eric_flausen
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Genuss und Sucht
Kein guter Liebhaber ist, wer auf schnellstmöglichem Weg sein Ziel zu erreichen sucht.
Beim Menschen entstehen gute Gefühle auf zweierlei Wegen: Wenn er etwas will – oder wenn er etwas bekommen hat. Wir sind nicht daran gewöhnt, zwischen Wollen und Mögen zu unterscheiden: Wenn wir im Restaurant ein Gericht bestellen, werden wir nur das bestellen wollen, das wir auch mögen. Beide Regungen, Wollen und Mögen, Vorfreude und Genuss, erzeugt das Gehirn aber auf unterschiedliche Weise, es sind dabei sogar verschiedene Bereiche im Kopf zuständig.
Die Vorfreude, das Wollen wird durch Dopamin im Zentrum des Vorderhirns gesteuert. Wenn wir genießen, etwas mögen, sind dagegen Opiode (Opium ähnlich) in Teilen des Großhirns beteiligt (das Großhirn ist für die bewusste Wahrnehmung zuständig).
Die Boten der Euphorie
Jeder Genuss ist ein Rausch. Egal, ob wir uns an einer heißen Dusche erfreuen, an einem guten Essen oder am Sex, - bei all diesen Wohlgefühlen sind dieselben Mechanismen im Spiel und dieselben Schaltkreise im Gehirn dafür verantwortlich. An der Entstehung aller Genüsse sind die Opiode beteiligt.
Das Gehirn stellt Drogen her, die dem Morphium ähneln und die Wohlgefühle auslösen. Ohne Opiode wäre die Welt schrecklich grau, man fühlt nichts mehr. Das Gehirn stellt aber auch Drogen her, die das Gegenteil bewirken: Empfindungen des Abscheus. Diese Drogen werden unter dem Begriff „Opiode“ zusammengefasst: Opiode für Wohlgefühle (Endorphine, Enkephaline) und Opiode für Abscheu (Dynorphine).
Noch im 19. Jahrhundert war es medizinische Praxis, Ängste und Depressionen mit Opium zu behandeln. Lebensfreude pur spüren wir unter den Opioden Endorphine und Enkephaline. Alles erscheint freundlich und hell und wir könnten die ganze Welt umarmen. Traurig zu sein, ist schier unmöglich. Sind die Gegenspieler Dynorphine im Spiel, haben wir scheußliche Empfindungen, Schüttelfrost, Schwäche, rasende Gedanken und sogar den Verlust der Selbstkontrolle. Für manche Versuchspersonen waren die Erfahrungen unter dem Einfluß der Dynorphine so schrecklich, dass sie sich am liebsten aus dem Fenster gestürzt hätten.
Schmecken, Ursprung der Genüsse
Doch die guten Gefühle kommen nicht von den Opioden alleine. Der ganze Körper ist darauf eingerichtet zu genießen. Nichts zeigt das so deutlich, wie die Freude am Essen, wie sehr der Mensch für das Glück gebaut ist. Insgesamt leiten mehr als 100 000 Nervenfassern die Signale aus 3000 Geschmacksknospen, mit jeweils etwa 50 Sinneszellen zum Gehirn weiter. Im Gehirn wird daraus Vergnügen. Die Natur hat die Gefühle erfunden, um uns zu nützlichem Verhalten zu verführen. Wenn uns etwas Gutes zustößt, schüttet unser Gehirn Endorphine aus, bei üblen Erfahrungen Dynorphine.
Schön ist es auch gestreichelt zu werden. Nicht nur Menschen, auch Affen, Katzen und Meerschweinchen lassen sich dadurch beruhigen. Interessanterweise dient diese Opiod-Schwemme bei Berührung weniger dazu, Lustgefühle zu erzeugen, sondern eher Angst zu lindern. Eine Massage kann Wunder wirken, wenn wir uns einsam oder niedergeschlagen fühlen.
