Teil 7:
6. Der Import des Platonismus
von Herbert Schnädelbach
Ein besonders folgenreicher Geburtsfehler des Christentums ist der Import des Platonismus, der durch die Anstrengungen der Kirchenväter erfolgte, ihren Glauben der hellenistischen Welt als die überlegene Philosophie zu präsentieren. Das Resultat war eine ontologische Aufspaltung der Wirklichkeit in Diesseits und Jenseits sowie der Leib-Seele-Dualismus. Beide Denkmodelle, die Platon in neuplatonischer Vermittlung repräsentieren, bestimmen das christliche Denken bis heute, obwohl sie in Wahrheit mit dem Kernbestand des Alten und Neuen Testaments unvereinbar sind.
Also das als einen Geburtsfehler zu bezeichnen sehe ich als eine weitere Schädigung des jüdisch-christlichen Erbes an. Ich sehe es als ein eindeutige Vereinnahmung und Verfälschung der ursprünglich frohen Botschaft statt, bis hin zu seiner direkten Umkehrung. Es ist die klassische Form des Antichristen in der Vortäuschung Christen zu sein.
Der Mensch kapituliert leicht,
wenn die Sünde ihm im Gewand der Tugend begegnet.
Mahatma Gandhi (*1869, +1948)
Im jüdischen Denken gibt es zunächst nur das Diesseits, das heißt die Gegenwart und ihre Vorgeschichte; es kennt ursprünglich auch kein Leben nach dem Tod, denn die Verheißungen Gottes beziehen sich noch bei Hiob nur auf das irdische Leben und die Nachkommen. Durch die prophetische Eschatologie kommt dann ein Jenseits hinzu, aber das verhält sich zum Diesseits wie die Zukunft zur Gegenwart. Dem Christentum zufolge ist zwar dieses Zukünftige schon erschienen - als der paradoxe Messias am Kreuz -, aber es wird wiederkommen in der Parusie Christi als Weltenherrscher.
Tun die Menschen das nicht schon? die Welt beherrschen?
Gott wurde doch Mensch!
Die Frage, wo sich Christus in der Zwischenzeit aufhält, wird mit dem Verweis auf den "Himmel", das heißt auf ein höheres Stockwerk der einen Wirklichkeit beantwortet, zu dem Jesus hinaufgefahren sei und von dem er wieder herabkommen werde; zuvor sei er "hinabgestiegen in das Reich der Toten", also ins Kellergeschoss.
Wie gut das Jesus doch verheißen hat, dass es im Hause seines Vaters viele Wohnungen gibt. So habe ich in unser altes Schlossverlies einen Abt, einen Generalvikar und zwei andere Personen verbannt. Da können die sich gegenseitig auf den Wecker gehen und auf die narzisstischen Hühneraugen treten. Das ist für mich mein Jenseits. Diesseits ist gerade dass ich hier tippe.
Im Zuge der Hellenisierung des Christentums aber wird aus jener Ebenendifferenz von Diesseits und Jenseits eine Artdifferenz, das heißt beide Sphären sollen sich wie Platons reale und ideale Welt zueinander verhalten.
Und sie stehen in ein einer meist geleugneten Wechselbeziehung, auf die es mir ankommt sie zu erkennen.
So entstanden auch im christlichen Platonismus die Ontologie der "Hinterwelt" und die Tendenz zur Verleumdung des Diesseits, die dann Nietzsches langen Zorn auf sich zog.
Da kann ich doch sogar auch einmal was bei Nietzsche gut verstehen. Diesen Zorn habe ich auch und nicht zu knapp.
Beide Arten der Unterscheidung zwischen Diesseits und Jenseits, die topologische und die ontologische, haben im Christentum stets in einem niemals wirklich ausgetragenen Konflikt gelegen: Wenn das Nizänum Gott den "Schöpfer des Himmels und der Erde, alles Sichtbaren und Unsichtbaren" nennt, konnte man unter dem Unsichtbaren stets sowohl eine geografisch höhere und deswegen unseren Augen entzogene Sphäre der einen von Gott geschaffenen Wirklichkeit verstehen oder den platonischen kósmos noetós - die bloß denkbare Welt.
Ja man konnte es und hat es auch getan. Gut für alle die auf diesen künstlichen Konflikt gar nicht erst hereingefallen sind und ihn eben auch nicht sehen.
Die Entwicklung der Kosmologie in der Neuzeit hat aber das topologische Modell vollends unglaubwürdig werden lassen, obwohl die Christen in aller Welt in der Deklamation des Credo immer noch an ihm festhalten; damit blieb nur der platonische Ausweg, das heißt die Spiritualisierung des Jenseits, wenn man an ihm festhalten wollte.
