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Gibt es objektive Realität?

AW: Gibt es objektive Realität?


:ironie: Das werde ich sofort dem französischen Jesuiten Teilhard de CHARDIN :ironie:melden, der seinerzeit , also im Jahr 1966, im Kontext der Übersetzung seines Buches über Die menschliche Energie wie folgt differenziert hatte:
1. Der Geist der Erde
2. Bedeutung und konstruktiver Wert des Leidens
3. Skizze eines personalen Universums
4. Das geistige Phänomen
5. Die menschliche Energie
6. Die Mystik der Wissenschaft
7. Die Stunde der entscheidung
8. Der Atomismus des Geistes
9. Der Aufstieg des Anderen
10. Universalisation und Vereinigung
11. Die Zentrologie

Aber Du liest ja nicht ...(oder nicht mehr...:dontknow:)

:lachen::lachen::lachen::lachen:
War schon ein sensibler Mensch, dieser Chardin, wenn auch, wie EarlyBird richtig bemerkte, kein allgemeiner Maßstab. Diesen allgemeinen Maßstab sucht die Menschheit wahrscheinlich noch ein paar Hundert Jahre. Bei der großen Selbstmordrate ist ja nicht einmal jeder Mensch ein Existenzialist, geschweige denn (tief) religiös.

Hat eigentlich schon irgendwer in diesem thread (oder in irgendeiner Literatur) einen Versuch unternommen, den Begriff "objektive Realität" tauglich zu definieren ?

Secundus1, eigentlich hast Du diese Geschichte ja begonnen !

MfG Zeili
 
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AW: Gibt es objektive Realität?

nun, nachdem ich den ganzen Smalltalk-Schmodder überblättert habe, sind wir dank Zeili wieder beim Thema gelandet. Nicandra sagt klar nein - und ich muss zustimmen, wenn ich davon ausgehe, dass nur ein Objekt objektiv wahrnehmen kann. So, wie ich es ausdrücken wollte, wäre dies nur einer omnipräsenten, allwissewnden Superintelligenz möglich, eben dem, was wir Gott nennen. Gäbe es sie, dann würde ich ihr das Prädikat "objektive Realität" zugestehen. Da wir dies aber nicht wissen, ich es auch nicht für gegeben halte und auch dieser Gott dann als Subjekt zu betrachten wäre, muss ich klar verneinen.
 
AW: Gibt es objektive Realität?

nun, nachdem ich den ganzen Smalltalk-Schmodder überblättert habe, sind wir dank Zeili wieder beim Thema gelandet. Nicandra sagt klar nein - und ich muss zustimmen, wenn ich davon ausgehe, dass nur ein Objekt objektiv wahrnehmen kann. So, wie ich es ausdrücken wollte, wäre dies nur einer omnipräsenten, allwissewnden Superintelligenz möglich, eben dem, was wir Gott nennen. Gäbe es sie, dann würde ich ihr das Prädikat "objektive Realität" zugestehen. Da wir dies aber nicht wissen, ich es auch nicht für gegeben halte und auch dieser Gott dann als Subjekt zu betrachten wäre, muss ich klar verneinen.

Es gibt nur eine einzige Möglichkeit. Ein "ICHloser & zugleich WIRloser" Mensch, der nicht auf sein eigenes noch auf das Leben anderer "achtet". Der nur NEUTRAL alles in GLEICHGÜLTIGKEIT ohne GEFÜHL und FÜR/MITgedanken beobachtet und analysiert. Er muss zudem "GEFAHRlos" sein, was bedeutet, dass er stirbt in Regungslosigkeit, wenn es die Situation anzeigt. Kein Angriff, keine Verteidigung, sein oder anderes Leben vor dem Tode oder vor Schmerzen zu schützen.

Fazit: Ein Menschenroboter!

(Doch ein solcher ist mir bei allen Behauptungen noch nie begegnet, weder privat noch durch die Medien. Die einzigen in Betracht zu ziehenden Behauptungen schlagen wegen integriertem "EGOISMUS" der Behaupter fehl)

Daher bleibt es für mich beim "Nein!".
 
AW: Gibt es objektive Realität?

War schon ein sensibler Mensch, dieser Chardin, wenn auch, wie EarlyBird richtig bemerkte, kein allgemeiner Maßstab. Diesen allgemeinen Maßstab sucht die Menschheit wahrscheinlich noch ein paar Hundert Jahre. Bei der großen Selbstmordrate ist ja nicht einmal jeder Mensch ein Existenzialist, geschweige denn (tief) religiös.

Hat eigentlich schon irgendwer in diesem thread (oder in irgendeiner Literatur) einen Versuch unternommen, den Begriff "objektive Realität" tauglich zu definieren ?

Secundus1, eigentlich hast Du diese Geschichte ja begonnen !

MfG Zeili

objektive realität ist doch eine kollektive näherung
 
AW: Gibt es objektive Realität?

Jeder Versuch die „objektive Realität“ mit reliabelem Allgemeingültigkeitsanspruch zu definieren, müsste völlig unabhängig von dem möglich sein, was wir mit dem Begriff Bewusstsein und Wahrnehmung subjektiv in Verbindung bringen.

Doch welches Subjekt vermag schon – mit dem Segen der außerkörperlichen Erfahrung ausgestattet, - seinen innerkörperlichen Geist „scheinbar ohne denselben“ auf (parallelen) Gedankenreisen zu begleiten?

Dies kann und wird nur jemandem „neben der Mütze (Schlaf) gelingen“, der zwischen Ereignis und Horizont keinerlei „bedenkliche“ Zusammenhänge zu konstruieren sich anschickt und den berühmt und berüchtigten Ereignishorizont in quantenspezifisch exakt vollkommen erweiterbaren *46+1 Chromos-Omen-Wirklichkeiten* jeweils „lichtjährlich“ unvermessen (genetisch) zu deuten weiß.

Also ich kenne niemanden auf dieser Welt der dies in „objektiver Realität“ zu deuten vermag, aber schließlich ist Gott ja auch nicht von dieser Welt.

Bernies Sage
 
AW: Gibt es objektive Realität?

War schon ein sensibler Mensch, dieser Chardin, wenn auch, wie EarlyBird richtig bemerkte, kein allgemeiner Maßstab. Diesen allgemeinen Maßstab sucht die Menschheit wahrscheinlich noch ein paar Hundert Jahre. Bei der großen Selbstmordrate ist ja nicht einmal jeder Mensch ein Existenzialist, geschweige denn (tief) religiös.

Hat eigentlich schon irgendwer in diesem thread (oder in irgendeiner Literatur) einen Versuch unternommen, den Begriff "objektive Realität" tauglich zu definieren ?

