mavaho schrieb:
In Deinen Ausführtungen scheinen mir verschiedene Denk- und systemfehler zu liegen. Du solltest einmal die Statistiken der vergangenen 20 Jahre lesen, aus der sich eine deutliche Entwicklung ableiten lässt.
1. Seit zwanzig Jahren ist die Produktivität pro AN gestiegen. Beispiel: Vor 20 Jahren waren 28 Stunden nötig, um einen VW Golf zu montieren, heute sind es noch 16,8 Std. Der Bedarf an AN ist also bezogen auf die Produktionsmenge laufend zurückgegangen. Eine Kompensation hätte nur über einen pararell laufenden erhöhten Konsum bzw. Export stattfinden können, was nur bedingt möglich war.
2. Unabhängig von den Kosten pro AN stellt ein AG nur Personal ein, wenn er seine Produkte am Ende verkaufen kann. Auch ein billiger AN ist ohne Absatz unsinnig.
3. Durch die weltweite Öffnung und Angleichung der Marktbedingungen und der Öffnung der EU in Richtung Osten wandern jährlich etwa 400.000 Arbeitsplätze ins Ausland ab.
4. Die besonders hohe Arbeitlosigkeit im Bereich der schlecht Ausgebildeten ist vor das Ergebnis einer verfehlten Einwanderungspolitik der letzten 20 Jahre. 43 % der arbeitsfähigen türkischstämmigen AN in Berlin sind arbeitslos,
26 % der Ausländerkinder haben weder Hauptschul- noch berufsabschluss, 80 % der Bauarbeiter in Berlin sind Ausländer, nach Angaben des Berliner Senatzs leben alleine in Berlin 100.000 Ausländer illegal und arbeiten schwarz, jeden morgen kommen Busse mit polnischen Putzfrauen. Die Zahlen liessen sich beliebig fortsetzen.
5. Die Wiedervereinigung hat zusätzlich AN freigesetzt, die nicht unterzubringen sind.
6. Auch im Akademikerbereich wächst die Arbeitslosigkeit, wir haben bereits 80.000 arbeitslose Ing.
7. Wenn Du die Gewinne bzw. Dividenden der Konzerne siehst, erkennst Du, dass nicht die Arbeitskosten zu hoch sind (typische AG-propaganda). Die AG nutzen die Gunst der Stunde, um alte Rechnungen mit den Gewerkschaften zu begleichen, erstmals in der Nachkriegsgeschichte sind die AN erpressbar geworden, die Osterweietrung macht es möglich.
Für das Problem gibt es keine Lösung, da wir die dafür notwendigen Instumente leichtfertig verschenkt haben. Unsere Zahlen hängen mittlerweile mehr von Brüssel ab als von der eigenen Regierung. Alle Deine Konzepte gehen deshalb ins Leere, weil selbst ein Wirtschaftswachstum nicht zu einem mehr an Arbeitsplätzen führen wird.
Wir sollten uns an einen festen Sockel an Arbeitslosen gewöhnen, der dauerhaft zwischen 9 % und 10,5 % liegen wird. Alles andere sind Illusionen.
Hallo mavaho, ich bin für jeden aufgedeckten Denkfehler dankbar - habe zu deinen Punkten aber noch ein paar Widerworte:
zu 1: genau meine These: durch erfolgreiche Gewerkschaften waren die Unternehmen gezwungen die letzten Produktivitätsreserven herauszuquetschen - und das war auch auf der einen Seite gut: hierdurch waren wir lange Zeit technologisch immer auf den neuesten Stand. Nur die Verlierer hierbei sind die nicht ganz so olympiareifen Mitbürger. Die kommen mit diesen hochproduktiven Arbeitsplätzen nicht zu recht. Für die brauchen wir weniger anspruchsvolle Arbeitsplätze, die aber, das ist schon fast ein Naturgesetzt, einen sehr geringen Stundenlohn bringen. Ich gehe davon aus dass der markträumende Stundenlohn für Geringqualifizierte unter dem Existenzminimum liegt - besonders, wenn Kinder unterhalten werden müssen. Deshalb kommen wir an der Dauersubvention solcher Arbeitsplätze nicht vorbei - das ist aber besser als Dauerarbeitslose zu produzieren mit allen Teufelskreisläufen, die man hierdurch in Gang setzt.
