Es ist wieder 1. Advent und damit wieder Zeit für...
Das gewisse Etwas – eine fast perfekte Weihnachtsgeschichte
Der Weihnachtsmann war jemand, der mit der Zeit ging. Sein Betrieb war straff organisiert, computerisiert und lief die meiste Zeit wie von alleine. Die Außendarstellung war sehr gut, das weihnachtliche Image zwischen familiärer Seligkeit und Konsumtriebfeder stabil positioniert. Der Weihnachtsmann selbst hatte nicht viel zu tun, da die allermeisten Wünsche von entsprechenden Computerprogrammen und einem weltweit einmaligen Distributionssystem namens C.A.M.I.N. (civilisation assimilated maximum impact navigation) erfüllt wurden. Nur noch ganz spezielle Sonderwünsche organisierte der Weihnachtsmann persönlich, den Rest seiner Zeit verbrachte er mit Repräsentationsaufgaben - seien wir ehrlich, er hockte andauernd in irgendwelchen Studios und ließ sich fotografieren bzw. filmen.
Eines Tages, als er doch mal an seinem Schreibtisch saß und seine Mails checkte, kam seine Sekretärin mit ernstem Gesicht in sein Büro gestolpert.
„Ich hab hier eine Systemfehlermeldung. Ein Wunsch, der nicht automatisiert bearbeitet werden kann. Kümmern Sie sich drum, Chef?“
Sie schob einen Ausdruck auf seinen Schreibtisch und verschwand zurück in ihr Zimmer, um weiter „Mortal Combat“ auf ihrem Rechner zu zocken.
Der Weihnachtsmann seufzte und fluchte im Stillen über die Tatsache, dass sein letzter Praktikant Showmaster geworden war und er niemanden hatte, auf den er diese Aufgabe abwälzen konnte. Seine Augen wanderten über die wenigen Zeilen. Ein Simon A. Garfunkel wünschte sich dort „Das gewisse Etwas“.
„Hm“, machte der Weihnachtsmann und dann noch mal: „Hm. Hm.“
Dann sagte er: „Was soll das denn, das gewisse Etwas?“
Er rief seine weltweite Datenbank auf und gab Simon A. Garfunkel in die Suchmaschine ein. Innerhalb von drei Nanosekunden hatte er das Bild eines freundlich grinsenden, absolut harmlos aussehenden Fernsehredakteurs eines Regionalstudios in Bielefeld vor Augen. Die biometrischen Daten gaben nichts weiter her als eine absolute Durchschnittlichkeit in jeder Hinsicht, angefangen vom IQ und nicht aufgehört in der total mittelmäßigen Geschwindigkeit seines Zehennägelwachstums.
„Tachchen, hier ist der Weihnachtsmann“, sagte der Weihnachtsmann, nachdem er die Nummer von Simon angerufen hatte, „ich habe hier ihren Wunsch vorliegen. Würden Sie so nett sein und diesen ein wenig genauer beschreiben. Wir können sonst mit der Bearbeitung nicht weiter machen.“
„Hm tja“, sagte Simon A. Garfunkel, „es ist einfach so, dass mir das gewisse Etwas fehlt. Womit ich mich so ein bisschen absetze, ein bisschen heraussteche aus der Masse. Ich kann’s leider nicht genauer beschreiben, denn meine Fantasie ist nur ziemlich durchschnittlich.“
„Total mittelmäßig, falls Sie es genau wissen wollen“, blaffte der Weihnachtsmann fast ein bisschen unfreundlich. „Na gut, ich werde sehen, was sich machen lässt.“
Jetzt war der Weihnachtsmann so schlau wie zuvor und fing an, in seinem Büro auf- und abzulaufen, um eine Idee auszubrüten. Als er sich ratlos wieder vor den Computer hockte, fiel sein Blick auf die Inbox seines Mailprogramms, wo sich wieder mal ein Haufen „Spam“ gesammelt hatte, wie es heutzutage hieß, und da kam ihm eine Idee…
Ein paar Monate später wurde die Sekretärin des Weihnachtsmann dabei gestört, wie sie in „Splinter’s Cell“ ein paar Feinde abknallte, weil eine neue Systemfehlermeldung in einem Fenster ihres Monitors erschien.
