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Tschernobyl - 20 Jahre danach

Hallo Marianne,

danke für Deine Erinnerungen und Deinen persönlichen Standpunkt.

Marianne schrieb:
Seit Tschernobyl sind wir Menschen, ist die Öffentlichkeit wachsamer geworden, was jeglichen Umgang mit Kernenergie anbelangt

Aber auch die "Nuclear Community" ist wachsamer geworden. Obwohl nach dem Tschernobyl-Unfall bald klar war, dass er bei Reaktoren westlicher Bauart nicht möglich gewesen wäre, hat man trotzdem sorgfältig geprüft, ob man an alle Störfallszenarien mit schwerwiegenden Folgen gedacht hat. Diese Überprüfung führte dazu, dass auch Störfälle, die bei der ursprünglichen Auslegung der KKW nicht berücksichtigt wurden (weil sehr unwahrscheinlich), nunmehr beherrscht oder in ihren Auswirkungen wenigstens soweit gelindert werden, dass die Bevölkerung keinen Schaden nimmt.

Die Tatsache, dass es seit 20 Jahren keinen KKW-Störfall der INES-Stufe 4 oder höher gegeben hat, zeugt meines Erachtens vom Erfolg der Bemühungen.

Seit Tschernobyl wird verstärkt nach Alternativenergie geforscht - das ist gut so.

Ich bin auch für einen vernünftigen Energiemix. Das Potential der Alternativenergien sollte man schon ausloten. Aber Energie muss auch bezahlbar bleiben. Deshalb: Alternativenergien nicht um jeden Preis!

Gruss
Hartmut

P.S.:
INES = International Nuclear Event Scale (8-stufige Störfallbewertungsskala der IAEA), z.B.:
INES 0: geringe sicherheitstechnische Bedeutung
INES 4: Unzulässige Bestrahlung von Personen
INES 7: katastrophaler Unfall (Tschernobyl)
 
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Danke der privaten nachfrage:

Wie kommt es denn dass in Frankreich wo es fast nur Atomstrom gibt
die Preise fast so hoch sind wie bei uns?

Das ist ganz einfach:
Die Preise, die ich oben aufgelistet habe sind die „ErzeugerPreise“,
dazu kommen dann noch bis zum Endverbraucher die Kosten für das Verteilen und Umspannen und vor allem die Steuern.
Und da in Frankreich der Staat das Strommonopol hat, deckt er einen großteil seiner Staatsausgaben mit den Einnahmen aus einer Steuer auf Strom.

claus
 
Ich jedenfalls weiss nicht, wieviel Strahlendosis ich bekomme, wenn ich mal geröntgt werde. Dagegen weiss ich immer genau Bescheid, wieviel Dosis ich nach einem Aufenthalt in einem schweizerischen Kernkraftwerk erhalte.

Hartmut, da kann ich dir helfen:
Die mittlere effektive Dosis der Bevölkerung in Deutschland durch die medizinische Anwendung ionisierender Strahlen und radioaktiver Stoffe beträgt im Jahr 2,0 mSv. Die Röntgendiagnostik bedingt den größten Anteil an der zivilisatorischen Strahlenexposition der Bevölkerung. Die Häufigkeit von Röntgenuntersuchungen nimmt weiter zu. Zwar zeichnet sich bei manchen Röntgenuntersuchungen ein rückläufiger Trend ab, was auf den vermehrten Einsatz alternativer Untersuchungsverfahren, insbesondere Sonographie und Endoskopie, zurückzuführen ist, andererseits gibt es eine Zunahme bei modernen, dosisintensiven Untersuchungsverfahren wie Computertomographie. Die Nuklearmedizin liefert aufgrund der im Vergleich zur Röntgendiagnostik niedrigeren Anwendungshäufigkeit und der zum Teil niedrigen effektiven Dosis je Untersuchung einen wesentlich geringeren Beitrag zur Strahlenexposition der Bevölkerung. Er liegt unter einem Zehntel des Betrages der durch die Röntgendiagnostik verursachten Strahlenexposition.
Untersuchungsart effektive Dosis mSv
CT Abdomen 30
CT Thorax 20
CT Wirbelsäule 9
CT Kopf 2,5
Dickdarm 20
Arteriographie 20
Dünndarm 16
Magen 9
Harntrakt 5
Lendenwirbelsäule 2
Becken 1
Thorax 0,3
Zahn 0,01

und was diese Werte im Gesamtkontext der Strahlenbelastug darstellen, dazu darf ich dich selbst zitieren aus einem posting vom
05.09.2005, 20:58