Secundus1, eigentlich hast Du diese Geschichte ja begonnen !

MfG Zeili
Descartes und Kant, als zwei prominentesten Philosophen in Europa, haben es versucht!
DESCARTES:
www.borishennig.de

realitas obiectiva
In dem Gottesbeweis, den Descartes in der dritten Meditation führt, sind folgende Schritte entscheidend:
•Die Idee, die ich von Gott habe, hat mehr objektive Realität, als alle anderen Ideen (p. 32/19).
•Jede Idee hat eine Ursache, die mindestens genausoviel Realität in formaler, objektiver oder eminenter Weise enthält, wie die Idee objektive Realität hat (p. 33/20).
•Die Idee einer unendlichen denkenden Substanz hat mehr objektive Realität, als in der res cogitans in formaler und eminenter Weise enthalten sein kann (p. 34/22).
•Also hat die Idee Gottes, d.h. die einer unendlichen denkenden Substanz, ihre erste Ursache nicht in mir (p. 42/40).

Wer diese Argumentation verstehen will, muß wissen, was die darin verwendeten Begriffe bedeuten:
•Realität
•objektive Realität
•formale Realität
•in eminenter Weise

Außerdem muß geklärt werden:
•Wie können gewisse Ideen 'mehr' objektive Realität haben als andere?
•Warum muß die Ursache einer Idee genausoviel Realität haben wie die Idee objektive Realität hat?


Eine Warnung vorweg: 'objektive Realität' bedeutet bei Descartes etwas vollkommen anderes als 'beobachterunabhängige Wirklichkeit'.

Realität
Im Schulwörterbuch für Latein, dem 'kleinen Stowasser', gibt es das Wort 'realitas' nicht. Aber es gibt einen Eintrag für das dazu gehörende Adjektiv 'realis':
realis, e (res) einen Gegenstand betreffend, auf einen Gegenstand bezogen; wirklich, real Ml.

Die alten Lateiner haben also nur etwas 'real' genannt, wenn es sich auf einen Gegenstand bezog, nicht etwa, wenn es selbst einer war. Erst im Mittelalter, das deutet das 'Ml.' an, hat man das Wort 'realis' etwa so gebraucht, wie wir heute 'real'. 'Realitas' kann man nach den Regeln der Grammatik bilden, und zwar steht es dann für die Eigenschaft, 'realis' zu sein.
Descartes verwendet das Wort 'realitas' normalerweise nicht allein, sondern meistens mit einem Zusatz. Er spricht dann von objektiver, formaler, oder subjektiver Realität (Hist. Wörterb. d. Philos., Art. 'realitas').

objektive Realität

Auch das Wort 'Objekt' wird noch nicht lange so gebraucht, wie wir es tun. Der Form nach ist es ein Partizip Perfekt Passiv zu dem Verb 'objicere', was so viel heißt wie

entgegenstellen, vorwerfen, tadeln.

'objectum' heißt also:

Entgegengestelltes, Vorwurf, Tadel.


Im Mittelalter wird das Wort Objekt etwa so verwendet, wie wir heute das Wort 'Vorstellung' verwenden würden.Zitat Heidegger, Zollikoner Seminare:

Ein objectum (...) ist im Mittelalter ein Entgegengeworfenes, aber wem entgegen? Meiner repraesentatio [Vorstellung]. Objekt im mittelalterlichen Sinne ist das bloß Vorgestellte, zum Beispiel ein gedachter goldener Berg, der gar nicht faktisch existieren muß (Heidegger, p. 153).

Der Begriff der 'Objektivität' ist nicht besonders alt. Er ensteht zwar wieder einfach grammatisch aus dem Wort 'Objekt' und bezeichnet die Eigenschaft, Objekt zu sein, aber verwendet wurde er erst gegen Ende des Mittelalters.

Descartes verwendet das französische 'objet' ziemlich genau so, wie wir es verwenden würden. Er spricht von einfachen Objekten (AT VI 18,28), von Objekten der Geometrie (AT VI 36,5), Objekten mit sinnlichen Eigenschaften (AT VI 55,16) etc. In den Meditationen kommt 'objicere' in der Bedeutung 'Einwände machen' vor, aber auch von Objekten der Außenwelt ist die Rede, etwa p. 64/8:

so daß ich keinen Gegenstand empfinden konnte (neque possem objectum ullum sentire), wenn ich auch wollte, wenn er nicht meinem Sinnesorgane gegenwärtig war (sensûs organo esset praesens, AT 75,10-4).

Hauptsächlich aber verwendet Descartes den Begriff 'Objekt' in Zusammenhang mit 'objektiver Realität einer Idee'.

Objektive Realität bedeutet, streng wörtlich genommen:

Vorgestellter Gegenstandsbezug

Descartes definiert, was er mit 'objektiver Realität' meint, in den zweiten Erwiderungen, p. 146/III:

Unter der objektiven Realität einer Idee verstehe ich den Seinsgehalt der durch die Idee vorgestellten Sache (res), sofern dieser in der Idee repräsentiert ist (AT VII 161,4-6).


Ist also mit 'objektiver Realität so etwas gemeint wie die 'Bedeutung' einer Idee? In der zweiten Meditation hatte Descartes folgenden Satz geäußert (Meiner p. 20, Abschn. 9.):

Ich bin also genau nur ein denkendes Ding, d. h. Geist, Seele, Verstand, Vernunft - lauter Ausdrücke, deren Bedeutung mir früher unbekannt war (AT VII 27,13-5).

Die Bedeutung des Wortes 'Geist' ist ihm also erst bekannt, seit er weiß, daß es einen Geist gibt. Wie kann es dann sein, daß er jetzt, bevor er mehr bewiesen hat als dort, schon mehr Bedeutungen kennt? Bevor er weiß, daß es einen Gott gibt, könnte er doch gar nicht wissen, was die Idee Gottes bedeutet!

Die Antwort ist einfach: In der zweiten Meditation hatte Descartes nicht über die objektive Realität der Ideen gesprochen, sondern über die Bedeutung der Worte, lateinisch:

voces mihi priùs significationis ignotae (AT VII 27,15), d.h.:
Worte, die mir vorher unbekannt waren hinsichtlich dessen, was sie bezeichnen.

Die objektive Realität einer Idee ist offenbar etwas anderes als die Bedeutung eines Wortes. Worte bedeuten zwar ab und zu Dinge, aber die objektive Realität einer Idee ist nicht einfach so ein Ding. Eine Idee kann objektive Realität haben, auch wenn das, was sie vorstellt, nirgends wirklich vorhanden ist. Ein Wort, das etwas bezeichnet, was es nicht gibt, bezeichnet eben nichts.

