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Neues Gesetz zur deutschen Gesundheitsreform treibt erste komische Blüten!

chaosbarthi

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8. März 2006
Beiträge
103
Hallo @all,

das Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung (Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz - AVWG) wurde verabschiedet. Jeder hat es gehört, gelesen und sonstiwas ... und hat im Zweifel mit Unverständnis auf Begriffe wie "Bonus-Malus-Regelung" reagiert und vielleicht noch mit ähnlichem Unverständnis den Kopf über den Ärzte-Protest geschüttelt. Inhaltlich haben es bislang erst die Wenigsten verstanden und noch weitaus weniger Menschen haben sich betroffen gefühlt.

Da ich selbst bis April letzten Jahres völlig gesund war und eigentlich seltenst zum Arzt musste, kann ich es verstehen, dass dieses Thema zunächst nicht als vorrangig betrachtet und beachtet wird. Seit Mai letzten Jahres Darmkrebspatientin mit Seitenausgang weiß ich nun, wie schmal der Grat des Seitenwechsels ist und dass wirklich jeder von einer Sekunde zur anderen von diesem Gesetz betroffen sein kann. Die übelsten Auswirkungen dieses Gesetzes beginnen bereits jetzt auf Schwerstkranke und chronisch Kranke durchzuschlagen, obwohl es erst ab 01.04.06 zur Anwendung kommt:

Einer schwerstbehinderten Bekannten wurde jetzt die Verschreibung von Dronabinol (das sie bislang immer bekommen hat) mit der Aussage "zu teuer" verweigert. Alle anderen Schmerzmittel zeigen bei ihr üble Nebenwirkungen und hatten zu drastischen Gewichtsabnahmen geführt. Mit Dronabinol ging es ihr besser und sie konnte 10 kg Gewichtszunahme verbuchen...

Die BEK hat erste offizielle Benachrichtigungen an Stoma-Träger (Leute mit Seitenausgang wie ich) verschickt, dass 300 Euro monatliche Kosten für ihre Stoma-Versorgung übernommen werden... (Was wird aus den Menschen, deren Stoma z.B. auf Grund starker Vernarbung der Bauchdecke schwerer und teurer zu versorgen ist?)

Irgendwo hatte ich noch gelesen, dass einige Ärzte sich im Rahmen ihres Protestes zunächst bis zum Sommer weigern wollen, weitere Patienten in das Verzeichnis chronisch Kranker aufzunehmen...

Ich halte das nur für allererste Anzeichen einer Lawine, die langsam ins Rollen kommen wird... Letztlich wird es irgendwann jeden betreffen... den schwer einstellbaren Bluthochdruckpatienten... Diabetiker... Herzpatienten... chronisch Rheuma-Kranke usw. Ich glaube kaum, dass es hier im Forum auch nur einen einzigen deutschen Schreiberling gibt, der nicht Mutter, Vater oder Großeltern hätte, auf die diese oder ähnliche Krankheitsbilder heute schon zutreffen...

Deshalb hier ein paar Informationen zum verabschiedeten Gesetz:

Die entscheidenden Punkte findet ihr in der Pressemitteilung des BMG ganz unten von 1. bis 7. aufgelistet:

Pressemitteilung des BMG

Der absolute casus knaktus dabei ist die sogenannte Bonus-Malus-Regelung für Ärzte. Hier sollen Ärzte gezwungen werden, durch ihre Verschreibungsmentalität Druck auf die Preisgestaltung der Pharmaindustrie auszuüben. D.h. es werden zunächst Werte festgelegt, die an Hand gängiger Therapierichtlinien und Medikationen sagen, was z.B. eine Schmerztherapie höchstens kosten darf. Bei Überschreitung des Satzes durch den Arzt, der natürlich auch die teureren Mittel noch verschreiben darf, gilt folgende Regelung:

"Werden die Zielvereinbarungen überschritten, können die Krankenkassen vom Arzt einen finanziellen Ausgleich verlangen. Bei mehr als zehn Prozent und bis zu 20 Prozent Überschreitung zahlt der Arzt 20 Prozent der Mehrkosten zurück, bei mehr als 20 Prozent Überschreitung und bis zu 30 Prozent zahlt der Arzt 30 Prozent der Mehrkosten und bei noch höheren Überschreitungen 50 Prozent der Mehrkosten. Wenn die Ärzteschaft preisgünstiger verordnet, erhalten die Ärzte, die preisgünstig verordnet haben, einen Bonus. Die Verteilung des Bonus erfolgt über die Kassenärztliche Vereinigung, sodass Missbrauch seitens der Ärzteschaft kontrolliert bzw. vermieden wird."