Abschliessend noch ein Vergleich, welchen Strahlendosen ein normal Sterblicher heutzutage ohnehin ausgesetzt ist (Werte für die Schweiz). Von den 4,0 mSv mittlerer Jahresdosis entfallen auf:

kosmische Strahlung: 0,35 mSv
terrestrische Strahlung: 0,45 mSv
innere Bestrahlung: 0,4 mSv
Radon in Wohnräumen: 1,6 mSv (40%)
medizinische Anwendung: 1,0 mSv (25%)
übrige (darunter KKW): 0,2 mSv (5%)

Also ist 70% der Strahlendosis natürlichen Ursprungs (40% allein durch Radon!) und 25% ist auf medizinische Anwendungen zurückzuführen.
claus
 
Claus schrieb:
Die mittlere effektive Dosis der Bevölkerung in Deutschland durch die medizinische Anwendung ionisierender Strahlen und radioaktiver Stoffe beträgt im Jahr 2,0 mSv. Die Röntgendiagnostik bedingt den größten Anteil an der zivilisatorischen Strahlenexposition der Bevölkerung. Die Häufigkeit von Röntgenuntersuchungen nimmt weiter zu. Zwar zeichnet sich bei manchen Röntgenuntersuchungen ein rückläufiger Trend ab, was auf den vermehrten Einsatz alternativer Untersuchungsverfahren, insbesondere Sonographie und Endoskopie, zurückzuführen ist, andererseits gibt es eine Zunahme bei modernen, dosisintensiven Untersuchungsverfahren wie Computertomographie. Die Nuklearmedizin liefert aufgrund der im Vergleich zur Röntgendiagnostik niedrigeren Anwendungshäufigkeit und der zum Teil niedrigen effektiven Dosis je Untersuchung einen wesentlich geringeren Beitrag zur Strahlenexposition der Bevölkerung. Er liegt unter einem Zehntel des Betrages der durch die Röntgendiagnostik verursachten Strahlenexposition.
Untersuchungsart effektive Dosis mSv
CT Abdomen 30
CT Thorax 20
CT Wirbelsäule 9
CT Kopf 2,5
Dickdarm 20
Arteriographie 20
Dünndarm 16
Magen 9
Harntrakt 5
Lendenwirbelsäule 2
Becken 1
Thorax 0,3
Zahn 0,01

Danke Claus für die aufschlussreichen Zahlen zur medizinischen Diagnostik. Die Zahlen können dazu dienen, die zivilisatorische Strahlenbelastung mit anderen Fällen zu vergleichen. Halten wir also fest, dass die Computertomografie (CT) zu effektiven Dosen von 20-30 mSv führen kann.

Nun zu den Auswirkungen des Unfalls von Tschernobyl, wie sie z.B. kürzlich in einer Stellungnahme der sog. Internationalen Länderkommission Kerntechnik (ILK) der Länder Baden-Württemberg, Bayern und Hessen

http://www.ilk-online.de/public/de/stellungnahmen.htm

beschrieben und bewertet werden (32 Seiten):

"Die Strahlendosis der Feuerwehrleute und Liquidatoren, die der ersten Phase ausgesetzt waren, reichte von wenigen hundert mSv bis zu mehr als 10'000 mSv für einige Feuerwehrleute. Es bleibt unsicher, welche Dosis die an den späteren Aufräumungsarbeiten beteiligten 200'000 bis 600'000 Liquidatoren erhalten haben, aber die Dosis lag überwiegend zwischen 100 und 500 mSv; ein grosser Teil dieser Personengruppe erhielt eine viel niedrigere Dosis ... Die evakuierten Personen waren schätzungsweise einer durchschnittlichen Dosis von etwa 20 mSv ausgesetzt. Dies ist vergleichbar mit der Dosis, die man bei einer Computertomografie des Rumpfes erhält.
Für Bewohner der strikten Kontrollzonen (270'000 Personen, ...) liegt die durchschnittliche Dosis bei 50 mSv. Zwei Drittel der Populationen in den kontaminierten Gebieten (640'000 Personen, ...) empfingen eine Jahresdosis von weniger als 1 mSv, beim restlichen Drittel lag die Dosis zwischen 1 und 10 mSv. Dies ist mit der natürlichen Hintergrundstrahlung vergleichbar, die weltweit bei einigen mSv pro Jahr liegt.