Der Weg in die Harmonie
Genuss ist ein Signal dafür, dass der Organismus bekommt, was er braucht. Aber was brauchen wir? Wenn wir durstig sind, Wasser. Wenn wir hungrig sind, Essen. Wenn wir traurig sind, Zuspruch. Wann immer etwas zum Leben Notwendiges fehlt, stellt der Körper ein Defizit fest: Dynorphin wird ausgeschüttet, das Opiod des Unwohlseins.
Dynorphin ist z.B. dafür verantwortlich, dass wir Hunger als unangenehm empfinden. Der Drang setzt ein, etwas dagegen zu tun. Wir sehen ein Ziel, ein gebratenes Huhn. Das Gehirn schüttet Endorphin aus, als Vorgeschmack auf den erhofften Genuss und bewirkt, dass Dopamin freigesetzt wird, das Molekül des Begehrens. Wir beißen in die Hähnchenkeule, noch mehr Enbdorphin überschwemmt das Gehirn und zeigt an, dass wir in einen ausgeglichenen Zustand zurückkehren können: sattes Wohlbehagen. Wir entspannen uns, das Leben ist schön.
Genuss ist die Rückkehr zum physiologischen Gleichgewicht. Genuss kann nicht von Dauer sein. Sobald alles wieder im Lot ist, verflüchtigt er sich. Gute Gefühle sind daher eine Frage der Umstände, des richtigen Zeitpunktes. Wen es heiß ist, suchen wir die Kühle des Schattens. Wenn wir frieren, wünschen wir uns nichts so sehr, wie eine kuschelige Wolldecke. Nicht die Temperatur an sich ist also für unser Wohlbefinden ausschlaggebend, sondern der vorherige Zustand unseres Körpers.
Wenn der Schmerz nachlässt
Deshalb kommen gute Gefühle auch dann, wenn der Schmerz nachlässt. Opiode sind in der Lage, Schmerzen entgegen zu wirken, da sie die Weiterleitung der Schmerzsignale unterbrechen. Deshalb ist Morphium das stärkste Schmerzmittel überhaupt.
Ein Beispiel ist die Hochstimmung des Joggers, bei dem das Gehirn Opiode ausschüttet, wenn die Erschöpfung naht und dem Körper hilft, über die Qual hinaus weiterzulaufen: Euphorie verdrängt Schwächegefühle. Die Natur hat diesen Mechanismus offenbar eingerichtet, um trotz Schmerzen weiter um sein Leben zu rennen, wenn z.B. ein Tier angegriffen und verletzt wird.
Die Wippe der Wohlgefühle
Die Katze spielt mit der Maus, bevor sie sie fängt. Der Appetit kann lustvoller sein als das Essen. Auch in der Liebe liegt der größte Reiz mitunter im Versteckspiel, im Vorgeplänkel, im Umweg und in der Verzögerung. Kein guter Liebhaber ist, wer auf schnellstmöglichem Weg sein Ziel zu erreichen sucht. „Ich will die Gute nicht so billig haben“ erklärte Valmont, der routinierte und finstere Verführer in Choderlos de Laclos´ Briefroman „Gefährliche Liebschaften“: Er fürchtet um die Lust am langen erotischen Ringen, sollte er zu frühe bekommen, wonach er sucht.
Begehren und Genießen sind eng miteinander verbunden und doch stehen beide Regungen einander entgegen. Wer begehrt, kann nicht in vollen Zügen genießen. Und wer genießt, dessen Begehren ist für den Moment erloschen. Dem Begehren wohnt ein Drang inne, sich anzustrengen. Der Genuss aber ist sich selbst genug.
Doch allzu lange halten wir den wohligen Genuss nicht aus. Denn die Wirkung der Opiode währt nur kurz, je nach Situation ein paar Minuten oder ein paar Stunden. Schließlich soll der Genuss uns nur als Signal dienen, dass wir unser Ziel erreicht haben. Dann zeigt sich die Schattenseite des Genießens. Schwindet die Wirkung der Glücksdrogen, stellt sich der Normalzustand in unserer Stimmung wieder ein. Und den können wir nach der vorhergehenden Euphorie als manchmal unerträglichen Abstieg empfinden.