Na ja alles geschieht nach unserem Glauben, wenn ich nicht mehr glaube, das Gott Mensch geworden ist und ich in jedem Menschen Gott treffe, dann haben wir eben den Salat und den Miststall, den wir zur Zeit haben.
Wo sollte man auch hin mit einer Utopie, die schon "erschienen" ist?
Zur Liebe zu sich selbst und zum Nächsten, wohin denn sonst?
Das Nirgendwo muss dann doch irgendwo sein, und wenn es nicht "oben" ist, dann kann es nur "im Geiste" existieren. Damit aber wurde die geistige Welt zur angeblich einzig wahren "umgelogen" (Nietzsche).
Was bei der schrecklichen Kindheit von Nietzsche wirklich kein Wunder sondern nur eine logische Folge war.
"Durch die Wunden unserer Kindheit,
sind wir schon geheiligt."
Das Unheil der christlich-platonischen Diesseits-Jenseits-Unterscheidung besteht darin, dass durch sie die reale Welt zum bloßen Schein herabgesetzt und normativ entwertet wurde.
Wenn es eine Sünde gibt, dann entsteht sie durch dieses Denken. Die Bitten des Vater unsres
"Dein Reich komme, Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auch auf Erden" wurden damit völlig entwertet und die Hölle auf Erden etabliert.
Die neuzeitliche Aufklärung war wesentlich bestimmt durch die Idee der Rehabilitierung der wirklichen Wirklichkeit.
Und damit erst einmal noch größere Verwirrung gebracht hat, weil das Gut-Böse Denken noch nicht mit aufgehoben wurde und keine Hilfe zur Handlung gegeben wird bei den Schichten und Menschen die lieber mit Verboten umgehen.
Die kirchlichen Anwälte des Jenseits sollten nicht länger das, was es wirklich gibt, für ihre Machtzwecke instrumentalisieren dürfen; mit der Zwei-Reiche-Lehre und dem "Es wird euch im Himmel wohl belohnt werden" als Herrschaftslegitimation sollte Schluss sein.
Dabei gründet sich die Zwei-Reiche-Lehre auf ein Missverständnis und mangelnde Kenntnis der jüdischen Tradition zur Zeit Jesus: "Gebt Gott, was Gottes ist und dem Kaiser was des Kaisers ist." War eine Antwort Jesu auf eine Fangfrage der Pharisäer, ob es erlaubt ist dem Kaiser Steuern zu zahlen.
Jesus hatte in der Geschichte seine Gesprächspartner darauf aufmerksam gemacht, dass sie selber schon das sie selber schon das Bilderverbot missachtet hatten und eben einen Denar mit dem Bild des Kaisers bei sich trugen.
Am Ende dieses Prozesses zeichnet Nietzsche nach, "wie die ,wahre Welt' endlich zur Fabel wurde", und triumphiert: "... mit der wahren Welt haben wir auch die scheinbare abgeschafft."
Was ist wahr?
Was ist Schein?
Der Import des Platonismus führte im Christentum aber nicht nur zur Denunziation der Realität, sondern zu einer dualistischen Anthropologie mit fatalen Konsequenzen. Das "Menschenbild" des Judentums und der frühen Christen ist monistisch; was Luther mit "Seele" übersetzt, ist die Lebendigkeit des Geschöpfs "Mensch", von Gott gemacht "aus einem Erdenkloß" und verlebendigt durch das Einblasen des "lebendigen Odem" in seine Nase (1. Mose 2, 7).
Hier wird das Bild des geschaffenen und gekneteten Menschen gegeben. Vergleichbar mit der Kopfgeburt der Athene aus Zeus. Ein Ärgernis und eine Begründung für jeden Atheisten und jedem Menschen mit einem gesunden Menschenverstand.
Die erste Schöpfungsgeschichte, dass Gott den Menschen nach seinem Ebenbild schuf und zwar als Mann und als Frau wird bei diesem Bild nicht einbezogen. Da wird dann auch Lilith dann durch Eva ersetzt und verdrängt.
16 Dann gebot Gott, der Herr, dem Menschen: Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen,
17 doch vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen; denn sobald du davon isst, wirst du sterben.
Damit kam die Todesangst in die Welt. Viel früher als Platon!
In diesem Sinne lehren die Apostel die "Auferstehung des Fleisches", also des ganzen Menschen; selbst im Credo ist nur (wie schon bei Daniel) von der Auferstehung der Toten die Rede, aber nicht von der Unsterblichkeit der Seele, die den platonischen Leib-Seele-Dualismus voraussetzt.