Für die Bevölkerung im Westen betrug die berechnete Gesamtdosis 1 mSv in Nordeuropa und 0,15 mSv in Westeuropa."


Ich meine, dass die erwähnte Stellungnahme zu den neuesten Erkenntnissen über die Auswirkungen des Reaktorunfalls von Tschernobyl dazu beitragen kann, sich ein objektives Bild zu machen.

Der Reaktorunfall von Tschernobyl war das Ergebnis einer nicht inhärent sicheren Reaktorauslegung und mangelnder "Sicherheitskultur". Die Auslegungsmängel der heutzutage noch betriebenen 12 Reaktoren vom Tschernobyl-Typ RBMK (11 in Russland, 1 in Litauen) wurden beseitigt; die westlichen Reaktoren hatten ohnehin kein solches Sicherheitsdefizit.

Das Aufrechterhalten einer hohen Sicherheitskultur bleibt hingegen für alle Betreiber von Kernkraftwerken eine stets aktuelle Aufgabe.

Gruss
Hartmut
 
Hartmut,

vorab, ich befürworte den Einsatz der Kernenergie unter entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen, aber ich habe im Handelsblatt vom Freitag einen Artikel gefunden, der besagt, dass nach Aussage des Atom-Experten Blokow die neuesten Zahlen aus Weißrußland belegen, dass es in der Umgebung des Reaktors 270000 strahlungsbedingte Krebsfälle gegeben habe und dass davon statistisch 93000 tödlich verlaufen.

Und W. Chudolej von der Russischen Akademie der Wissenschaften sagt, dass im Westen Russlands in den vergangenen Jahren zusätzlich 60000 Menschen an Krebs gestorben sind. Die Zahl der Toten könnte in der Ukraine und in Weißrußland auf 140000 steigen.

Siehe auch den folgenden Link auf eine GREENPEACE-Studie beim ZDF, auf den sich auch das HB bezieht

http://www.heute.de/ZDFheute/inhalt/19/0,3672,3925075,00.html

Der Beton-Sarkophag wird auch immer brüchiger und muß für 1,2 Mrd. $ erneuert werden, um eine weitere Verstrahlung der Umgebung zu verhindern.
 
Hier noch ein paar Informationen, die doch zeigen, lieber Hartmut, dass wir mitunter auch nichts von den genauen Folgen wissen, weil wir sie nicht untersucht hatten/ haben, bezw, es Weigerungen gibt, sie durchzuführen.

Die Folgen in Österreich
Österreich zählt zu den am stärksten vom Tschernobyl-Fallout betroffenen Ländern. Bis zu 150 kBq10 an radioaktivem Cäsium 137 (Halbwertszeit ca. 30 Jahre) wurden pro Quadratmeter abgelagert. "Höhere Werte der Deposition (über 200 kBq) finden sich sonst nur in der Ukraine, in Weißrussland, Russland und in Teilen Skandinaviens"11.
Von den insgesamt 1,9 Millionen Curie Cäsium-137, die in Tschernobyl freigesetzt wurden, gelangten 48.000 Curie - also mehr als zwei Prozent - nach Österreich. Die mittlere Flächenbelastung liegt bei 21 kBq Cäsium pro Quadratmeter. Mit mehr als 100 kBq/m² kontaminiert sind Teile des Wald-, Mühl- und Hausruckviertels, die Gegend um Linz, die Welser Heide, die Pyhrnregion, das Salzkammergut, Teile der Tauern, sowie die Koralpe und Südkärnten. Noch nach fünfzehn Jahren weisen Pilze aus diesen Regionen überhöhte Werte an Radioaktivität auf.
Gesundheitliche Folgen wurden in Österreich nicht festgestellt - und zwar aus einem simplen Grund: Man hat nicht danach gesucht! Nichtsdestotrotz gibt es immer wieder Meldungen über Häufungen von Schilddrüsenkrebs; z.B. in Salzburg. Da aber die verantwortlichen Behörden es wiederholt abgelehnt haben, detaillierte Untersuchungen durchführen zu lassen, können diese Berichte weder bestätigt noch widerlegt werden. In Griechenland, das vom Fallout weit geringer betroffen war als Österreich, wurde in Gebieten mit erhöhter Kontamination eine erhöhte Rate an Leukämie festgestellt. In stark verstrahlten Regionen Bayerns wurde im Frühsommer 1996 und im Winter 1986/87 (Verwendung von kontaminiertem Tierfutter) eine erhöhte Säuglingssterblichkeit festgestellt. 1987 wurde in West-Berlin, aber auch in Schottland, Schweden und Dänemark eine signifikante Zunahme an Down-Syndrom (Mongolismus) verzeichnet12.
Es ist also wahrscheinlich, dass in Österreich - bei entsprechenden Untersuchungen - auch gesundheitliche Folgen durch Tschernobyl nachweisbar wären.

