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Wissen und Glauben - Was ist der Unterschied?

Auch wenn das jetzt schon ein sehr deutliches Abdriften vom ursprünglichen Thema bedeutet,
möchte ich doch noch auf einen früheren Beitrag zurückkommen.

lilith51 schrieb:
viele menschen haben oft den eindruck, nichts zu fühlen.
sie können den gefühlszustand, in dem sie sich befinden, nicht benennen.
wenn man fragt, wie fühlst du dich, oder was fühlst du, sind sie überfordert.
da ist nichts als verwirrung bzw. ein taubes, unbestimmtes gefühl.

die ursache dafür wird u.a. der tatsache zugeschrieben,
dass kindern (oft schon sehr früh) gesagt wird, wie sie "richtig" fühlen sollen.

das kind weint, die mutter weiß nicht warum und sagt, sei nicht traurig, um es zu trösten.

die botschaft der mutter war gemeint als: komm, es wird alles gut, ich bin bei dir.

das kind versteht: traurig sein ist falsch.

vor allem dann, wenn es oft vorkommt, oder wenn die mutter ungeduldig wird,
weil das im unpassenden moment geschieht (beim einkaufen...).

das kind lernt, es ist falsch, sich traurig zu fühlen, also darf ich es nicht fühlen.
Mir wird hier das Unvermögen, ein Gefühl zu benennen, zu stark in die Nähe von "nicht fühlen dürfen" gerückt,
und dabei zu wenig berücksichtigt, dass wir beim Reden über Gefühle ja mehrere Hürden zu überwinden haben.

Die erste Schwierigkeit stellt sich schon bei der Verabredung einer Benennung für ein bestimmtes Gefühl ein.

Für einen Apfel lässt sich ja relativ leicht eine Benennung vereinbaren, da muss der Lehrer nur einen Apfel
in die Hand nehmen und sagen: "das hier nennen wir Apfel".
Dieses einfache und wirksame Verfahren ist bei einem Gefühl aber nicht anwendbar, weil ein Gefühl ja eine
überwiegend interne Angelegenheit ist.

Woher soll ein Kind dann eine Benennung für ein bestimmtes Gefühl nehmen,
wenn nicht vorher schon über ein sehr ähnliches Gefühl ausführlich gesprochen wurde ?


Die zweite Schwierigkeit ergibt sich daraus, dass sich Gefühle häufig aus mehreren Komponenten
zusammensetzen, und eine sehr grosse Vielfalt an Mischungsverhältnissen der Komponenten auftritt.

Die Situation ist so ähnlich wie bei der Vielfalt an Farb-Eindrücken, die aus verschiedenen
Mischungsverhältnissen der Grundfarben Rot-Grün-Blau und einem Grau-Anteil entstehen.

So wie wir beileibe nicht für jedes denkbare Mischungsverhältnis von Grundfarben eine Benennung des
entstehenden Farbeindruckes vereinbart haben, so haben wir auch nicht für jedes mögliche Mischungsverhältnis
von Gefühlskomponenten eine Benennung vereinbart.

Wenn wir über unseren Gefühlszustand reden, dann sind wir mitunter auf so "präzise" Formeln zurückgeworfen,

wie: "ich fühle mich nicht gesotten und nicht gebraten".


Vor dem Hintergrund der objektiven Schwierigkeiten bei der Benennung eines Gefühles würde ich kein Problem
daraus konstruieren, wenn ein Kind seinen momentanen Gefühlszustand nicht in Worte fassen kann.
Ich würde vielmehr eine Neigung der Eltern zur Problematisierung solchen Unvermögens als Symptom eines
zu stark schematisierten Bildes von der Gefühlswelt betrachten, das nur einige wenige, sauber getrennte
und ettikettierte Gefühlszustände erlaubt.

Gewissermassen ein Bild von der Gefühlswelt, in dem nur die reinen Farben Rot, Grün, und Blau vorkommen.

Vielleicht sollte man ja auf die Frage "wie fühlst du dich ?" gar nicht primär eine verbalisierte Darstellung des
Gefühlszustandes als Reaktion erwarten, sondern empfänglich für jegliche Art von Gefühlsausdruck sein, sei es
nun eine Umarmung, eine nur mühsam unterdrückte Träne, oder ein "Naja" begleitet von einem tiefen Seufzer.


Das musste auch einmal gesagt werden.
 
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Hallo Neugier!

Da vermischen sich mMn zwei verschiedene Themenkreise miteinander. Bei einem geht es um die Fähigkeit, Gefühle richtig zu benennen, beim anderen um das Erlernen von Spielregeln (was ist richtig und falsch) in der Gefühlsäußerung.

