erlebnisse meine sind? Eine Antwort wäre anzunehmen, dass es verschiedene Selbste gibt, die sich in verschiedenen, ganz spezifischen Situationen in der Welt befinden, und dass sie dadurch zu bestimmten Erlebnissen kommen. Wieder lasse ich offen, was unter so einem Selbst genau zu verstehen ist. Wieder könnte sogar die buddhistische Annahme zutreffen, dass so ein Selbst eine Illusion ist.
Nun habe ich erklärt, was für Bedeutungen ich dem Begriff "Selbst" gebe.
Jetzt werde ich beweisen, dass das Selbst kein physisches Objekt sein kann. Das heisst, die materialistische Annahme, dass das Selbst der Körper, oder das Gehirn ist, wird ad absurdum geführt.
1. Jedes physische Objekt kann in Teile gespalten werden. Wenn also mein Selbst ein physisches Objekt wäre, könnte es in zwei voneinander unabhängige Teile gespalten werden, welche beide natürlich weiterhin mein Selbst blieben. Ich könnte dann z.B gleichzeitig zwei Gehirne sein. Natürlich ist das technisch unmöglich, aber hier geht es nur ums Prinzip, und in einer fernen Zukunft könnte es tatsächlich möglich sein - wenn nicht mit uns, dann zumindest mit anderen möglichen, bewussten Wesen der Zukunft.
2. Ich bin nun selbstverständlich wie die meisten Leute der Überzeugung, dass mein Selbst zum jetzigen Zeitpunkt auf genau einen Körper beschränkt ist: auf meinen. Würde mein Selbst auch einen anderen Körper umfassen, wäre meine Erfahrung völlig anders. Es gäbe definitiv einen Unterschied zu meiner jetzigen Erfahrung, da ich dann gleichzeitig auch mit dem zweiten Körper sehen, hören und fühlen würde. (Siehe auch meine zweite Bedeutung des Begriffs "Selbst" oben in der Definition.) Dann würde ich meinen, dass mein Selbst auf zwei Körper beschränkt ist. Und es erscheint logisch, dass ich diese Ansicht dann auch niederschreiben, oder anderen erzählen könnte, und zwar mit jedem der zwei Körper.
3. Aber wenn das Selbst zwei von einander unabhängige physische Objekte wäre, gäbe es unter Umständen keine Möglichkeit, wie eines von ihnen Informationen vom anderen gewinnen könnte. Es würde keine spezielle, "geheime" Verbindung zwischen diesen zwei Objekten geben, nur weil sie beide Teil des selben Selbstes wären. Folglich wäre es unmöglich, dass eines von ihnen niederschreiben, oder anderen erzählen könnte, dass es das selbe Selbst zu sein fühlt wie das andere Objekt.
Somit ist es unmöglich, dass das Selbst ein physisches Objekt ist.
Es gibt nun zusätzlich zu diesem Beweis eine weitere Überlegung, die denselben Schluss nahelegt: Man sollte sich einmal fragen, weshalb jedem Gehirn genau ein Selbst entsprechen soll. Wieso kann ein Gehirn nicht zufällig mehreren Selbsten entsprechen, und wieso kann ein Selbst nicht über mehrere Gehirne verteilt sein? Also: Warum ist das Ding, dieses Etwas, das ich zufällig bin, nicht eine Teilmenge des Gehirns, oder eine Ansammlung von Gehirnen? Dass jemand zufällig ein Gehirn ist, mag ja mal vorkommen, aber warum soll das die Regel sein? Auch diese einfache Frage legt den Schluss nahe, dass die simple Vorstellung, dass das Selbst, so wie ich es definiere, das Gehirn ist, etwas zu simpel ist.