(Anmerkung: Ich verstehe hier Bedeutung im Sinne von Denotation.)

formale Realität

Formen sind im lateinischen alle möglichen Bestimmungen von Dingen. So ist zum Beipiel Klugheit oder Röte eine Form, nicht nur Rundheit oder Glätte.

Das Wort 'Realität' bedeutet hier wirklich so etwas wie 'Verwirklichung'. Etwas hat formale Realität, wenn es eine bestimmte Form hat. Descartes definiert:

Man sagt, daß etwas formal in den Objekten der Ideen vorhanden ist, wenn es in ihnen selbst qualitativ ebenso gegeben ist, wie wir es erfassen (p. 146/IV, AT VII 161,10-13).


eminent

Auch im klassischen Latein waren 'Eminenzen' schlicht Leute, die etwas galten. Wie kommt Descartes dann zu seinem Sprachgebrauch? Er schreibt:

Man sagt, daß etwas eminent in den Objekten der Ideen enthalten ist, wenn es zwar nicht ebenso darin enthalten ist, wohl aber ein solches Quantum an Realität darin ist, daß es die Stelle desselben vertreten kann (p. 146/IV, AT VII 161,13-4).

Vielleicht sollten wir also zunächst die Frage klären:

Wie kann es denn verschiedene Quanta von Realität geben?

Um das zu verstehen, hilft der Blick ins Wörtbuch nicht mehr viel, wohl aber das genaue Studium einer kleinen Stelle aus der dritten Meditation (p. 32/19):

Insofern jene Ideen nur gewisse Weisen des Bewußteins (d.i. der Denktätigkeit) sind, vermag ich unter ihnen keinerlei Ungleichheit zu entdecken, und alle scheinen in gleicher Weise von mir auszugehen, insofern aber die eine für diese, die andere für jene Sache steht, sind sie offenbar äußerst verschieden voneinander (AT VII 40,7-12; Übersetzung leicht variiert).

Descartes sagt hier, er könne seine Idee als solche nicht voneinander unterscheiden. Wir können vielleicht die Worte unserer Sprache auseinanderhalten, weil sie verschieden klingen, aber Ideen sind als solche nicht unterscheidbar. Eine Idee ist nämlich selbst die 'Form einer Denktätigkeit'. Buchenau übersetzt die Definition in den zweiten Erwiderungen (p. 145/II):

Unter dem Namen 'Idee' verstehe ich die Form eines jeden Bewußtseins, durch deren unmittelbare Erfassung ich eben dieses Bewußtseins bewußt bin;...

Dem Lateinischen entspricht genauer:

Unter dem Namen 'Idee' verstehe ich jede mögliche Form (Gestalt, Seinsart) einer Denktätigkeit, durch deren unmittelbare Erfassung (perceptionem) ich mir eben dieser Denktätigkeit bewußt bin;... (AT VII 160,14-6).

Was sind aber 'Formen von Denktätigkeiten'? Vielleicht denke ich manchmal schnell, manchmal langsam, klar oder verworren, aber die Form bleibt immer dieselbe: die 'Form' nämlich, 'von mir gerade gedacht zu werden'. Diese Form haben, oder besser: sind alle Ideen, die ich habe. Descartes bestimmt Ideen aber nicht nur als 'Formen' von Tätigkeiten der res cogitans. In der dritten Meditation schreibt er (Meiner p. 29, Abschn. 7):

Von den Denktätigkeiten sind einige gleichsam Bilder der Dinge, und für diese allein ist eigentlich die Bezeichnung 'Ideen' angemessen (AT VII 37,3-4).

Descartes hat sich hier etwas mißverständlich ausgedrückt. Er will nicht sagen, daß Ideen Abbilder von Dingen sind, sondern nur, daß sie Dinge darzustellen scheinen. In den Erwiderungen auf Hobbes' Einwände schreibt er (p. 164):

Unter dem Namen 'Idee' möchte Hobbes nur die Bilder der in der körperlichen Einbildungskraft sich abmalenden Dinge verstehen; (...) Nun habe aber ich meinerseits wirklich überall und vor allem an eben dem Orte gezeigt, daß ich unter dem Namen 'Idee' all das zusammenfasse, was unmittelbar vom Geiste erfaßt wird (AT VII 181, vgl. VII 37, VII 366 und III 392,28; aber VI 86,12.)

Es gibt also zwei Aspekte an einer Idee: der Form nach ist sie eine Tätigkeit oder ein Produkt des Denkens, dem Gehalt nach ist sie ein Bild von etwas. Wir können zwei Ideen nur darin unterscheiden, daß die eine Idee eine Idee 'von X' ist, die andere eine 'von Y'. Worte sind nicht in diesem Sinne Worte 'von etwas', sondern bestenfalls 'für etwas'.

Descartes ist sich bereits sicher, daß eine Idee 'von' etwas zu haben, das es wirklich gibt: nämlich die Idee der res cogitans. Er hat aber noch andere Ideen als diese, etwa die von einem Stück Wachs oder von spazierenden Automaten. Alle seine Ideen unterscheiden sich nicht durch ihre Form voneinander, insofern die Ideen sind.
Ich kann mehr über meine Ideen erfahren, wenn ich darauf achte, von was sie handeln: von denkenden Substanzen, Bienenwachs oder spazierenden Automaten. Die Ideen sind aber nicht selbst denkende Sustanzen oder spazierende Automaten, sie handeln nur von solchen. Wovon eine Idee handelt, sieht man nicht ihrer Form an, sondern nur ihrem Gegenstand. D.h. ihre formale Realität unterscheidet meine Ideen nicht voneinander, sondern nur ihre jeweilige objektive Realität. Entsprechend will ich versuchen, den Begriff 'objektive Realität einer Idee' einfach durch den der 'Unterscheidbarkeit einer Idee von einer anderen' zu ersetzen.
Es gilt also:
•Worte unterscheiden sich ihrer Form nach, Ideen nicht.
•Es gibt auf jeden Fall verschiedene Ideen, denn sonst wäre der Zweifelsversuch bereits beendet, sobald die Existenz der res cogitans bewiesen ist. Ich habe dann ja eine Idee von etwas, das existiert, und mehr Ideen als eine gäbe es nicht.
•Offenbar unterscheiden sich Ideen durch etwas, was nicht in ihrer Form liegt.

Nennen wir dieses etwas, wodurch sich die Ideen unterscheiden, einfach 'objektive Realität'.

