hyperion
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Georg Simmel
Es ist keine ganz seltene Erfahrung, daß Mächte persönlicher und sachlicher Art, in unser Leben in einem gewissen Maße eingreifend, als Störungen und Unangebrachtheiten empfunden werden, diesen Wirkungscharakter aber in dem Augenblick verlieren, in dem sie das Maß ihres Sichanbietens und ihrer Ansprüche erheblich steigern. Was sich als Teil und relative Größe nicht mit den anderen Elementen des Lebens, in die es sich verflicht, vertragen wollte, kann als Absolutes und Herrschendes ein organisches, befriedigtes Verhältnis zu ihnen gewinnen. Einer Liebe, einem Ehrgeiz, einem neu auftauchenden Interesse wollen sich oft die bereits bestehenden Lebensinhalte nicht koordinieren; sobald aber Leidenschaft oder Entschluß sie in das Zentrum der Seele stellen und die Gesamtheit unserer Existenz auf sie abstimmen, so ist auf dieser ganz neuen Basis überhaupt ein neues Leben gegeben, dessen Tonart wiederum eine einheitliche sein kann. Diese Schicksalsform hat sich nicht selten an inneren religiösen Entwicklungen realisiert. Wo die Ideale und Forderungen der Religion nicht nur mit Trieben niederer Art, sondern auch mit Normen und Werten geistigen und sittlichen Wesens in Widerspruch geraten, da ist der Ausweg aus solchen Verschiebungen und Verwirrungen oft nur so gefunden worden, daß jene ersteren Ansprüche ihre relative Rolle immer weiter und bis zu einer absoluten steigerten; erst indem die Religion den entscheidenden Grundton für das Leben gab, gewannen dessen einzelne Elemente wieder das rechte Verhältnis zueinander oder zum Ganzen. Nun erringt ein Element diese zentrale Wirksamkeit in der Praxis wohl nur unter schweren Kämpfen gegen andere, die bei dieser Neuordnung nur zu verlieren haben. Indem wir einer Mehrheit solcher Forderungen ein Recht zugestehen müssen, d. h. es jeder einzelnen sowohl nach ihrem eigenen inneren Anspruch verleihen, wie nach ihrer Fähigkeit, das Leben einheitlich zu organisieren – entsteht zunächst ein Widerspruch und Konflikt, der wenigstens prinzipiell, wenigstens theoretisch lösbar sein muß, wenn das Leben nicht schon in seiner fundamentalen Möglichkeit heillos zerspalten bleiben soll. Die theoretische Spekulation hat hier die Art der Schlichtung vorgezeichnet. Als das Problem des Durcheinanderwirkens des körperhaften und des geistigen Daseins die Denker zu beunruhigen begann, löste Spinoza jene Unverträglichkeit so auf, daß die Ausdehnung auf der einen Seite, das Denken auf der andern das ganze Dasein je in ihrer Sprache ausdrückt; sie vertrugen sich, sobald sie nicht mehr als relative Elemente ineinandergriffen, sondern jedes die Totalität der Welt für sich beanspruchte und auf seine Art lückenlos darstellte. So wird es sich also um die allerallgemeinste Maxime handeln, daß jede der großen Formen unserer Existenz als fähig erwiesen werden muß, in ihrer Sprache die Ganzheit des Lebens zum Ausdruck zu bringen. Die Organisierung unseres Daseins vermittels der absoluten Herrschaft eines Prinzips auf Kosten aller andern, würde so auf eine höhere Stufe gehoben werden: jedes würde innerhalb des von ihm souverän geformten Weltbildes keine Störung durch das andere zu fürchten haben, weil es diesem andern das gleiche Recht der Weltformung einräumt. Sie könnten sich nun prinzipiell so wenig kreuzen, wie Töne mit Farben. Zum Grunde liegt hier die Scheidung der Formen von den Inhalten des Daseins. Diese Scheidung, ausgehend von der primitivsten Praxis, mit der wir die gleiche Materie zu den mannigfachsten Formen verarbeiten, die gleiche Form in mannigfachen Stoff prägen – wird zum allumfassendsten Schema für die Bildung einer Welt und die Deutung aller Weiten der Lebensgestaltung. Wir können uns vorstellen, daß alle Arten, auf die der Mensch