Die Weltwoche
www.weltwoche.ch
12.07.2006, Ausgabe 28/06
Katholische Kirche
Und ewig lockt der Ministrant
Dass Priester sich um den Nachwuchs kümmern müssen, ist so sicher wie nur irgendwas, aber: Solange die Kirche am Zölibat festhält, wird aus Nächstenliebe immer wieder Pädophilie. Von Mathias Binswanger
Als typische Schwulenberufe gelten Flight-Attendant, Balletttänzer, Coiffeur, Modedesigner und – katholischer Priester. Gemäss Schätzungen sind heute rund 20 Prozent aller Priester schwul. Eine Prozentzahl, die sowohl die Kirche selbst als auch die Bevölkerung immer wieder in Erstaunen versetzt. Man kann sich ja als Heterosexueller noch zusammenreimen, warum Berufe wie Modedesigner oder Balletttänzer unter Schwulen so gefragt sind. Aber was reizt Schwule am katholischen Priestertum, obwohl die katholische Kirche ja im Allgemeinen alles andere als schwulenfreundlich ist?
Diese Frage würde die Öffentlichkeit kaum so stark interessieren, wenn nicht ein Teil der schwulen Priester auch noch dazu tendieren würde, sich mit Kindern oder Jugendlichen einzulassen. So geht man nicht nur davon aus, dass jeder fünfte Priester schwul ist, sondern jeder fünfzigste ist gemäss Schätzungen obendrein noch pädophil. Die genausten Zahlen dazu stammen aus den USA. Gemäss einem Bericht der Amerikanischen Bischofskonferenz aus dem Jahr 2004 beschuldigten Kinder zwischen 1950 und 2002 insgesamt 4450 katholische Priester (das entspricht 4 Prozent aller in dieser Zeit tätigen Priester) des sexuellen Missbrauchs. Eine Zahl, die man sicher nicht vernachlässigen kann. Und wieder wundern sich Gläubige und Nicht-Gläubige: Wieso gerade Priester?
Die Erklärung ist letztlich ganz einfach und lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Zölibat. Das seit dem Jahr 1139 geltende Eheverbot für Priester setzt einen klaren Anreiz für Schwule, aber auch für Pädophile, den Beruf des Priesters zu ergreifen. Man muss sich ja nur mal überlegen, für wen denn Ehelosigkeit überhaupt ein Problem ist. Und da wird man schnell zur Einsicht gelangen, dass dies die heterosexuellen Normalbürger betrifft. Der Verzicht auf die Ehe und das damit verbundene Gebot der sexuellen Enthaltsamkeit sind für einen Heterosexuellen kein Pappenstiel.
Für Schwule andererseits war die Ehelosigkeit nie ein Problem. Im Gegenteil: Die von der Theologin Uta Ranke-Heinemann als Homo-Gesellschaft titulierte Berufsgemeinde von Priestern und anderen geistlichen Würdenträgern bildet für viele Schwule eine zusätzliche Attraktion des Priesterberufs. Mann ist dort unter seinesgleichen und trifft potenziell interessante Partner, besonders in den Priesterseminaren. Zwar würde das Keuschheitsgelübde eigentlich für Sex mit Partnern jeden Geschlechts gelten, doch offiziell gab es ja bis vor kurzem gar keine schwulen Priester; demzufolge hatten diese per Definition auch kein Keuschheitsproblem.
Und für Pädophile ist der Eheverzicht meist auch kein Problem. Diese wollen ja Sex mit Kindern, wofür die Ehe nicht die geeignete Institution ist. Der Priesterberuf bietet dem Pädophilen hingegen eine Palette an Möglichkeiten, mit Kindern zwanglos Kontakt aufzunehmen. Da wären etwa der Religionsunterricht zu nennen, die Durchführung von Lagern, seelsorgerische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sowie besonders die Betreuung von Ministranten, wo in der Vergangenheit die meisten sexuellen Übergriffe stattfanden. Und das Allerbeste kommt erst: Drohten solche Vorkommnisse an die Öffentlichkeit zu gelangen, dann konnte ein Pädophiler auf die Unterstützung der Kirche bei der Vertuschung seiner Verfehlungen zählen. Die katholische Kirche war so bis vor kurzem nicht nur ein Schwulen-, sondern auch ein Pädophilenparadies.