Daß eine Idee mehr objektive Realität habe als eine andere, läßt sich jetzt einsehen: es gibt größere und kleinere Unterschiede zwischen Ideen. Je mehr eine Idee von allen anderen unterscheidbar ist, desto mehr objektive Realität hat sie. Descartes schreibt, unmittelbar nach der diskutierten Stelle (Meiner p. 32, Abschn. 19):

Denn ohne Zweifel sind die [Ideen], welche mir Substanzen darstellen, etwas mehr und enthalten sozusagen mehr objektive Realität in sich, als die, welche nur Modi oder Accidentien darstellen,... (AT VII 40,12-5).

In Übersetzung: die Ideen von Substanzen sind besser unterscheidbar als die Ideen von Eigenschaften.
Das ist kein Wunder, wenn wir uns erinnern, wie Descartes von klaren und deutlichen Ideen spricht. Eine klare und deutliche Idee zeichnet sich gerade dadurch aus, daß sie unabhängig von anderen Ideen gedacht werden kann. Auf Latein heißt eine klare und deutliche Idee 'clare et distincte', und es ist gerade die Distinktheit, Unterschiedenheit, die Descartes nun hervorhebt. Wenn er also behauptet, der Geist sei deutlicher erkennbar als der Körper, dann hat er damit schon längst gesagt, daß die Idee des Geistes distinkter, unterscheidbarer ist als die des Körpers (AT VII 33,22: distinctius; Meiner p. 26/23, Zeile 17).
Sie hat also mehr objektive Realität.

Descartes zeigt hiermit ein Krierium auf, anhand dessen die traditionelle Abfolge der Substanzen, die 'Great Chain of Being' (Lovejoy), motiviert werden kann. Gott, am obersten Ende dieser Kette, ist am ehesten als trennbar erkennbar, sein Begriff ist 'am meisten unterscheidbar' von allen anderen. Unterscheidbar ist ein Begriff A von einem Begriff B in dieser redeweise dann, wenn B nicht in der vollständigen Definition von A vorkommt. Damit gerät die reihenfolge der Wesenheiten in eine etwas andere Ordnung. Descartes hätte nicht, mit Plotin und Pseudo-Dionys, das Recht, die Materie ganz unten zu lokalisieren. Zwar entspricht ihr schon in der catesischen Ontologie nichts genau, aber wenn die res extensa deren Nachfolge antreten sollte, so steht fest: sie ist distinkter erkennbar als einiges andere. Anhand der cartesischen Kriteriums lassen sich nur die drei Substanzen in eine Reihenfolge bringen:
1.unendliche, denkende Substanz. Dem Begriff nach ist diese Substanz von nicht unterscheidbar als von dem endlichen als dem weniger vollkommenen. Dieses geht aber nicht in die Definition ein, da das Endliche kein Oberbegriff des Unendlichen sein kann.
2.endliche denkende Substanzen. Zwar folgt aus der Existenz endlicher denkender Substanzen die Existenz einer unendlichen solchen, sonst aber nichts. Die Existenz der materiellen Dinge folgt gemäß Wahrscheinlichkeit. Ihre Begriffliche Möglichkeit folgt durch den Analgieschluß, daß den Ideen von Sinnesdingen eine ähnliche Substanz zugrundeliege wie der Idee meiner selbst. Prinzipiell könnten aber alle weiteren Ideen direkt von Gott stammen.


Es ist noch ungeklärt, was nun 'eminent' heißen soll. Eine Realität ist in eminenter Weise in etwas enthalten, wenn dieses etwas in der Lage ist, so viel objektive Realität in einer Idee zu erzeugen, wie wenn es diese Realität selbst in formaler Weise hätte. Wie ist es überhaupt zu verstehen, daß etwas objektive Realität 'erzeugt'? Dazu müssen wir uns dem Satz zuwenden, daß jede Idee eine Ursache haben müsse, in der die objektive Realität der Idee auch objektiv, formal oder eminent enthalten ist.

Ideen können auf verschiedene Weisen zustande kommen.

Ideen verursachen Ideen. Der Fall, daß eine Idee auf etwas beruht, was genausoviel objektive Realität hat wie sie selbst, ist einfach. Objektive Realität ist etwas, was Ideen haben. Descartes definiert (Meiner p. 146, III):

Unter der objektiven Realität einer Idee verstehe ich ... (AT VII 161,4)

Es geht also um den Fall, daß Ideen Ursachen von anderen Ideen sind. Das passiert zum Beispiel, wenn die Ideen eines Pferdes und eines Vogels die Idee eines geflügelten Pferdes verursachen.

Dinge verursachen Ideen (1). Wenn die Ursache für die objektive Realität eine genauso große formale Realität hat, können wir so übersetzen: Daß sich eine Idee-von-X von einer anderen Idee-von-Y unterscheiden läßt, liegt nur daran, daß sich X und Y in derselben Weise unterscheiden. Der Unterschied, der bei den Ideen nur in ihrer objektiven Realität lag, liegt in der Form der Dinge X und Y.

Dinge verursachen Ideen (2). Es muß nicht sein, daß derselbe Unterschied zwischen den Dingen besteht wie zwischen den jeweiligen Ideen von diesen Dingen. Es ist möglich, daß ich von zwei verschiedenen Dingen dieselbe Idee habe, oder daß zwei Dinge unterschiedliche Ideen bewirken, wenn sie zwar voneinander unterschieden sind, aber in anderer Weise. Es ist auch möglich, daß ein und dasselbe Ding zwei verschiedene Ideen verursacht, wenn es nämlich irgendwie fähig ist, unterschiedlich auf mein Denken zu wirken.

Damit wird vielleicht ein wenig verständlicher, wie eine Realität in eminenter Weise in etwas enthalten sein kann. Dieses Etwas ist dann in der Lage, einen Unterschied zwischen Ideen zu bewirken, ohne ihn selber in dieser Form an sich zu haben. Descartes schreibt (p. 36/25 Ende):

Ausdehnung, Lage, Gestalt und Bewegung (...) können (...), wie es scheint, in eminenter Weise in mir enthalten sein (AT VII 45,4-8).

Wie geht dies vor sich? Ich, die res cogitans, bin der Form nach weder ausgedehnt, noch habe ich eine Lage, Gestalt, oder Bewegung. Allerdings kommen die Ideen der Ausdehnung, Lage usw. offenbar aus dem Denken, da die ausgedehnte Substanz, sozusagen das Wachs an sich, nichts sinnliches ist. Also bin ich in der Lage, die Ideen der Ausdehnung usw. zu bilden. Dies kann ich, in dem ich die Idee der Substanz mit Eingenschaften, die ich von mir selbst habe, auf die sinnlich wahrnehmbaren Dinge übertrage.