„Ein komischer Fall, Chef“, sagte sie zum Weihnachtsmann, „der Typ will absolut nicht drüber reden, er besteht aber darauf, dass sie ihm sein Weihnachtsgeschenk umtauschen, was immer das war.“
„Wie heißt der Kunde?“
„Simon A. Garfunkel.“
Der Weihnachtsmann seufzte und rief Garfunkel an.
„Weihnachtsmann hier“, meldete er sich, „was steht an? Sie wollte das gewisse Etwas und nun haben sie’s. Wo liegt das Problem?“
„Tja nun“, druckste Simon herum, „es ist nicht immer so toll mit…also, wie soll ich sagen, äääh – meine Frau hat sich scheiden lassen und jedes Mal, wenn ich ne neue Frau kennen lerne…also, wie gesagt, es ist nicht so leicht, wenn er sooo groß, und ich wäre sehr dankbar, wenn sie das Geschenk umtauschen könnten.“
„Aber selbstverständlich“, sagte der Weihnachtsmann leicht genervt, „das gehört zu unserem Service. Morgen wird der Umtausch vonstatten gehen. Wiederhören.“
Jetzt war der Weihnachtsmann aber blöd dran und er verwünschte diese moderne Welt, in der es schon alles gab, alles schon tausendmal da gewesen war. Er hatte keine Idee.
„Idee!“, rief er da plötzlich aus, „das ist die Idee! Ich werde ihm die Fähigkeit zu eigenen Ideen geben. Das wird im ganz bestimmt das gewisse Etwas verleihen!“
Gedacht getan. Doch gehen die Dinge nicht immer so glatt, wie sie sollen, selbst beim Weihnachtsmann nicht. Und einige Monate später wurde die Sekretärin des Weihnachtsmanns gestört, als sie gerade „Half Life 2“ daddelte und stand kurz darauf mit einem weiteren Umtauschwunsch Herrn Simon A. Garfunkels im Büro ihres Chefs.
„Nun reicht’s aber“, fluchte der Weihnachtsmann, „was sind denn das für Ansprüche? Der Kerl wird mich kennen lernen!“
Und er griff zum Telefon, um Simon A. Garfunkel zur Schnecke zu machen.
„Weihnachtsmann hier. Was ist denn jetzt schon wieder los?“
„Tja, äh, sorry Weihnachtsmann. Mir gefiel ja ihr neues Geschenk ganz gut. Aber meinem Chef nicht. Er hat mich ziemlich rasch gefeuert, als ich plötzlich eigene Ideen entwickelte. Und auch bei allen neuen Arbeitgebern. Sobald die merkten, dass ich was verändern wollte und sogar Vorschläge hatte, haben die mich rausgeschmissen. Und da ich noch mein Haus abzahlen muss, wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie noch mal…“
Eine peinliche Pause entstand.
Dann antwortete der Weihnachtsmann, und eine Winkerkrabbe soll mich kneifen, wenn da nicht ein boshafter Unterton in seiner Rede war:
„Na gut, Herr Fur…Garfunkel. Ich werde Ihnen was sagen. Beziehungsweise was schenken. Etwas, was sonst niemand hat. Das absolut gewisse Etwas.“
„Klingt gut“, sagte Simon, „und das wäre?“
„Ich werde…“ – der Weihnachtsmann legte eine mephistofilische Pause ein – „ich werde Ihnen die Eigenschaft schenken, absolut ohne Wunsch zu sein.“
Es rauschte in der Leitung.
„Und das hat sonst keiner?“, fragte Simon dann.
„Das hat auf dieser Welt absolut niemand – außer Ihnen, ab morgen.“
„Na denn“, sagte Simon heiter, „das ist ja genau das, was ich suchte.“
Und er legte zufrieden auf.
