Das steht ja auch nicht in Frage. In Frage steht lediglich, dass deine Behauptung, für Heidegger bestünde zwischen dem Menschen - im herkömmlichen Sinne als bewusstseinsfähiges Individuum ("animal rationale") verstanden - und dem "Dasein" kein Unterschied.
Ich würde es so formulieren: der Mensch ist dasjenige Seiende, was Heidegger terminologisch als "Dasein" bezeichnet (vgl. SuZ, S.11): Denn es heißt ja in SuZ: "
Dieses Seiende fassen wir terminologisch als Dasein". > Seiende (Mensch) > so steht es auf S.11
Und in der Sekundärliteratur:
Anders als in der Tradition wo das deutsche Wort Dasein die Übersetzung von lat.
existentia ist, gebraucht Heidegger seit den frühen Freiburger Vorlesungen Dasein statt des mehrdeutigen Wortes <Leben>
exklusiv für den Menschen (GA 58, S.66);
existentia übersetzt er mit Vorhandenheit. ..) Wenn Heidegger
die Seinsart des Seienden <Mensch> als Dasein begreift, ist dies vom
animal rationale der Metaphysik zu unterscheiden."
Vetter 2014, S.246.
>Das "Dasein" darf er nicht mit dem "animal rationale" der Metaphysik verwechselt werden (also dem Menschen als vernunftbegabten Tier). Davon grenzt sich ja Heidegger eben ab.
in dem Text aus der Sekundärliteratur heiß es ja; "gebraucht Heidegger seit den frühen Freiburger Vorlesungen Dasein statt des mehrdeutigen Wortes <Leben>
exklusiv für den Menschen" und "Wenn Heidegger die Seinsart des Seienden <Mensch> als Dasein begreift" (vgl. dazu auch S.11 von Sein und Zeit, wo direkt von der "Seinsart dieses Seienden (Mensch) " gesprochen wird)
Der Mensch wird eben hier als Seiendes aufgefasst und da er Seiendes ist , wird dann terminologisch vom "Dasein" gesprochen. Im Grunde meint also "Dasein" den Menschen als Seiendes. Also könnte man meines Erachtens schon
Dasein= Mensch (als Seiendes) sagen.
Terminologisch ist das von der Bedeutung nach dem jetzt angeführten aus meiner Sicht relativ klar. Daher würde ich eben , dass Heidegger (quasi aus terminologischer Sicht) schon Mensch und Dasein im Grunde gleichsetzt. Der Mensch ist ein "Seiendes" und "
Dieses Seiende fassen wir terminologisch als Dasein"
Heidegger macht selbst noch eine kritische Anmerkung zur Terminologie in SuZ, was ich hier gern mal zitieren möchte (da wir ja über die Terminologie eben bei Heidegger sprechen):
"Mit Rücksicht auf das
Ungefüge und <
Unschöne> des Ausdrucks innerhalb der folgenden Analysen darf die Bemerkung angefügt werden: ein anderes ist es , über
Seiendes erzählend zu berichten, ein anderes , Seienden in seinem
Sein zu fassen. Für die letztgenannte Aufgabe fehlen nicht nur meist die Worte, sondern vor allem die >Grammatik>. Wenn ein Hinweis auf frühere und in ihrem Niveau unvergleichliche seinsanalytische Forschungen erlaubt ist, dann vergleiche man ontologische Abschnitte in
Platons <Parmenides> oder das vierte Kapitel des siebenten Buches der >Metaphysik> des
Aristoteles mit einem erzählenden Abschnitt aus
Thukydides, und man wird
das Unerhörte der Formulierungen sehen, die den Griechen von ihren Philosophen zugemutet wurden. Und wo die Kräfte wesentlich geringer und überdies das zu erschließende Seinsgebiet ontologisch weit schwieriger ist als den Griechen vorgegebene , wird sich die
Umständlichkeit der Begriffsbildung und
die Härte des Ausdrucks steigern."
Heidegger erklärt hier im Grunde nichts anderes , warum also eine gewisse "
Umständlichkeit der Begriffsbildung" und "
Härte des Ausdrucks" sich nicht vermeiden lassen für den Leser in seinem Werk (und er vergleicht dies mit Platon/Aristoteles, die den Griechen auch unschöne Ausdrücke zugemutet haben. In dem Sinne also so, dass was die griechischen Philosophen mit ihren Begriffen gemacht haben, macht Heidegger eben mit seinen Begriffen (für die Leser). Damit scheint er eben auch seine Begriffe zu legitimieren, die dann eben der Sache selbst geschuldet sind. Das als Anmerkung zu Heidegger und seiner Einschätzung der Terminologie.