Eine Realität in eminenter Weise zu enthalten entspricht also der Fähigkeit, Sachgehalte von Ideen hervorzubringen und sie dadurch unterscheidbar zu machen. Eine Frage bleibt: Warum ist nicht auch die Idee Gottes in mir in eminenter Weise enthalten? Offenbar bin ich doch in der Lage, sie irgendwie 'hervorzubringen'.
Die Idee Gottes ist genauer die Idee einer unendlichen, denkenden Substanz. Ich selbst jedoch, der ich ja zweifle, bin endlich - wäre ich nicht endlich, würde ich nicht zweifeln.

Wie berechtigt ist die Forderung, eine Idee könne nur von etwas verursacht werden, das dasselbe Quantum an Realität hat? Es entspricht dem Satz:

Unterschiede entstehen nicht aus dem Nichts.

Dies wiederum ist nichts weiter als eine allgemeinere Fassung des Prinzips

Jede Veränderung hat eine Ursache.


Eine Idee selbst hervorzubringen heißt: etwas sich auszudenken. Um sich die Idee einer unendlichen Substanz hervorzubringen, muß die res cogitans entweder selbst der Form nach unendlich sein, oder in eminenter Weise. Der Form nach ist die res cogitans endlich. Was aber hieße es, in eminenter Weise unendlich zu sein? Es hätte zur Folge, daß sich die res cogitans alles uneingeschränkt denken kann, was offenbar auch nicht der Fall ist. Die res cogitans hat zwar die Idee einer unendlichen Substanz, aber nicht die Kapazität zu unendlich vielen Ideen.

Damit sind wenigstens ein paar Begriffe geklärt, alles andere überlasse ich den Anwesenden.
 
AW: Gibt es objektive Realität?

Fortsetzung folgt!

