Home, sweet home
Salut! allen Daheimgebliebenen und allen Rückkehrern. Wir sind schon eine Weile zurück, Robin, haben uns aber nach den -noch nicht abgeschlossenen- Arbeiten am Haus eine Überdosis Tango am Zürcher Tango-Festival erlaubt. Ich kam gestern zurück, um die Entsorgung der alten Fenster zu überwachen -grins, Cel kühlt sich heute noch mit den Kindern und Freundin im Zürcher See etwas ab -die Hundstage verdienen wirklich ihren Namen- und kommt ihr keine 'geniale Idee', wird sie hier abends eintreffen, um die Handwerker wieder das Fürchten lehren.
Ich überlege in diesem Zusammenhang gerade, ob ich
sweet home nicht durch
sweet Euronorm ersetzen sollte. Alle, die ich besser kenne, verachten die Norm, oder schätzen sie zumindest nicht hoch genug ein. Alle behaupten, Veränderungen zu lieben, behaupten, die Norm killt Kreativität, mache die Welt kalt etc. Ich bin ein langweiliger Durchschnittstyp, nicht so kreativ wie Ihr oder meine realen Freunde, ich wünsche mir keine grossen Veränderungen. Die einzige, die ich wirklich möchte, wäre die Euronorm - auf alles! Vielleicht werde ich mich sogar um einen Posten im Europäischen Komitee für Normung (CEN) bemühen, um mit aller Energie, der ich fähig bin, endlich durchzusetzen, dass nicht nur die französischen und britischen Schneider nicht mehr divergente Kleidergrössen nähen dürfen, sondern, dass auch jedes Loch in jeder Wand nach Euronorm gefertigt wird, damit die Kunststofffenster nach Euronorm darin Platz finden. Ich werde des Weiteren durchsetzen, dass in jedem Raum in Europa die Lichtschalter am gleichen Ort und in gleicher Höhe angebracht werden und die Wasserhähne keine separate Bedienungsanleitung brauchen. Kein Mensch braucht Designer-Wasserhähne, die aussehen wie Raumschiffe in Kleinformat, kein Mensch braucht weitere Shampoos, Joghurtsorten oder Fischstäbchen mit Ingwer-Geschmack! Alles soll bleiben wie es ist, es ist gut so! Kaum ändert man was, schliessen sich zwar die Fenster und Türe, lassen sich aber nicht mehr abschliessen... und wenn dann doch, kehrt man zurück, ist das Betreten des eigenen Hauses nur unter Gewaltanwendung möglich. Langsam ist auch meine Geduld erschöpft.
Der Horror nicht normierter Gegenstände greift gar schon auf Menschen über. Ein Chef ausser Norm beglückt zwar Lilith -was ich Dir, Lilith von Herzen gönne- weckt aber Robins Neid. Eine nicht normierte Anteilnahme an Cels Eruptionen weckt den Neid des noch schwerer geplagten Wort-Schatzes und die nicht normierten Ruinen der deutschen Hauptstadt verschandeln die Gegend, wie ich bei meinem kurzen Aufenthalt in Berlin auch bereits festgestellt habe. Das Radisson-Hotel bietet u.a. praktisch vis-à-vis auch den Blick auf Palast der Republik, der vor sich hin 'modert'. Es ist mir, als hätte ich irgendwann mal gelesen, der Palast wurde für viel Geld asbestsaniert... Solche paradoxen Beispiele des Denkmalschutzes bieten wir natürlich ebenfalls, es würde eindeutig zu weit führen, sie alle aufzuzählen -grins. Frankreich ist auch in der Beziehung vorbildlich, wenn es darum geht, Ruinen zu schützen. Ich weiss es, ich musste etliche im Urlaub besichtigen. Eine davon blieb mir aber nachhaltig in Erinnerung.