Den Begriff "Dasein" betrifft die "Härte des Ausdrucks" nicht so sehr, dafür aber anderen Begriffe die gewöhnungsbedürftig sind wie "In-Sein" , "Sein zum Tode", die "Sorge" usw.
Das nochmal als kleiner Exkurs zur Frage der Terminologie bei Heidegger.
In deinem Zitat steht es doch schwarz auf weiß selbst geschrieben: Das Heideggersche "Dasein" ist "vom animal rationale der Metaphysik zu unterscheiden." Darauf fußt das gesamte Konzept der ontologischen Differenz Heideggers!
Ja, das stimmt. Das "Dasein" darf nicht mit der metaphysischen Auffassung vom Menschen als animal rationale verwechselt werden.
Zur Erinnerung:
"Wissenschaften haben als Verhaltungen des Menschen die Seinsart dieses Seienden (Mensch). Dieses Seiende fassen wir terminologisch als Dasein."
Es gibt somit eine Differenz zwischen dem Dasein und dem "animal rationale".
"Dasein" und "Leben" sind für Heidegger auf spezifische Weise different. Die Begründung, dass er "Leben" deshalb vermeidet, weil dieser Begriff mehrdeutig sei, erschließt sich mir nicht. Der Begriff des "Daseins" ist mindestens ebenso vieldeutig, zudem verwendet er den Begriff "Leben" weiterhin und zwar als Begriff der Abgrenzung zum "Dasein":
Leben ist weder pures Vorhandensein, noch aber auch Dasein. Das Dasein wiederum ist ontologisch nie so zu bestimmen, daß man es ansetzt als Leben – (ontologisch unbestimmt) und als überdies noch etwas anderes. (Martin Heidegger, "Sein und Zeit", §10, S. 50)
Im Text aus der Sekundärliteratur heißt es ja:
"Anders als in der Tradition wo das deutsche Wort Dasein die Übersetzung von lat.
existentia ist, gebraucht Heidegger seit den frühen Freiburger Vorlesungen Dasein statt des mehrdeutigen Wortes <Leben>
exklusiv für den Menschen (GA 58, S.66)"
"Leben " betrifft auch Pflanzen oder Tiere, während der Begriff "Dasein" im Sinne Heidegger den Menschen als Seiendes bezeichnet.
Ja das stimmt, dass er beide Begriffe benutzt , aber eben auch diese von einander abgrenzt. Warum ist für dich der Begriff des "Daseins" mindestens ebenso "vieldeutig" (wie der Begriff des Lebens)? Worin würde denn aus deiner Sicht hier die Vieldeutigkeit dieses Begriffes bestehen? Was sich mir nicht ganz im Übrigen erschließt...
Interessant ist noch die Rede von (auf S.50) der Seinsart dieses Seienden, "das wir selbst sind". Das fand ich jedenfalls aufschlussreich. Er hätte auch sagen können: dass wir Menschen selbst sind...
Im folgenden Zitat wird nochmals deutlich, dass die herkömmliche (von Heidegger so behauptete) Vorstellung des Menschen (als "Ich und Subjekt", d.h. als bewusstseinsfähiges Lebewesen) keine phänomenologisch zutreffende Bestimmung des "Daseins" ist, da die - in meinen Worten - ganzheitliche Bestimmung des Seienden aus seinem Sein unterbleibt (vergessen wird):
Eine ihrer [der Analytik] ersten Aufgaben wird es sein zu erweisen, daß der Ansatz eines zunächst gegebenen Ich und Subjekts den phänomenalen Bestand des Daseins von Grund aus verfehlt. [...] Diese Titel [Subjekt, Seele, Bewußtsein, Geist, Person] nennen alle bestimmte, »ausformbare« Phänomenbezirke, ihre Verwendung geht aber immer zusammen mit einer merkwürdigen Bedürfnislosigkeit, nach dem Sein des so bezeichneten Seienden zu fragen. Es ist daher keine Eigenwilligkeit in der Terminologie, wenn wir diese Titel ebenso wie die Ausdrücke »Leben« und »Mensch« zur Bezeichnung des Seienden, das wir selbst sind, vermeiden. (Martin Heidegger, "Sein und Zeit", §10, S. 46)
Ja , das stimmt und das Zitat ist auch gewählt. Vor allem fand ich den letzten Satz besonders wichtig : "
Es ist daher keine Eigenwilligkeit in der Terminologie, wenn wir diese Titel ebenso wie die Ausdrücke »Leben« und »Mensch« zur Bezeichnung des Seienden, das wir selbst sind, vermeiden"
Denn hier wird ja deutlich, dass Heidegger den Begriff "Mensch" auch vermeiden will und dafür statt dessen vom "Dasein" spricht.