Wie es auch im
Psalm 139 beschrieben wird
Gleichwohl wurde diese unbiblische Gedankenfigur im Christentum zu einer kulturellen Selbstverständlichkeit: Der christliche Platonismus bedeutete nicht nur im Kosmos, sondern auch im Menschen die normative Herabsetzung der Wirklichkeit, das heißt seiner Leiblichkeit.
Ja, denn
Körper - Geist - Seele
sind gut in diesem Smiley veranschaulicht
Ja und diese Gedanken sind als ziemlich gewohnheitsmäßig zu erkennen
Das Ergebnis ist die systematische Leibfeindlichkeit der christlichen Tradition, wie sie sich besonders in der repressiven Sexualmoral der Kirchen forterbte.
Und genau das ist das, was ich unter Erbschuld oder -sünde verstehe. Die unreflektierte Übernahme und/oder Verwerfung der Tradition die immer dann in Gewalt ausartet und unnütze Machtkämpfe.
Natürlich predigt schon Paulus asketische Ideale, aber die stehen bei ihm noch ganz im Kontext der Naherwartung der Wiederkehr Christi (1. Korinther 7); sonst hätten sie dem Juden Paulus ganz fern gelegen.
War ihm schon der Text vom jüngsten Tag/Gericht bekannt? Der ist doch immer heute. Ich kenne keinen jüngeren Tag.
Das Judentum kennt keine Leibfeindschaft; gutes Leben und erfüllte Sexualität sind da gute Gaben Gottes, für die Gott freilich auch eine gute Ordnung erlassen hat.
Das ist eine solch pauschale Aussage, die ist dann schon wieder gelogen, weil einfach übertrieben. Wenn sie das nicht kennen, wieso war dann der Holocaust möglich gewesen?
Erst der Import des Platonismus hat im Christentum die menschliche Leiblichkeit vergiftet.
Das kann gar nicht deutlich genug unterstrichen werden. Die Einteilung in Gut und in Böse. In ein
Entweder - oder anstatt in ein
Sowohl als auch
Diese Lebensform lebt im Zölibat fort, in dessen Geschichte die kirchenpolitische Verhinderung priesterlicher Dynastiebildung allmählich zu einem besonderen geistlichen Gut umfunktioniert wurde.
Ja es ist eine Frage des materiellen Besitzes, damit der Macht und der Herrschaft über das Leben. Umgekehrt wird allerdings ein Schuh draus
Es wird immer wieder behauptet, die Frauen seien durch das Christentum aufgewertet worden, und das ist wohl wahr, was den Umgang von Jesus mit ihnen betrifft in einer Welt, in der Religion Männersache war.
Selbstverständlich sind sie das, wenn sie sich fern halten von dem dualistischen Quatsch und aller Rechthaberei. Aber dann sind es auch die Männer, die bereit sind Leiden zu erkennen und zu benennen, ohne die Keule der Verurteilung zu schwingen!
Aber welche Verachtung der Weiblichkeit liegt im Mythos der Jungfrauengeburt und im Ausdruck "unbefleckte Empfängnis", so als seien Empfängnis, Geburt und überhaupt weibliche Sexualität etwas Schmutziges und des "reinen" Gottessohnes Unwürdiges.
Völlig im Gegensatz zu den Evangelien die ja beschreiben, dass Jesus als ein nicht eheliches Kind gezeugt wurde und eben nicht geschaffen. Josef hat auf seine Träume gehört und sich des Kindes und seiner Mutter angenommen.
Da fehlt es heute noch ganz entschieden an diesen Männern, die auf ihre angestammten Rechte verzichten können und sich darum kümmern was nötig ist.
In diesem Sinne hat das Christentum das Weibliche nur als das Jungfräuliche und deswegen "Reine" zu schätzen gelehrt.
Wobei der Irrtum begangen wurde eben das Jungfräuliche auf den Körper zu beschränken und damit die Frau ( Seele) zum Besitz eines materiellen Geistes degradierte.
Neben der katholischen Sexualmoral, die in der Frage der Geburtenregelung längst in blanken Zynismus übergegangen ist, sollten wir aber die pietistische nicht vergessen, die sich ohne Außenstützen wie Beichte und Absolution ungleich effektiver ins Innere der Menschen einbohrte und viele zu psychischen Krüppeln machte.
Ja da wurde dem Wort das Fleisch genommen.
Die platonische Leib-Seele-Schizophrenie ging in manifeste Krankheit über.
Unter heute noch viele Menschen leiden und aus diesem Grunde eben nicht an einen gütigen und barmherzigen Gott glauben können.