"Sein und Zeit" ist ja hier nicht Thema (und soll es auch nicht sein), aber wenn Heidegger beispielsweise das "Dasein" vom "Sein" durch die Zeitlichkeit des ersteren unterscheidet, da der Mensch als "Dasein" sterblich ist ("Sein zum Tode") und als "Da" das "Sein" zu verstehen sucht (also ein Lebewesen mit Bewusstseinfähikeit ist), das als solches nicht vereinzelt lebt und sich Ort, Zeitpunkt etc. seiner Geburt auch nicht selbstbestimmt aussucht (was für Heidegger den Neologismus der "Geworfenheit" erforderlich macht), dann sind das für mich nunmal nicht mehr als Plattitüden (bzw. Gemeinplätze), getarnt hinter oder von fragwürdigen Neologismen.
Zunächst eine Anmerkung: ich habe auf deinen Beitrag 35 zuerst geantwortet (da ich den durch "komische" Scroll-Technik zunächst als ersten/früheren wahrgenommen habe> kurz auch das kann man technisch bedingt vorkommen). Daher bitte nicht wundern , wenn ich erst jetzt auf den Beitrag 33 hier antworte. Sowas kann halt mal vorkommen, und ist nicht böse gemeint.
Nun aber "zur Sache selbst"
Heidegger selbst nimmt zu "Sein und Zeit " immer wieder in den Schwarzen Heften Bezug, daher kann man schon auch dieses Werk hier hineinbringen meines Erachtens, weil es selbst eines der Themen der Schwarzen Heften ist.
Als Beispiel sei genannt (GA 97, S.13): " Immer noch mehren sich die <Bücher>, die angebliche meine <Philosophie> darstellen. Noch nirgendwo ist einer auf den Gedanken gekommen , die Frage von
Sein und Zeit aus dem Grundzug des abendländischen Denkens her zu begreifen und zu bestimmen. Statt dessen behilft man sich mit den bodenlosen und zufälligen Perspektiven des heutigen Meinens, aus dessen Fesseln
Sein und Zeit das Denken gerade befreien soll. "
oder auch (GA 97, S.174): "Der eine Gedanke meines Lebens , der mir beschieden bleibt, ist
Sein und Zeit. Wenn man nun feststellt, dass Heidegger nicht mehr weitergekommen sei seit Erscheinen dieser Abhandlung, dann weiß man nicht, was man sagt. (...) Was ist in
Sein und Zeit gedacht?
Sein und Zeit denkt denkt die
Wahrheit des Seins , indem zuvor diese Wahrheit im Wesen zu denken versucht wird als
Da-sein. Dieser Name nennt weder das menschliche >Subjekt> und den Menschen als >Subjektvität> noch nennt er überhaupt den Menschen als ontisch gesondertes Seiendes. Der Name denkt das Wesende , worin das
Menschsein beruht un dieses Wesende, dieses <Sein> als Da-sein >ist> in sich das Wesende des Seins als solchen, d.h. die
Wahrheit des Seins. (...)
Sein und Zeit nennt dieses nämlich, die Geworfenheit. (...) Statt dessen hat man sich, weil man zum voraus das Denken in
Sein und Zeit überhaupt nicht bedachte, auf diese Abhandlung als eine >Anthropologie> gestürzt (...)"
und S.177: "Aber Stehenbleiben im einen Denken von Sein und Zeit heißt doch nicht , sich in der Darstellung zur Ruhe setzen, heißt noch weniger, sich darauf wie auf eine bloß >eigene> Anschauung und Position und Lehre versteifen, Stehenbleiben heißt: den selben Gedanken in seiner verborgenen Selbigkeit entfalten."
oder S.280: "Sein und Zeit- Die Vergessenheit ist zunächst als diese Vergessenheit des Seins erfahren; daß die Wahrheit des Seins ungedacht bleibt."
Das mal als drei Beispiele zu Sein und Zeit aus den Schwarzen Heften der 1940er Jahre. Man kann sicherlich noch einiges anderen finden in den früheren Schwarzen Heften.