Ein großartiges Festmahl kann einen Rausch des Genießens bewirken. Doch dafür dauert die Vorfreude länger. Lustvoll sich nach etwas zu sehnen und dieses Ziel verfolgen, kann Stunden, Tage, auch Jahre dauern. Viele Menschen versuchen, sich die Ernüchterung zu ersparen, indem sie unbewusst alles tun, um die Erfüllung der Sehnsüchte zu vermeiden.
Die Nachtseite der Lust
Das Gehirn wird von Spaß angetrieben: „The brain runs on fun“. Doch Wollen und Mögen sind zweierlei. Diese beiden Regungen zu verwechseln, kann eine Quelle des Unglücks sein. Im schlimmsten Fall führt dieser Irrtum sogar in die Sucht.
Das Begehren kann sich verselbständigen. Springt unser Erwartungssystem an, wird unser Hirn mit Dopamin überschwemmt. Dopamin bewirkt aber vor allem, dass unser Gehirn diese Situation als positiv speichert und auf Wiederholung drängt.
Hier zeigt sich die Teufelsfratze der guten Gefühle: Löst ein Reiz wiederholt Begehren aus, ändert sich die Funktionsweise von Teilen des Gehirns. Übermächtig geworden, verwandelt Begehren Menschen in Getriebene, die keine Grenzen mehr kennen und den Blick für die Wirklichkeit verlieren. Man konnte nachweisen, wie sich unter dem Einfluß von Dopamin die Struktur im Gehirn verändert: Die Programmierung auf Lust.
Lust, die Amok läuft
Wir sind mit einem Allzwecksystem für das Begehren ausgestattet. Ein einziger Mechanismus lässt uns verlangen, ganz egal was - ob Essen, Liebe oder Annerkennung. Bei Tierversuchen stellte man fest, dass bei genügend Dopamin im Gehirn, nur noch das Handeln zählte, das Ziel nichts mehr: Aktionismus in Reinform. Es wurden die Regungen verstärkt, die gerade vorherrschen. Etwas zu wollen ist das beste Mittel gegen Langweile. Was es ist, spielt keine Rolle.
Was zählt, ist der innere Zustand des Verlangens, der Vorgeschmack auf das Siegesgefühl (auch in single.de?). Aus Lust am Gewinnen kann Spielsucht werden. Die Hoffnung auf Belohnung kann eine krankhafte Vorfreude in Gang setzen. Das Klingeln von ein paar Münzen am Spielautomat kann das stundenlange roboterhafte Drücken eines Hebels am Automaten auslösen, in der Hoffung zu gewinnen.
Sucht ist ein Unfall auf der Suche nach dem Glück. Sucht, gleicher welcher Art, bedient sich der gleichen Mechanismen, die im Alltag für das Lernen und der Vorfreude zuständig sind. Das ist wohl die irritierendste Einsicht beim Erforschen der guten Gefühle.
Die Rückfälle von Suchtkranken kann nur verstehen, wer weiß, daß das Gehirn die Regungen des Wollens und des Genießens auf unterschiedliche Weise erzeugt. Die Beeinträchtigung der Genussfähigkeit verlangt nach immer mehr. Doch diese Abstumpfung dem Genuss gegenüber kann rückgängig gemacht werden. Dagegen hat das zwanghafte Verlangen (das Wollen) das Gehirn dauerhaft umprogrammiert.
Es liegt also an den mächtigen Mechanismen des Verlangens, dass die Abhängigkeit so hartnäckig ist. Die Verschaltungen im Gehirn, die bei bestimmten Reizen ein Verlangen auslösen, bilden sich kaum zurück.
Fußnote
Im nächsten Kapitel geht es um das große Thema „Liebe“.
Literatur: „Die Glücksformel“ von Stefan Klein mit den aktuellen Erkenntnissen aus den Wissenschaftslabors dieser Welt.