aus: Glossar zum AVWG

Klar, dass die Ärzteschaft Angst hat, bei teureren Verordnungen in die eigene Tasche greifen zu müssen. Wenn ich als Arzt für eine Verordnung bis zu 50% der Mehrkosten aus meiner eigenen Tasche an die Krankenkasse zahlen muss, habe ich im Zweifel nicht einmal etwas verdient. Dieser neuen Sachlage fällt z. B. Sabines Dronabinol zum Opfer und deshalb gibt es jetzt von der BEK die Mitteilung für eine Kostenübernahme in Höhe von x Euro....

Darüberhinaus befürchten die Krankenkassen folgendes:

"Wegen des Arzneimittel-Sparpakets der großen Koalition könnten auf Patienten hohe Mehrkosten zukommen. Davor warnen die Krankenkassen in ihrer Stellungnahme zu dem geplanten Gesetz.

Weil die Festbeträge für die Erstattung durch die Krankenkasse teils drastisch gesenkt werden sollen, sei zu befürchten, dass Patienten für Medikamente erhebliche Summen aus eigener Tasche draufzahlen müssen. Aufzahlungen von bis zu 336 Euro pro Packung seien zu erwarten......

...Von 265 Wirkstoffen stünden 95 nicht mehr zum Festbetrag zur Verfügung.

Die Krankenkassen unterstellen, dass die Hersteller diesen Preisverfall nicht mitmachen. Folge wäre, dass Patienten die Differenz zwischen Festbetrag und tatsächlichem Preis aus eigener Tasche zahlen müssen, und zwar zusätzlich zu den gesetzlichen Zuzahlungen."

Den ganzen Text findet ihr hier:

Ärztegenossenschaft Westfalen-Lippe

Die meisten anderen Punkte schlagen nicht so unmittelbar auf insbesondere schwerstkranke Patienten durch...

Hier noch ein schöner LinK:

Ärzte sind sauer über das "Verwurschtelungsgesetz"

Zitat: "...Ärzte dafür belohnen zu wollen, daß sie bei ihren Verordnungen unter den vorgegebenen Tagestherapiekosten blieben - ein solches Bonussystem sei nicht mit der ärztlichen Berufsauffassung kompatibel.

Umgekehrt den Medizinern mit einem Malus zu drohen, sollten sie ihre Tagestherapiekosten überschreiten - solch ein Vorgehen sei einfach eine Unverschämtheit..."

Richtig prima finde ich dieses Gleichnis zur Beschreibung der Malus-Regelung :D :

"..."Das ist so, als würden Sie einem Feuerwehrmann sagen, du darfst den Brand löschen, aber wenn du mehr als 30 Liter Wasser dafür brauchst, musst du jeden weiteren Liter selbst bezahlen", brachte es Glaser auf den Punkt..."

neueste Nachrichten:

"Gesundheit: Kassenärzte rufen zum Protest auf

Berlin (ddp). Das Bündnis Berliner Kassenärzte ruft die hauptstädtischen Mediziner und Patienten zur Teilnahme am Nationalen Protesttag am 24. März auf. «Es geht um die Zukunft der ambulanten medizinischen Versorgung in unserem Land», heißt es in einem am Freitag verbreiteten Aufruf. Das vor wenigen Tagen im Bundestag verabschiedete Arzneimittelspargesetz mit seiner Bonus-Malus-Regelung bedeute Unterversorgung. Diese Regelung, nach der Ärzten nach «Gutsherrenart» Geld vom Honorar abgezogen werden dürfe, wenn sie ihren Patienten notwendige teurere Präparate verordneten, müsse abgeschafft werden. Die Politik müsse jetzt begreifen, dass die Finanzierungskrise der gesetzlichen Krankenversicherung durch immer weitere Sparmaßnahmen auf dem Rücken von niedergelassenen Ärzten und Patienten nicht zu lösen sei. Am 24. März wollen Mediziner aus ganz Deutschland in der Hauptstadt gegen weitere Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen protestieren. Auch Patienten werden zu der Protestaktion erwartet. Die Demonstration beginnt gegen 12.00 Uhr am Roten Rathaus und führt zum Brandenburger Tor, wo eine Abschlusskundgebung geplant ist. Organisiert wird der Nationale Protesttag von einem überregionalen Bündnis von Ärzteverbänden. Bereits am 18. Januar hatten in Berlin über 20.000 Ärzte und Arzthelferinnen gegen die Unterfinanzierung und weitere Rationierungsmaßnahmen in der ambulanten medizinischen Versorgung protestiert."