Man sollte sich also nicht wundern, dass sich unter Priestern relativ viele Schwule und Pädophile befinden. Die katholische Kirche hat mit dem Zölibat alles getan, um Heterosexuelle abzuschrecken. Der hohe Prozentsatz an schwulen und pädophilen Priestern ist nur ein Beweis dafür, dass Menschen auf Anreize entsprechend reagieren. Auf Deutsch übersetzt, lautet die mit dem Zölibat ausgesendete Botschaft nämlich: «Schwule und Pädophile, kommt zu uns, hier könnt ihr euren Neigungen ungestört nachgehen. Und ihr Heterosexuellen, lasst es besser sein mit dem Priesterberuf, denn ihr werdet mit der Ehelosigkeit nur Probleme haben.»
Im Schoss der Kirche
Inzwischen ist auch dem Vatikan klar geworden, dass Handlungsbedarf besteht. Allerdings will er nicht die Ursache, sondern nur die Symptome bekämpfen. Statt die mit dem Zölibat gesetzte perverse Anreizstruktur zu beseitigen, möchte die Kirche jetzt Schwule vom Priesterberuf ausschliessen. Das im November 2005 veröffentlichte Dokument des Vatikans, «Priestertum und Homosexualität», ist de facto ein Schwulen-Verbot, was weder intelligent noch wirksam ist. Das Verbot ist etwa so absurd, wie wenn man junge Menschen grosszügig mit Stipendien unterstützt, damit sie an Universitäten studieren können, und gleichzeitig ein Berufsverbot für Studierte verhängt.
Das Schwulen-Verbot wird in der Realität indes dadurch abgemildert, dass es gar nicht umsetzbar ist. Wie, bitte schön, will die Kirche feststellen, ob ein Priester schwul ist oder nicht? Die Wissenschaft hat bis heute keine überzeugenden Testverfahren zur Klärung dieser Frage geliefert. Hätte es ein solches gegeben, hätten sich die chinesischen Kaiser früher die ganzen operativen Eingriffe zur Bereitstellung von Eunuchen sparen können, indem sie einfach Schwule zur Betreuung ihres Frauenpools angestellt hätten. Aber die chinesischen Kaiser waren klüger als die katholische Kirche heute und gingen auf Nummer Sicher; nur Eunuchen-Priester können die Einhaltung des Zölibats garantieren.
Das Zölibat ist ein besonders krasser Fall von Missachtung der mit einer Bestimmung (meistens Gebote oder Verbote) gesetzten Anreizstruktur. Eine solche Bestimmung würde nur in einer Welt Sinn machen, in der es weder Homosexualität noch Pädophilie gibt und wo die Unterdrückung der Sexualität wie das Ausknipsen eines Lichtschalters funktioniert. Von einer solchen Welt sind wir aber meilenweit entfernt, und in der Realität setzt das Zölibat somit eine völlig falsche Anreizstruktur. Nur eine Ursachenbekämpfung in Form von dessen Beseitigung kann dieses Problem wirklich lösen. Aber die katholische Kirche hat Mühe, sich von ihrem liebgewonnenen Kind zu trennen, und nimmt dafür lieber etwas Pädophilie in Kauf.
Das Zölibat ist symptomatisch für eine Menge weiterer Bestimmungen, die ebenfalls perverse Anreizstrukturen setzen. Ein offensichtlicher Fall war die Prohibition in den USA der zwanziger und dreissiger Jahre. Die Absicht eines solchen Verbots des Alkoholkonsums war es, der Trunksucht vieler Bürger ein Ende zu bereiten. Doch in liberalen Staaten erweist sich ein solches Verbot als untauglich, wie die Zeit der Prohibition deutlich bewies. Nie starben mehr Menschen an Alkoholvergiftungen, weil der in dieser Periode konsumierte, illegal gebrannte Schnaps der Gesundheit äusserst abträglich war.