Der Chronist dieser Ereignisse darf nicht verschweigen, dass es vom nächsten Tag an mit Simon steil bergab ging. Denn da er ohne Wunsch war, war er auch ohne jeden Antrieb, und so verwahrloste er im Rekordtempo innerlich wie äußerlich. Haus und Güter wurden ihm gepfändet, er landete auf der Straße, ein Penner, der auch bei seinen obdachlosen Kollegen kein Ansehen genoss, da er noch nicht einmal den Ehrgeiz besaß, seine Situation durch den Verkauf von Obdachlosenzeitungen zu verbessern. Zwar spürte Simon sein Elend nicht, da er ja ohne Wunsch war, aber wir können annehmen, dass er innerhalb kürzester Zeit gar verhungert wäre, wenn nicht ein Ereignis eingetreten wäre, das es im Folgenden zu beschreiben gilt.
Wie nämlich Simon eines Tages mit zerfetzten Klamotten und müffelnd in der Fußgängerzone saß und wunschlos vor sich hinglotzte, da kam ein Ex-Kollege vom Fernsehen an ihm vorbei.
„Mensch Simon, du bist vielleicht auf den Hund gekommen“, sprach er ihn in einer Mischung aus Mitleid und Häme an.
„Och nö, wieso denn?“, antworte Simon.
„Wie bitte? Na sieh dich doch mal. Wie siehst du denn aus? Ausgemergelt, schmutzig, ohne Geld. Willst du mir sagen, dass das okay ist?“
„Na ja – mir geht’s jedenfalls gut.“
„Dir geht’s gut?“, lachte der Fernsehfritze auf, „sag bloß, du bist wunschlos glücklich?“
„Hey, woher weißt du das? Genau das ist es. Ich bin wunschlos. Ich habe absolut keine Wünsche, als einziger Mensch auf der Welt.“
Der Fernsehtyp war sich sicher, dass Simon nicht mehr alle an der Waffel hatte. Gleichzeitig regte sich in ihm aber sein Instinkt als Reporter und er fragte Simon weiter aus, um herauszufinden, ob hier nicht vielleicht eine Story lauerte.
Und so kam es, dass ein paar Tage später in einem Fernsehboulevard-Magazin eine ausführliche Reportage über Simon A. Garfunkel lief, den Mann ohne Wünsche, die einiges Aufsehen erzeugte und Widerhall auch in den Print-Medien und im Internet erzeugte.
Und das rettete Simon zunächst mal das Leben, denn die Journalisten merkten, dass Simon ein echter medialer Dauerbrenner war, und sie fütterten ihn regelrecht, um andererseits dann wieder die Medien mit Berichten über ihn zu füttern.
Und bald mussten sich nicht mehr die Reporter um Simon kümmern. Im Nu wurde er zur Kultfigur und eine große Fangemeinde pilgerte jeden Tag zu Simon hin, gab ihm zu essen, badete ihn, schnitt ihm die Haare, ja sie bauten gar ein kleines Haus für ihn, vor dem er dann den ganzen Tag saß und wunschlos vor sich hinträumte.
Simon war zu einer Ikone geworden. In einer Welt des Ehrgeizes, des Konsums und der unerfüllten Sehnsüchte symbolisierte er den Verzicht auf alle Wünsche, die totale Entsagung - ohne das ganze Brimborium, das fernöstliche Religionen ähnlichen Inhalts veranstalteten. Ja, er war eine Art Religionsführer geworden, der aber keine Weisheiten verbreitete, keine Sinnsprüche losließ, keine Jünger um sich scharte, sondern nur vor seinem Haus saß und jedem, der ihn fragte, versicherte, dass er absolut nichts wolle und bar jeden Wunsches sei.
Fotos von Simon, wie er vor dem Haus saß, hingen in den Büros gestresster Menschen und gaben ihnen Kraft und Ruhe. Eine feste Kamera war vor Simon installiert worden und übertrug sein Auf-einem-Fleck-sitzen in Millionen Haushalte auf der ganzen Welt. Unzählige Menschen blickten in diese Augen, die so frei von Wünschen waren, und seufzten still, wünschten sich, genauso wunschlos zu sein, wie Simon A. Garfunkel aus Bielefeld, Germany.