Quelle:http://www.global2000.at/pages/JahreTschernobyl.htm


Dieses Faktum sollte auch nicht unerwähnt bleiben.

Marianne



 
Am Sonntag brachte der Berliner Tagesspiegel eine umfangreiche Dokumentation, die man auch online nachlesen kann unter:

http://www.tagesspiegel.de/tschernobyl/

Ein Artikel beschäftigt sich mit den heutigen Risiken; ich zitiere daraus:

Vor diesem Hintergrund sind die zahlreichen Studien über die geringe Wahrscheinlichkeit großer Reaktorunfälle weitgehend wertlos. So kalkuliert etwa die in den 80er Jahren erstellte deutsche Risikostudie für Reaktoren vom Biblis-Typ, dass ein Unfall mit anschließender Kernschmelze allenfalls drei Mal in 100 000 Betriebsjahren geschehen könne. Doch derlei Berechnungen fußen auf kühnen Annahmen, etwa der, dass dem Bruch einer Leitung stets ein Leck vorangehe, auf das die Reaktorfahrer rechtzeitig reagieren können. Die Praxis allerdings zeigt, dass immer wieder Leitungen abreißen, ohne dass zuvor ein Leck bemerkt wurde, so zuletzt im Jahr 2003 wiederum im Block 3 von Kosloduj. Vollkommen unkalkulierbar ist zudem, ob und wann die Betriebsmannschaften sich nicht an die Regeln halten. Mal schlafen die Operateure während der Nachtschicht (so geschehen im US-AKW Peach Bottom im Jahr 1987), mal improvisieren sie mit ungeeigneten Vorrichtungen (so bei einer Schmelze von 30 Brennelementen in einem Reinigungstank im ungarischen AKW Paks in 2003), dann wieder ignorieren sie Warnhinweise, weil es zuvor schon viele Fehlanzeigen gab, so wie in Brunsbüttel. „Der menschliche Faktor ist das zentrale Problem“, warnt der amerikanische Reaktorexperte Steven Sholly, der Hunderte von Störfällen analysiert hat. Der Alltag der Reaktorfahrer bestehe aus „zigtausend Stunden Langeweile und Routine“, die dann plötzlich von „Minuten blanken Terrors“ unterbrochen werden können. Da sei es „nur menschlich“, dass die Betriebsmannschaften „zunächst immer gar nicht glauben, dass etwas schief gehen könnte“, so wie es auch in Tschernobyl war. Dieses Phänomen sei eines der größten Risiken, weil dabei stets kostbare Minuten für Gegenmaßnahmen verstreichen.

Das gilt erst recht, wenn diese Anlagen mit veralteter Technik und chronischem Personalmangel geschlagen sind, wie in den meisten Ländern Osteuropas. Über drei Milliarden Euro investierten die Europäische Union und die USA dort nach dem Tschernobyl-Unglück, um die Reaktoren sowjetischer Bauart sicherer zu machen. 240 Millionen Euro legte die Bundesregierung noch oben drauf. Mehrere hundert Millionen Euro flossen allein in den Umbau der verbliebenen zwölf Reaktoren des Tschernobyl-Typs in Russland und Litauen. Vier Anlagen, die nicht einmal über einen sicheren Einschluss (Containment) verfügen, wurden auf Druck der EU-Kommission in den Beitrittsländern Ungarn, Slowakei, Bulgarien und Litauen stillgelegt. Drei weitere sollen bis Ende 2006 folgen. Insofern sei die Lage in Osteuropa heute „wesentlich besser als damals“, meint der noch im DDR-Atomkraftwerk Greifswald ausgebildete Reaktorexperte Hartmuth Teske, der bei der GRS das Osteuropa-Programm koordiniert. Immerhin gebe es nun zumindest formal überall unabhängige Aufsichtsbehörden.