Die Todesfälle waren eine Folge der Missachtung der durch das Alkoholverbot unbewusst gesetzten Anreize. Das Verbot nämlich machte die Herstellung und den Verkauf von alkoholischen Getränken erst so richtig profitabel, und die Mafia liess sich diese einmalige Chance nicht entgehen. Die Prohibition entwickelte sich zu einer Wirtschaftsförderung von kriminellen Organisationen, die mit illegal gebranntem Schnaps ein Vermögen verdienten. Zwar versuchte der Staat immer wieder, mit rigorosen Massnahmen gegen die Schnapsbrennereien vorzugehen, aber das war reine Symptombekämpfung, genauso wie das jetzt ausgesprochene Schwulen-Verbot für das Priesteramt. Erst das Aufheben der Prohibition brachte den Anreiz zur illegalen Schnapsbrennerei wieder zum Verschwinden.
Auch das geltende Schweizer Asylgesetz enthält Anreize, deren negative Folgen wir seit einigen Jahren deutlich zu spüren kriegen. Darin gibt es ein Arbeitsverbot für Asylbewerber mit der Absicht, die Schweiz als Asylland möglichst unattraktiv zu machen. Dieser Anreiz funktioniert durchaus, aber nur für bestimmte Asylbewerber; das Arbeitsverbot schreckt nämlich vor allem jene ab, die die Absicht haben, ihr Geld in der Schweiz mit legaler Arbeit zu verdienen. Asylbewerber, die diesen Status benutzen möchten, um hier kriminellen Aktivitäten nachzugehen, lassen sich nicht abschrecken. Da ist es kein Wunder, dass der Prozentsatz an kriminellen und arbeitsscheuen Asylbewerbern ständig zunimmt. Das Arbeitsverbot beschert uns somit genau die Probleme, die es verhindern sollte.
Haften oder durchdrehen
Doch es sind nicht nur Verbote, bei denen die damit gesetzten Anreizstrukturen vernachlässigt werden. Ein anderes Beispiel ist die Produkthaftung, wie sie vor allem in den USA konsequent angewendet wird. Dass ein Hersteller für fehlerhafte Produkte bzw. damit verbundene Gefahren haftet, ist zunächst mal sinnvoll, da solch eine Haftung die Firmen zu einer gewissen Sorgfalt in der Produktion zwingt. Doch gleichzeitig wird damit ein Anreiz gesetzt, die Haftung für alle Unfälle und sonstigen Schäden auf den Hersteller abzuwälzen.
So hat ein Autofahrer in den USA eine Millionenklage gegen McDonald’s gewonnen, weil er sich den Pappbecher Kaffee beim Autofahren zwischen die Beine geklemmt und sich beim Bremsen Verbrennungen geholt hatte. Grund: McDonald’s hatte nicht darauf hingewiesen, dass so etwas passieren könnte. Unter solch absurden Fällen leidet letztlich die Allgemeinheit, indem sich die Produkte verteuern, weil sie mit kiloschweren Gebrauchsanweisungen verkauft werden. Diese weisen nämlich auf alle nur erdenklichen Gefahren des Produktes hin, um eine mögliche Haftung auszuschliessen. Profiteure sind einzig die Anwälte, für welche die Produkthaftung eine willkommene Wirtschaftsförderung ist.
Diese Ausführungen sind nicht als generelles Plädoyer gegen Verbote zu verstehen. Allein das Beispiel des Tötungsverbots zeigt, wie wichtig sie sein können. Der Artikel ist vielmehr ein Plädoyer dafür, den mit Geboten und Verboten tatsächlich gesetzten Anreizstrukturen Beachtung zu schenken. Für sie gilt, was der amerikanische Dichter Robert Frost einst so formuliert hat: Before I built a wall, I’d ask to know what I was walling in or walling out (Bevor ich eine Mauer baue, würde ich lieber fragen, was ich ein- und was ich ausmauere).
Nicht alle Menschen sind gleich, und bei jedem Gebot oder Verbot sollte man sich zuerst überlegen, wen es anzieht und wen es abstösst. Das Zölibat müsste dann wie zahlreiche weitere Bestimmungen aufgehoben werden, weil die damit unbewusst gesetzten Anreize mehr schaden als nützen.
Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaft an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten.
Hören Sie diesen Artikel auf
www.weltwoche.ch/audio
Nehmen Sie an unserer wöchentlichen Umfrage teil.
Sie lautet diesmal: Sollte das Zölibat für katholische Priester abgeschafft werden?
www.weltwoche.ch/umfrage