Nun könnte jemand einwenden, dass die Erfahrung immer, auf jeden Fall, auf einen Körper beschränkt ist. Demnach wäre Punkt zwei in meinem Beweis fehlerhaft. Es ist ja ohne Zweifel so, dass der Bewusstseinsstrom in einem Gehirn das ist, was wir erleben, und dass dieser Strom auf jeden Fall von anderen solchen Strömen physisch getrennt ist - möglicherweise ganz egal was mit dem Selbst geschieht, und wie es geteilt wird. Aber auch diese Idee wird ad absurdum geführt - man stelle sich vor: Ich bin ein Gehirn in einem Körper, und in mir läuft ein innerer Film ab, "Bewusstseinsstrom" genannt. Nun gibt mir jemand heimtückischerweise KO-Tropfen, und infolgedessen verliere ich das Bewusstsein - ich bin bewusstlos. Jetzt wird eine Hälfte meines Selbstes aus meinem Schädel herausoperiert, dabei aber künstlich am Leben erhalten, und in einen anderen Körper verpflanzt. Während dieses ganzen Vorganges bleibe ich bewusstlos. Dann aber, wenn die Operation abgeschlossen ist, und eine Hälfte von mir in einem anderen Körper steckt, könnten beide Körper wieder zu Bewusstsein kommen. Der zu widerlegenden Annahme zufolge hiesse das, dass der nun wieder startende innere Film zwangsläufig in zwei unabhängige Filme geteilt wurde. Und nur einen dieser Filme erlebe ich - der andere bliebe mir unbewusst. Der wiederum wäre dann ein anderes Bewusstsein, aus dessen Perspektive mein Bewusstsein ihm unbewusst wäre. Die Absurdität dieser Vorstellung tritt besonders zu Tage, wenn ich mich frage, welcher der beiden Bewusstseinsströme mir dann bewusst wäre, und aus welchem Grund nicht der andere. Wenn mein physisches Selbst genau in der Hälfte geteilt wurde, gäbe es schlicht kein Kriterium, das bestimmen könnte, als wer ich wieder zu Bewusstsein komme. Anzunehmen, dass ich dann einfach der bin, der zuerst aufwacht, ist offensichtlich absurd. Was, wenn beide gleichzeitig aufwachen? Dass die Frage, als welcher Körper ich aufwache, nicht belanglos ist, kann man sich besonders gut vor Augen führen, wenn man annimmt, dass der eine Körper in Deutschland liegt, während der andere in den brasilianischen Dschungel gebracht wurde. Sprich: Die Erfahrungen, die die beiden haben werden, könnten extrem verschieden sein.
Wenden wir uns jetzt der buddhistischen Vorstellung zu, dass es keine Selbste gibt. Wie ich schon erwähnt habe, muss man hier aber erklären, wie es zu der Illusion eines Selbstes kommen kann, d.h. wodurch sie ermöglicht wird. Wenn es kein Selbst gibt, das meine Erfahrungen hat, dann existieren meine Erfahrungen eben ohne ein Selbst. "Ich" bestehe dann nur aus meinen Erfahrungen. Warum glaube ich aber, eine dauerhafte Existenz, ein die Zeit überdauerndes Selbst zu haben? Und was könnte die Funktion übernehmen, die ich oben in den Definitionen dem Selbst zugeschrieben habe? Die Antwort wäre: Das (vermeintliche) Subjekt ist schon in den Eindrücken drin! Man kann einen Eindruck nicht von seinem Subjektgefühl trennen. In meinen Überlegungen oben habe ich die Erfahrung aufgesplittet, in ein Subjekt, das die Erfahrung hat, und in die Erfahrung selbst, die das Objekt des Subjekts ist. Buddhisten sagen nun, dass diese Aufsplittung den Irrtum hervorruft, dass es ein Subjekt gibt, das von der Erfahrung unabhängig ist. Wenn es diesen Subjekt-Objekt-Dualismus wirklich gibt, dann ist zum Beispiel mein Eindruck von einem bestimmten Objekt, unter Umständen völlig identisch mit dem