Kein guter Liebhaber ist, wer auf schnellstmöglichem Weg sein Ziel zu erreichen sucht.
Beim Menschen entstehen gute Gefühle auf zweierlei Wegen: Wenn er etwas will – oder wenn er etwas bekommen hat. Wir sind nicht daran gewöhnt, zwischen Wollen und Mögen zu unterscheiden: Wenn wir im Restaurant ein Gericht bestellen, werden wir nur das bestellen wollen, das wir auch mögen. Beide Regungen, Wollen und Mögen, Vorfreude und Genuss, erzeugt das Gehirn aber auf unterschiedliche Weise, es sind dabei sogar verschiedene Bereiche im Kopf zuständig.
Die Vorfreude, das Wollen wird durch Dopamin im Zentrum des Vorderhirns gesteuert. Wenn wir genießen, etwas mögen, sind dagegen Opiode (Opium ähnlich) in Teilen des Großhirns beteiligt (das Großhirn ist für die bewusste Wahrnehmung zuständig).
Die Boten der Euphorie
Jeder Genuss ist ein Rausch. Egal, ob wir uns an einer heißen Dusche erfreuen, an einem guten Essen oder am Sex, - bei all diesen Wohlgefühlen sind dieselben Mechanismen im Spiel und dieselben Schaltkreise im Gehirn dafür verantwortlich. An der Entstehung aller Genüsse sind die Opiode beteiligt.
Das Gehirn stellt Drogen her, die dem Morphium ähneln und die Wohlgefühle auslösen. Ohne Opiode wäre die Welt schrecklich grau, man fühlt nichts mehr. Das Gehirn stellt aber auch Drogen her, die das Gegenteil bewirken: Empfindungen des Abscheus. Diese Drogen werden unter dem Begriff „Opiode“ zusammengefasst: Opiode für Wohlgefühle (Endorphine, Enkephaline) und Opiode für Abscheu (Dynorphine).
Noch im 19. Jahrhundert war es medizinische Praxis, Ängste und Depressionen mit Opium zu behandeln. Lebensfreude pur spüren wir unter den Opioden Endorphine und Enkephaline. Alles erscheint freundlich und hell und wir könnten die ganze Welt umarmen. Traurig zu sein, ist schier unmöglich. Sind die Gegenspieler Dynorphine im Spiel, haben wir scheußliche Empfindungen, Schüttelfrost, Schwäche, rasende Gedanken und sogar den Verlust der Selbstkontrolle. Für manche Versuchspersonen waren die Erfahrungen unter dem Einfluß der Dynorphine so schrecklich, dass sie sich am liebsten aus dem Fenster gestürzt hätten.
Schmecken, Ursprung der Genüsse
Doch die guten Gefühle kommen nicht von den Opioden alleine. Der ganze Körper ist darauf eingerichtet zu genießen. Nichts zeigt das so deutlich, wie die Freude am Essen, wie sehr der Mensch für das Glück gebaut ist. Insgesamt leiten mehr als 100 000 Nervenfassern die Signale aus 3000 Geschmacksknospen, mit jeweils etwa 50 Sinneszellen zum Gehirn weiter. Im Gehirn wird daraus Vergnügen. Die Natur hat die Gefühle erfunden, um uns zu nützlichem Verhalten zu verführen. Wenn uns etwas Gutes zustößt, schüttet unser Gehirn Endorphine aus, bei üblen Erfahrungen Dynorphine.
Schön ist es auch gestreichelt zu werden. Nicht nur Menschen, auch Affen, Katzen und Meerschweinchen lassen sich dadurch beruhigen. Interessanterweise dient diese Opiod-Schwemme bei Berührung weniger dazu, Lustgefühle zu erzeugen, sondern eher Angst zu lindern. Eine Massage kann Wunder wirken, wenn wir uns einsam oder niedergeschlagen fühlen.
