AW: japanische Katastrophen
Folgenden Beitrag aus "Welt Online" möchte ich den Usern zur Lektüre und Kommentierung empfehlen:
Apokalypse jetzt! Wir Deutschen sollten uns schaemen
Der Artikel stammt von Reinhard Zöllner, Professor für Japanologie in Bonn. Er studierte in Kiel, Hamburg und Tokio, schrieb eine Habilitation über die Meiji-Restauration und war Gastprofessor in Michigan.
Im Artikel heisst es:
Das musste endlich mal in aller Klarheit gesagt werden!
(
Neugier wird mir dieses Plagiat hoffentlich verzeihen
)
Gruss
Hartmut
Hallo Hartmut !
Nun habe ich den "Empörungs-Artikel" gelesen.
Er erzeugt in mir ein Wechselbad der Gefühle. Einerseits ist Deutschland medientechnisch derart amerikanisiert, daß Peinlichkeiten in germaniseirter Form zum Alltag gehören. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an den US-Begriff der "collateral damages". Die USA sind sicher eine Schmiede für Peinlichkeiten - bei einer hohen Zahl an Analphabeten und weitgehender Unkenntnis geschichtlicher/geographischer Zusammenhänge stammen viele der beschriebenen Peinlichkeiten deutscher Provenienz aus der übernommenen Denk,- und Formulierungsweise der USA.
Darüberhinaus fühlen sich Deutsche immer als Katastrophenexperten, da sie noch niemals eine solche wirklich zu bearbeiten hatten. Deshalb hat man auch noch keine großen Fehler zu verzeichnen.
Wenn man allerdings von hier aus Japan betrachtet - und das, was von dort berichtet wird, dann entsteht unweigerlich der Eindruck der Apokalypse, auch wenn die Japaner diesen Begriff wohl erst jetzt in ihr Repertoire aufnehmen werden. Ein Land, das an der Spitze der Technologiefähigkeiten in der Welt steht - kann nicht glauben, daß das, was nun passiert Wirklichkeit ist. Sehr schön, das Gemälde von der "großen Welle" aus dem 19. Jahrhundert: es ist die künstlerische Bagatellisierung einer Form von Katastrophen mit welcher Japan seit eh und je Umgang und Erfahrung hat. Aber nicht mit Plutonium, mit Kernschmelze, mit faktisch unbeeinflußbarem Unheil, durch eigene Erfindungsgabe installiert und ausgelöst. Das hat eine andere Dimension, als jede Naturkatastrophe. Der Tsunami spielt ja auch kaum noch eine Rolle, so verheerend er war. Wiederaufbau nach solchen Katastrophen ist man in Japan gwöhnt, aber in verseuchtem Gebiet - ist kein Aufbau sinnvoll, oder doch ? Vielleicht als psychologisches Zeichen des Überlebenswillens ?
Hiroshima und Nagasaki haben die Japaner gelehrt, auch mit den endlosen Folgen der Radioaktivität zu leben, wenn auch nur in Form des geduldigen Ertragens. Wir in Europa stehen vor dem Geschehen eigentlich sprachlos und entsetzt. Jeder Kommentar zu dem Geschehen ist falsch, peinlich, hilflos.
Hier ist es nicht mit Decken, Zelten, warmem Tee getan, hier ist eigentlich nur Aushalten mit verstrahlten Körpern, Gegenständen, einer verseuchten Umwelt möglich. Die Japaner selber haben die gesamte Gegend um Fukushima herum für jegliche Produktion von Lebensmitteln gesperrt.
Ich glaube, daß die Apokalypse eine weitsichtige Errungenschaft europäischer Vorstellungskraft ist - und daß die Japaner jetzt nur noch mit stoischer Ignoranz ihre Katastrophen ertragen werden.-
Perivisor