Eindruck, den jemand anders von diesem Objekt hat. Der einzige Unterschied zwischen den Erfahrungen besteht dann darin, dass sie von verschiedenen Subjekten gehabt werden. Wenn es aber diesen Dualismus nicht gibt, dann muss der Unterschied im Eindruck selbst bestehen. Das heisst, selbst wenn ich beispielsweise einmal etwas ganz Simples sehe, ein rotes Quadrat z.B., und sonst gar nichts (und dabei für einmal auch keine weiteren geistigen Tätigkeiten neben dem puren Sehen verrichte), dann ist der Eindruck einer anderen Person, die genau dasselbe erlebt, ja sogar genau dieselbe rote Farbe sieht (nehmen wir ruhig mal an, dass unsere Roteindrücke identisch sind), auf eine ganz spezifische, subtile Weise verschieden. "Ich" erlebe dann nicht, was "sie" erlebt, weil sich ihr Eindruck so anfühlt, dass nur "sie" diesen Eindruck haben kann. Umgekehrt sind alle meine Eindrücke auf eine bestimmte Weise derartig individuell, dass automatisch nur "ich" sie haben kann, und niemand anders. Ich habe die Pronomen in Anführungszeichen gesetzt, da sie ja untrennbarer Teil der Erfahrung sind, wenn wir den Dualismus aufgeben. Nur durch diese Erklärung kann man die buddhistische Idee, dass es kein Selbst gibt, wirklich verstehen, d.h. einen Weg finden, unsere alltägliche Erfahrung logisch nachvollziehbar in die buddhistische Sicht zu übersetzen, und zudem die Fragen beantworten, die sich oben in den Definitionen gestellt haben. Wenn man annimmt, dass die Erfahrungen nicht auf diese Weise individualisiert sind (wenn also meine Erfahrung genau jetzt theoretisch völlig identisch sein könnte mit der Erfahrung von jemand anderem), dann kommt man schnell in unüberwindliche Schwierigkeiten und Widersprüche.
Die Idee, dass es kein Selbst gibt, müsste also konkreter als die Idee bezeichnet werden, dass es keine Selbst-Substanz gibt. Es gibt demnach kein substanzielles Selbst, das irgendwie gesondert von der Erfahrung dastehen kann, aber es gibt sehr wohl eine Art Pseudo-Selbst, welches erst den Glauben ermöglicht und hervorruft, dass es ein Selbst gibt. Dieses besteht in der spezifischen Individualität konkreter Erfahrungen. Zwischen meinen Erfahrungen jetzt, meinen Erfahrungen früher und meinen zukünftigen Erfahrungen besteht also eine gewisse, subtile Ähnlichkeit, welche mein Pseudo-Selbst ausmacht. Sollte es aus irgendeinem Grund einmal nicht mehr Erfahrungen dieser Art geben, wäre ich seelisch tot.
Die Frage, ob es jetzt ein Selbst gibt, oder nur ein Pseudo-Selbst, lässt sich empirisch nicht beantworten.
Für Materialisten ist die Kein-Selbst-Idee dagegen wider Erwarten keine Option. Man könnte ja zunächst meinen, dass auch irgendwelche physische Prozesse ein Pseudo-Selbst (d.h. Erfahrungen ganz bestimmter Art) erzeugen könnten. Solche physischen Prozesse liessen sich aber prinzipiell immer kopieren. Wenn man also die Funktionsweise eines Gehirns genau kopieren würde, dann gäbe es plötzlich zwei voneinander unabhängige, miteinander identische Pseudo-Selbste, und man käme wieder in die selben Probleme, die sich oben schon gestellt haben.
Kurzum, egal, ob es nun ein Selbst, oder nur ein Pseudo-Selbst gibt - auf jeden Fall kann es nicht physisch sein. Denn, um die ganzen Überlegungen auf den Punkt zu bringen: Alles, was physisch ist, lässt sich teilen; jeder physische Prozess lässt sich kopieren - das Selbst nicht, da es per Definition unteilbar und nicht kopierbar ist.
