Interview mit Priester Kügler
"Katholische Kirche ist größte transnationale Schwulenorganisation"
Der Jesuit und Psychotherapeut Hermann Kügler hat den neuen sogenannten Schwulen-Erlass des Vatikan scharf kritisiert. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE beklagt er "Gesinnungsschnüffelei" in den Priesterseminaren und warnt vor einer Diskriminierung Homosexueller.
SPIEGEL ONLINE:
Der Vatikan hat mit der neuen Richtlinie zum Umgang mit homosexuellen Priesteramtskandidaten die Konsequenz aus einer Reihe von Skandalen gezogen: Etliche Priester hatten Minderjährige - zumeist Jungen - sexuell missbraucht. War der Schritt, praktizierenden Homosexuellen das Priesteramt zu verwehren, nicht überfällig?
Kügler: Erstens: Praktizierende Homosexuelle sind nicht anders zu bewerten als praktizierende Heterosexuelle. In der katholischen Kirche gilt die Zölibatsverpflichtung, die sexuelle Abstinenz für Geistliche, für alle in gleicher Weise. Insofern sind Homosexuelle keine eigene Klasse von Menschen. Zweitens: Es ist ein Vorurteil zu sagen, alle Homosexuellen seien pädophil. Das ist falsch. Pädophile gibt es genauso unter Hetero- oder Bisexuellen. Es ist diskriminierend, wenn man homosexuell empfindenden Menschen unterstellt, sie seien verkappte Kinderschänder. Das ist völliger Unfug.
SPIEGEL ONLINE: Dennoch waren die Opfer der in der katholischen Kirche bekannt gewordenen Fälle sexuellen Missbrauchs durch Priester vor allem Jungen.
Kügler: Das ist ein Indiz dafür, dass das Priesteramt in der katholischen Kirche hoch attraktiv ist für Menschen, die in ihrer sexuellen Entwicklung auf einer kindlichen oder pubertären Stufe stehen geblieben sind. Viele angehende Priester unterliegen dem Irrtum, dass sie sich mit ihrer psychosexuellen Entwicklung nicht auseinandersetzen müssen, da sie ja ohnehin ein zölibatäres Amt anstreben.
SPIEGEL ONLINE: Ist es nicht an der Zeit, diesen unreifen Persönlichkeiten den Weg ins Priesteramt zu verwehren?
Kügler: In der Priesterausbildung muss mehr Wert auf die Förderung der emotionalen Reife der Kandidaten gelegt werden - dies wird in dem römischen Dokument auch gefordert und ist nichts Neues. Die Deutsche Bischofskonferenz verlangt in den Richtlinien zur Priesterausbildung aus dem Jahr 1988, dass die Anwärter nicht nur ein akademisches Studium absolvieren, sondern sich auch mit sich selbst auseinandersetzen.
SPIEGEL ONLINE: Über die Persönlichkeitsbildung der künftigen Priester sollen vom Bischof bestellte Ausbilder ein "moralisch einwandfreies Urteil" fällen. Wie groß ist die Gefahr, dass in den Priesterseminaren die intimen spirituellen Gespräche zwischen den angehenden Priestern und der Seminarleitung leiden, weil keine Atmosphäre der Offenheit mehr herrscht?
Kügler: Die Kirche hat eine Jahrtausende alte Erfahrung in der Trennung eines äußeren Bereichs der Disziplin, der Prüfung und Überprüfung und eines inneren Bereich des Gewissens. Das spiegelt sich in den Priesterseminaren wider. Dort gibt es die getrennten Ämter des Rektors und des Spirituals, vergleichbar Indianerstämmen, bei denen es einen Häuptling und einen Schamanen gibt. Der geistliche Begleiter im Priesterseminar darf keinen Bericht an den Bischof geben.
SPIEGEL ONLINE: Die geistlichen Begleiter haben jedoch fortan die Pflicht, Kandidaten, die ihre "tief verwurzelte homosexuelle Neigung" kundtun, von ihrem Entschluss Priester zu werden, abzubringen.
Kügler: Diese Art von Gesinnungsschnüffelei kann nicht klappen. Sollte es funktionieren, müssten in manchen Jahrgängen bis zu 40 Prozent der Kandidaten ausscheiden.
SPIEGEL ONLINE: Was versteht die Kirche unter der Bestimmung "tief verwurzelte homosexuelle Neigung" überhaupt? Soll das messbar sein?
Kügler: Das ist genau die Schwierigkeit. Was heißt das, und wer stellt dies fest? Da schweigt sich das römische Dokument aus. Insofern kann es leicht als diskriminierend empfunden werden.
SPIEGEL ONLINE: Warum sieht die katholische Kirche die Homosexualität nicht als etwas ganz Natürliches an?
