Wie definierst du Mensch?
Wie definiert sich der Mensch selbst?
Ich stelle die Frage jetzt mal ganz doof: Gibt es überhaupt Menschen?
Klar, sagen die einen, schau doch, die laufen alle da draußen herum.
Nein, sagen die anderen, es gibt nur den Stoff, der alles zusammenhält und die Definitionen (Dies hier ist Tisch, jenes dort Stuhl und siehe, ein Mensch oder ein Tier). Es sind die Vorstellungen von dem, was wir wahrnehmen, inclusive die Vorstellung von uns selbst.
Faust verzweifelt an den Dingen, die seinen Verstand übertreffen:
*Die Botschaft hör' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube*.
Der Mensch hat nicht das Wissen, immer nur den Glauben und das Vertrauen.
*O glücklich, wer noch hoffen kann
Aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen!
Was man nicht weiß, das eben brauchte man,
Und was man weiß, kann man nicht brauchen*
Die Passage über den Pudel finde ich genial, ist es nicht auch mit den Menschen so?
*Du hast wohl recht, ich finde nicht die Spur
Von einem Geist, und alles ist Dressur*
So denkt der Mensch, er würde denken und folgt doch nur seiner Dressur. Faust, ein Aufwachender, erkennt dies und benutzt wunderbare Vergleiche.
*Die Lampe freundlich wieder brennt,
Dann wird's in unserem Busen helle,
Im Herzen, das sich selber kennt.
Vernunft fängt wieder an zu sprechen,
Und Hoffnung wieder an zu blühen*
Das Herz, der Wesenskern von allem, was ist - kennt sich selbst. Sie darauf zu verlassen ist mehr, als Bücherwissen. Es ist die Hoffnung, die uns am leben hält.
*Wir sind gewohnt, dass die Menschen verhöhnen,
Was sie nicht verstehen*
Nun sucht er wieder, seiner Fixierung folgend (sich Wissen anzueignen, die Welt zu durchschauen) im Testament, versucht den Sinn zu verstehen vom: Am Anfang war das Wort.
Warum belässt er es nicht einfach so? Gibt es denn in der menschlichen Sprache für alles ein Wort? Gibt es denn nicht Etwas, für das eben kein menschliches Wort ausreichen würde, weil es so hoch über den Menschenverstand steht? Wir können uns gar kein *Bild* oder *Wort* von dem machen, was umso Vieles größer ist, als wir selbst. Unser Herz kennt das, doch das spricht eine Sprache ohne Worte.
Faust übersetzt *Wort* mit *Tat*, was in meinen Augen noch mehr Verwirrung stiftet. Im Anfang war die Tat, die Kraft, das Etwas, das Bild, das Wort. Da war etwas...am Anfang...das größer ist als alles, was wir jemals erfassen können.
Ich wage dann zu schreiben:
Für mich sieht es so aus, als würde Goethe beschreiben, wie Faust in der Begegnung mit Mephistopheles die Konfrontation mit seinem eigenen (bösen) *Ich* erfährt. Wir würden in der heutigen Zeit die Sprache der Psychologie verwenden, damals, wie auch aus Märchen bekannt, arbeiteten die Schriftsteller mit Personifizierungen in Menschengestalt oder Geistwesen.
Ich liebe diese Stelle, an der Mephistopheles Faust aufklärt:
*Wenn sich der Mensch, die kleine Narrenwelt,
Gewöhnlich für ein Ganzes hält -
Ich bin ein Teil des Teils. der anfangs alles war,
Ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar,
Das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht
Den alten Rang, den Raum ihr streitig macht,
Und doch gelingt's ihm nicht, da es, so viel es strebt,
verhaftet an den Körpern klebt,
Von Körpern strömt's, die Körper macht es schön,
Ein Körper hemmt's auf seinem Gange,
So hoff' ich, dauert es nicht lange,
Und mit den Körpern wird es zugrunde gehen.*
Eine wunderbare Stelle, die so viel beinhaltet und ausdrückt. Der dumme Mensch, der sich in seinem Wahnsinn für etwas hält, das er gar nicht ist und sein wahres Selbst verkennt. Der zugrundegehende Körper muss sterben, damit der Mensch die Wahrheit erfährt und seine Scheinwelt zerbricht. Goethe lässt Faust sich winden und quälen (so wie auch der Mensch es tut, der wirklich sucht - nicht nur so zum Zeitvertreib oder anläßlich eines egoistischen Selbstverwirklichungswunsches).
War das mal eine Lenor-Werbung, wo das Gewissen der Frau sich abbildete und zu ihr sprach? So ähnlich sehe ich Faust und Mephistopheles und alle anderen auftauchenden Figuren, allesamt als personifizierte Ich-Formen (Triebe, Wünsche, Intelligenz, Geist usw.) des Faust. Er setzt sich mit seinem Innenleben auseinander, kämpft um Klarheit und Verständnis, mit sich selbst.
Herz und Verstand ringen auf Leben oder Tod miteinander.
Das Gute daran, man kann es nicht an einem Tag verschlingen, es bedarf der kleinen Bisse. Der Mensch in seiner Gier wird an den Rand der Verzweiflung getrieben beim Lesen und sein Verstand kollabiert.