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Was haltet ihr davon?
Wie der Titel schon sagt, glaube ich beweisen zu können, dass wahrscheinlich jeder von uns ein unphysikalisches Selbst hat. Richtig verstanden könnte man das durchaus als "Seele" bezeichnen.
Gleich mal vorweg:
Ich bin kein religiöser Mensch und ich bin auch nicht in einer Sekte oder so. Die Folgerungen, die sich aus meinen Überlegungen ergeben, stehen denn auch in krassen Gegensatz zu meinem übrigen Weltbild, zu meiner persönlichen Erfahrung und Sicht der Welt. Von daher ist mir auch nicht ganz wohl bei der Sache. Andererseits finde ich meine Überlegungen so zwingend, einleuchtend und bemerkenswert, dass ich sie nicht einfach so ignorieren kann.
Zunächst aber muss ich erst mal erklären und definieren, was genau ich unter einem "Selbst" verstehe.
Dazu muss ich etwas ausholen. Also: Wenn du auf dein bisheriges Leben zurückblickst, dann hast du erst mal einen Haufen Erinnerungen. Diese beweisen aber nicht, dass du das alles erlebt hast, was du meinst erlebt zu haben. Es könnte sich um Einbildungen handeln, oder vielleicht war es jemand anders, der es erlebt hat. Vielleicht existierst du erst seit zwei Minuten. Die Philosophen haben hier traditionellerweise bereits halt gemacht, da sie nur an Gewissheiten interessiert waren, und da man keine Gewissheit über diese Frage gewinnen kann. Ich plädiere allerdings dafür, dass wir einmal etwas weiter spekulieren, da sich dabei etwas Interessantes ergeben könnte. Es ist doch ganz einfach so, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt: Entweder man hat es wirklich erlebt, oder eben nicht. Die meisten von uns glauben ganz selbstverständlich, dass ihre Erinnerungen an ihr bisheriges Leben wenigstens in groben Zügen tatsächlich das wiedergeben, was sie wirklich selber erlebt haben.
Wenn ich annehme, dass ich es wirklich erlebt habe, stellt sich die Frage nach dem Träger der Identität. Das heisst: Ich jetzt und ich damals sind ein und dasselbe Subjekt, die gleiche Person - wie immer man es auch nennen mag - wir nehmen an, dass die beiden identisch sind, d.h dass es eine Identität über die Zeit hinweg gibt. Deshalb ergibt sich die Frage, worauf diese Identität beruht, oder worin sie besteht. Ich gebe diesem Identitätsträger nun provisorisch das Label "Selbst". Damit lasse ich aber vorerst völlig offen, was genau darunter zu verstehen ist. Ein Materialist wird selbstverständlich annehmen, dass dieses Selbst nichts weiter als der Körper, oder genauer, das Gehirn ist. Ein Buddhist wird sagen, dass das Selbst eine Illusion ist (wobei man dann aber erklären müsste, wie es zu so einer Illusion kommen kann, d.h. wie so eine Illusion überhaupt möglich ist).
Wie auch immer, hier haben wir jedenfalls die erste Bedeutung meines Selbst-Begriffs.
Die zweite Bedeutung ergibt sich aus der Tatsache, dass es zu einem beliebigen Zeitpunkt oft gleichzeitig eine riesige Menge an bewussten Erlebnissen auf der Welt gibt. Da stellt sich doch die Frage: Wie komme ich aus diesem Wust an Erlebnissen zu gerade meinen Erlebnissen? Die Erlebnisse, die ich jetzt habe, sind nur eine kleine Teilmenge aller Erlebnisse, die es jetzt gibt. Was genau bestimmt, welche Erlebnisse meine sind? Eine Antwort wäre anzunehmen, dass es verschiedene Selbste gibt, die sich in verschiedenen, ganz spezifischen Situationen in der Welt befinden, und dass sie dadurch zu bestimmten Erlebnissen kommen. Wieder lasse ich offen, was unter so einem Selbst genau zu verstehen ist. Wieder könnte sogar die buddhistische Annahme zutreffen, dass so ein Selbst eine Illusion ist.