So wenig aber wie die Jünger Jesu friedliebend und altruistisch wurden oder die Jünger Rudolf Steiners zu Astralwesen transformierten, so wenig wurden die Anhänger von Simon A. Garfunkel wunschlos und schon gar nicht wunschlos glücklich. Wie bei jeder Religion erschöpfte sich deren Anhängerschaft in einigen symbolischen Handlungen und sinnleeren Ritualen. In Simons Anhängerschaft fingen die Leute naheliegenderweise zunächst an, auf Geschenke zu verzichten. Mensch, dachten sie, das Vorbild von Simon gibt uns so viel Kraft und Zuversicht, wäre es da nicht blöd, sich weiterhin Geschenke zum Geburtstag und zu Weihnachten zu wünschen? Diese Schenkerei ist doch sowieso total pervers und konsumorientiert. Und immer schenkt man das Falsche! Und es macht einen doch nicht glücklich!
Ja, schon von Zehnjährigen wurde berichtet, die zu ihren Eltern sagten: „Ich weiß, dass ihr Simon cool findet und ich finde Simon auch cool. Ihr braucht mir nichts zum Geburtstag schenken.“ Anderswo sagte eine Mutter zu ihrer verständnislosen fünfjährigen Tochter: „Tut mir Leid, Tamara-Luise, aber der Osterhase wird dieses Jahr nicht kommen, denn Simon zeigt uns, dass wir auch ohne Geschenke, Ostereier und Gedöns auskommen können.“
Was langsam anfing, breitete sich schnell aus und führte zu Millioneneinbußen im Geschenkebusiness und beim Ostergeschäft. Und dies wiederum führte zu sehr nervösen Mienen beim Osterhasen und auch einigen Leute von der Geschenkeindustrielobby. Und da man Gerüchte gehört hatte, der Weihnachtsmann habe etwas mit der Sache zu tun, wurde dessen Sekretärin eines Tages beim Metzeln in „Men of Valor“ aufgeschreckt, als der Osterhase und ein halbes Dutzend Geschenkeindustrielobbyisten an ihr vorbei ins Büro des Weihnachtsmannes rauschten.
„Weihnapfmann“, fagte, äh, sagte der Osterhase, „ef gibt Gerüfte, daff du hinter diefer Fache mit Fimon A. Garfunkel stepft. Willft du unf in den Ruin treiben, oder waf?“
„Äh, hallo Jungs“, sagte der Weihnachtsmann nervös, „also ich verstehe ja euren Ärger und ich selbst habe ja mit am meisten mit dem Problem zu kämpfen. Aber ich kann nichts dafür. Außer vielleicht, dass ich Simon zum einzigen wunschlosen Menschen auf der Welt gemacht habe“ - fügte er verschämt an.
„Sie habe was?“, entfuhr es einem Geschenkeindustrielobbyisten und ein anderer stöhnte: „Eine Katastrophe. Eine Ka-tas-tro-phe.“
Die Aufregung und Empörung war nun groß, aber der Osterhase, ein abgezockter Profi durch und durch, ergriff das Wort:
„Ef hat ja keinen Pfeck, hier jepf rumpfujammern. Weihnapfmann, du haft die Fache verpfupft. In pfei Wochen ift Oftern. Du forpft dafür, daff der Pfuck bif dahin ein Ende hat, fonft kommen wir wieder und machen die hier den Laden platt!“
Pfrach’f, drehte sich auf den Pfoten um und hoppelte davon, die Geschenkeindustrielobbyisten mit empörten Gesichtern hinterher.
„Heather!“, plärrte der Weihnachtsmann seine Sekretärin an, „sagen Sie dem Schlittendienst Bescheid! Ich muss nach Bielefeld, Gemany!“
Der Weihnachtsmann traf Simon A. Garfunkel in der schon ein wenig frühlingshaften Luft wunschlos in die Welt guckend vor seinem Haus sitzend an, wie immer etliche seiner Anhänger und Bewunderer in der Nähe, ohne aufdringlich zu sein.
