AW: Barriere Schuld
Meines dazu:
ad 1: Schuld und Verdienst bedeuten nur jenen Menschen etwas, die eine Schuld und Verdienst benötigende Moral in sich haben, welchselbige sie für sich als notwendig erachten.
Hallo Freyfrau !
Moral ist mMn die Fähigkeit - bei toleranter Sicht auch der Wille - eines Menschen, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Ich müsste jetzt wohl 100 Bücher lesen, um festzustellen, wieviele Moralvorstellungen wir - global - wirklich haben, ich schätze aber, wenn wir halbwegs fein differenzieren, werden wohl, wenn wir alle Religionen und die geschriebenen Gesetze zusammenzählen, an die 100 zusammenkommen.
Moral ist immer auch ein persönliches Thema, weil in einer funktionierenden Demokratie die Gesetzgebung nur dann sinnvoll sein kann, wenn sie die Moralvorstellung von möglichst vielen Menschen unter einen Hut bringen kann.
Meine Moralvorstellung ist eine Mischung zwischen sozialdemokratischem und christlichem Gedankengut.
Ein Beispiel: wenn ich mein - materielles
und ideelles - Vermögen mit 100 Menschen teilen will, bin ich gut; wenn ich es mit überhaupt niemandem teilen will, bin ich schlecht. Zwischendrinnen bin ich - ich sage es einmal etwas burschikos - mittelprächtig. Wenn ich jemandem meine Hilfe anbietet, dem es offensichtlich besser geht als mir selbst, bin ich dumm. Biete ich einem offensichtlich Ärmeren keine Hilfe an und könnte aber helfen, bin ich schlecht. Wir haben alle unsere guten und schlechten Seiten und auch unsere guten und schlechten Momente. Die Grundlage, mich zu verbessern, kann für mich nur sein, dass ich glaube, eben schlecht bzw. nicht gut genug zu sein.
Gut, nützlich und mächtig sind für mich 3 Paar Schuhe (in Anlehnung an den deutschen Moralphilosophen Friedrich Rückert).
Jeder kann nur das äußern, was in ihm drinnen ist (ist zugegeben lapidar, habe aber möglicherweise ich als erster formuliert).
Schuldzuweisung ist auch dann kontraproduktiv, wenn Schuld sich selbst zugewiesen wird.
Ich glaube, eine
ganz große Mehrheit fühlt sich
nicht gerne schuldig.
ad 3: Was jemand erwarten darf - oder soll, muss, kann, will bzw. mag - ist völlig irrelevant,
Nicht nach meiner Moralvorstellung.
Ob etwas persönlich akzeptabel ist oder nicht, spielt nur insofern eine Rolle, als sich unterschiedliche Konsequenzen daraus ergeben. Eigenwert an sich stellt es keinen dar.
Wenn 20 Milliarden Menschen auf unserem zeit- und stellenweise schönen Planeten anwesend sind, sind das auch 20 Milliarden Personen.
Ich erlebe Menschen, die sich schuldig fühlen, als ebenso unfrei wie solche, die Schuld anderswo zu verorten belieben.
Absolut frei, Freyfrau, können wir uns sicher immer nur kurze Zeit fühlen. Nicht einmal die (realpolitischen) mächtigsten Politiker sind immer frei - sie sind heute größtenteils abhängig von einer guten Presse (George W. Bush war es auch von der Sympathie der Rüstungsindustrie).
Übrigens kann man die ganze Schöpfungsgeschichte unter diesem Aspekt betrachten: In dem Moment, da der Mensch das Phänomen Schuld erfand und zur Realität erklärte, verlor er sein Paradies.
Das mag schon stimmen; die Freiheit ist aber nicht der einzige ideelle Wert; daneben gibt es auch noch die Gesundheit, die Geborgenheit, das Bewusstsein, wenigstens von Gott geliebt zu werden und - was oft vergessen wird - die Zeit, die uns gegeben wird.
Das behauptet einer, der ein paar Jahre für das Liberale Forum (in den 90-er Jahren im österreichischen Parlament vertreten) gearbeitet hat.
Liebe Grüße
Zeili