Nun habe ich erklärt, was für Bedeutungen ich dem Begriff "Selbst" gebe.
Jetzt werde ich beweisen, dass das Selbst kein physisches Objekt sein kann. Das heisst, die materialistische Annahme, dass das Selbst der Körper, oder das Gehirn ist, wird ad absurdum geführt.
1. Jedes physische Objekt kann in Teile gespalten werden. Wenn also mein Selbst ein physisches Objekt wäre, könnte es in zwei voneinander unabhängige Teile gespalten werden, welche beide natürlich weiterhin mein Selbst blieben. Ich könnte dann z.B gleichzeitig zwei Gehirne sein. Natürlich ist das technisch unmöglich, aber hier geht es nur ums Prinzip, und in einer fernen Zukunft könnte es tatsächlich möglich sein - wenn nicht mit uns, dann zumindest mit anderen möglichen, bewussten Wesen der Zukunft.
2. Ich bin nun selbstverständlich wie die meisten Leute der Überzeugung, dass mein Selbst zum jetzigen Zeitpunkt auf genau einen Körper beschränkt ist: auf meinen. Würde mein Selbst auch einen anderen Körper umfassen, wäre meine Erfahrung völlig anders. Es gäbe definitiv einen Unterschied zu meiner jetzigen Erfahrung, da ich dann gleichzeitig auch mit dem zweiten Körper sehen, hören und fühlen würde. (Siehe auch meine zweite Bedeutung des Begriffs "Selbst" oben in der Definition.) Dann würde ich meinen, dass mein Selbst auf zwei Körper beschränkt ist. Und es erscheint logisch, dass ich diese Ansicht dann auch niederschreiben, oder anderen erzählen könnte, und zwar mit jedem der zwei Körper.
3. Aber wenn das Selbst zwei von einander unabhängige physische Objekte wäre, gäbe es unter Umständen keine Möglichkeit, wie eines von ihnen Informationen vom anderen gewinnen könnte. Es würde keine spezielle, "geheime" Verbindung zwischen diesen zwei Objekten geben, nur weil sie beide Teil des selben Selbstes wären. Folglich wäre es unmöglich, dass eines von ihnen niederschreiben, oder anderen erzählen könnte, dass es das selbe Selbst zu sein fühlt wie das andere Objekt.
Somit ist es unmöglich, dass das Selbst ein physisches Objekt ist.
Es gibt nun zusätzlich zu diesem Beweis eine weitere Überlegung, die denselben Schluss nahelegt: Man sollte sich einmal fragen, weshalb jedem Gehirn genau ein Selbst entsprechen soll. Wieso kann ein Gehirn nicht zufällig mehreren Selbsten entsprechen, und wieso kann ein Selbst nicht über mehrere Gehirne verteilt sein? Also: Warum ist das Ding, dieses Etwas, das ich zufällig bin, nicht eine Teilmenge des Gehirns, oder eine Ansammlung von Gehirnen? Dass jemand zufällig ein Gehirn ist, mag ja mal vorkommen, aber warum soll das die Regel sein? Auch diese einfache Frage legt den Schluss nahe, dass die simple Vorstellung, dass das Selbst, so wie ich es definiere, das Gehirn ist, etwas zu simpel ist.