aus: NetDoktor.de - 04.03.2006

Ich weiß, dass der Inhalt eines leeren Topfes sich schwer verteilen lässt. Reformen sind notwendig und unabwendbar. Aber dieses ist der falsche Weg... es gibt auch andere Möglichkeiten (siehe österreichisches Pickerl-System für bestimmte verschreibungspflichtige Medikamente).

Es wäre schön, wenn ich den einen oder anderen jetzt nachdenklich gestimmt hätte. Die Kassenärzte brauchen dringenst Unterstützung... (Falls das jetzt jemand vermutet haben sollte: Ich bin kein Mediziner, nur ein mündiger Patient :D )

:winken3: LG chaosbarthi
 
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Auch wenn es offensichtlich niemanden interessiert...

Hallo @all,

es gibt Grund zur allgemeinen verhaltenen Freude! Der deutsche Bundesrat hat gestern das Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung (Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz, kurz AVWG) an den Vermittlungsausschuss verwiesen... *dideldumdei* *hüpf* *spring* *freu*....

Hier die Pressemitteilung direkt von der Seite des Bundesrates:

Bundesrat ruft Vermittlungsausschuss
zum Arzneimittelgesetz an


Der Bundesrat hat heute den Vermittlungsausschuss zum Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung angerufen. Zum Einen verlangt er die Streichung der so genannten (Bonus-)Malus-Regelung. Die Einführung einer solchen Regelung führe zu zusätzlichen Belastungen für die Ärzte, die sich nachteilig auf die Patientenversorgung auswirken könne. Zudem gebe es bereits heute verschiedene Steuerungsinstrumente, die am Verordnungsverhalten der niedergelassenen Ärzte ansetzen. Außerdem fordert der Bundesrat, dass die Festbeträge, die die Krankenkassen maximal für ein Medikament erstatten dürfen, nicht zu stark herabgesetzt werden. Die starke Absenkung kann nach Ansicht des Bundesrates dazu führen, dass die Versicherten die Differenz zwischen Preis und Festbetrag zahlen müssen, da nicht gewährleistet ist, ob Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Herstellern diese Differenz auffangen.

Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung

Drucksache 113/06 (Beschluss)

:) LG chaosbarthi
 
Hallo Ziesemann.

Vielleicht doch noch mal zum Ausgangsthema.

Was meinst du, müsse geschehen, um die Binnennachfrage zu steigern, wenn Lohnerhöhungen nicht viel bewirken?

Dass die Inflation bei 1-2 Prozent lag und liegt, das wird wohl keiner glauben. Mit sinkenden Nettolöhnen und wachsender Unsicherheit ist m.E. kein steigender Konsum möglich.

Gleichzeitig werden durch die erheblichen Veränderungen auf dem Wohnungsmarkt weitere Steigerungen, der notwendigen privaten Ausgaben zu erwarten sein. Weniger Geld für Konsum. Wie von Geisterhand, scheint das durch Privatisierungen und Abrisse von Wohnraum unterstützt zu werden. Unsere Einstellung alles zu verbessern, und damit den Handlungsspielraum des einzelnen durch Gebote, Verbote, Strafen, Schutz und Überwachung weiterhin einzuschränken, wird die Risikobereitschaft und Lebensfreude des Menschen, der aus dieser Haltung heraus eigentlich konsumieren „soll“, nicht steigern.

Der Irrsinn, die Arbeitszeiten zu erhöhen, wird auf den Nährboden des Neids gesät. Es fällt schwer zu leugnen, dass sich auch 3 Menschen in die Arbeitszeit von zweien teilen und trotzdem gut leben könnten, aber der Verstand findet hier immer irgend einen anderen, der Schuld ist und der "mich zwingt". Weniger Arbeiten für weniger Geld, damit von dem Kuchen der Arbeit für jeden, der will, eins übrig bleibt...die erhöhte Produktivität macht solche Gedanken vermutlich notwendig. Aber irgendwie scheint das auch ein Gespenst zu sein, was hinter dem Sofa und dem Schreibtisch keuleschwingend hin und her wandelt.

