AW: Lebensträume und ihre Verwirklichung
Hi redbaron,
ich träume drei Träume auf einmal, alle drei gehen mit schweren Enttäuschungen einher, aber ich habe mir die Mühe gemacht, meine eigenen Erfahrungen zu reflektieren, statt einen vorgegebenen Traum vom Himmelreich nachzubeten, und dabei habe ich festgestellt, dass Enttäuschung NICHT das letzte Wort und Gefühl sein muss, dass es nach gehörigen Hass- und Trauerphasen Fortsetzungen gibt, die dort wieder anknüpfen, wo eine Enttäuschung mal der Anlass war, aufzugeben. Es sind nicht unsere Träume, die naiv sind, sondern unsere sich abwechselnd aus Minderwertigkeits- und Omnipotenzgefühlen speisenden Vorstellungen, wie ein Ziel erreicht werden und wie die notwendige Zusammenarbeit mit anderen Menschen aussehen kann. Mein Zauberwort heißt z.Z. Neuordnung, statt Neuanfang.
LG Kaawi
Hallo Kaawi,
wie sonst überall auch, redet man schnell aneinander vorbei, wenn über große Themen so allgemein gesprochen wird und keine konkreten Beispiele das Thema eingrenzen. Nun redest du von "drei Träumen", sagst aber nicht welche das sind. Daher vermute ich, daß du - wie es im Denkforum fast immer üblich ist - auch hier hinter einer Nebelwand bleiben willst, nur um zuzuschauen, was andere in deine Worte hineininterpretieren.
Ich dagegen greife konkrete, benennbare und überschaubere Beispiele heraus. Meinetwegen geht es noch konkreter: nehmen wir an, ich will mir einen kleinen Traum erfüllen und ein Möbel ganz nach meinem Geschmack haben. Nach einiger Suche stelle ich - nicht ganz unerwartet - fest, daß es dieses Möbelstück nicht zu kaufen gibt und ich es daher selbst entwerfen und bauen muß. Bereits dazu benötige ich eine Vielzahl von Ressourcen, sei es Vorstellungsvermögen, Technische Geräte, Geld, Zeit, Einkaufs- und Transportmöglichkeiten usw. und stelle im Verlauf dieses eigentlich winzigen Projektes fest, daß alles etwas "schwieriger" wird, als ich mir das ursprünglich gedacht hatte.
Nun besteht aber der Traum ja gerade darin, sich im selbst geschaffenen irgendwie wiederzufinden, sich davon repräsentiert, bestätigt, gespiegelt zu sehen... was es also a priori erforderlich macht, die eigene Vorstellung so genau wie möglich umzusetzen. Kompromisse wird es immer geben müssen, weil die stoffliche Welt mit ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten natürlich nicht bis ins letzte Detail in der Vorstellung vorwegzunehmen ist.
Nicht alles ist tatsächlich genau planbar, vielleicht verhält sich das Baumaterial im Beispiel anders als gedacht, oder manche Bauteile sind nicht beschaffbar und müssen substituiert werden. Aber der Anspruch kann trotzdem natürlich nur lauten: so genau wie nur irgend möglich die eigene Vorstellung umsetzen. Wäre es nicht so, wäre es also egal, ob der originale Bauplan umgesetzt würde, dann hätte ja das Projekt gar nichts mehr mit mir als Urheber zu tun. Dann könnte es genauso gut jemand anderer abwickeln und ich wäre aus dem Projekt raus. Dann wäre es eben nicht mein Projekt, aber das hätte ich ja dann auch schon vorher gewußt und es entsprechend sein lassen.
Was ich hier nun angedeutet habe, scheint mir ein allgemeines Prinzip zu sein, das analog zu einem physikalischen Phänomen einen bestimmten Lebensaspekt beschreibt: wie der Luft- oder Wasserwiderstand, der nicht nur linear, sondern sogar potenziert mit der Geschwindigkeit des im Medium bewegten Objektes wächst, wird die Realisierung eines Projektes (konkrete Formulierung eines Lebenstraums) umso schwieriger und damit unrealistischer, je weiter der Weg zwischen Vorstellung und Fertigstellung ist. Dieser "Widerstand", den ich dabei erfahre, liegt natürlich zu einem erheblichen Teil an dem Anspruch, die eigene Vorstellung vom Immateriellen in die materielle Welt umzusetzen.
Aber genau darum geht es ja. Würde es nicht darum gehen, wäre das so ähnlich, wie eine Reise zu buchen, ohne aber weder das Ziel noch die Reisekosten zu kennen bzw. kennen zu wollen. Wer eine Überraschungsreise buchen will, soll das ruhig tun, das mag für manche vielleicht als "Lebenstraum" schon genügen, vor allem wenn das eigene Budget auch mit unvorhergesehenen Ausgaben belastbar ist. Aber wer einen recht konkreten Traum hat, will dann schon, daß von der eigenen Vorstellung, die als bloße Idee den Traum ja ausgemacht hat, möglichst viel "übrig" bleibt.
So ist das im Beispiel erwähnte "Möbel-Projekt" überschaubar genug, um Aussicht auf Realisierung zu haben. Die Wirklichkeit bestätigt mich da auch, denn ich habe das schon mehrere Male erfolgreich durchgezogen. Genaue und realistische Planung sowie etwas selbsterzeugter "Druck" dahingehend, möglichst nicht vom Plan abzuweichen, waren die wesentlichsten Erfolgsgaranten. Und das nicht bloß auch, sondern erst Recht dann, wenn noch andere Menschen beteiligt sind! Eine "Kooperation" im Sinne von "offenem Ergebnis" macht nur in der Planungsphase Sinn. Danach müssen sich alle möglichst genau an den Plan halten, wenn das Projekt erfolgreich abgeschlossen werden soll.
Erweitere ich diese Betrachtung eines recht kleinen Projektes auf größere Träume, also mehr "Lebensträume" im eigentlichen Sinne dieses Wortes, stelle ich zuerst mal einen erheblich gestiegenen Schwierigkeitsgrad fest. Denn dann potenzieren sich die Schwierigkeiten unterwegs und bilden irgendwann - und zwar durchaus prinzipiell vorhersehbar - eine Widerstandsmauer, die der gesamten aufzubringenden Aktivität eine ebenso große Bremskraft entgegen setzt. Und wenn ich das schon recht realistisch vorhersehen kann, wäre es einfach bloß dumm, das trotzdem zu versuchen.
Der Rote Baron