Nun könnte jemand einwenden, dass die Erfahrung immer, auf jeden Fall, auf einen Körper beschränkt ist. Demnach wäre Punkt zwei in meinem Beweis fehlerhaft. Es ist ja ohne Zweifel so, dass der Bewusstseinsstrom in einem Gehirn das ist, was wir erleben, und dass dieser Strom auf jeden Fall von anderen solchen Strömen physisch getrennt ist - möglicherweise ganz egal was mit dem Selbst geschieht, und wie es geteilt wird. Aber auch diese Idee wird ad absurdum geführt - man stelle sich vor: Ich bin ein Gehirn in einem Körper, und in mir läuft ein innerer Film ab, "Bewusstseinsstrom" genannt. Nun gibt mir jemand heimtückischerweise KO-Tropfen, und infolgedessen verliere ich das Bewusstsein - ich bin bewusstlos. Jetzt wird eine Hälfte meines Selbstes aus meinem Schädel herausoperiert, dabei aber künstlich am Leben erhalten, und in einen anderen Körper verpflanzt. Während dieses ganzen Vorganges bleibe ich bewusstlos. Dann aber, wenn die Operation abgeschlossen ist, und eine Hälfte von mir in einem anderen Körper steckt, könnten beide Körper wieder zu Bewusstsein kommen. Der zu widerlegenden Annahme zufolge hiesse das, dass der nun wieder startende innere Film zwangsläufig in zwei unabhängige Filme geteilt wurde. Und nur einen dieser Filme erlebe ich - der andere bliebe mir unbewusst. Der wiederum wäre dann ein anderes Bewusstsein, aus dessen Perspektive mein Bewusstsein ihm unbewusst wäre. Die Absurdität dieser Vorstellung tritt besonders zu Tage, wenn ich mich frage, welcher der beiden Bewusstseinsströme mir dann bewusst wäre, und aus welchem Grund nicht der andere. Wenn mein physisches Selbst genau in der Hälfte geteilt wurde, gäbe es schlicht kein Kriterium, das bestimmen könnte, als wer ich wieder zu Bewusstsein komme. Anzunehmen, dass ich dann einfach der bin, der zuerst aufwacht, ist offensichtlich absurd. Was, wenn beide gleichzeitig aufwachen? Dass die Frage, als welcher Körper ich aufwache, nicht belanglos ist, kann man sich besonders gut vor Augen führen, wenn man annimmt, dass der eine Körper in Deutschland liegt, während der andere in den brasilianischen Dschungel gebracht wurde. Sprich: Die Erfahrungen, die die beiden haben werden, könnten extrem verschieden sein.
Wenden wir uns jetzt der buddhistischen Vorstellung zu, dass es keine Selbste gibt. Wie ich schon erwähnt habe, muss man hier aber erklären, wie es zu der Illusion eines Selbstes kommen kann, d.h. wodurch sie ermöglicht wird. Wenn es kein Selbst gibt, das meine Erfahrungen hat, dann existieren meine Erfahrungen eben ohne ein Selbst. "Ich" bestehe dann nur aus meinen Erfahrungen. Warum glaube ich aber, eine dauerhafte Existenz, ein die Zeit überdauerndes Selbst zu haben? Und was könnte die Funktion übernehmen, die ich oben in den Definitionen dem Selbst zugeschrieben habe? Die Antwort wäre: Das (vermeintliche) Subjekt ist schon in den Eindrücken drin! Man kann einen Eindruck nicht von seinem Subjektgefühl trennen. In meinen Überlegungen oben habe ich die Erfahrung aufgesplittet, in ein Subjekt, das die Erfahrung hat, und in die Erfahrung selbst, die das Objekt des Subjekts ist. Buddhisten sagen nun, dass diese Aufsplittung den Irrtum hervorruft, dass es ein Subjekt gibt, das von der Erfahrung unabhängig ist. Wenn es diesen Subjekt-Objekt-Dualismus wirklich gibt, dann ist zum Beispiel mein Eindruck von einem bestimmten Objekt, unter Umständen völlig identisch mit dem Eindruck, den jemand anders