„Hallo Simon. Ich bin der Weihnachtsmann. Wir hatten telefoniert.“
„Ach ja“, sagte Simon, „ich erinnere mich.“
„Tja, äh nun, Simon – kann ich vielleicht sonst noch etwas für Sie tun?“
„Ach nö – danke.“
„Ich meine, ich hätte da ein paar Sachen, von denen die meisten nur träumen.“
„Och ich träume nicht gerade viel – zum Glück, möchte ich sagen.“
„Hm – wie wäre es denn mit Frauen ohne Ende, stets zu Diensten, willig und ohne Tabus?“
„Danke, kein Bedarf.“
„Unsummen von Geld, Konsumgüter, Luxus?“
„Nö, danke.“
„Macht, Einfluss, Ansehen, Ruhm?“
„Gerade kein Bedarf.“
So ging das immer weiter, tagelang. Der Weihnachtsmann versuchte Simon umzupolen, in ihm irgendwelche Wünsche zu wecken, er wendete alle Tricks an, die er kannte und auch etliche taufrische, gerade erfundene Tricks – aber es half nichts, Simon war und blieb wunschlos, absolut und vollkommen.
Und nicht genug damit, dass der Weihnachtsmann scheiterte, er hob sogar das Ansehen Simons ins bis dahin Unerreichte, weil ja jeder medial präsentiert bekam, wie Simon allen Verlockungen trotzte, und das stachelte natürlich seine Anhängerschaft zu noch konsequenterem Wunschverzicht an und lies die Umsätze und Börsenkurse der Geschenkeindustrie ins Bodenlose stürzen.
An dieser Stelle unserer Geschichte, da sich alles dramatisch zuspitzt, muss ich nun eine Tatsache erwähnen, die wenige kennen, die aber für unsere Geschichte sehr wichtig ist. Die Stadt Bielefeld galt zwar geradezu als Inbegriff der Provinzialität und Spießigkeit, der Mittelmäßigkeit und biederen Langeweile – dies alles gepaart mit einem hohen Maß an Lokalmasochismus – aber die Stadt Bielefeld besaß auch etwas ganz Besonderes, Einzigartiges. Hier gab es nämlich eine ausgezeichnete soziologische Fakultät, an der einst ein sehr einflussreicher und berühmter Professor gelehrt hatte. Und es begab sich, dass just ein besonders aufgeweckter Student dieser Fakultät an dem Haus Simon A. Garfunkels vorbeischlenderte und den Weihnachtsmann eine Weile interessiert dabei beobachtete, wie er Simon triezte. Und als der Weihnachtsmann verzweifelt und erschöpft eine kleine Pause einlegte, sprach der Student, der sich Peter Paul-Marie nannte (französisch ausgesprochen), den Weihnachtsmann wie folgt an:
„Weihnachtsmann, was geht’n hier eigentlich ab?“
Und der Weihnachtsmann, froh, ein offenes Ohr vorzufinden, entfaltete nochmals die ganze Problematik vor dem jungen Studenten. Als er fertig war, sagte Peter Paul-Marie:
„Kennen Sie den Witz? Was sagt ein arbeitsloser Soziologe zu einem Soziologen mit Arbeit?“
„Wie bitte?“
„Falsch. Er sagt: Eine Curry-Wurst bitte!“
Der Weihnachtsmann glotzte verständnislos.
„Wollen Sie mich verarschen, oder was?“
Peter seufzte geduldig.
„Nein, ich möchte Ihnen einen Deal vorschlagen. Ich studiere Soziologie, aber da kriegt man später schwer nen Job. Ich schlage vor: Sie besorgen mir ne Festanstellung und ich löse dafür ihr kleines Problemchen hier.“
Der Weihnachtsmann lachte höhnisch.
„Festanstellung? Diesen Wunsch haben wir angesichts der Arbeitslosenquoten schon lange von unseren Wunscherfüllungslisten gestrichen.“
„Na denn“, sagte Peter und wandte sich zum Gehen.
„Mo-mo-mo-momeeeent“, rief da der Weihnachtsmann hektisch, „Sie meinen wirklich, sie können Simon wieder Wünsche entlocken? Wenn Sie das schaffen, könnte ich Ihnen einen lukrativen, äh, Direktorenposten in meinem Betrieb anbieten.“
Der Soziologiestudent zögerte nicht lange.
„Hand drauf?“
„Hand drauf!“
Daraufhin flüsterte Peter dem Weihnachtsmann etwas ins Ohr, woraufhin der zwar zweifelnd die Stirn runzelte, was nicht weiter auffiel, denn seine Stirn war sowieso schon recht runzelig – jedenfalls zog der Weihnachtsmann in Richtung Bielefelds Fußgängerzone los und kam bald darauf mit zwei Paketen, einem ziemlich großen und einem ziemlich kleinen, zurück. Peter packte das große Paket aus und stellte einen fast mannsgroßen Spiegel vor Simon A. Garfunkel hin.
