Ich habe zu Heidegger noch nichts gehört oder gelesen, was über allgemeine Plattitüden hinaus gegangen wäre. Mehrere Seminare (darunter Interpretationskurse) habe ich besucht und immer das gleiche Bild: Man liest verschwurbelt-gekünstelte Sätze, wird von einem Kunstwort zum nächsten verwiesen und nirgends eine Erklärung, kein Begriff wird verbindlich greifbar gemacht. Man stochert also zwangsläufig im Nebel und landet am Ende wieder dort, wo man anfing: bei Plattitüden.
Da ist ein großes, fernes, übermächtiges "Sein" (ob nun mit oder ohne "y" geschrieben), alles andere ist nur oberflächliches Gerechne, Ge-stelle oder rationales, uneigentliches Denken - und genau dies ist das grundlegende Problem bei Heidegger. Hier wird nichts geklärt oder erklärt, sondern nur vorgegeben und vorgegaukelt, von sich geschoben und abgeurteilt; mit der Sprache wird undurchsichtig gespielt auf eine Weise, die völlig intransparent ist, mit analytischer Schärfe nichts zu tun hat und auch vorgeblich nichts zu tun haben möchte.
Nicht wenige kritische Denker nannten Heideggers Darstellungen anti-aufklärerisch und seine fehlende Ethik ist unlängst bemängelt worden. Das große Finale des Gesamtwerkes (die Schwarzen Hefte) erklärt nun, wie man Heideggers Denken verstehen muss. Bisher war hier stets die praktizierte Unklarheit der Rettungsanker seiner Anhängerschaft - sein Geschreibe hat in der Regel nur Andeutungscharakter, wird nie präzise genug, um es auf irgend etwas festlegen zu können: Warum auch immer dies der Fall ist, aber Heidegger erklärt sich in diesen Schwarzen Heften; er legt also offen, wie man seine Denkweise zu verstehen hat.
Was die Kritiker (zu denen ich mich auch zähle) anbetrifft: Diese setzen sich durchaus eingehend mit dem auseinander, was sie kritisieren; beispielsweise war ein Hans Albert einst sogar begeisterter Anhänger Heideggers (bzw. von dessen "Sein und Zeit") und erkannte erst im Laufe der Zeit, dass es sich dabei um eine große Luftblase handelt - mir selbst erging es ganz ähnlich.
Heidegger in den politischen und philosophischen zu teilen ist nach heutigem Erkenntnisstand obsolet, spätestens seit den "Schwarzen Heften" kann diese Verteidigungsschiene nicht mehr glaubwürdig durchgehalten werden.
Gruß
Phil
Nun das sind wohl vermutlich entweder die "falschen" Bücher gelesen worden oder etwas als "allgemeine Plattitüde" eingestuft worden, was es der Sache nach nicht ist. Ich kann nur die Philosophen empfehlen zu lesen, welche sich mit Heidegger mehr oder weniger kritisch befasst haben, worunter deutschsprachige, französischsprachige oder auch italienischsprachge Philosophen genannt werden können (und deren Namen ich auch nennen kann). Und diese sprechen gewiss nicht von "allgemeinen Plattitüden". Heideggers Sprache/Terminologie ist zwar nicht einfach, aber er
definiert schon seine Begriffe , was man vor allem in Sein und Zeit sehen kann. Dort z.B. die Begriffe "Existenz", "Dasein" und andere und dies auch in recht strenger Weise und nach meinem Dafürhalten auch nicht zu allgemein.
Das "Sein" ist ja eins der Hauptwörter von Heideggers Terminologie, wobei es natürlich nicht einfach ist, was er damit genau meint (terminologisch). Ich würde aber dennoch nicht so weit gehen zu sagen, dass Heideggers Sprache/Terminologie per se "intransparent" ist. Das mag vielleicht deine Wahrnehmung sein, aber diese wird eben auf philosophischer Seite eben nicht von allen geteilt. Es gibt natürlich auch Philosophen, die in der Hinsicht eine eher gegenteilige Meinung vertreten. Und zu dieser philosophischen Seite zähle ich mich eher auch. Ich glaube, dass diese Kritik die hier eben nicht angemessen ist, wenn sie meint , dass bei Heidegger nichts "geklärt" oder "erklärt" wird. Wenn man Sein und Zeit genau liest, wird man schon sehen, dass Heidegger seine Begriffe/seine Begrifflichkeit auch "erklärt" und man keineswegs von einem "undurchsichtigen Spiel" mit der Sprache bei diesem Philosophen sprechen kann. Der Vorwurf geht der Sache nach vorbei und hat anscheinend nicht unwichtige Stellen Heideggers nicht berücksichtigt und nicht entsprechend wahrgenommen. Man erlaube mir also diese Kritik an dieser Stelle an dieser Beurteilung Heideggers.
