„Unübersehbar gibt es eine Tendenz der Entweltlichung des Holocaust. Das geschieht dann, wenn das Geschehen des deutschen Judenmordes in eine Einzigartigkeit überhöht wird, die letztlich dem Verstehen und der Analyse entzogen ist. Offensichtlich suchen bestimmte Milieus postreligiöser Gesellschaften nach der Dimension der Absolutheit, nach dem Element des Erschauerns vor dem Unsagbaren. Da dem Nichtreligiösen das Summum Bonum – Gott – fehlt, tritt an dessen Stelle das absolute Böse, das den Betrachter erschauern lässt. Das ist paradoxerweise ein psychischer Gewinn, der zudem noch einen weiteren Vorteil hat: Wer das Koordinatensystem religiöser Sinngebung verloren hat und unter einer gewissen Orientierungslosigkeit der Moderne litt, der gewann mit der Orientierung auf den Holocaust so etwas wie einen negativen Tiefpunkt, auf dem – so die unbewusste Hoffnung – so etwas wie ein Koordinatensystem errichtet werden konnte. Das aber wirkt »tröstlich« angesichts einer verstörend ungeordneten Moderne. Würde der Holocaust aber in einer unheiligen Sakralität auf eine quasi-religiöse Ebene entschwinden, wäre er vom Betrachter nur noch zu verdammen und zu verfluchen, nicht aber zu analysieren, zu erkennen und zu beschreiben.“
Wer je wissen wollte, wie sekundärer Antisemitismus funktioniert, weiß es jetzt. Diese Passage aus einer Rede von Gauck vor der Bosch-Stiftung von 2006 ist antisemitisch, weil sie die Erinnerung an Auschwitz verhöhnt und abwehrt. Die Shoah wird als Mittel zum Zweck von ‘Gottlosen’, die im Holocaust eine neue ‘Religion’ gefunden hätten, vorgestellt. Das ist die Ideologie der Neuen Rechten, aber auch des Neonazismus, linker Antisemiten und weiter Teile des Mainstream in Deutschland, Gauck formuliert seine Erinnerungsabwehr nur etwas verdruckster (man könnte auch sagen: evangelischer) als andere Stolz-Deutsche.