zu 2: glaubst du nicht auch, dass wenn Produkte günstiger produziert werden können auf dem Markt auch die Nachfrage steigt? Schau mal in deutschlands Baumärkte - da bekommst du einen Eindruck davon, wozu es führt, wenn arbeitsintensive Tätigkeiten zu teuer sind. Oder denke an die ausufernde Schwarzarbeit ....
zu 3: z.Z. ist es wirklich so, dass bei uns jedes Jahr tausende von Arbeitsplätzen verloren gehen; dagegen hilft nur die Effizienz unserer Systeme durch Reformen zu erhöhen, Bildung, Infrastruktur und dauersubventionierte Arbeitsplätze für Geringqualifizierte. Wenn uns das gelingt, kann für alle die Osterweiterung zu mindest kein Nachteil sein. Richtig profitieren werde aber wohl die Beitrittsländer - warum auch nicht; nur wir müssen auch unsere Hausaufgaben machen - Globalisierung legt Strukturprobleme gnadenlos offen.
zu 4: das stimmt, besonders bei den ausländischen Mitbürgern ist bei der Bildung einiges schiefgelaufen; das ist aber nur ein Spiegelbild unsere allgemeinen Bildungsmisiere: kein anderes hochentwickelte Industrieland auf der Welt produziert solche Bildungsunterschiede wie wir. Die Schulen schaffen es bei uns sehr schlecht unterschiedliche Startpositionen von Kinder auszugleichen. Nur nebenbei: finde ich dieses Ergebnis auch vor dem Hintergrund interessant, das wir auch eine sehr geringe Frauenerwerbsquote haben. Irgendwie scheint dies auf die Bildung unsere Kinder keinen segensreichen Einfluss zu haben.
zu 5: die Lage in den NBL lässt mich auch etwas ratlos zurück. Da ist im Wiedervereinigungsprozess wirtschaftlich ziemlich viel Mist gebaut worden. Da sind die handwerklichen Fehler, die man der jetzigen Regierung ständig vorwirft - nach dem Mott: es bleibt immer was hängen - ein Dreck dagegen.
Nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist, ist es nur mit einem größeren Niedriglohnsektor (25 % der Beschäftigten) ist es hier wohl nicht getan. Hier fehlt mir noch die zündende Idee. Aber irgendwie hilft es nicht: die Löhne müssen im Osten auf breiter Front runter - im Gegensatz zum Westen. 60 % der westdeutschen Produktivität und 80 % der westdeutschen Löhne, das kann nicht gut gehen. Das reale Sozialhilfeniveau (und damit der Lohnanschpruch von Arbeitslosen) ist im Osten sogar höher als im Westen, da die Lebenshaltungskosten (insbesondere Miete in vielen Gegenden) noch wesentlich günstiger sind.
zu 6: wieviel Langzeitarbeitslose sind da dabei? wieviel Ost-Ing? 1996 war die Arbeitslosenquote bei Arbeitslosen ohne Ausbildung 25 % bei Hochschulabgängern 3 %.
zu 7: du hast recht: es besteht die Gefahr, dass die AG die Gelegenheit für einen Gerneralangriff auf AN-"Pfründe" nutzen - das ist betriebswirtschaftlich auch rational. Volkswirtschaftlich graben sie sich aber damit ihr eigenes Grab. Wir müssen alles daran setzen das differenziert wird: in einer hochentwickelten-hochproduktiven Volkswirtschaft mit hohen Lebenshaltungskosten müssen Arbeitsplätze von Gering-/Falschqualifizierten und weniger Leistungsfähigen subventioniert werden. Gut ausgebieldete Arbeitnehmer müssen sich weiterhin einen gerechten Anteil an der hohen Wertschöpfung ihrer Arbeit erstreiten dürfen - das ist die Voraussetzung für Prosperität. Bei den Sozialversicherungskosten muss jedoch auch hier nachjustiert werden - es kann nicht gut gehen, wenn der Sozialstaat sich nur über den Faktro Arbeit finanziert.
Übriegends schau doch mal außerhalb Deutschland - mit 10 % Arbeitslosigkeit muss man sich keineswegs abfinden - mit intelligenter Politik kann man einiges erreichen.
Allerdings hast du auch recht mit deiner Befürchtung, dass der Handlungsspielraum von Nationalstaaten immer enger wird - z.Z. haben wir aber noch so viele hausgemachte Probleme, das das noch nicht unser Problem ist.
Ich freue mich auf deine Antwort.