handelnd und schöpferisch, wissend und fühlend lebt, Ordnungsarten oder Kategorien seien, die den unendlich ausgedehnten, aber innerhalb aller Formungen identisch bleibenden Daseinsstoff in sich aufnehmen. Und jede dieser Kategorien ist prinzipiell befähigt, die Ganzheit dieses Stoffes nach ihren Gesetzen zu bilden. Der künstlerische Mensch und der wissenschaftliche, der genießende und der handelnde – sie finden alle ein gleiches Material an Greifbarkeiten und Hörbarkeiten, an Impulsen und Schicksalen, und ein jeder, insofern er rein Künstler oder Denker, Genießer oder Praktiker ist, gestaltet daraus ein besonderes Weltganzes; vorbehalten daß, was der eine schon geformt hat, für den anderen manchmal erst Stoff ist, und daß jede solche Form, wie sie sich an einem historischen Punkte der endlosen Entwicklung unserer Art anbietet, sich den Stoff nur ganz fragmentarisch, nur in ganz wechselnden Verhältnissen zueignen kann; vorbehalten auch, daß wir diesen Stoff wahrscheinlich nie in seiner Reinheit ergreifen können, sondern immer nur schon in Formung zum Bestandteil irgend einer Welt. Und damit deutet sich die Vielheit und die Einheit der geistgestalteten Welten: formende Kategorien, deren jede ihrem Motiv nach eine ganze, eigengesetzliche, aus einheitlichem Grundtrieb in sich beschlossene Welt bedeutet. Und alle diese Welten aus einem und demselben Material gebaut, aus letzten Weltelementen, die je nach der synthetischen Strömung, in die der Geist sie reißt, künstlerische, praktische, theoretische werden; auf der anderen Seite aber ebenso zusammengehalten von dem einreihigen Verlauf des seelischen Lebens. Denn dieses ergreift aus der Vielheit jener Welten, die sozusagen als ideelle Möglichkeiten vor uns, in uns liegen, immer nur Bruchstücke, um sich aus ihnen zusammenzuleben, wobei es freilich in seinen wechselnden Zwecken und seinem labilen Gesamtgefühl jene zu harten Konflikten aneinanderstoßen läßt.
Es ist keine ganz seltene Erfahrung, daß Mächte persönlicher und sachlicher Art, in unser Leben in einem gewissen Maße eingreifend, als Störungen und Unangebrachtheiten empfunden werden, diesen Wirkungscharakter aber in dem Augenblick verlieren, in dem sie das Maß ihres Sichanbietens und ihrer Ansprüche erheblich steigern. Was sich als Teil und relative Größe nicht mit den anderen Elementen des Lebens, in die es sich verflicht, vertragen wollte, kann als Absolutes und Herrschendes ein organisches, befriedigtes Verhältnis zu ihnen gewinnen. Einer Liebe, einem Ehrgeiz, einem neu auftauchenden Interesse wollen sich oft die bereits bestehenden Lebensinhalte nicht koordinieren; sobald aber Leidenschaft oder Entschluß sie in das Zentrum der Seele stellen und die Gesamtheit unserer Existenz auf sie abstimmen, so ist auf dieser ganz neuen Basis überhaupt ein neues Leben gegeben, dessen Tonart wiederum eine einheitliche sein kann. Diese Schicksalsform hat sich nicht selten an inneren religiösen Entwicklungen realisiert. Wo die Ideale und Forderungen der Religion nicht nur mit Trieben niederer Art, sondern auch mit Normen und Werten geistigen und sittlichen Wesens in Widerspruch geraten, da ist der Ausweg aus solchen Verschiebungen und Verwirrungen oft nur so gefunden worden, daß jene ersteren Ansprüche ihre relative Rolle immer weiter und bis zu einer absoluten steigerten; erst indem die Religion den entscheidenden Grundton für das Leben gab, gewannen dessen einzelne Elemente wieder das rechte Verhältnis zueinander oder zum Ganzen. Nun erringt ein Element diese zentrale Wirksamkeit in der Praxis wohl nur unter schweren Kämpfen gegen andere, die bei dieser Neuordnung nur zu verlieren haben. Indem wir einer Mehrheit solcher Forderungen ein Recht zugestehen müssen, d. h. es jeder einzelnen sowohl nach ihrem eigenen inneren Anspruch