Was deutlich wird ist, dass Sein und Zeit in den Schwarzen Heften präsent ist. Warum sollte man also zwischen Sein und Zeit und den Schwarzen Heften trennen wollen, wenn Sein und Zeit doch ein Hauptthema der Schwarzen Hefte ist, wie man anhand der genannten Beispiele doch sehen kann oder?
Für mich jedenfalls sind Heideggers Begriffe keine "Plattitüden", sondern er erläutern ja auch seine Begriffe durchaus nachvolziehbar in den Schwarzen Heften. Wie man hier zu der Beurteilung von "fragwürdigen Neologismen" kommt, ist mir etwas schleierhaft
Das behaupte ich auch nicht. Es wird immer Leute geben, die anderer Meinung sind. Es soll auch heute noch Leute geben, die der festen Überzeugung sind, die Erde sei eine Scheibe.
Ja so ist das eben auch. Aber die welche philosophisch eine andere Meinung als du vertreten sind gewiss nicht der festen Überzeugung, dass die Erde eine Scheibe sei...Ich glaube hier verunglimpft ein Heidegger -Kritiker auf unsachliche Weise die philosophische Gegenseite.
Das sehe ich eben auch so und darum geht es mir in diesem Thread.
Gut, dann scheint das zumindest klar zu sein in dem Punkt
In den "Schwarzen Heften" werden Personengruppen genannt (z.B. die Juden) und ihnen eine bestimmte Rolle im Weltgefüge zugewiesen. Es handele sich laut Heidegger beim Judentum um eine Form der "Bodenlosigkeit, die an nichts gebunden, alles sich dienstbar macht". Das heißt für Heidegger, dass das Judentum ausschließlich auf "Berechnungen als das Wirkliche setzt", das "Seyn" werde folglich also nicht gewagt und stattdessen allein das "Seiende" für wirklich gehalten. Das macht sie für Heidegger geschichtlos und grenzt sie - die Juden - aus der Geschichte aus.
Zum Lesen kann ich dazu die neuere Publikation "Heidegger und der Antisemitismus" verweisen (im Herder Verlag 2016), wo es auch die briefliche Korrespondenz zwischen ihm und seinem Bruder Fritz gibt und dort werden auch die "Juden" kritisch von ihm thematisiert, aber noch "platter", wenn man so will, als er das in den Schwarzen Heften tut, wo es auch um eine "seinsphilosophische" Konstruktion geht. Trawny spricht hier von einem "seinsgeschichtlichen Antisemitismus". Die politische Problematik dieser Hefte ist ja seit längerem bekannt und soll hier ja auch nicht missachtet sein. Dieser Zug an Heideggers Denken ist eben durchaus "problematisch", was man halt nicht "leugnen" kann. Wie gesagt jemand wie Trawny nennt dies den "seingeschichtlichen Antisemitismus" bei Heidegger. Einen etwas weniger philosophisch aufgeladenen Antisemitismus (oder sagen wir mal "platteren" ) finden wir in den nun veröffentlichen Briefen zwischen ihm und seinen Bruder Fritz.
Was ist also dieses "Seyn" anderes als eine höhere Daseinsinstanz, ein besseres Menschentum, eine überlegene Rasse? Heideggers Seyn steht für das Überlegenheitsgefühl schlechthin; es repräsentiert den Wunsch, eine erhabene Idee zu kennen und zu verfolgen, die sich abhebt von all den vermeintlichen Kleinigkeiten ringsum, die man auf Grund ihrer Komplexität und Differenz offensichtlich nicht zu verstehen vermag. Kurzum: Es ist praktizierte Kleingeistigkeit im Königsgewand.
Naja manche sehen im Heideggerschen "Sein" auch nichts anderes als "Gott". Denn man muss ja bedanken , dass Heidegger auch Theologe war (bzw. Theologie studiert hatte) und das einem sowas natürlich auch im Denken prägt. Ob man das Heideggersche Sein mit einem Rasse-Denken so einfach gleichsetzen darf, da wäre ich halt noch etwas vorsichtig . Mir scheint das interpretatorisch zu weit gewagt zu sein...Also philosophische "Kleingeistigkeit" sieht doch schon etwas anders aus.