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Objektive Realität
Descartes verwendet den Begriff der Substanz im Discours de la Méthode noch nicht terminologisch.gif Das erste Mal kommt er in den Meditationen relativ unvermittelt vor, im Zuge des Gottesbeweises der dritten Meditation und zusammen mit anderen traditionellen Termini wie realitas obiectiva, modus und accidens:
Ohne Zweifel nämlich sind die Ideen, die mir Substanzen darstellen, in etwas größer oder, wie man sagt, sie enthalten mehr realitas obiectiva in sich, als diejenigen, die bloß für Weisen (modi) oder Zustände (accidentia) stehen.gif
Wie ist es zu verstehen, dass bestimmte Ideen mehr objektive Realität (realitas obiectiva) enthalten? Zunächst ist wichtig, bei dem Wort realitas obiectiva nicht an das zu denken, was wir heute unter ,objektiver Realität` verstehen.gif Das klassische Latein versteht unter realitas vornehmlich den Bezug auf einen Gegenstand und gerade nicht die Unabhängigkeit eines Gegenstandes von solcher Bezugnahme. Das lateinische objicere bedeutet ursprünglich ,vorwerfen, tadeln` oder ,entgegenstellen`und in dem entsprechenden Sinn von ,vorgestellt` wird auch der Begriff obiectum bis ins späte Mittelalter gebraucht. Eine realitas obiectiva ist also, dem Wortsinn nach, erst einmal ein ,vorgestellter Gegenstandsbezug`.gifEs ist aber ebenso irreführend, den cartesischen Begriff der objektiven Realität mit unserem der subjektiven Vorstellung gleichzusetzen.gif Die realitas obiectiva einer Idee ist nicht vollständig in dem Subjekt, das diese Idee hat, sondern sie ist das ihr Vorgestellte.gif Was vollständig im Subjekt ist, nennt Descartes die formale Realität der Idee. Der Begriff der objektiven Realität wird eineentscheidende Rolle bei der Diskussion des cartesischen Substanzbegriffesspielen. Ich werde dazu der Bemerkung folgen, Substanzen hätten mehrObjektivität als modi. Nach diesen Vorbemerkungen gilt es aber zunächst, Klarheit über den cartesischen Ideebegriff zu gewinnen. Was eine Idee ist, definiert Descartes im Anhang zu den zweiten Erwiderungen.gif
Unter der Bezeichnung Idee verstehe ich jene Form einer jeden Denktätigkeit, durch deren unmittelbare Erfassung ich mir eben dieser Denktätigkeit bewusst bin.gif
Wenn hier von Erfassung (perceptio) einer Idee durch das ego die Rede ist, sollte dies im Sinne der Annahme einer gewissen Denkform durch das Denken verstanden werden. Descartes gebraucht percipere in der Regel nicht, wenn es um das Wahrnehmen geht.gif Auch Louis de la Forge trennt, im Anschluss an Descartes, perception von aperception, so dass unter perception die Formung des Geistes zu verstehen ist, durch die er eine Idee hat. Die perception ist das, wodurch wir der Gestalt unserer Gedanken ,sicher sind`.gif In einem Brief an Mersenne vom 28. Januar 1641 schreibt Descartes, das Erfassen einer Idee sei nicht anderes als die Idee selbst.gif Wenn das Erfassen einer Idee in der Formung des Geistes besteht, ist dies erklärbar. Formung kann zugleich der Akt wie auch das Resultat einer Formgebung genannt werden. An Regius schreibt Descartes im Juni 1642, das Wesen einer Idee bestehe darin, dass sie ein gewisser modus im Geiste sei.gif Ein modus ist wiederum eine gewisse Art des Geistes, zu sein. Auch eine Form ist, allgemein und gemäß dem scholastischen Verständnis verstanden, eine beliebige Art und Weise eines Dinges, zu sein. Descartes versteht unter einer Idee also eine Formung oder einen modus des Geistes und dass der Geist diese Form annimmt, darin besteht die Formung des Geistes. In den dritten Erwiderungen schreibt Descartes, so verstanden, Ideen seien Formen einer Formung (perceptionis).gif Eine Idee ist demanch die Art und Weise, in der der Geist sich eine Form gibt.gifIm Vorwort an den Leser der Meditationen unterscheidet Descartes zwei Weisen, Ideen zu betrachten:
Man kann darunter nämlich materialiter eine Operation des Verstandes verstehen, in welchem Sinne man sie [die Idee Gottes] nicht vollkommener [als andere Ideen] nennen kann. [Man kann darunter aber] auch obiective die Sache verstehen, die durch diese Operation dargestellt wird, und wenn diese Sache auch nicht außerhalb des Denken existieren mag, so kann sie ihrer inhaltlichen Bestimmung nach (suæ essentiæ) dennoch vollkommener genannt werden.gif
Einerseits kann an einer Idee also hervorgehoben werden, dass sie eine Form des Denkens ist, andererseits, dass sie etwas vorstellt. Descartes scheint weiter zu unterstellen, dass von der einfachen Betrachtung der Form einer Idee kein Aufschluss über ihren Gegenstand zu erwarten sei. Es sei prinzipiell etwas anderes, eine Idee ihrer Form als Denkform nach zu untersuchen, als ihrem Gegenstand nach. Eine weitere Unterscheidung zieht Descartes in den vierten Erwiderungen mit ähnlichen Worten:
Da diese Ideen gewisse Formen sind und nicht [selbst] aus irgendeiner Materie zusammengesetzt sind, werden sie, so oft sie hinsichtlich einer Sache, die sie darstellen, betrachtet werden, nicht materialiter, sondern formaliter aufgefasst, wenn sie aber betrachtet würden, nicht insofern sie dieses oder jenes darstellen, sondern allein insofern sie Operationen des Verstandes sind, kann man sagen, sie würden materialiter aufgefasst, aber dann hätten sie keinen Bezug zu irgendeiner Weise des Wahr- oder Falschseins ihres Gegenstandsbezugs.gif
Die Argumentation lautet hier: Ideen sind nicht materiell, also können auch die Ideen, die etwas Ausgedehntes darstellen, nicht selbst ausgedehnt sein. Ihrer Form nach (formaliter spectata) sind Ideen nicht Teil der ausgedehnten Welt. Die Ausdehnung ist nicht die Form einer Idee, sondern ihre Materie, also dasjenige, von der die Idee handelt. Offenbar ist die Terminologie alles andere als eindeutig. Hier nennt Descartes formaliter scheinbar diejenige Auffassung, die er oben als obiective von der formalen abgesetzt hatte. Zwischen der Definition aus dem Anhang zu den zweiten Erwiderungen und den beiden soeben zitierten Stellen besteht ebenfalls eine gewisse Spannung. Einerseits definiert Descartes Ideen selbst als Formen des Denkens und damit als Formen des denkenden Dinges (res cogitans). Andererseits spricht er von der Form einer Idee im Gegensatz zu ihrem Inhalt und nennt auch Letzteren ,Idee`. Es ist allerdings zu beachten, dass Descartes im Anhang zu den zweiten Erwiderungen eine kurze Darstellung beabsichtigt,gif und er dementsprechend stillschweigend die Entscheidung fällt, nur in dem Sinne von Ideen zu sprechen, den er im Vorwort an den Leser als formaliter charakterisiert hat. In den weiteren Definitionen der Begriffe realitas obiectiva, formaliter und eminenter, die er im Anhang zu den zweiten Erwiderungen gibt, spricht er stets von Objekten von Ideen, nicht von Ideen obiective spectatæ. In einem Brief vom Juli 1641 schreibt Descartes aber kurz:
Ich nenne generell alles das eine Idee, was in unserem Geist ist, wenn wir ein Ding erfassen, der Art nach, wie wir es erfassen.gif
Allgemein ist offenbar jede Tätigkeit des Geistes Idee zu nennen, bei der es um ein Ding geht.gif Andreas Kemmerling hat die Vermutung geäußert, Descartes unterscheide insgesamt drei Aspekte an Ideen: Ideen materialiter ihrer Form nach, obiective ihrem vorgestellten Gegenstandsbezug nach und formaliter hinsichtlich der Form des existierenden Gegenstandes, den sie bezeichnen.gif Indem Descartes an der Existenz der Außenwelt zweifelt, bleiben von diesen Aspekten diejenigen übrig, die nicht unmittelbar mit der Außenwelt zusammenhängen: die Form einer Idee selbst und ihr vorgestellter Gegenstandsbezug. Sofern Ideen als Darstellung von etwas betrachtet werden, will ich im Folgenden von ihrer objektiven Realität sprechen. Zwischen der formalen und der materialen Realität einer Idee in Kemmerlings Sinne mache ich für meine Zwecke keinen Unterschied - beide mögen einer Idee zukommen, sofern sie nicht als Vorstellung von etwas betrachtet wird. Als Form, zu Denken (cogitationis forma), möchte ich festhalten, unterscheiden sich Ideen nicht voneinander. In der dritten Meditation, an einer kritischen Stelle seines Gottesbeweises, schreibt Descartes:
Indem diese Ideen nämlich nichts als gewisse Weisen des Denkens sind, erkenne ich keine Ungleichheit zwischen ihnen und alle scheinen in gleicher Weise von mir auszugehen.gif
Die Unterscheidbarkeit von Ideen, fährt er fort, liegt in ihrer realitas obiectiva.
Sofern jedoch eine [Idee] eine Sache vorstellt, eine andere eine andere [Sache], sind sie offenbar voneinander sehr verschieden.gif
Ideen sind also nur bezüglich ihres vorgestellten Gegenstandsbezuges voneinander unterscheidbar. dass der einzige Unterschied, den Ideen untereinander haben, in dem Gegenstand liegt, den sie vorstellen, unterscheidet Ideen von Worten und eventuell Begriffen, die ja auch der Form nach voneinander verschieden sind.Ideen unterscheiden sich also zunächst dadurch, dass sie einen je verschiedenen Gegenstandsbezug vorstellen. Darüber hinaus können Ideen unabhängig voneinander sein. Diese Unabhängigkeit kann nur in ihrer Verschiedenheit, also in ihrer objektiven Realität begründet sein. Eine Idee kann dann als unabhängig von einer anderen gelten, wenn sie etwas vorstellt, das ohne Bezug auf diese andere Idee vorstellbar ist. Das bedeutet insbesondere, dass der Gehalt zweier voneinander unabhängiger Ideen gesondert definiert werden kann. Eine Idee A ist dann von einer Idee B unabhängig, wenn sie ihrem Inhalt nach definierbar ist ohne Bezugnahme auf B.
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•realitas objectiva
•Objekt
•Kant, KrV B 211, 214.

Descartes argumentiert in seinem Beweis der Existenz Gottes unter anderem damit, daß eine wirkende Ursache mindestens soviel Objektivität (realitas objectiva) besitzen müsse wie ihre Wirkung:

Jam vero lumine naturali manifestum est tantumdem ad minimum esse debere in causa efficiens & totali, quantum in ejusdam in causae effectu (AT VII 40).

Wie diese Gradabstufung zu verstehen ist, hatte er bereits (einge Zeilen zuvor) erläutert:

Nam proculdubio illae quae substantias mihi exhibent, majus aliquid sunt, atque, ut ita loquar, plus realitatis objectivae in se continent, quam illae quae tantum modos, sive accidentia, repraesentant; & rursus illa per quam summum aliquem Deum, aeternum, infinitum, omniscium, omnipotentem, reumquae omnium, quae praeter ipsum sunt, creatorem intelligo, plus prosecto realitas objectivae in se habet, quam illae per quas finitae substantiae exhibentur.