Nun die "Schwarzen Hefte" erklären natürlich einiges offener, was man in den sonstigen Werken nicht so deutlich/offen dargestellt findet und insofern gilt es diese auch zu berücksichtigen.
Was die Frage der mangelnden Ethik anbetrifft , zitiere ich zu dieser Frage gern aus Jean-Luc Nancys Aufsatz " Heideggers <ursprüngliche Ethik>" (In: Das nackte Denken, Diaphanes Verlag, 2014, S.104):
"(...) Unabhängig von den eben erwähnten Überlegungen glaubte man Heideggers Denken jegliche ethische Dimension absprechen zu können, indem man sich auf
seine eigene Ablehnung der Ethik als <Disziplin> stütze, sowie darauf, dass es in seinem Werk dementsprechend
keine <Moralphilosophie> gab un er selbst jegliche moralische Interpretation der Daseins-Analystik zurückwies. Um den vorliegenden Versuch ein Minimum an Relevanz zu verschaffen , müsste man zunächst aufzeigen, dass
diese Argumentation falsch ist und dass
die Möglichkeit eines im eigentlichen Sinne ethischen Zugangs zu Heidegger weiterhin besteht. Dazu fehlt uns hier hier nicht nur der Platz, sondern es ist auch abzusehen, dass diese Mühe gar nicht nötig ist.
Nur ein blindes Lesen oder der komplette Verzicht auf die Lektüre hat glauben können, dass Heidegger ethische Fragestellungen fremd seien. Es liegen inzwischen genügend Arbeiten vor, um dieses Vorurteil zu entkräften. Wir werden uns also damit begnügen Folgendes zu präzisieren (was im weiteren Fortgang dann noch ergänzt werden wird): Es gibt
keine <Moral> bei Heidegger, wenn man darunter einen entweder autoritativ oder durch - kollektive oder individuelle - Wahlentscheidungen festgelegten Korpus von verhaltensleitenden Prinzipien und Zielen versteht.
Keine Philosophie liefert oder ist selber eine <Moral> in diesem Sinne. Es ist nicht Aufgabe der Philosophie, Normen oder Werte vorzuschreiben: Sie soll vielmehr das Wesen oder den Sinn dessen denken, was das Handeln als solches ausmacht, das heißt wodurch es in die Lage kommt, Normen oder Werte wählen, entdecken oder schaffen zu müssen. Vielleicht aber ist
dieses Philosophieverständnis selbst bereits Heideggerschen Ursprungs , oder vielleicht sind, für uns heute zumindest, die Modalitäten dieses Verständnisses notwendigerweise durch Heidegger geprägt. (...) Wir werden in der Tat zeigen, inwiefern das <
Denken des Seins> - wie der wichtigste , ja sogar einzige Titel dieses Denkens- lautet-
nichts anderes ist als ein Denken dessen, was Heidegger <ursprüngliche Ethik > nannte, und es ebendies in all seinen Entwicklungen durch und durch ist. Inbesondere ließe sich mühelos zeigen, dass die berühmte <
Kehre> deren konziseste Charakterisierung wie folgt lautet: Übergang von der Ontologie zur Ontologie (gemäß der Begrifflichkeit , die in den Beiträgen zur Philosophie verwendet wird) -
im Grunde eine Akzentuierung , einer Zuspitzung oder einer >Falte> des ethischen Motives entspricht."
Und (S.107):
"Um die Situation kurz zusammenzufassen: Es gäbe also zwei unumstößliche Einwände: >Heidegger hat eine schlechte Moral.>,<Heidegger hat keine Moral>. Beide Einwände werden hier nicht disqualifiziert, sondern auf eine andere Form der Analyse verwiesen. Die einzige Form nämlich , die hier angebracht ist, muss Folgendes zum Thema haben: Heideggers Denken selbst hat sich durch und durch als eine
Fundamentalethik entworfen."