Der Weg in die Harmonie
Genuss ist ein Signal dafür, dass der Organismus bekommt, was er braucht. Aber was brauchen wir? Wenn wir durstig sind, Wasser. Wenn wir hungrig sind, Essen. Wenn wir traurig sind, Zuspruch. Wann immer etwas zum Leben Notwendiges fehlt, stellt der Körper ein Defizit fest: Dynorphin wird ausgeschüttet, das Opiod des Unwohlseins.
Dynorphin ist z.B. dafür verantwortlich, dass wir Hunger als unangenehm empfinden. Der Drang setzt ein, etwas dagegen zu tun. Wir sehen ein Ziel, ein gebratenes Huhn. Das Gehirn schüttet Endorphin aus, als Vorgeschmack auf den erhofften Genuss und bewirkt, dass Dopamin freigesetzt wird, das Molekül des Begehrens. Wir beißen in die Hähnchenkeule, noch mehr Enbdorphin überschwemmt das Gehirn und zeigt an, dass wir in einen ausgeglichenen Zustand zurückkehren können: sattes Wohlbehagen. Wir entspannen uns, das Leben ist schön.
Genuss ist die Rückkehr zum physiologischen Gleichgewicht. Genuss kann nicht von Dauer sein. Sobald alles wieder im Lot ist, verflüchtigt er sich. Gute Gefühle sind daher eine Frage der Umstände, des richtigen Zeitpunktes. Wen es heiß ist, suchen wir die Kühle des Schattens. Wenn wir frieren, wünschen wir uns nichts so sehr, wie eine kuschelige Wolldecke. Nicht die Temperatur an sich ist also für unser Wohlbefinden ausschlaggebend, sondern der vorherige Zustand unseres Körpers.
Wenn der Schmerz nachlässt
Deshalb kommen gute Gefühle auch dann, wenn der Schmerz nachlässt. Opiode sind in der Lage, Schmerzen entgegen zu wirken, da sie die Weiterleitung der Schmerzsignale unterbrechen. Deshalb ist Morphium das stärkste Schmerzmittel überhaupt.
Ein Beispiel ist die Hochstimmung des Joggers, bei dem das Gehirn Opiode ausschüttet, wenn die Erschöpfung naht und dem Körper hilft, über die Qual hinaus weiterzulaufen: Euphorie verdrängt Schwächegefühle. Die Natur hat diesen Mechanismus offenbar eingerichtet, um trotz Schmerzen weiter um sein Leben zu rennen, wenn z.B. ein Tier angegriffen und verletzt wird.
Die Wippe der Wohlgefühle
Die Katze spielt mit der Maus, bevor sie sie fängt. Der Appetit kann lustvoller sein als das Essen. Auch in der Liebe liegt der größte Reiz mitunter im Versteckspiel, im Vorgeplänkel, im Umweg und in der Verzögerung. Kein guter Liebhaber ist, wer auf schnellstmöglichem Weg sein Ziel zu erreichen sucht. „Ich will die Gute nicht so billig haben“ erklärte Valmont, der routinierte und finstere Verführer in Choderlos de Laclos´ Briefroman „Gefährliche Liebschaften“: Er fürchtet um die Lust am langen erotischen Ringen, sollte er zu frühe bekommen, wonach er sucht.
Begehren und Genießen sind eng miteinander verbunden und doch stehen beide Regungen einander entgegen. Wer begehrt, kann nicht in vollen Zügen genießen. Und wer genießt, dessen Begehren ist für den Moment erloschen. Dem Begehren wohnt ein Drang inne, sich anzustrengen. Der Genuss aber ist sich selbst genug.
Doch allzu lange halten wir den wohligen Genuss nicht aus. Denn die Wirkung der Opiode währt nur kurz, je nach Situation ein paar Minuten oder ein paar Stunden. Schließlich soll der Genuss uns nur als Signal dienen, dass wir unser Ziel erreicht haben. Dann zeigt sich die Schattenseite des Genießens. Schwindet die Wirkung der Glücksdrogen, stellt sich der Normalzustand in unserer Stimmung wieder ein. Und den können wir nach der vorhergehenden Euphorie als manchmal unerträglichen Abstieg empfinden.