Gewiss. Wenn man für sich das ursprünglichste Denken überhaupt in Anspruch nimmt, ist jegliche Ethik freilich zu kurz gedacht und lediglich Derivat der eigenen Konzeption. Von einer solchen Konzeption ist im Heideggerschen Geschreibe jedoch weit und breit nichts zu sehen. Allein Behauptung und Wunsch begründen noch keine Ethik, möge sie auch noch so ursprünglich gedacht sein.
Dazu Heidegger selbst aus den Schwarzen Heften (GA 97, S.86):
"Sie rufen nach einer Ethik und sehen nicht, dass hier die gefürchtete Theorie sich noch überschlägt. Man meint , wenn die Philosophie <populär> werde, sei sie erst wahre <Philosophie>. <Ethik> ist >Technik> der Normen; unerfahren im ηθος (ethos)".
Das sagt eben Heidegger gegen die übliche Ethikauffassung bzw. zeigt sein Denken hinsichtlich der Ethikfrage.
Nun ich glaube schon, dass der von mir zitierte Philosoph anhand von Heideggers Texten nachvollziehbarer Weise zeigt, dass es eben doch bei Heidegger eben eine "ursprüngliche Ethik" gibt. Nur wer Heidegger selbst nicht liest, kann natürlich sowas behaupten ohne entsprechende Grundlage. Es gibt eben doch bei Heidegger eine "Ethik" aber halt eben in seinem Sinne, nämlich als Fundamentalethik, und dies zeigt ja Jean-Luc Nancy in nachvollziehbarer Weise nach anhand der Heideggerschen Texte. Und dieser ist ja von dir sachlich nicht widerlegt worden. Mein Tipp : einfach mal diesen Aufsatz lesen , dann mit den Stellen bei Heidegger vergleichen, und dann müsstest du eigentlich zu einem anderen Urteil /einer anderen Sichtweise diesbezüglich kommen .
Heidegger hat dem Menschen nichts zu sagen, das allerdings unternimmt er auf beeindruckende Weise.
Also ich sehe das anders: Heidegger denkt eben das "Menschsein" auf seine Art und Weise, die halt vermutlich nicht jeder gedanklich nachvollziehen kann (weil es eben keine "Anthropologie" ist.
Man kann Heidegger nicht "richtig" lesen; bloße Richtigkeit ist für ihn die Denkart des Pöbels. Stattdessen muss man ihm zuhören, sich auf ihn einlassen und seinem "Seyn" gegenüber also zum "Hörenden" werden.
Nun es ja verschiedene Heidegger-Interpretationen bzw. verschiedene Lesarten Heideggers. Die eine hat vermutlich genauso ihre "Berechtigung", wie eine andere Lesart....Natürlich muss man auch einem Philosophen "zuhören" bzw. sich auf diesen "einlassen" gedanklich, wie soll man ihn sonst denn "richtig" verstehen?
Wenn ein Heidegger klipp und klar schreibt, dass dem Judentum das "Seyn" verwehrt bleibt, da sie sich in der plumpen Rechnerei des "Seienden" verheddern, dann ist der Philosoph mit seiner Philosophie unmissverständlich politisch unterwegs. Da brauche ich keine Heidegger-Interpreten, die mich wortreich vom Gegenteil überzeugen möchten. Beim besten Willen nicht!
Einen schönen Sonntag wünscht dir
Phil
Nun zur Antisemitismusfrage, habe ich mich ja schon geäußert oben. Dass das Politische mit dem Philsophischen bei Heidegger verwoben ist, soll ja auch nicht in Frage gestellt werden. Aber trotzdem irren sich manche Heidegger-Kritiker in gewissen Punkten> Beispiel : die angeblich nicht vorhandene Ethik bei Heidegger> zu diesem Urteil kann man eigentlich nur kommen, wenn man Heidegger nicht wirklich gelesen hat. Sorry, diese Kritik muss aber hier nochmal wiederholt werden. Ob man das die Heidegger-Kritiker "einsehen " wollen (ihren Irrtum), lasse ich mal dahingestellt. Aber das Beispiel ist eben lehrreich, weil es manche "Schwäche" der Heidegger-Kritiker gut zeigt (also was die Fehlbeurteilung dieses Philosophen anbetrifft). Aber wie gesagt, ich bleibe hier "sachlich"
Einen schönen Sonntag
Philosophist