AW: Besser ein Leben ohne Denken?
es ist einfach meine Meinung, nicht mein eigener Maßstab, obwohl das natürlich zusammenhängt.
Findest du etwa, dass das Leben immer lebenswert ist, vollkommen egal unter welchen Umständen?
"das" Leben gibt es ja eigentlich nicht, es ist ja von vornherein das eigene Leben mit seinen verschiedenen Implikationen und seinen Prägungen in der persönlichen Lebensgeschichte... die subjektive Wertung wird aus den eigenen Erfahrungen, Glaubenssätzen, Vorstellungen, Gedanken, Prognosen und natürlich aus realen Umgebungsbedingungen bzw. durch die eigene Einstellung dazu beeinflußt. Und ganz massiv beeinflussen - vorübergehende (!) - Stimmungen die eigene Einschätzung...
Ich hab' da auf der Skala von lebenswert bis lebenswertlos ganz schöne Schwankungen erlebt, welche Position sollte aber nun die "richtige" sein? Es gelingt nicht, da ein endgültiges Urteil zu fällen, ebenso wenig wie es gelänge zu sagen: das Wetter ist toll, oder das Wetter ist beschissen... weil: morgen ist das Wetter vielleicht schon wieder ganz anders...
Aber es gibt schon eine Besonderheit, sozusagen eine langfristige Entwicklung, leider in sehr negativer Hinsicht. Schon beim Wetterbeispiel können wir sehen, daß die Menschheit in ihrem Handeln es geschafft hat, in den letzten hundert Jahren die äußeren Voraussetzungen für ein gemäßigtes Weltklima schon soweit zu zerstören, daß die - z.T. sehr bedrohlichen - Wetterextreme immer häufiger und extremer werden. Man kann also sagen: schlechtes Wetter ist nicht oft, aber immer öfter...
Und bei den sozialen Umgebungsbedingungen ist es ähnlich. Jedenfalls hier in Deutschland, hier geht es tagtäglich nur bergab: die Armut erfasst immer größere Teile der Bevölkerung (nicht weil Vermögen fehlen würde, sondern weil es von wenigen gestohlen und unterschlagen wird), die Wirtschaft wird immer ausbeuterischer organisiert, die Umwelt immer mehr zerstört, das Lebensgefühl des arglosen-in-den-Tag-hineinleben-Dürfens immer mehr durch Versklavung durch Leistungsanforderungen bedroht, die individuelle Freiheit durch diktatorische Gesetzesvollmachten untergraben, der einzelne Bürger generalverdächtigt, ausspioniert und hinter seinem Rücken totalüberwacht...
Hier in der Bundesrepublik haben wir - bezogen auf staatliche Bespitzelung - heute längst DDR-Verhältnisse!
Was soll man dazu sagen? "Lebenswert" ist es hier in Deutschland nicht besonders. Da mag der Umstand, daß es hier - im Vergleich zu Entwicklungsländern - immer noch eine relativ gute medizinische Versorgung gibt, kaum noch eine Rolle spielen: auch da findet seit zehn Jahren ein ungeheurer Abbau statt. Ich hab' selber schon Ärzte erlebt, die mir dreckig ins Gesicht gelacht und die Behandlung verweigert haben, weil ihr "Budget" erschöpft sei...
Überall wo früher ethische Grundüberzeugungen noch dafür gesorgt haben, daß "man" einfach bestimmte Dinge nicht tut, oder daß eben bestimmte Dinge einfach gewährleistet sein müssen, regiert nur mehr die brutale Macht des Geldes - respektive seiner Besitzer.
Also, manchmal finde ich das Leben trotzdem lebenswert. Ich sehe hier keinen Grund zu Unehrlichkeit bzw. Über- oder Untertreibung. Etwa 60 Minuten pro Monat finde ich das Leben schon lebenswert...
Der Rote Baron