Doch fraglich ist, ob all das wirklich die Sicherheit gefördert hat. Denn die Nachrüstung dient den Regierungen der EU-Beitrittsländer und der Ukraine nun als Argument, auch weiterhin 44 Reaktoren sowjetischer Bauart zu betreiben, „denen zentrale Sicherheitsvorrichtungen fehlen und die nach westlichem Standard niemals genehmigungsfähig wären“, warnt der Wiener Physik-Professor Wolfgang Kromp, dessen Institut für Risikoforschung im Auftrag der österreichischen Regierung das Geschehen in den Atomanlagen der Nachbarländer beobachtet.

Hinzu kommt, dass vielerorts die Unabhängigkeit der staatlichen Aufsicht lediglich auf dem Papier steht. So gehört etwa in Tschechien das Institut, das die sechs Reaktoren des Landes begutachtet, zum selben Stromkonzern, der diese betreibt. In der benachbarten Slowakei verfügt die Behörde, die insgesamt acht Anlagen beaufsichtigen soll, über gerade mal ein Zehntel des Budgets, das ihren Schweizer Kollegen mit ebenso vielen Anlagen zur Verfügung steht. Unter solchen Bedingungen sei es nahezu unmöglich, Experten zu beschäftigen, die nicht gleichzeitig auch im Dienst der Industrie stehen, berichtet Kromp. Zumal von der Ukraine bis Litauen die „gut organisierte Atom-Lobby“ auch die Besetzung des jeweiligen Chefpostens kontrolliere. Atomkraftwerke unter dem Kostendruck des Wettbewerbs ohne unabhängige Aufsicht, mahnt Risikoforscher Kromp, das sei „genau die Konstellation, die zwangsläufig die größten Fehler provoziert.“

Das sieht der frühere Chefaufseher Kastchiev aus Bulgarien genauso. Die ausgefallene Steuerung der Kontrollstäbe, so ergaben seine Recherchen, wurde von einer Firma hergestellt, die dafür gar keine Lizenz hatte. Aber, so Kastchiev, „es war vermutlich billiger so“.

mehr unter: http://www.tagesspiegel.de/sonntag/archiv/23.04.2006/2473588.asp
 
baerliner schrieb:
Am Sonntag brachte der Berliner Tagesspiegel eine umfangreiche Dokumentation, die man auch online nachlesen kann unter:

http://www.tagesspiegel.de/tschernobyl/

Ein Artikel beschäftigt sich mit den heutigen Risiken; ich zitiere daraus:



mehr unter: http://www.tagesspiegel.de/sonntag/archiv/23.04.2006/2473588.asp

Hallo Berliner,

was soll ich zu dieser geballten Ladung von Halbwahrheiten des Herrn Harald Schumann sagen? Sicher hat er manches gehört und gelesen, was sich in KKW abspielt, aber m.E. etliches nicht richtig verdaut. Ich bin deshalb nach wie vor dafür, dass man von Journalisten, die über Kerntechnik schreiben, eine Lizenz verlangen sollte. Es kann doch nicht angehen, dass irgendein unbedeutender Journalist mit halbverdautem Wissen die Bevölkerung in Panik versetzt!

1. Beispiel "Deutsche Risikostudie für Reaktoren vom Biblis-Typ":

Es stimmt überhaupt nicht, dass die Studie ein Leck-vor-Bruch-Verhalten von Reaktorkühlmittelleitungen annimmt. Es wird jeweils angenommen, dass Leitungen verschiedener Durchmesser plötzlich abreissen (innerhalb von 15 Millisekunden). Zudem sind gerade deutsche Reaktoren (KWU Design) ziemlich stark automatisiert. Die Automatik entlastet das Betriebspersonal bei all jenen Störfällen, die rasch ablaufen (z.B. Störfälle mit Verlust von Reaktorkühlmittel), von manuellen Handlungen in den ersten 30 Minuten. Die Devise heisst: dem Betriebspersonal eine angemessene Zeit einräumen, damit es erkennt, was bei einer Störung abläuft. Überstürzte Handlungen können sehr schädlich sein!

2. Der menschliche Faktor:

Der ist zugegeben von grosser Bedeutung. Aber es ist keineswegs so, dass der Alltag der Reaktorfahrer hauptsächlich aus Langeweile und Routine besteht, die dann von "Minuten blanken Terrors" abgelöst werden. Das Betriebspersonal muss gemäss Vorschriften monatlich eine Vielzahl von Funktionsprüfungen der sicherheitsrelevanten Systeme durchführen. Dazu kommen Wartungs-/Reparaturarbeiten, die zu überwachen sind. Das Betriebspersonal muss auch ein Schichtbuch führen und sämtliche Abweichungen sowie Handlungen protokollieren. Der Journalist Schumann sollte sich doch mal einige Wochen im Kommandoraum eines KKW aufhalten, bevor er sich zum Verhalten von Reaktorfahrern äussert!!