Château de Crozant. Die Aussicht ist schon von der Restaurantterrasse beeindruckend. Ich gebe zu, die Terrasse bietet kein Panorama, aber warum kann man sich nicht mit dem See und der grande + petite Creuse (Flüsse) zufrieden geben? Weil man aufs Panorama neugierig ist, weil man die Sportlichkeit der Familie testen will, weil man die noch kurzen Beinchen der Kinder stärken muss, und weil der Papa gerne trägt. Also bezahlt man bei einer Holzhütte -auch die bestimmt unter Denkmalschutz stehend- Eintritt, um danach die steilsten 70 m Höhenunterschied zu erklimmen. Dass die Kinder irgendwo runterstürzen, die Gefahr besteht anfangs nicht. Der Weg führt nämlich zunächst zwar dicht am Abgrund vorbei, ist aber durch einen Wellblechzaun (2 m Höhe in etwa) sicher gemacht. Nicht ein Maschendrahtzaun, nein, die Spannung soll erhalten bleiben! Die Zwillinge finden das grossartig und übertreffen sich im Trommeln, dazu werden mittelalterliche Steine als Sticks benutzt, von Müdigkeit keine Spur. Das kleine Einzelkind auf Papas Schultern trommelt aus Solidarität auf meinem Kopf herum, quietscht und sabbert mir dabei das Haupthaar voll. Der Weg zum Himmel ist uneben und sehr steinig, real wie auch metaphorisch. Kaum hat man aber die etwa 100 m des 'Tunnels' überwunden, merken auch die Zwillinge, wie anstrengend so ein Trommelwirbel sein kann und wollen getragen werden. Und so erhält auch der Ausdruck 'atem(be)raubende Aussicht' ihren Sinn. Oben angekommen, ist man ausser Atem, lockert mit letzter Kraft den Griff mehrerer Kinderhände am Hals und japst nach Luft. Die Aussicht in Ruhe zu geniessen, ist illusorisch, denn die Kinder sind wundersam wieder bei Kräften und klettern einerseits eine steile Treppe der Turmruine rauf, andererseits rückwärst eine ebenfalls steile Treppe der Kryptenruine runter, während die Kleinste mit Vehemenz nach ihrem Tee verlangt. ('Aber klar, der Speichel, der sich in meinem Haar befindet, fehlt ihr jetzt, verstehe ich doch! Ob sie an der Rückgabe interessiert wäre?') 'Ein viertes Kind ist wahrscheinlich doch keine so besonders gute Idee', schoss mir da auch noch durch den Kopf, wenn ich mich richtig erinnern kann, laut sagte ich dann aber nur: 'Warum entsorgt man nicht diese Ruinen und baut hier einen nach Sicherheitsnorm ausgeklügelten Kinderspielplatz mit Hängematten rundherum... für die Eltern?', um mir den Weg zum Kind nicht unüberlegt zu verbauen. 'Der Expressionist Guillaumin malte diese Ruinen', wurde ich belehrt.' 'Na also! Wen sie interessieren, kann sich doch das Bild anschauen!' Denke ich sogar heute noch!
Dafür merke ich aber jetzt, dass irgendwie zur Norm wurde, dass sich nicht nur Robins Gedanken oft mit meinen kurz treffen, sondern dass wir auch im Urlaub oft um dieselben 'Sachen' kreisen.
Wir verbrachten den ersten Teil diesjährigen Urlaubs zwar in der Provinz mystic Berry - da fällt mir noch auf, dass in Frankreich alles irgendwie mystisch angehaucht ist (mystic Camargue, mystic Gironde, mystic Dordogne etc.)- aber George Sand war auch uns allgegenwärtig. Überrascht zwar nicht sonderlich, denn ihr Elternhaus steht in Nohant-Vic, aber dummerweise feierte man hier in der ganzen Gegend letztes Jahr ihren 200. Geburtstag und übersah wahrscheinlich, dass sie nicht nur längst tot, sondern das Jahr 2004 auch vorbei ist. Zahlreiche Ausstellungen und Aktionen sind immer noch aktuell. Nicht nur in Nohant versammelte sie immer wieder ihre Freunde Chopin, Delacroix, Flaubert, Liszt, Dumas etc. Man trifft auch auf Schritt und Tritt auf Häuser, in denen sie gelebt hat, Urlaub machte, sie besuchte... Da kam z.B. ein 'Genie' darauf, das wirklich schmucke Künstlerdorf Gargilesse mit dem Prädikat 'Eins der schönsten Dörfer Frankreichs' auszuzeichnen. Ein anderes, geschäftstüchtiges Genie gab dem Dorf noch den Zusatz 'Hier suchte George Sand in ihrem Ferienhaus Ruhe' und schon ist es vorbei mit der Ruhe. Touristen en masse, Preise wie in Paris. Vergleichbar mit Mallorcas Künstlerdorf Deiá, in der unmittelbaren Nähe von Valdemossa. Warum ich es kenne? Es gab mal Zeiten, da gönnte ich mir im Winter ein paar Tage Golf in Andratx . Aus diesen fernen Zeiten kenne ich auch Kathis Unicum Zwack. Eine Freundin hatte es immer vorrätig, ihre Kochkünste waren nicht über alle Zweifel erhaben -grins. Kann ich nicht gerade empfehlen, um aber nicht ungerecht zu sein: würde auch keinem Becherovka -ein tschechisches Pendant- oder Underberg anbieten, ein Calvados, Chartreuse, Cognac, Brandy und natürlich Malt leisten die gleichen Dienste und schmecken einfach besser. Selbst Pastis de Marseille oder auch Absinthe müssen nicht unbedingt nur zum Aperitif getrunken werden, z. B. Anis heilende Wirkung auf den Magen ist ja allgemein bekannt -grins.
