Stimmt, aber aus dem Geist heraus hat sich eine gewisse Grundskepsis gegenüber vielen Traditionen eingestellt und man hat vieles von dem abgeschafft, was nicht postwendend seinen Nutzen oder aktuellen zeitgeistigen Bezug ausweisen konnte.
Ich glaube, dass der kulturelle Flurschaden, der da angerichtet wurde, heute noch bei weitem nicht aufgearbeitet ist.
Im Leben gibt es nur eine Konstante, und das ist die Veränderung.
In der Eindämmung von privatem Feuerwerk (ganz verboten wird es ja auch nicht) kann ich keinen "kulturellen Flurschaden" erkennen. Zumal die Form und das Ausmaß privaten Feuerwerks zu Silvester überhaupt nicht so alt ist. Persönlich kann ich mir nicht vorstellen, das alles wäre in den Jahren vor 1960, 70 schon so gewesen. Also: So what?
Einer Aufarbeitung bedürfen vielmehr die Traditionen selbst. Denn in ihnen wird vor allem das bewahrt und aufgehoben, was plakativ ist und dennoch ein Postkartenmotiv sein kann ... und vor allem wird verklärt, geschönt und manchmal auch dreist gelogen dabei.
Beschäftigt man sich einmal mit den Grundlagen der einen oder anderen kulturellen Tradition, so erfährt man oft Geschichten, die man seinen Kindern nicht so ohne Weiteres erzählen würde.
Warum z.B. steckt man am Nikolaustag Süßigkeiten in Schuhe und Socken? Ist doch ziemlich merkwürdig, etwas aus seinen Schuhen zu essen ...
Die "wahre" Geschichte dahinter - selbst eine christliche Legende - würde man Kindern nicht erzählen wollen, so derb, wie sie ist - wobei die Zeitgenossen selbst, auch Kinder, damit kaum ein Problem gehabt haben dürften, denn die soziale Situation der damaligen Gesellschaft war hart.
Die Münchener Frauenkirche, ist fraglos ein architektonisches Glanzstück und kulturelles Symbol der Stadt. Anlässlich eines Besuchs fragte meine Mutter einmal, wie man so ein Bauwerk in der damaligen Zeit finanzieren konnte. Ich kannte die Antwort und erzählte sie ihr ... und merkte sofort: Oh, oh, falsche Antwort ... das gefiel ihr gar nicht, und die Kirche selbst verschweigt solche historischen Fakten auch lieber ganz betreten. Die Zeitgenossen des Bauwerks hätten solche Skrupel aber wohl nicht gehabt, und schließlich haben sie die Kirche ja auch gebaut.
Nur zwei Beispiele, aber die Liste ließe sich ohne Probleme weiter ausführen.
Die "Grundskepsis gegenüber vielen Traditionen" bezieht sich oft nicht auf die Traditionen selbst. Vielmehr geht es um die Verlogenheit, mit denen sie ausgeführt und vertreten werden, denn die wahren Geschichten hinter ihnen werden gern unter den Teppich gekehrt.
Es ist kein Zufall, dass dieser Prozess gerade in unseren Zeiten stattfindet. Denn musste man in früheren Zeiten noch mühsam in Bibliotheken recherchieren, was dann nur der wirklich Interessierte auch tat, genügt heutzutage oft nur ein Mausklick.