Wozu es auf S.11 von SuZ eben heißt: "Wissenschaften haben als Verhaltungen des Menschen die Seinsart dieses Seienden (Mensch). Dieses Seiende fassen wir terminologisch als Dasein".
Der Begriff "Mensch" wird damit eher vermieden, aber der Mensch ist dasjenige Seiende was von Heidegger terminologisch als "Dasein" bezeichnet wird.
Lese einfach etwas genauer: das "Seiende" ist der Mensch, während "die Seinsart des Seienden" das "Dasein" meint.
"Wenn Heidegger
die Seinsart des Seienden <Mensch> als Dasein begreift"
und vergleiche dies mit dem Satz aus Sein und Zeit (S.11):
"Wissenschaften haben als Verhaltungen des Menschen
die Seinsart dieses Seienden (
Mensch). Dieses Seiende fassen wir terminologisch als Dasein""
Man kann ja sehen wie sich die Sekundärliteratur hier vor allem vermutlich auf diese Stelle von SuZ beruft. Das müsste an der Formulierung "
Seinsart dieses Seienden" eigentlich relativ deutlich sein.
Und es heißt ja besonders: "Dieses Seiende fassen wir terminologisch als Dasein"
Ich denke nicht, dass ich derjenige bin, der bei Heidegger etwas ganz grundlegend (noch) nicht verstanden hat.
Nun das hatte ich damit nicht behaupten wollen. Ich habe nur den Eindruck, dass hier recht unterschiedliche Heidegger-Verständnisse sich artikulieren , wenn man die Sekundärliteratur auch noch hinzuzieht. Jedenfalls ist das mein Eindruck, da es da Differenzen hinsichtlich des Verständnisses gibt.
Das Seiende ist eben aber gerade nicht mit dem "Dasein" identisch.
"Dieses Seiende fassen wir terminologisch als Dasein". (SuZ, S.11)
Wie gesagt, für Heidegger ist der Mensch dasjenige Seiende, was terminologisch als "Dasein" bezeichnet wird.
Der Schluss ist nicht korrekt. Zwar will Heidegger keine Wissenschaft ersetzen oder darstellen, aber dies gerade deshalb, weil es ihm nicht wie den Wissenschaften "um den Menschen [geht]", sondern es geht ihm um die transzendentale Analyse des Seienden in seinem Sein. Hieraus ergibt sich ein anderes Menschenbild, das analytisch unter (und mit) dem Begriff "Dasein" untersucht wird.
Nun es wird ja deutlich in SuZ, dass Heidegger sich von der Anthropologie mit seinem Absatz abgrenzt. Und die Anthropologie denkt ja traditioneller Weise den Menschen. Aber vermutlich ist Heidegger mit dieser Denkweise aus fundamentalontologischer Perspektive nicht zufrieden und betont daher eben seinen speziellen philosophischen Ansatz. Die Daseinsanalytik ist eben eine Analytik/Analyse des Seienden . Das letztgenannte würde ich im Grunde auch so sehen. Mir war nur die Abgrenzung zur Anthropologie wichtig.
Was mich nicht weiter wundert.
Ich habe es eben nur festgestellt dort.
Genau hierzu rede ich mir doch die ganze Zeit den Mund fusslig... *stöhn*
Gut, dann scheint das ja klar zu sein.
Nein. Er hat nicht "Dasein" genommen, um den Begriff "Mensch" damit zu ersetzen, sondern er hat "Dasein" gewählt, um dem ungenügenden (ontischen) Menschenbild (animal rationale, s.o.) ein ursprünglicheres voranzustellen und ersteres also denkerisch (daseinsanalytisch) letztlich zu überwinden.
Nun ich würde sagen, er zieht den Begriff "Dasein" vor und vermeidet den Begriff "Mensch" um nicht in Rahmen einer metaphysischen Tradition zu denken...sonst würde er ja im Grunde in eine metaphysische Begrifflichkeit zurückfallen...also die Sprache der Metaphysik sprechen...und die Rede vom Menschen als aninmal rationale entspricht der traditionellen metaphysischen Auffassung > seine Begrifflichkeit möchte sich auch bewusst von traditioneller metaphysischer Begrifflichkeit, also von Begriffen der Metaphysik absetzen, so wie ich Heidegger hier auch verstehe. Mit dem Begriff "Dasein" denkt er also den Menschen im Rahmen der Fundamentalontologie , die sich aber nicht als Metaphysik verstehen möchte.