Ich möchte auch noch erwähnen, dass die Reaktorfahrer regelmässig an Anlagensimulatoren, welche das konkrete KKW z.T 1:1 modellieren, trainiert werden, um Störfälle zu beherrschen.

Diese zwei Beispiele mögen zeigen, dass es in einem KKW nicht so zugeht, wie es sich "Klein-Mäxchen" vorstellt.

Gruss
Hartmut
 
Marianne schrieb:
Österreich zählt zu den am stärksten vom Tschernobyl-Fallout betroffenen Ländern. Bis zu 150 kBq an radioaktivem Cäsium 137 (Halbwertszeit ca. 30 Jahre) wurden pro Quadratmeter abgelagert. "Höhere Werte der Deposition (über 200 kBq) finden sich sonst nur in der Ukraine, in Weißrussland, Russland und in Teilen Skandinaviens" ...
Die mittlere Flächenbelastung liegt bei 21 kBq Cäsium pro Quadratmeter.

Hallo Marianne,

es stimmt, dass Österreich, neben den skandinavischen Ländern, zu den am stärksten vom Tschernobyl-Unfall betroffenen westeuropäischen Ländern zählt. Dies wegen der ungünstigen Wind- und Niederschlagsverhältnisse im kritischen Zeitraum.
Die angegebenen Aktivitätskonzentrationen von bis zu 150 kBq Cs-137/m^2 beziehen sich auf sog. "hot spots", dort, wo Regen die Radioaktivität aus der Wolke auswusch. Im Durchschnitt betrug die Kontamination in Österreich etwa 21 kBq Cs-137/m^2.

Was aber letztlich zählt, ist die vom Menschen aufgenommene Aktivität, und die hängt stark von den Verzehrgewohnheiten der Leute ab. Normale Konsumenten, die ihre Nahrungsmittel aus dem Supermarkt beziehen, sind anders belastet als Selbstversorger, die sich von den Früchten ihres Gartens ernähren. Die Selbstversorger können durchaus 10 - 20mal so viel Aktivität aufgenommen haben wie die normalen Konsumenten.

Gesundheitliche Folgen wurden in Österreich nicht festgestellt - und zwar aus einem simplen Grund: Man hat nicht danach gesucht! Nichtsdestotrotz gibt es immer wieder Meldungen über Häufungen von Schilddrüsenkrebs; z.B. in Salzburg. Da aber die verantwortlichen Behörden es wiederholt abgelehnt haben, detaillierte Untersuchungen durchführen zu lassen, können diese Berichte weder bestätigt noch widerlegt werden. In Griechenland, das vom Fallout weit geringer betroffen war als Österreich, wurde in Gebieten mit erhöhter Kontamination eine erhöhte Rate an Leukämie festgestellt. In stark verstrahlten Regionen Bayerns wurde im Frühsommer 1996 und im Winter 1986/87 (Verwendung von kontaminiertem Tierfutter) eine erhöhte Säuglingssterblichkeit festgestellt. 1987 wurde in West-Berlin, aber auch in Schottland, Schweden und Dänemark eine signifikante Zunahme an Down-Syndrom (Mongolismus) verzeichnet.
Es ist also wahrscheinlich, dass in Österreich - bei entsprechenden Untersuchungen - auch gesundheitliche Folgen durch Tschernobyl nachweisbar wären.

Häufungen von Schilddrüsenkrebs sind festgestellt worden, jedoch ist diese Krebsart zu 90% heilbar. Was sich hingegen nicht bestätigt hat (im Gegensatz zu anderslautenden Meldungen aus Deutschland), sind Häufungen von Leukämie oder eine Erhöhung der Säuglingssterblichkeit. Einzige Ausnahme ist eine leicht erhöhte Zunahme von Leukämieerkrankungen bei den Liquidatoren.

Ich bezweifle, ob in Österreich bei genauerer Untersuchung schwerwiegende gesundheitliche Folgen aus dem Tschernobyl-Unfall nachgewiesen werden könnten.

Gruss
Hartmut
 
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Hi, Hartmut - Ihr anderenletzten der Mohikaner dieses Themas!

Ein politischer Aspekt.

Michail Gorbatschow bekennt in dem folgenden berührenden Kommentar, dass Tschernobyl der Anfang des Endes der SU war. Und zwar gerade, wel vom ZK nichts verheimlicht wurde
.