Aber zurück zu Armantine Aurore Lucile Dupin in die zauberhafte Berry, die sie und ihre Freunde inspirierte. (Übrigens, das Pseudonym George Sand nahm sie erst nach der Heirat mit Baron Duderant an.) Die Landschaft ist in der Tat bezaubernd, beinahe beunruhigend still und melancholisch. Mag man alte Möbel fremder Leute besichtigen, steht sie auch der Loire nur in Anzahl der Touristen noch nach. Ich sah alle Schlösser, Ruinen, Kirchen und Kloster, aber daran ist George Sand wirklich unschuldig. Trotzdem blieb genug Zeit für die Brenne. Das ist ein Naturschutzgebiet. Das Land der tausend Seen. In Wirklichkeit -zusammen mit dem Gebiet Sologne- sind es an die 3000 Seen und Teiche -auch Teufelslöcher genannt. Wohl deshalb, ist die Gegend auch für ihre Hexenkirmessen bekannt. Im frühen Mittelalter gab es hier nur Wälder und ein paar Mönche. Die Bäume mussten in grosser Zahl den Klostern und Schlössern weichen, keiner überlegte, dass die Bäume die Gegend trocken hielten und so entstanden dann die Teiche. Das Land war lange unbewohnbar, das zog allerlei Vögel und auch Biber, Sumpfschildkröten, Bisamratten etc. an, was den Mönchen Abwechslung im Menüplan brachte -grins. Später kam Fischzucht dazu und das Land wurde besiedelt, wenn auch sehr spärlich. Heute bemüht man sich sehr -zu sehr-grins um Touristen, wenn auch die Bevölkerung immer noch vorwiegend vom Fischfang und der Landwirtschaft allgemein lebt. Sollte es aber wirklich im hohen Masse gelingen, die Touristen noch zahlreicher anzulocken, wird es vielleicht schon bald um die 200 Vogelarten, 70 verschiedene Sorten Libellen, Weissbartseeschwalben und etliche Reiherarten geschehen sein.
Das Gebiet hat keine rasenden Rolltreppen, gesehen haben wir nur einen einzigen -gut getarnten-Aufzug, den man im Schloss für Gehbehinderte installierte; über seine Geschwindigkeit kann ich nicht berichten, ich hätte mich geschämt, den zu benützen, Angst ist auch ein möglicher Grund, es rumpelte immer bedenklich, wenn sich die älteren Herrschaften zum Frühstück fahren liessen. Gefragt haben wir uns allerdings, was man wohl in dieser Gegend mit Gehbehinderten anstellen könnte. Es fiel uns nicht sehr viel Sinnvolles ein.
Auch über das Baden lässt sich nichts Aufregendes sagen. Entweder man darf, oder man darf nicht. An einem touristisch erschlossenen See gab's eine Wasserski-, Boots- und Pedalo-Vermietungsstelle, ebenfalls eine richtige Badeanstalt, die aber nicht kostenpflichtig ist. Dafür muss man für die Riesenrutsche bezahlen. Französisch unlogisch. Auch kümmert sich keiner darum, wieviele Textilien man bereit ist auszuziehen. Trotzdem wurden wir keiner visuellen Belästigung ausgesetzt und im Wasser und Umgebung gab es auch keine Tiere, die nicht dorthin gehören. Hundebesitzer meiden ganz offensichtlich die Gegend, um den Jagdinstinkt der Tiere nicht zu wecken. Sogar die Bauern verzichten auf Wachhunde, oder verstecken sie erfolgreich. Die Kühe, Schafe und Ziegen benehmen sich auf den Wiesen zivilisiert, nur eine Gruppe Rinder, die aussahen wie Bisons -wage nicht zu behaupten, es waren Bisons- gebärdete sich ziemlich bedrohlich, behelligte uns dann aber doch nicht. Alles sehr beschaulich und unaufgeregt, vergleichbar mit dem Hinterland Mallorcas, nicht wahr? Nur Stierkampf wird nirgends geboten, was natürlich nicht heisst, dass Frankreich Stierkampf nicht kennt. Es gibt mehr als 50 Städte in Südfrankreich, die auch dieses 'Vergnügen' kennen. Zwar überlebte der Toro Bravo einzig in Spanien, aber wir haben die trainierten Camargue-Stiere. Das aber wäre ein Thema für sich. Sogar ein philosophisches. Vielleicht nur: irgendwo habe ich gelesen, der Stier an sich ist nicht farbenblind, nur rotblind. Keiner weiss angeblich warum.