Es gibt Heideggger : "das Denken der Sprache und der Dichtung als
ethos. ; 3. das Denken der Technik als Entzug der moralischen Grundlagen und Befreiung der ethischen Forderung für uns heute."
Und auch wichtig (S.127): "Von da ausgehend kann und muss die Transzendenz des Seins sich explizit als <die
ursprüngliche Ethik> (
Brief über den Humanismus, S.47) äußern."
S.129: " Das ethos ist dem Sein weder äußerlich noch ihm übergestülpt (...)"
und S.136: "Es ist nicht zu bestreiten, dass die
Heideggersche Ethik weit davon entfernt ist, den Akzent auf das <das - Da-sein mit Anderen> zu legen, das in der Ek-sistenz gemäß Sein und Zeit gleichwohl wesentlich impliziert ist. "
und (S.138): "
Indem Heidegger den Titel einer <ursprünglichen Ethik> für sich in Anspruch nimmt und indem er diese mit einer >Fundamentalontologie> gleichsetzt, die allen ontologischen und ethischen Einteilungen der Philosophie vorausgeht, musste er das einzige Hauptwerk der Philosophie, das den Titel Ethik trägt (...) mit Schweigen übergehen".
Ich breche an dieser Stelle mit dem Zitieren wichtiger Stellen auf dem Aufsatz dieses Philosophen ab. Den "Rest" kann man ja selbst durch Lesen sich selbst zu Gemüte führen. Mir war nur wichtig, dass dieser Denker darauf hinweist, dass es bei Heidegger schon sowas wie eine "
ursprüngliche Ethik" gab und
die Rede der Heidegger-Kritiker von einer "fehlenden Ethik" der Sache nicht zutrifft.
Ich denke mal, dass dies diese Kritiker übersehen haben.
Ich denke mal, dass auch der Vorwurf des "Andeutungscharakters" seiner Schriften sachlich nicht zutrifft.
Nun am Beispiel der "fehlenden Ethik" lässt sich gut zeigen, dass die Heidegger-Kritiker sich in diesem Punkt schlicht sachlich geirrt haben und anscheinend Heidegger nicht richtig gelesen haben. Ich denke ,
diese Kritik an den Heidegger-Kritiker sollte an dieser Stelle erlaubt sein.
Im Falle von Hans Albert kann dies so gewesen. Es gibt natürlich auch Philosophen, die sich im Laufe der Zeit von Heidegger kritisch abwanden, aber man kann natürlich auch immer entsprechende "Gegenbeispiele" bringen. Also von Philosophen, die Sein und Zeit nach wie vor als wichtiges Werk halten , aber natürlich auch Heidegger mitunter kritisch gegenüber stehen.
Nun das Politische und das Philosophische bei Heidegger trennen zu wollen, kann man natürlich sagen, dass dies -spätestens- mit den Schwarzen Heften nicht mehr möglich ist. Aber soweit ich mich erinnern kann, gab es glaube ich schon Philosophen, die beides zusammen bei Heidegger untersucht haben.
Wie gesagt die
Heidegger-Kritiker kann man entsprechend auch wiederum kritisieren und das Beispiel
der Verkennung einer Ethik bei Heidegger (die es durchaus gibt), zeigt natürlich,
dass diese sich auch nicht unbedeutend bei der Beurteilung dieses Philosophen "irren" können. Und da ich vermute, dass auch du nicht von einer Ethik bei Heidegger ausgegangen bist und du dich ja selbst zu den Heidegger-Kritikern zählst ((nach eigenen Worten( , scheint du dich mir auch in diesem Punkt schlicht zu "irren". Ich muss das halt mal an diesen Worten einfach sagen, ohne dabei polemisch werden zu wollen
Heidegger bleibt dennoch ein "problematischer" Philosoph, und es ist natürlich auch einfach dieses Philosophen zu kritisieren an bestimmten Stellen. Aber dann lässt sich natürlich auch diese Kritik wiederum kritisieren (wie im Falle der Verkennung einer Ethik bei Heidegger ja hier gezeigt worden ist).
Aber soweit dazu erstmal.
Gruß
Philosophist
PS: Man erlaube es mir bitte, wenn ich um die Heidegger-Kritiker zu entkräften auch gelegentlich dabei auf andere Philosophen Bezug nehme, die sich ja ebenfalls mit Heidegger beschäftigt haben (sowie du ja Hans Albert genannt hast)