Kommentar der anderen: Zeitenwende Tschernobyl
Die Reaktor-Unfall als Initialzündung für den Zerfall des Sowjetimperiums - von Michail Gorbatschow

Für Michail Gorbatschow hat der Unfall rückblickend entscheidender zum Untergang des sowjetischen Totalitarismus beigetragen als die Perestroika.Der Autor war bis Dezember 1991 Präsident der UdSSR und ist heute Präsident der Moskauer Gorbatschow-Stiftung sowie Vorsitzender des Internationalen Grünen Kreuzes. Die Reaktor-Unfall als Initialzündung für den Zerfall des Sowjetimperiums: Der letzte Präsident der Sowjetunion erinnert sich an die ersten Tage nach der Katastrophe und verteidigt die damalige SU-Regierung gegen den Vorwurf der "Täuschungs- und Vertuschungspolitik". Der Reaktorunfall in Tschernobyl, der sich heute zum zwanzigsten Mal jährt, war vielleicht mehr noch als die von mir begonnene Perestroika die wirkliche Ursache für den Zusammenbruch der Sowjetunion fünf Jahre später. Tschernobyl stellt einen historischen Wendepunkt dar: Es gab die Zeit vor der Katastrophe, und es gibt die völlig andere Zeit, die danach folgte.
Direkt am Morgen der Explosion im Kernkraftwerk, am 26. April 1986, kam das Politbüro zusammen, um die Lage zu besprechen. Eine Regierungskommission wurde einberufen, die sich mit den Folgen beschäftigen sollte. Die Kommission sollte in der Situation die Kontrolle behalten und sicherstellen, dass ernsthafte Maßnahmen ergriffen würden, insbesondere im Hinblick auf die Gesundheit der Menschen im Katastrophengebiet. Darüber hinaus stellte die Akademie der Wissenschaften eine Gruppe von führenden Experten zusammen, die unverzüglich in die Region von Tschernobyl entsandt wurden.
Dem Politbüro lagen nicht sofort die relevanten und vollständigen Informationen vor, die die Lage nach der Explosion widergespiegelt hätten. Trotzdem herrschte im Politbüro allgemeiner Konsens darüber, dass wir Informationen offen herausgeben sollten, sobald wir welche erhielten - im Geiste der Glasnost-Politik, die damals bereits in der Sowjetunion etabliert war. Daher sind die Behauptungen, das Politbüro habe die Informationen über den Unfall verheimlicht, weit von der Wahrheit entfernt.
Nichts zu verbergen
Ein Grund, warum ich glaube, dass es keine vorsätzliche Täuschung gab, ist, dass die Mitglieder der Regierungskommission, die den Schauplatz direkt nach der Katastrophe besuchten und in Polesje in der Nähe von Tschernobyl übernachteten, alle normales Essen und Wasser zum Abendessen zu sich nahmen und sich ohne Gasmasken bewegten - wie alle anderen, die dort arbeiteten. Hätten die lokalen Behörden oder die Wissenschafter von den wirklichen Auswirkungen der Katastrophe gewusst, wären sie dieses Risiko nie eingegangen.
Tatsächlich kannte niemand die Wahrheit, und deshalb waren all unsere Versuche, vollständige Informationen über das Ausmaß der Katastrophe zu bekommen, vergeblich. Wir glaubten anfänglich, dass die Explosion ihre Hauptwirkung in der Ukraine haben würde, doch war Weißrussland im Nordwesten noch schlimmer betroffen. Später litten auch Polen und Schweden an den Folgen.
Es stimmt natürlich, dass die Welt zuerst durch schwedische Wissenschafter von der Katastrophe in Tschernobyl erfuhr, was den Eindruck erweckte, wir würden etwas verbergen. Doch in Wahrheit hatten wir nichts zu verbergen, da wir einfach eineinhalb Tage lang über keinerlei Informationen verfügten. Erst einige Tage später erfuhren wir, dass das, was passiert war, kein einfacher Unfall war, sondern eine wirkliche nukleare Katastrophe - eine Explosion des vierten Reaktors von Tschernobyl.
System am Ende