Ein großartiges Festmahl kann einen Rausch des Genießens bewirken. Doch dafür dauert die Vorfreude länger. Lustvoll sich nach etwas zu sehnen und dieses Ziel verfolgen, kann Stunden, Tage, auch Jahre dauern. Viele Menschen versuchen, sich die Ernüchterung zu ersparen, indem sie unbewusst alles tun, um die Erfüllung der Sehnsüchte zu vermeiden.
Die Nachtseite der Lust
Das Gehirn wird von Spaß angetrieben: „The brain runs on fun“. Doch Wollen und Mögen sind zweierlei. Diese beiden Regungen zu verwechseln, kann eine Quelle des Unglücks sein. Im schlimmsten Fall führt dieser Irrtum sogar in die Sucht.
Das Begehren kann sich verselbständigen. Springt unser Erwartungssystem an, wird unser Hirn mit Dopamin überschwemmt. Dopamin bewirkt aber vor allem, dass unser Gehirn diese Situation als positiv speichert und auf Wiederholung drängt.
Hier zeigt sich die Teufelsfratze der guten Gefühle: Löst ein Reiz wiederholt Begehren aus, ändert sich die Funktionsweise von Teilen des Gehirns. Übermächtig geworden, verwandelt Begehren Menschen in Getriebene, die keine Grenzen mehr kennen und den Blick für die Wirklichkeit verlieren. Man konnte nachweisen, wie sich unter dem Einfluß von Dopamin die Struktur im Gehirn verändert: Die Programmierung auf Lust.
Lust, die Amok läuft
Wir sind mit einem Allzwecksystem für das Begehren ausgestattet. Ein einziger Mechanismus lässt uns verlangen, ganz egal was - ob Essen, Liebe oder Annerkennung. Bei Tierversuchen stellte man fest, dass bei genügend Dopamin im Gehirn, nur noch das Handeln zählte, das Ziel nichts mehr: Aktionismus in Reinform. Es wurden die Regungen verstärkt, die gerade vorherrschen. Etwas zu wollen ist das beste Mittel gegen Langweile. Was es ist, spielt keine Rolle.
Was zählt, ist der innere Zustand des Verlangens, der Vorgeschmack auf das Siegesgefühl (auch in single.de?). Aus Lust am Gewinnen kann Spielsucht werden. Die Hoffnung auf Belohnung kann eine krankhafte Vorfreude in Gang setzen. Das Klingeln von ein paar Münzen am Spielautomat kann das stundenlange roboterhafte Drücken eines Hebels am Automaten auslösen, in der Hoffung zu gewinnen.
Sucht ist ein Unfall auf der Suche nach dem Glück. Sucht, gleicher welcher Art, bedient sich der gleichen Mechanismen, die im Alltag für das Lernen und der Vorfreude zuständig sind. Das ist wohl die irritierendste Einsicht beim Erforschen der guten Gefühle.
Die Rückfälle von Suchtkranken kann nur verstehen, wer weiß, daß das Gehirn die Regungen des Wollens und des Genießens auf unterschiedliche Weise erzeugt. Die Beeinträchtigung der Genussfähigkeit verlangt nach immer mehr. Doch diese Abstumpfung dem Genuss gegenüber kann rückgängig gemacht werden. Dagegen hat das zwanghafte Verlangen (das Wollen) das Gehirn dauerhaft umprogrammiert.
Es liegt also an den mächtigen Mechanismen des Verlangens, dass die Abhängigkeit so hartnäckig ist. Die Verschaltungen im Gehirn, die bei bestimmten Reizen ein Verlangen auslösen, bilden sich kaum zurück.
Fußnote
Im nächsten Kapitel geht es um das große Thema „Liebe“.
Literatur: „Die Glücksformel“ von Stefan Klein mit den aktuellen Erkenntnissen aus den Wissenschaftslabors dieser Welt.