Leider kann im Moment fast nurnoch das Geschäft mit der Angst (vor Fanatikern, Seuchen, finanziellem Absturz, Altersarmut...) profitieren. Das ist nicht besonders lebensfreundlich, finde ich. Das einzige, was dem Konsum wohl weiter Vorschub leisten wird, scheint die allgemeine Unzufriedenheit und die Dogmen, die zwischen Lebewesen und Realität stehen....aber dort sehe ich eigentlich keine Gefahr einer Veränderung. *schmunzel *

Viele Grüße
Bernd
 
Nanu...mein Beitrag hat Füße bekommen und hat sich verlaufen...hat´ ich ihn nicht an den Mönchhausenbeitrag angehängt? :confused:
 
Nööö, Bernd...
hast du nicht... aber ich freue mich wahnsinnig, dass jemand - wenn auch zufällig - zu mir gefunden hat.

;) LG chaosbarthi
 
Bernd schrieb:
...hat´ ich ihn nicht an den Mönchhausenbeitrag angehängt? :confused:
und warum hängst ihn dort nicht an? Mir fehlt er!

lg diethelm


@chaosbarthi

Mir ist das österreichische Krankenversicherungssystem kompliziert genug, bei Euch kann ich leider nicht mitreden, ich schau nur nach, was es alles gibt.

trotzdem lg, diethelm
 
Hallo Diethelm,

ich freue mich, dass du wenigstens schaust... das tue ich auch... und ich muss gestehen, dass ich euer Pickerl-System auch noch nicht richtig verstanden habe. (War anfangs sogar überrascht, dass ihr nicht nur Pickerl für die Windschutzscheibe habt :D)

:) LG chaosbarthi
 
chaosbarthi schrieb:
Hallo Diethelm,

... und ich muss gestehen, dass ich euer Pickerl-System auch noch nicht richtig verstanden habe. (War anfangs sogar überrascht, dass ihr nicht nur Pickerl für die Windschutzscheibe habt :D)

Wau, wir haben ein Pickerlsystem? Bin bis heute noch nicht drauf gekommen, zumindest nicht was Du darunter verstehst.

lg, diethelm
 
Hallo Diethelm,

wenn ich das richtig verstanden habe, gibt es bei euch für bestimmte Medikamente u.a. eine sog. Chefarztpflicht, d.h. dass insbesondere chronisch oder schwerst Kranke bei teureren oder besonderen Medikationen ein Zentrum, Krankenhaus (oder wer auch immer als zuständig gilt) aufsuchen müssen. Dort wird ggfs. nach einer Untersuchung entschieden, dass dieses Medikament verschrieben werden darf und/oder muss. Das Rezept bekommt dann einen entsprechenden Aufkleber, der von mir bekannten österreichischen Kranken als "Pickerl" bezeichnet wird.

Nennst du das anders oder sind meine Informationen falsch? *interessiertnachfrag*

;) LG chaosbarthi
 
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Na ja, Pickerl ...

chaosbarthi schrieb:
Hallo Diethelm,

wenn ich das richtig verstanden habe, gibt es bei euch für bestimmte Medikamente u.a. eine sog. Chefarztpflicht, d.h. dass insbesondere chronisch oder schwerst Kranke bei teureren oder besonderen Medikationen ein Zentrum, Krankenhaus (oder wer auch immer als zuständig gilt) aufsuchen müssen. Dort wird ggfs. nach einer Untersuchung entschieden, dass dieses Medikament verschrieben werden darf und/oder muss. Das Rezept bekommt dann einen entsprechenden Aufkleber, der von mir bekannten österreichischen Kranken als "Pickerl" bezeichnet wird.

Soweit hast Du richtig verstanden. Doch das "Pickerl" gab es nur in einzelnen Kassen, und nur in jenen Chefarztstellen wo große Mengen an Rezepten mit chefarztpflichtigen Medikamenten anfällt. Es ersetzte den Stempel und die Paraphe. Aber man musste nicht immer persönlich zum Chefarzt, man konnte das Rezept auch einschicken. Viele Arbeitnehmer aber zogen es vor, persönlich für einen Halbtag vorzusprechen.

Im Prinzip ist nun das alles nach der Einführung der E-Card vorbei und es geht direkt vom Arzt aus über die entsprechende Datenleitung des Arztes zur Krankenkasse in maximal 10 min, was obgenannte Patienten wenig freut.

lg, diethelm
 
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