Demnach herrscht folgende Reihenfolge dem objektiven Realitätsgehalt nach:
1.Gott hat die meiste realitas objectiva,
2. danach kommen die Substanzen, da sie durch Gott bewirkt sind,
3. schließlich die Akzidentien und Modi.

Damit herrscht zwischen Gott und den Substanzen (evtl.) formal derselbe Gegensatz wie zwischen Substanzen unf Akzidentien. Worin aber besteht er, und wie ist das Argument von der wirkenden Ursache auf das 'Realitätsgefälle' zu verstehen?
Auf beides läßt sich dieselbe Antwort geben, die sich in Descartes' Substanzbegriff niederschlägt:Substanz ist, was unabhängig von anderem bestehen kann. Nun kann aber Gott unabhängig von seiner Wirkung bestehen (wie jede causa efficiens), und die Substanzen selbstredend von ihren Modi und Akzidentien. Daß Gott causa efficiens aller Dinge (res) einschl. meiner selbst ist, bedeutet, daß er (im aristotelischen Sinne) vor diesen Bestand hat, ihr Grund ist. Und daraus folgt, daß ihm mehr realitas objectiva zukommt.

Die Bestimmung der Realität anhand der relativen Unabhängigkeit hängt aber auch direkt mit dem Kern der cartesischen Metaphysik und dem Beginn der Mediationen zusammen: So wie die relleren Dinge die relativ unabhängigeren sind, sind sie auch diejenigen, die bleibenderen Bestand haben. Denn gerade darin besteht die Unabhängigkeit, um die es hier geht: im unabhängigen Bestand. Um so bleibenderen Bestand etwas hat, um so gewisser ist es auch, und umgekehrt (scientia est de necessariis). Descartes geht also den Weg des radikalen Zweifels auch dehalb, weil er anhand der Möglichkeit, sich über etwas zu irren, Grade der Objektivität ermitteln will. Wenn auch die Erkenntnis qua irrende von Wandelbarem handelt, so findet sich gerade am Irrtum ein Beständiges: das ego, das irrt. Deswegen ist dieses ego naturgemäß als Substanz relativ zum Irren selbst anzusehen, es hat mehr objektive Realität, weil es causa efficiens des Irrtums ist.

Dies findet sich, wie so vieles, bereits bei Augustin, der damit platonisches Gedankengut reformuliert:

Was wirklich ist, war nach Augustin das Beharrende, Bleibende. Da die Substanz bleibt, wenn ihre Eigenschaften wechseln, ist sie in höherem Maße wirklich (Flasch, Denken p. 96).

Kurt Flasch (Denken, p. 84f.) sieht dies in erhellender Weise im Kontext der Völkerwanderung:

'Wirklich' ist danach, was bleibt. Geschichtliche Wandlungen sowie körperliches Werden und Vergehen verdienen kein Interesse; sie werfen keine begrifflichen Strukturen, keine in Definitionen faßbare Erkenntnislehre ab; sie bestätigen nur den hinfälligen, vom Nichts durchdrungenen Zustand der geschaffenen Welt. Nun wurde zwar der Wirklichkeitsbegriff Augustins, des Boethius und des Dionysius zur Zeit der Völkerwanderung konzipiert; aber er wurde unter Bedingungen formuliert, die noch nicht durchweg von der großen Wanderungsbewegung geprägt waren; man kann ihn nicht aus den Bedingunge des historischen Umbruchs 'erklären'. (...)
Daß die Menschen vom 4. bis ins 9. Jahrhundert weniger Möglichkeiten hatten, macht ihre Neigung verständlich, allein das Bleibende als wirklich anzuerkennen (...).

(Siehe De Trinitate VII 5,10, aber auch Boethius, Quomodo Substantiae und Consolatio 3)
Es ist nach der obigen Überlegung noch unklar, ob Gott selbst, da er ja die meiste objektive Realität hat, auch am ehesten Substanz genannt werden könne. Descartes bejaht dies bekanntlich in dem Maße, daß er sogar schreibt, Gott sei am ehesten Substanz zu nennen. Augustinus verneint es, da Substanz von 'subsistere' komme, Gott aber keinem anderen zu Grunde liege. Dies drückt sich darin aus, daß er keiner Veränderung fähig ist. Da das aristotelische Paar von Substanz und Akzidenz gerade die Funktion hat, Veränderung darstellbar zu machen, kann es für Gott ohne weiteres entfallen. Gott hat keine Akzidentien, ist also in diesem Sinne auch nicht Substanz zu nennen (Augustinus).

Er allein ist im wahren Sinne des Wortes, weil er unveränderlich ist, und diesen seinen Namen nannte er seinem Diener Moses, als er sagte: 'Ich bin, der ich bin', Exodus 3,14 (De Trin. VII 5,10)

Ebenso müßte man die Substanzialität des ego bestreiten, wenn es denn nichts zugrundeläge. Jedoch ist das ego gerade auch: Subjekt. Was dem Subjekt an Veränderlichem anhaftet, ist nicht ganz klar. Es kommen seine cogitationes in Frage, aber von einem göttlichen Intellekt ist auch gesprochen worden, ohne daß dieser Gottes Akzidenz sei. Wesentlich für den Unterschied zwischen göttlichem Intellekt und menschlicher cogitatio ist Äußerlichkeit. Der menschliche Intellekt kann nur in Zeit und Raum erkennen. Allgemeiner gesprochen ist der menschliche Intellekt durch seine Anfälligkeit für Irrtum weniger 'bleibend' als der göttliche. (In diesem Sinne versucht Descartes gerade, das göttliche am menschlichen Intellekt zu isolieren: das Zweifelsfreie.) Irrtum ist hier als Wandel des Intellekts zu verstehen, also als bereits eingesehener Irrtum (was durchaus vernünftig ist). Insofern der menschliche Intellekt seine Meinung über ein und denselben Tatbestand ändern kann, ist er Substanz zu einem Akzidenz, das wechselt.

Damit ist auch bzgl. der substanziellen Attribute klar: Sie sind nicht wandelbare Eigenschaften eines Zugrundeliegenden, sondern in ihnen besteht dieses Zugrundeliegende selbst. Attribut der res cogitans ist das Denken, gerade weil im Denken- und Urteilenkönnen die Wandelbarkeit der Substanz besteht. Die Wandelbarkeit der res extensa besteht in der Varianz in Raum und Zeit. Substanzielle Attribute bestimmen also genauer Dimensionen möglichen Wandels. Es kann mithin auch ebensoviele Substanzen geben, wie Dimensionen des Wandels unabhängig voneinander möglich sind, und eben aus diesem Grund ist auch Gott keine der Substanzen: er unterliegt keinem Wandel.

