AW: Das doppelte Gesicht des Neides
"Halter Ihr es für möglich oder für utopisch, in einem Gefüge ohne Neid ( im weitesten Sinne) als Antrieb zu leben?
Warum scheint dieser Wunsch utopisch zu sein? Ist er das?"
Ich führe alle Eigenschaften und Gefühle auf den Egoismus des Menschen zurück, das scheint offenbar so ein kleiner Tick von mir zu sein, wie ich selber immer wieder überrascht feststellen muss.
So sehe ich auch den Neid als Folge oder als Bestand des Selbsterhaltungstriebs des Menschen. Nur weil er verschieden stark ausgeprägt ist, darf man mMn niemals glauben, die einen hätten ihn und die anderen hätten ihn nicht.
Positiv gesehen ist der Neid eine Triebfeder, eine Motivation für viele unserer Handlungen, wie es auch Marianne schon anklingen lässt.
Wir erleben oder empfinden ihn aber sehr negativ und kämpfen daher dagegen an. Er ist sozial negativ, schließlich sind wir Menschen mehr oder weniger auf ein soziales Miteinander angewiesen. Wir können ihn aber bestenfalls kontrollieren, wir können mit mehr oder weniger Erfolg dagegensteuern, ihn aber niemals ganz ausschalten. Na ja, manchmal schon irgendwie, dann sind wir (zu recht) vielleicht stolz darauf.
Menschen ohne Neid – ja, das ist so was wie eine "Utopie". Neid nicht ausarten lassen durch Selbstkontrolle – das ist auch eine zutiefst menschliche Eigenschaft, die uns auszeichnet – mehr oder weniger...
Neid und Angst sind... ja, genau, das sind sehr menschliche, egoistische Eigenschaften: Ein Antrieb einerseits, Selbstschutz andererseits.
Und wir wären nicht Menschen, wenn wir mit diesen fundamentalen Eigenschaften des Menschen nicht Geschäft machen würden – hmmm, das auch wieder nur rein aus egoistischen Gründen!
Die Werbungsstrategie, besonders aber die Politik fällt mir dazu spontan ein. Neid und Angst spielen in der Politik immer eine Rolle. Mit dem müssen wir leben, sonst müssten wir ja die Roboter wählen und regieren lassen.
Aber: Hier spielt genauso Maß und Ziel eine Rolle, ihre Kontrollierbarkeit, um diese negativen Eigenschaften nicht ausarten zu lassen: Zu einem unkontrollierten, kollektiven Fanatismus beispielsweise, der blind macht. Man wird blind vor Neid und Hass, heißt es. Und Angst ist ein schlechter Ratgeber, heißt völlig zu Recht ein anderer einfacher Leitspruch.
Neid und Angst sind daher das Alpha und das Omega für ausschließlich populistisch ausgerichtete Parteien. Sie operieren damit und missbrauchen die Menschen, die durch den Missbrauch ihrer Triebe zu den Wählern und Lemmingen solcher Parteien und Führer werden.
Populisten und Polemiker "operieren damit", indem sie diese negativen Gefühle nicht bekämpfen, sondern "pflegen". Sie sind nämlich auf solche Gefühle angewiesen, weil sie ohne Neid und Angst nicht als Politiker erfolgreich sein könnten und ihre Parteien gar nicht existieren könnten - ohne jetzt übertreiben zu wollen!
Wie Neid und Angst ständig geschürt und verstärkt werden, sodass die Betroffenen und Missbrauchten immer mehr und fest selber an diese "Wahrheiten" glauben, zeigt uns der politische Alltag. Wer Angst hat, wird immer Angst haben – für solche Leute sind tatsächliche Missstände persönlich empfundene Katastrophen.
Es nützt dann auch logischerweise nichts, wenn ein Missstand erfolgreich bekämpft wird: Es muss ein nächster geschaffen werden, der sich allzu oft nur im Kopf abspielt und dadurch übergroße Dimensionen annimmt – und vor allem als eine Realität empfunden wird. Werbungsstrategie und Politik sind da oft miteinander sehr stark verflochten…
Neid komplett zu beseitigen sehe ich als Utopie, um zum Ausgangspunkt zurück zu kommen.
Neid kontrollierbar zu machen ist für mich aber sowas wie unsere Pflicht.
Individuell und kollektiv.
Gruß
Andreas