Du hast davon gesprochen, dass wir neue Regeln brauchen und ich dachte, du hättest genaue Vorstellungen davon.
Ja, auch ich wünschte mir, eine Fürschlechtbefindung wäre von zumindest EINEM Alternativvorschlag begleitet.
Richtig. Das ist auch in Deutschland über Jahrzehnte so gelaufen und wir waren ein gutes Stück vorangekommen. Dann kam der Zusammenbruch des Kommunismus, die Wiedervereinigung Deutschlands und die Globalisierung der Wirtschaft. Man hört zwar immer wieder, dass wir angeblich in einer globalisierten Welt leben, in Wirklichkeit jedoch ist es eine globalisierte Wirtschaftswelt. Die Menschen sind in ihren Ländern geblieben und nur die Arbeit wurde woanders verlagert. Dass diese Entwicklung mit Einbußen im sozialen Bereich einhergeht, ist dann eine logische Folge.
Wir brauchen also keine neuen Regeln, weil die bisherigen über Jahrzehnte positiv gewirkt haben, sie müssen jedoch den aktuellen Gegebenheiten angepasst werden. Evolutionär, wie du richtig bemerkt hast.
Stimmt. Die heutige Situation ist nicht durch einen Unfall entstanden, sondern weil die Menschen die Entwicklungen hierhin vorangetrieben haben. Nicht unbedingt vollständig kontrolliert und auch nicht in jedem Detail gewollt, aber im Großen und Ganzen doch absichtlich. Die Evolution in dem stabilen, wenn auch nicht statischen System besteht darin, die immer wieder neu entdeckten und auch neu entstehenden Ecken und Kanten möglichst abzurunden und absehbaren Kanten vorsorglich entgegen zu wirken. Wer aber das System verteufelt, weil er eine oder mehrere Kanten findet, ist schlicht und einfach in der falschen Welt.
Das entspricht auch meiner Ansicht, mit dem Unterschied, dass ich dieses Phänomen in Deutschland nicht erkennen kann, denn wir haben hier keine Führerfiguren. Die Bundeskanzlerin, die sich über Jahre hinweg in ihrer Macht wähnen konnte, hat einen einzigen Fehler gemacht hat und schon wackelt ihr Stuhl. Die Regierung wird von verschiedenen staatlichen Institutionen kontrolliert und kann somit nicht nach eigenem Gutdünken regieren. Der Einfluss der Wirtschaft auf die Regierung ist natürlich in den letzten zwei Jahrzehnten enorm gestiegen, aber das hat mit der Globalisierung der Wirtschaft zu tun, die der Wirtschaft zusätzliche Druckmittel verschafft hat. Die Regierung ist dadurch gezwungen Kompromisse einzugehen, damit nicht noch mehr Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden. Gleichzeitig zieht sich die Wirtschaft immer mehr aus ihrer sozialen Verantwortung zurück, weil sie auf diesen Staat nicht mehr so sehr angewiesen ist. Sie hat die Möglichkeit überall um den Globus herum zu produzieren und ihre Produkte abzusetzen. Wenn du also von Oligarchen sprichst, dann kannst du nur die großen Konzerne meinen und ihren Einfluss auf die Politik. Ein Rezept dagegen kenne ich nicht und du vermutlich auch nicht. Protektionismus ist in der heutigen Welt jedenfalls kein Rezept mehr, das wird auch Trump zu spüren bekommen, auch wenn er die größte Volkswirtschaft der Welt vertritt.
Den Führer-Figuren-Kult betreibt eine Bevölkerungsschicht, die mir eigentlich Angst macht, weil sie nicht verstehen will, dass diese Zeit vorbei ist. Führer stammen noch aus der Zeit, in der Protektionismus möglich war. Heute wird jedes Land von der globalisierten Wirtschaftswelt zerrieben, das einen solchen Schritt wagt. Das bekommt bereits Putin zu spüren und Erdogan immer mehr und Trump wird es auch bald zu spüren bekommen.
Den steigenden Einfluss der Wirtschaft sehe ich nicht als direkte Folge der Globalisierung sondern als Folge des Wohlstandes. Je schlechter es Menschen wirtschaftlich geht, desto sozialer und politisch visionärer werden sie. Das merkt man auch heutzutage, wenn Katastrophen geschehen. Plötzlich helfen sich Nachbarn, die sich zuvor nicht einmal gekannt haben. Das ist auch logisch, denn je widriger die Umstände, umso mehr ist man auf die Gemeinschaft unmittelbar angewiesen.
Wenn aber die Umstände sehr gut sind - also Sicherheit, Wohlstand und Stabilität im großen Maßstab gegeben sind, besinnt sich der Einzelne mehr auf sich, mehr auf seinen eigenen, persönlichen Vorteil. In so einer Situation gibt es keine großen politischen Visionen mehr, keine Grabenkämpfe Arbeiterschicht gegen Bürgertum oder Ähnlichem - sondern eine Unzahl an Ich-AGs und gewählt wird, wovon man sich den größten persönlichen Vorteil verspricht. Egal, was der Nachbar darüber sagen mag. Für so einen Bürger zählt nicht politischer Inhalt, sondern Geld bzw Wirtschaft.
Und es ist auch genau die Angst vor wirtschaftlichem Verlust, mit der die Populisten ihr Spiel treiben. Die größte Angst ist nicht, dass Kopftücher oder Moscheen mehr werden, sondern dass die Flüchtlinge den Alteingesessenen wirtschaftlichen Schaden (in erster Linie die Arbeit wegnehmen) zufügen.
Die gerne genannten "Oligarchen" sind mit wenigen Ausnahmen nicht wirklich Oligarchen, sondern eben Konzerne. Und das sind keine Einzelpersonen, sondern unzählige - einige Manager, viele Mitarbeiter, viele Aktionäre und noch mehr Angehörige. Und die sind neben einer wirtschaftlichen Macht in einer Demokratie natürlich auch eine politische. Wenn eine Politik einen Konzern trifft, dann trifft die Politik letztendlich eine Unzahl von Menschen (siehe am Beispiel VW, wo nicht ein paar Manager, sondern die Angestellten und deren Angehörige, Aktionäre, Zulieferbetriebe, deren Mitarbeiter und deren Angehörige, etc...). So kann es auch einen Treffen, der zunächst noch hämisch grinst, weil VW Strafzahlungen leisten muss, nachdem sein Betrieb einen Auftrag von einem Zulieferer von VW verliert, und er dadurch seinen Arbeitsplatz.
Unsere Welt ist so verwoben, dass es mutinter schwierig, wenn nicht gar unmöglich wird, zwischen "uns" und "denen" zu unterscheiden.