Eine andere Frage, die ich Euch gerne stellen würde, beschäftigte mich ohne Aussicht auf Erklärung. Ich stelle sie am Schluss.
Im 10. Jh. richtete sich in einer Grotte am Ufer der Creuse ein Einsiedler ein. Aus der Einsiedelei wurde dann nichts, bald folgten ihm nämlich andere Männer -die Gründe konnte mir niemand erklären. Sie gründeten das Kloster, bauten eine Abtei und Kirche, Gräben und Mauern. Das Kloster überstand zwar nicht ganz unbeschadet den Hundertjährigen Krieg und die Benefizwirtschaft, aber den Rest bekam es erst mit der Revolution. Vierzig Jahre dauerte die Restaurierung - bis Ende des 19. Jh. Im Ersten Weltkrieg diente es dann als Lazarett für Verwundete der belgischen Armee. Danach wurde ein Priesterseminar drin heimisch. Erst 1948 zogen die Mönche wieder ein. Und leben dort immer noch. Weit über 50 Männer, keinesfalls nur alte -die Anzahl junger Männer ist sogar erstaunlich hoch- leben in Armut, Keuschheit und Gehorsam, um sich auf das ewige Leben vorzubereiten und darauf zu warten. Während die Nonnen anderswo der Gesellschaft durchaus dienlich sind, sind diese Männer nur auf sich selbst und das Stundengebet konzentriert. Sogar den Gottesdienst -6-7mal am Tag- zelebrieren sie nur für sich allein. Das 'Publikum' wird zwar geduldet, die Mönche ändern aber die Gottesdienstzeiten oft, vermutlich, um weitgehend unter sich zu bleiben. Auch sind sie im Querschiff vom 'Publikum' im Längsschiff abgetrennt und das Wort wird nie an das 'Volk' gerichtet. Ohnehin verläuft der grösste Teil der Messe in einem monotonen Singsang der Chormönche, die dafür weitgehend von körperlicher Arbeit befreit sind. Begleitet werden sie bei dem eigenartigen Gesang durch nur einen einzigen Ton der Orgel. Der Einzug der Mönche in die Kirche und wieder ins Kloster scheint militärisch organisiert zu sein. Sie leben von der Welt absolut getrennt, es gibt keine Priesterwürde und -amt, der Abt wird nicht etwa von einer Kirche eingesetzt, er wird von den Mönchen auf Lebenszeit gewählt und übernimmt die Rolle des Vaters der klösterlichen Famile. Alle dienen nur dem
Herrn.
Beeindruckend die Anzahl der Besucher, die aber vorwiegend aus der Gegend/unmittelbarer Nähe stammen, weil sie zu Fuss kamen, darunter auch wieder sehr viele einzelne junge Männer, die alle wie paralysiert durch den Gesang auf den Knien verharrten. Eine interessante Erfahrung war das, ich hätte mir im voraus eine solche asketische Übung nicht zugetraut, den Kindern auch nicht -grins. Nein, wir knieten nicht nieder. Das wäre des Guten wirklich zu viel und die Mönche interessieren sich ohnehin nicht für Touristen, nicht mal aus einem Augenwinkel. Habe sie genau beobachtet.
Kann ein Leben liebeerfüllt sein, wie sie es für sich 'beanspruchen', wenn sie an ihren Mitmenschen überhaupt keinen Anteil nehmen? Welchen Sinn könnte so ein Leben des benediktinischen Mönchs haben? Aus unserer Sicht natürlich. Ich sehe keinen, und habe mich wirklich angestrengt...
Amitiés