Nachtrag Offenbar kann nach dem modernen Ursachenbegriff eine Ursache nicht unabhängig von ihrer Wirkung bestehen. Ist nämlich A hinreichend für B, so ist B eben für A notwendig. Das heißt gerade, daß A nicht ohne B bestehen kann. Wie kann also eine causa efficiens unabhängig von ihrer Wirkung sein? Aristoteles trifft die relevante Unterscheidung (auch) in Met Theta 1018a5-8:

...so müssen die vernunftlosen Vermögen, sobald sich so, wie sie vermögend sind, das Tätige und das Leidende nähern, das eine tätig, das andere leidend sein; bei den vernünftigen aber ist dies nicht notwendig.
http://www.borishennig.de/texte/descartes/grade.php
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AW: Gibt es objektive Realität?

Descartes und Kant, als zwei prominentesten Philosophen in Europa, haben es versucht!
DESCARTES:

hab zwar nicht alles gelesen aber eine idde von der realen objektiviät besteht doch darin wer oder wieviele ausagen zu einem ding machen können:verwirrt1
also nehmen wir eine vase,diese kennt jeder aber jeder hat bei dieser vase doch einen oder mehrer gedanken.würde ich jetzt zb. alle menschen fragen was sie sehen und das sagen würden,dies dann zusammen fassen hätte ich doch eine annähernde objektive realität?
 
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AW: Gibt es objektive Realität?

Fortsetzung folgt!
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Hist Wb., art. Objekt:

Objekt (griech. antikeimenon, hypokeimenon; lat. obiectum; dtsch Gegenwurff, Gegenworf, Vorwurf, Gegenstand; ...).
Wird das antikeimenon als das einem Vermögen der Seele Gegenüberstehende begriffen, so hat es die Bedeutung 'Objekt'. Aristoteles unterscheidet in diesem SInne schon zwischen sinnfälligen und interlligiblen Objekt. (...)
Der Begriff 'Objekt' ist aber auch als lateinische Ü,bersetzung des griechischen hypokeimenon anzusehen. (...)

(über den Begriff 'Gegenwurf' in der deutschen Mystik, siehe Valentin Weigel, Der güldne Griff (1616):)

Wahrhaftes Erkennen vollzieht sich Tradition gemäß ohne die Affizierung durch ein äßeres Objekt. (...)
Bis ins 18. Jh. ist der Begriff des 'Vorwurfs' im Sinne des Objekts gebrächlich geblieben. (...)

In der Scholastik wird der Begriff 'Objekt' erst seit dem 13. Jh. offenbar gebraucht, und zwar zur Diskussion der Frage, welche Erkenntnisvermögen die von ihrem Körper losgelöste Seele noch habe.

Dieser Sinn des Begriffs ist auch bei der Frage nach der Erkenntnisweise der 'anima separata' deutlich zu erkennen. Strittig ist, ob im Stande der Gnade die Objekte aller Sinne oder nur einiger erhalten bleiben oder nicht. Nach Bonaventura sind die Objekte gewisser Sinne absolute Proprietäten, die im glorifizierten Körper gefunden werden, wie z. B. die Farbe des Gesichtssinns und die Leichtigkeit des Tastsinns'. Die Objekte dieser beiden Sinne müsssen auch im Stand der Seeligkeit erhalten bleiben, weil der Auferstehungsleib mit Licht und Leichtigkeit ausgestattet ist.

Dem entspricht ziemlich genau die Einteilung in primäre und sekundäre Qualitäten, sofern nicht auf der Verschiedenfarbigkeit als solcher, sondern auf der Flaächigkeit das Augenmerk liegt.
Der Rede von einem Objekt geht die Unterstellung eines actio/passio-Verhältnisses voraus:

'Man muß sagen, daß Objekt nicht Materie ist, aus der [etwas hervorgeht], sondern die Materie, um die [es geht]: ...' (sth IaIIae 18,2)

Mit Bezug auf Albert, Super Dion. Div. Nom. c. 4, n. 12 (Opera Omnia 37/1, 121,20ff.):

So hat das Objekt seine Bestimmtheit als solche von der Sache selbst, 'im intelligiblen Sein' ist sie aber erst durch das Licht des tätigen Intellekts. Vor diesem Hintergrund wird die These des Dietrich von Freiberg verständlich, die besagt, daß die erkannte Sache durch die Tätigkeit des Intellekts die Bestimmtheit des Objekts erhalte', während die Sinne und die Einbildungskraft diese Bestimmtheit in der Sache immer schon voraussetzen.

Stichwort 'Objektivität':

Heinrich von Gent und Matthaeus ab Aquasparta stehen etwa gleichzeitig am Anfang der langen Geschichte der Lehre vom objektiven Sein, wonach 'Objekt' schlicht das bedeutet, was durch den menschlichen Verstand erkannt werden kann. (...)Nach Matthaeus eingängiger Bestimmung ist eigentliches Objekt des Intellekts vielmehr die 'vom Intellekt begriffene Washeit selbst, insofern sie auf das ewige Urbild bezogen ist, das sich zum Intellekt in der Weise des bewegenden verhält'. (...)
Heinrich von Gent war wohl der erste, der in diesem Sinne für die Wahrheit der Sache, d. h. für das durch den menschlichen Intellekt erkannte Wesen, insofern es erkannt ist, den Begriff des Objekts in der Erkenntnis bzw. im Erkennenden geprägt hat.

(spanische Scholastik:)

...hat F. Toletus die dreifache Bedeutung des Begriffs interpretiert. Als zugleich bewegendes und begrenzendes Objekt muß jenes verstanden werden, was (wie z. B. der gesehene Stein) dem Vermögen die Species seiner selbst eindrückt und zugleich auch erkannt wird. Das nur terminierende, aber nicht bewegende Objekt wird vom Vermögen zwar erfaßt, ohne daß dieses jedoch durch ein Bild von der Sache beeinflußt würde. Das nur bewegende Objekt schließlich wird durch das Vermögen nicht eigentlich erkannt.

Objektive Realität:
•Cronin.
•Realität.
•Descartes: AT VII 8; 40f.; 79,20; 102; 160; VIII 11.
•ontologischer Status unklar: Perler p. 81. Dessen Interpretation.
•Objektive Realität entspreche intentionalem Gegenstand: Perler p. 115.

Da Descartes Überlegungen über seine Ideen als gehaltvolle anstellen kann, weil er mit der Untersuchung der Objektseite seiner Ideen stets schon über die Spaltung zwischen Subjekt und Objekt hinaus denkt, können seine Ideen nicht aus ihm selbst stammen.

http://www.borishennig.de/texte/objekt.php
 
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