Obwohl der erste Bericht über Tschernobyl am 28. April in der Prawda erschien, war die Lage vollkommen unklar. Zum Beispiel wurde sofort nach der Explosion des Reaktors das Feuer mit Wasser gelöscht, was die Situation nur noch verschlimmerte, weil sich die Kernteilchen dadurch in der Atmosphäre ausbreiteten. In der Zwischenzeit leisteten wir Hilfsmaßnahmen für die Menschen im Katastrophengebiet: Sie wurden evakuiert. Über 200 medizinische Organisationen untersuchten die Bevölkerung auf Strahlenvergiftung hin.
Es bestand die große Gefahr, dass der Inhalt des Kernreaktors in den Boden und dann weiter in den Fluss Dnjepr durchsickern würde, was die Einwohner Kiews und anderer Städte an den Ufern gefährdet hätte. Daher fingen wir damit an, die Ufer zu schützen, und begannen mit der kompletten Stilllegung des Kernkraftwerks. Die Ressourcen eines riesigen Landes wurden mobilisiert, um die Verwüstung in Schach zu halten, unter anderem wurden Vorbereitungen für den Sarkophag getroffen, der den vierten Reaktor umhüllen sollte.
Mehr als alles andere hat die Katastrophe von Tschernobyl die Durchsetzung der freien Meinungsäußerung ermöglicht. Das System, wie wir es kannten, konnte nicht mehr weiterexistieren. Es wurde absolut klar, wie wichtig es war, die Glasnost-Politik fortzuführen. Ich selbst fing an, die Zeit gedanklich in die Zeit vor und die Zeit nach Tschernobyl einzuteilen.
Der Preis für die Katastrophe von Tschernobyl war unglaublich hoch, nicht nur in menschlicher Hinsicht, sondern auch wirtschaftlich. Selbst heute belastet das Erbe Tschernobyls die Volkswirtschaften von Russland, der Ukraine und Weißrussland. Einige behaupten sogar, dass der wirtschaftliche Preis für die Sowjetunion so hoch war, dass sie das Wettrüsten einstellte, da wir nicht weiter aufrüsten konnten, während wir für die Aufräumarbeiten in Tschernobyl zahlten.
Lektion gelernt?
Das stimmt nicht. Meine Erklärung vom 15. Januar 1986 ist auf der ganzen Welt bekannt. Ich sprach bereits damals von einer Reduzierung der Waffen, einschließlich der Kernwaffen, und schlug vor, dass im Jahr 2000 kein Land mehr im Besitz von Atomwaffen sein sollte. Ich fühlte eine persönliche, moralische Verantwortung, das Wettrüsten zu beenden.
Doch Tschernobyl hat mir wie kein anderes Ereignis die Augen geöffnet: Es zeigte mir die furchtbaren Folgen der Kernkraft, selbst wenn sie zu nicht militärischen Zwecken genutzt wird. Man konnte sich jetzt viel deutlicher vorstellen, was passieren würde, wenn eine Atombombe explodiert. Nach Expertenmeinung enthält eine SS-18-Rakete hunderte Tschernobyls.
Leider ist das Problem der Kernwaffen heute immer noch gravierend. Länder, die sie besitzen - die Mitglieder des so genannten Nuklearen Clubs -, haben keine Eile, sie loszuwerden. Im Gegenteil, sie verfeinern ihre Arsenale weiter, während Länder ohne Kernwaffen in deren Besitz gelangen wollen, in dem Glauben, dass das Monopol des Nuklearen Clubs eine Gefahr für den Weltfrieden darstelle.
Der zwanzigste Jahrestag der Katastrophe von Tschernobyl erinnert uns daran, dass wir die fürchterliche Lektion, die der Welt 1986 erteilt wurde, nicht vergessen sollten. Wir sollten alles in unserer Macht Stehende unternehmen, um sämtliche Kernanlagen sicher zu gestalten. Wir sollten auch anfangen, ernsthaft an der Produktion alternativer Energiequellen zu arbeiten. Die Tatsache, dass die führenden Politiker der Welt jetzt immer mehr über diese zwingende Notwendigkeit reden, legt nahe, dass die Lektion von Tschernobyl endlich begriffen wurde. (Project Syndicate; aus dem Englischen von Anke Püttmann DER STANDARD, Printausgabe, 26.4.2006)
http://derstandard.at/I/


Irgendwie sehe ich, dass Gorbatschow die gleiche politische Linie verfolgt, wie sie heute jeder verantwortliche Politiker vertritt, egal welcher Farbe .

Wir werden langfristig nicht ohne Atomenergie auskommen - aber - so verantwortungslos mit ihr umgehen ... wie noch heute vieler Orten - nein Danke.!

Marianne
 
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