Erleben heißt nicht wissen, und ein Erfahrungsbericht ist keine Diagnose.
Und hier prallen eben wieder zwei grundlegend verschiedene Weltsichten aufeinander. Für mich ist
nur Erleben/direktes Erfahren echtes Wissen. Oder besser gesagt ist es das,
was einem echten Wissen am nächsten kommt. Die Wissenschaft kann Diagnosen stellen (und ich habe meine Diagnosen bekommen, aber um die geht es hier ja nicht), aber meine direkte Erfahrung ist das, was mir am nächsten ist. Existentielle Depression ist ja etwas weit verbreitetes, es ist ja nicht so, dass ich diesen Begriff oder diesen Zustand erfunden hätte. Er ist auch als Weltschmerz oder Melancholie bekannt.
In meinem speziellen Fall ist es so, dass für mich das schlimmste Element der existentiellen Depression das ist, eben gerade kein 100% objektives Wissen zu haben, ja, dass diese höchste Form des zweifellosen Wissens gar unmöglich ist. Zumindest in inkarnierter Form. Wir wissen nicht woher wir kommen, was wir hier sollen und wohin wir gehen. Wir haben wenig Zeit und müssen uns um alle möglichen körperlichen Bedürfnisse kümmern, welche alle nur noch lästig sind, wenn man auf der Suche nach metaphysischer Wahrheit ist. Es kann sein, dass das für einen "normalen" Menschen befremdlich ist, aber mir gehen körperliche Notwendigkeiten wie Nahrungsaufnahme, Verdauung, Schlafenmüssen etc. nur noch auf die Nerven. Alles, was körperlich ist, fühlt sich für mich wie ein Störfaktor an, der nur meine geistige Sicht trübt. Auch damit bin ich nicht allein, diejenigen die hierbei in die letzte Konsequenz gehen nennt man Asketen.
Nun könnte man sich natürlich die Frage stellen, ob die
allerletzte Konsequenz bei einer existentiellen Depression nicht sogar der Suizid wäre. Aber diesen Gedanken lasse ich gar nicht erst zu, denn ich weiß, dass ich nicht sterben will, sondern, was ich will, ist einfach
die Wahrheit zu wissen. Natürlich kann es sein, dass wir in diesem beschränkten Zustand der Inkarnation gar nicht die Wahrheit erkennen können. Aber wir können uns der Wahrheit zumindest
annähern.
Und was beim Thema Suizid noch dazu kommt, ist, dass es genau so schwer ist, das Leben zu beenden, wie es weiterzuleben. Auch das kann man vermutlich nur nachvollziehen, wenn man aus welchen Gründen auch immer schon des Öfteren mal den Gedanken hatte, wieso man sich das alles überhaupt noch antut. Diese Frage ist nämlich gar nicht so leicht beantworten, egal ob man Materialist ist oder Metaphysiker. Denn der Materialist könnte sich ja sagen: Wozu soll ich dieses mickrige Dasein noch weiterführen, ich könnte es ja einfach beenden und dann würde mich nichts weiter erwarten als ein unendlicher Schlaf. Andererseits könnte der Metaphysiker sagen: Was will ich in diesem gefallenen Zustand hier auf der Erde, ich will wieder ein freier Geist sein, also beenden wir dieses Drama. Aber niemand beendet es einfach so, denn es braucht genau so viel Energie, es zu beenden, wie es weiter durchzuziehen, nur dass sich beim Beenden die ganze Energie auf einen einzigen Augenblick richtet, und diese gebündelte Energie aufzubringen ist ironischerweise gerade im Zustand der existentiellen Depression praktisch unmöglich.
Also bleibt nur, darauf zu vertrauen, dass es schon einen Grund für alles das hier gibt, auch wenn wir ihn (noch) nicht kennen.