„Und jetzt?“, flüsterte der Weihnachtsmann.
Peter grinste.
„Jetzt müssen wir nur noch abwarten.“
Fünf Stunden (in denen sich der Weihnachtsmann den Bart raufte und unzählige Male im Kreis lief, während Peter ganz cool blieb), fünf Stunden blieb Simon völlig ungerührt, ab und zu flackerte sein Blick zum Spiegel hin, er verzog jedoch keine Miene. Dann, nach 5 Stunden und 24 Minuten geschah es: Simon sprang plötzlich auf, baute sich vor dem Spiegel hin und sagte:
„Verdammte Scheiße, bin das etwa ich? Dieser langweilige Durchschnittstyp, diese ausdrucksarme Gestalt? Hat man je etwas Mittelmäßigeres gesehen, etwas Espritloseres, etwas Pomadigeres? Meine Fresse, wie hält es dieser Typ, der scheinbar ich bin, nur in seinem öden, leeren Leben aus, es ist ja eine Katastrophe, eine Ka-tas-tro-phe!“
Da war es wieder an Peter zu grinsen und er gab dem Weihnachtsmann ein Zeichen. Dieser trat zu Simon hin und fragte:
„Na, Simon, fühlen Sie sich trübe und angeödet? Suchen Sie nach etwas Peppigem, Neuem? Brauchen Sie das gewisse Etwas?“
„Aber un-be-dingt!“, rief Simon aus, „her mit den fetzigen Sachen, her mit der Abwechslung, her mit dem gewissen Etwas!“
Da reichte der Weihnachtsmann ihm das andere Päckchen, das er vorher besorgt hatte. Begierig riss Simon es auf, blickte hinein und rief aus:
„Das ist ja gei-ell! Ein Handy! Mit eingebautem Navigationssystem. Boah, damit kann ich telefonieren, wo immer ich will. Hey, ich ruf gleich jemanden an. Oder ich kann jemanden besuchen! Und das Navi-System zeigt mir den Weg, satellitengesteuert und auf zwei Meter genau. Das hat was! Das besitzt nicht jeder…“
Und solcherart zufrieden vor sich hinbrummelnd stapfte er selig von dannen, vor den Millionen Augen seiner konsternierten Anhängerschaft.
Später fragte der Weihnachtsmann Peter Paul-Marie, woher er denn gewusst habe, dass der Spiegel Simon dermaßen verändern würde.
„Tja, Weihnachtsmann, man merkt eben, dass du philosophisch nicht auf der Höhe bist. Mir war klar, dass deine Wunscherfüllung, keine Wünsche mehr zu haben, Simons Selbst-Bewusstsein ausgehebelt haben musste. Denn sich selbst zu erkennen, ist der erste Schritt zur Bewusstheit und die erste Differenz ist es, sich von der Welt zu unterscheiden. Und da es nach Schlegel keine Dualität ohne Primat gibt, wird die erste Differenz sofort Wünsche freisetzen. Indem ich Simon mithilfe des Spiegels zeigte, was für ein öder Typ er ist, brach seine Wunschlosigkeit zusammen wie ein Kartenhaus. Seine Wunschlosigkeit war nichts anderes gewesen als die Abkopplung seines Selbstbewusstseins von der Selbstbewusstheit.“
Der Weihnachtsmann verstand zwar nichts von dem, was Peter da so redete, war ihm aber unendlich dankbar und verschaffte ihm eine gut dotierte Direktorenstelle in seinem Geschenkimperium. Und weil Peter mit dem bloßen Verteilen und Organisieren von Geschenken unterfordert war, fing er an, seine Stellung auszunutzen und versuchte die Menschen im Sinne seiner gesellschaftstheoretischen Vorstellungen zu beeinflussen.
Dass er damit genauso scheiterte, wie Karl Marx und alle anderen Gesellschaftserneuerer zuvor, ist allerdings eine andere Geschichte…
Ende