Nur um das Gehorchen geht es bei der "Sittlichkeit der Sitte", um das Gesetz. Es bedeutet, meint Nietzsche, nicht an sich selbst als Individuum denken zu dürfen, nicht frei zu sein. Nietzsche setzt dem vom Herkommen abhängigen, hörigen Menschen das freie Individuum entgegen. Der freie Mensch ist unsittlich, schreibt er. Der unfreie Mensch ist sittlich. Der freie (gleich: böse) Mensch ist "individuell", "willkürlich", "ungewohnt", "unvorhergesehen", "unberechenbar", handelt des individuellen Nutzens wegen (womöglich aus Gründen, die ehemals eine Sitte haben entstehen lassen, z.B. Beschneidung). Der unfreie Mensch handelt (entgegen Kants Auffassung) aus Achtung fürs Gesetz, wie Kant sagt, gehorcht dem Herkommen, ohne mit seiner Handlung etwas anderes zu wollen als die Erfüllung des Gesetzes). Das Gesetz ist alles, der Einzelne nichts. Der Sittlichste ist der, der am häufigsten das Gesetz befolgt (erfinderisch ist in Gelegenheiten der Gesetzeserfüllung) und/oder der, welcher dem Gesetz das größte Opfer bringt (trotzdem heiratet, sich umbringt?).