von diesem Objekt hat. Der einzige Unterschied zwischen den Erfahrungen besteht dann darin, dass sie von verschiedenen Subjekten gehabt werden. Wenn es aber diesen Dualismus nicht gibt, dann muss der Unterschied im Eindruck selbst bestehen. Das heisst, selbst wenn ich beispielsweise einmal etwas ganz Simples sehe, ein rotes Quadrat z.B., und sonst gar nichts (und dabei für einmal auch keine weiteren geistigen Tätigkeiten neben dem puren Sehen verrichte), dann ist der Eindruck einer anderen Person, die genau dasselbe erlebt, ja sogar genau dieselbe rote Farbe sieht (nehmen wir ruhig mal an, dass unsere Roteindrücke identisch sind), auf eine ganz spezifische, subtile Weise verschieden. "Ich" erlebe dann nicht, was "sie" erlebt, weil sich ihr Eindruck so anfühlt, dass nur "sie" diesen Eindruck haben kann. Umgekehrt sind alle meine Eindrücke auf eine bestimmte Weise derartig individuell, dass automatisch nur "ich" sie haben kann, und niemand anders. Ich habe die Pronomen in Anführungszeichen gesetzt, da sie ja untrennbarer Teil der Erfahrung sind, wenn wir den Dualismus aufgeben. Nur durch diese Erklärung kann man die buddhistische Idee, dass es kein Selbst gibt, wirklich verstehen, d.h. einen Weg finden, unsere alltägliche Erfahrung logisch nachvollziehbar in die buddhistische Sicht zu übersetzen, und zudem die Fragen beantworten, die sich oben in den Definitionen gestellt haben. Wenn man annimmt, dass die Erfahrungen nicht auf diese Weise individualisiert sind (wenn also meine Erfahrung genau jetzt theoretisch völlig identisch sein könnte mit der Erfahrung von jemand anderem), dann kommt man schnell in unüberwindliche Schwierigkeiten und Widersprüche.
Die Idee, dass es kein Selbst gibt, müsste also konkreter als die Idee bezeichnet werden, dass es keine Selbst-Substanz gibt. Es gibt demnach kein substanzielles Selbst, das irgendwie gesondert von der Erfahrung dastehen kann, aber es gibt sehr wohl eine Art Pseudo-Selbst, welches erst den Glauben ermöglicht und hervorruft, dass es ein Selbst gibt. Dieses besteht in der spezifischen Individualität konkreter Erfahrungen. Zwischen meinen Erfahrungen jetzt, meinen Erfahrungen früher und meinen zukünftigen Erfahrungen besteht also eine gewisse, subtile Ähnlichkeit, welche mein Pseudo-Selbst ausmacht. Sollte es aus irgendeinem Grund einmal nicht mehr Erfahrungen dieser Art geben, wäre ich seelisch tot.
Die Frage, ob es jetzt ein Selbst gibt, oder nur ein Pseudo-Selbst, lässt sich empirisch nicht beantworten.
Für Materialisten ist die Kein-Selbst-Idee dagegen wider Erwarten keine Option. Man könnte ja zunächst meinen, dass auch irgendwelche physische Prozesse ein Pseudo-Selbst (d.h. Erfahrungen ganz bestimmter Art) erzeugen könnten. Solche physischen Prozesse liessen sich aber prinzipiell immer kopieren. Wenn man also die Funktionsweise eines Gehirns genau kopieren würde, dann gäbe es plötzlich zwei voneinander unabhängige, miteinander identische Pseudo-Selbste, und man käme wieder in die selben Probleme, die sich oben schon gestellt haben.
Kurzum, egal, ob es nun ein Selbst, oder nur ein Pseudo-Selbst gibt - auf jeden Fall kann es nicht physisch sein. Denn, um die ganzen Überlegungen auf den Punkt zu bringen: Alles, was physisch ist, lässt sich teilen; jeder physische Prozess lässt sich kopieren - das Selbst nicht, da es per Definition unteilbar und nicht kopierbar ist.
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