Ich glaube ich hatte dazu auch eine Anmerkung aus den Schwarzen Heften zitiert und zwar aus GA 97...
Das Zitat findet man in einem meiner früheren Beiträge...was ich nochmal nachschauen müsste...
Ich vermute auch, dass Heidegger mit meiner Interpretation nicht unzufrieden wäre, davon abgesehen, dass ich mich auf sein eigentlichen Seinsverständnis nicht einlassen will, dafür ist mir die Rationalität - so uneigentlich und seinsvergessen sie auch immer sein mag - viel zu wichtig; besser ein seinsvergessener Metaphysiker als ein inhumaner Denker einer vermeintlich wahren Humanität.
Nun das kann natürlich gut zu sein, dass Heidegger mit dieser Interpretation "nicht unzufrieden" wäre, aber Gewissheit diesbezüglich hat man nicht. Man kann jetzt nur noch die Schriften lesen und ihn selbst nicht mehr dazu befragen.
Sozialität - das habe ich ja nun schon ausführlich genug dargelegt - ist für Heidegger als "faktisch soziale Einrichtung[en]" dem "alltägliche[n] Miteinandersein" zugehörig, was in "Sein und Zeit" konsequenterweise nicht näher untersucht wird. Das alles schreibt Heidegger selbst und ich verstehe ehrlich gesagt nicht, wie man sich so schwer tun kann, dieses zu erfassen und zu akzeptieren. Es steht doch klipp und klar - insbesondere für Heideggers Verhältnisse - da.
Die Rede von der Sozialität bringt ja die Heidegger-Sekundärliteratur selbst ein, wenn auch betont wird (Heidegger-Handbuch 2013, S.306):
"Mag dieses Modell
rudimentäre Sozialität auch zulassen , bleibt es hinter einer Bestimmung von
tatsächlicher Kommunität doch deutlich zurück."
Ich kann ja nur darauf , dass ja auch hier die Sekundärliteratur eben von "rudimentärer Sozialität" spricht, es wird allerdings nicht weiter von Heidegger bestimmt/untersucht, sondern ist eben nur in rudimentärer Form vorhanden in SuZ. Ich denkt der Punkt ist klar,
ich habe eben nur betont , dass die Sekundärliteratur aber zumindest eben von dieser "rudimentären Sozialität" spricht, mehr nicht.
Okay.
Das rettet deine Idee, dass sich Heidegger für die "soziale Gemeinschaft" interessiert, in keiner Weise. Auch hier steht es schon im Text geschrieben: NICHT "das Miteinandersein als Zusammenvorkommen mehrerer Subjekte" (d.h. die soziale Gemeinschaft) ist das "volle, eigentliche Geschehen des Daseins".
Gruß
Phil
Naja, hier zu heißt es aber in der Sekundärliteratur:
"Zum
ersten und einzigen Mal in Sein und Zeit
affizieren sich umfassende Sozialität und Selbstheit nicht negativ, sondern
fallen im Volk in eins..." (2013, S.306)
und weiter: "(...) legt Heidegger hier nahe, dass
Sozialität sich unter bestimmten Vorraussetzungen- den Vorraussetzungen geteilter >Entschlossenheit> sogar in >
Eigentlichkeit> steigernder Weise auswirken kann.
Ich würde schon aber sagen, dass sich Heidegger hier für die soziale"Gemeinschaft", das "Volk" insofern interessiert, da sich das "Geschehen der Gemeinschaft" mit dem "eigentlichen Geschehen" des Daseins verknüpft. In der Sekundärliteratur wird dieser Punkt dann so beschrieben:"
affizieren sich umfassende Sozialität und Selbstheit nicht negativ, sondern
fallen im Volk in eins."
Im Sinne also von : "Wir sind das Volk" /"Wir sind die Gemeinschaft" > denn es fällt zusammen > das "Geschehen der Gemeinschaft" entspricht dem eigentlichen Geschehen des Daseins in diesem Fall. Ich sehe das also etwas anders. Heidegger interessiert sich hier insofern für "Gemeinschaft" , weil damit auch das eigentliche Geschehen des (Einzel) Daseins verknüpft...daher auch die Rede von einem "Wir" ..denn die Differenz zwischen dem Einzeldasein und der Gemeinschaft ist in dem Fall nicht mehr vorhanden. Das "Geschehen der Gemeinschaft" entspricht dem eigentlichen "Geschehen des Dasein"...und damit ist Sozialität /die soziale Gemeinschaft -das "Wir"- gegeben aus meiner Sicht. Ich muss in dem Punkt widersprechen also der Sache nach (so wie ich sie sehe).
Einen Gruß auch von mir
Philosophist