verleihen, wie nach ihrer Fähigkeit, das Leben einheitlich zu organisieren – entsteht zunächst ein Widerspruch und Konflikt, der wenigstens prinzipiell, wenigstens theoretisch lösbar sein muß, wenn das Leben nicht schon in seiner fundamentalen Möglichkeit heillos zerspalten bleiben soll. Die theoretische Spekulation hat hier die Art der Schlichtung vorgezeichnet. Als das Problem des Durcheinanderwirkens des körperhaften und des geistigen Daseins die Denker zu beunruhigen begann, löste Spinoza jene Unverträglichkeit so auf, daß die Ausdehnung auf der einen Seite, das Denken auf der andern das ganze Dasein je in ihrer Sprache ausdrückt; sie vertrugen sich, sobald sie nicht mehr als relative Elemente ineinandergriffen, sondern jedes die Totalität der Welt für sich beanspruchte und auf seine Art lückenlos darstellte. So wird es sich also um die allerallgemeinste Maxime handeln, daß jede der großen Formen unserer Existenz als fähig erwiesen werden muß, in ihrer Sprache die Ganzheit des Lebens zum Ausdruck zu bringen. Die Organisierung unseres Daseins vermittels der absoluten Herrschaft eines Prinzips auf Kosten aller andern, würde so auf eine höhere Stufe gehoben werden: jedes würde innerhalb des von ihm souverän geformten Weltbildes keine Störung durch das andere zu fürchten haben, weil es diesem andern das gleiche Recht der Weltformung einräumt. Sie könnten sich nun prinzipiell so wenig kreuzen, wie Töne mit Farben. Zum Grunde liegt hier die Scheidung der Formen von den Inhalten des Daseins. Diese Scheidung, ausgehend von der primitivsten Praxis, mit der wir die gleiche Materie zu den mannigfachsten Formen verarbeiten, die gleiche Form in mannigfachen Stoff prägen – wird zum allumfassendsten Schema für die Bildung einer Welt und die Deutung aller Weiten der Lebensgestaltung. Wir können uns vorstellen, daß alle Arten, auf die der Mensch handelnd und schöpferisch, wissend und fühlend lebt, Ordnungsarten oder Kategorien seien, die den unendlich ausgedehnten, aber innerhalb aller Formungen identisch bleibenden Daseinsstoff in sich aufnehmen. Und jede dieser Kategorien ist prinzipiell befähigt, die Ganzheit dieses Stoffes nach ihren Gesetzen zu bilden. Der künstlerische Mensch und der wissenschaftliche, der genießende und der handelnde – sie finden alle ein gleiches Material an Greifbarkeiten und Hörbarkeiten, an Impulsen und Schicksalen, und ein jeder, insofern er rein Künstler oder Denker, Genießer oder Praktiker ist, gestaltet daraus ein besonderes Weltganzes; vorbehalten daß, was der eine schon geformt hat, für den anderen manchmal erst Stoff ist, und daß jede solche Form, wie sie sich an einem historischen Punkte der endlosen Entwicklung unserer Art anbietet, sich den Stoff nur ganz fragmentarisch, nur in ganz wechselnden Verhältnissen zueignen kann; vorbehalten auch, daß wir diesen Stoff wahrscheinlich nie in seiner Reinheit ergreifen können, sondern immer nur schon in Formung zum Bestandteil irgend einer Welt. Und damit deutet sich die Vielheit und die Einheit der geistgestalteten Welten: formende Kategorien, deren jede ihrem Motiv nach eine ganze, eigengesetzliche, aus einheitlichem Grundtrieb in sich beschlossene Welt bedeutet. Und alle diese Welten aus einem und demselben Material gebaut, aus letzten Weltelementen, die je nach der synthetischen Strömung, in die der Geist sie reißt, künstlerische, praktische, theoretische werden; auf der anderen Seite aber ebenso zusammengehalten von dem einreihigen Verlauf des seelischen Lebens. Denn dieses ergreift aus der Vielheit jener Welten, die sozusagen als ideelle Möglichkeiten vor uns, in uns liegen, immer nur Bruchstücke, um sich aus ihnen zusammenzuleben, wobei es freilich in seinen wechselnden Zwecken und seinem labilen Gesamtgefühl jene zu harten Konflikten aneinanderstoßen läßt.