Kügler: Die Kirche hinkt bei der Rezeption vieler wissenschaftlicher Einsichten hinterher. Homosexualität etwa gilt heute als normale Variante sexuellen Verhaltens. Sie ist mit dem Willen und therapeutisch nicht zu beeinflussen, so wenig wie wenn Leute rote oder schwarze Haare haben. Die katholische Kirche sieht die Homosexuellen zwar nicht mehr als Sünder an, aber doch als Kranke, denen mit Liebe und Achtung zu begegnen ist.
SPIEGEL ONLINE: Der Kölner Kardinal Joachim Meisner argumentiert mit der göttlichen Schöpfungsordnung: Der Mann sei auf die Frau hin geschaffen und umgekehrt. Ziel sei es, in der Ehe eine Familie zu gründen, damit der Fortbestand der Menschheit garantiert ist.
Kügler: Das ist ein fundamentalistisches Verständnis der Bibel. Die scharfe Ablehnung der Homosexualität in der Bibel geht von Voraussetzungen aus, die man im historischen Kontext des alten Orients sehen muss. In der Bibel werden Homosexuelle eigentlich als Heterosexuelle gesehen, die sich aus perversen Neigungen homosexuell verhalten. Das wird abgelehnt. Doch genetisch bedingte Homosexualität kennt die Bibel nicht. Leuten wie Kardinal Meisner würde ich raten, exegetisch und hermeneutisch etwas genauer hinzuschauen.
SPIEGEL ONLINE: Dann müssten die höchsten theologischen Gremien in Rom in die exegetische Nachhilfe. Denn Kardinal Meisner lehrt, was in Rom geteilt wird.
Kügler: Die katholische Kirche ist ein feudalistisches System. Es gibt einen herrschenden und einen beherrschten Stand. Und der herrschende lässt nur solche Leute rein, die genehm sind.
SPIEGEL ONLINE: Sie beschreiben die katholische Kirche, der sie selbst als Ordensmann angehören.
Kügler: Ich bin katholischer Priester, und ich liebe meine Kirche. Dennoch darf ich ihre Grenzen und ihre Schattenseiten klar benennen.
SPIEGEL ONLINE: Fürchten Sie keine Sanktionen?
Kügler: Nein, denn ich unterscheide klar zwischen einer Meinungsäußerung und einem Argument. Und es muss in der Kirche möglich sein, mit Argumenten zu streiten.
SPIEGEL ONLINE: Wäre es ein Argument, Frauen zum Priesteramt zuzulassen, um mehr sexuelle Reife in der Amtskirche zu erreichen?
Kügler: Die Frage nach dem Priesteramt für Frauen ist in erster Linie eine Gerechtigkeitsfrage: Obwohl es kein Recht auf dieses Amt gibt, sind 50 Prozent der Mitglieder einfach von ihm ausgeschlossen. Ich möchte diese Thematik nicht für den richtigen Umgang mit Homosexuellen instrumentalisieren.
SPIEGEL ONLINE: Die Theologin Uta Ranke-Heinemann hat die katholische Kirche einmal als "ideales Biotop" für Schwule bezeichnet. Wenn Frauen in Ämtern wären, würde dieses Biotop austrocknen. Somit wären auch weniger Päderasten in Amt und Würden.
Kügler: Richtig ist sicher, dass die katholische Kirche die größte transnationale Schwulenorganisation ist. Glaubwürdige Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 20 Prozent der römisch-katholischen Priester homosexuell sind - was nicht heißt, dass sie diese Neigung auch ausleben.
SPIEGEL ONLINE: Kirchenkritiker fordern immer wieder die Abschaffung des Zölibats. Ließe sich dadurch die Zahl sexueller Verfehlungen innerhalb der Amtskirche verringern?
Kügler: Es ist problematisch, wenn eine Partnerschaft zur Abwendung sexueller Verfehlungen dient. Das Problem bei sexuellen Verfehlungen ist nicht der Zölibat, sondern die sexuelle Unreife.
Das Interview führte Alexander Schwabe
ZUR PERSON:
Hermann Kügler, 53, lebt in München. Er ist seit 25 Jahren katholischer Priester und gehört dem Orden der Jesuiten an. Kügler studierte Theologie in München, Rom und Frankfurt. Er hat eine psychotherapeutische Ausbildung und hat sich auf Persönlichkeitsentwicklung spezialisiert. Regelmäßig gibt er Kurse in der Priester- und Ordensausbildung. Kügler: Die Kirche hat eine Jahrtausende alte Erfahrung in der Trennung eines äußeren Bereichs der Disziplin, der Prüfung und Überprüfung und eines inneren Bereich des Gewissens. Das spiegelt sich in den Priesterseminaren wider. Dort gibt es die getrennten Ämter des Rektors und des Spirituals, vergleichbar Indianerstämmen, bei denen es einen Häuptling und einen Schamanen gibt. Der geistliche Begleiter im Priesterseminar darf keinen Bericht an den Bischof geben.