Zum Thema „Wie heißt das was ich da spüre, welchen Begriff gibt es dafür, meint der andere dasselbe wie ich, wenn ich diesen Begriff verwende“ : Da kann ich dem zustimmen, was du geschrieben hast.

Ja, ein Kleinkind redet meistens nicht darüber, wie es sich fühlt, es drückt Gefühle unmittelbar aus. (Ausnahmen bestätigen die Regel.)

Der zweite Teil der Geschichte ist das, was ich ursprünglich damit gemeint hatte. Ich wollte damit erklären, wie es zu dem Umstand kommt, dass Gefühle gar nicht erst gefühlt werden. Dieses NICHT FÜHLEN ist Ursache der Verwirrung und des NICHT ARTIKULIEREN KÖNNENS, was mit mir los ist.

In der guten Absicht, dem Kind das erwünschte Verhalten beizubringen, entsteht durch das korrigierende Eingreifen der Mutter oder eines sonstigen Erziehers beim Kind permanent der Eindruck, „So wie ich etwas aus mir heraus tun will, so ist es falsch“. Da das Kind alles was ihm widerfährt persönlich nimmt, speichert es „Ich BIN falsch“. Die Mutter hat immer recht, also muss das Kind aus seiner Sicht im Unrecht sein. Und das hat Auswirkungen auf sein zukünftiges Verhalten.

Die unangenehme Erfahrung, immer das Falsche zu spüren führt dazu, dass die Gefühle abgespalten und verdrängt werden. Daraus folgt ein ständiges Überlegen-Müssen, was in einer bestimmten Situation denn üblicherweise gefühlt werden sollte, und das stellt man dar. Wie ein Schauspieler seine Rolle spielt, mit dem Unterschied, dass der Schauspieler weiß, dass er nur darstellt, der Mensch der so handelt, glaubt, es geht nur so, weil er sich durch den Mechanismus des Verdrängens, der ja in frühester Kindheit stattfindet, nicht mehr erinnert, dass da mal etwas anderes war.

Diese Gefühlstaubheit kann in verschiedenen Auswirkungsgraden auftreten. Es gibt Menschen, die spüren wirklich gar nichts, bei manchen tritt das nur in bestimmten Situationen auf, z.B. in Beziehungen, die zu einer Partnerschaft führen könnten. Oder nur im geschäftlichen Bereich.
Je nachdem, in welchen Bereich die „Familienmuster“ stärker wirksam waren.

Ich glaube, jeder kennt Menschen, die sehr beherrscht und kontrolliert durchs Leben gehen, denen kein spontaner Ausrutscher passieren könnte. Menschen die sich nicht wirklich entspannen können, weil sie immer alle Sensoren auf Empfang ausrichten müssen, um ja immer „richtig“ reagieren zu können. Auch solche, die sich nicht entscheiden können und solche, die sich an allem schuldig fühlen, gehören dazu, weil sie glauben, die Erwartungen aller anderen erfüllen zu müssen. Wenn man in sich nichts spürt, braucht man immer die anderen zur Orientierung. Es ist ein Leben voller Angst, die aber als Angst gar nicht wahrgenommen wird, WEIL MAN NICHTS SPÜRT!

Das ist jetzt ziemlich lang geworden, aber hoffentlich kommt das jetzt auch rüber, was ich meine. Es ist mMn das Verhalten einer ziemlich großen Gruppe von Menschen in unserer Gesellschaft. Da werden Therapeuten und Berater (und was weiß ich noch wer aller) noch ein Weilchen ein reiches Betätigungsfeld haben. Denn irgendwann kommt fast jeder drauf, dass zum Leben, wenigstens im privaten Bereich, mehr gehört als die Erwartungen der anderen zu erfüllen.

herzlich
lilith
 
hallo neugier!

Seine Vorstellung ist zwar ausreichend gut (viable), um den Weg alleine zu gehen,
aber deswegen noch lange nicht sicher vollständig richtig.

Die Wissenschaft befindet sich in einer sehr ähnlichen Position wie dieser blind geborene Mensch.

bist Du Maschinenbauer?
Hauptsache, man kommt an & keine Rücksicht auf Verluste.

ein seriöser Wissenschaftler spielt in Gedanken durch,
was die Theorien alles anrichten können
und erkennt so die Wahrheit

diese Wahrheit (=die Stimme Gottes) äußert sich zugleich als Kunst, Religion, Wissenschaft
 
Neugier schrieb:
Woher soll ein Kind dann eine Benennung für ein bestimmtes Gefühl nehmen,
wenn nicht vorher schon über ein sehr ähnliches Gefühl ausführlich gesprochen wurde ?

Wenn wir über unseren Gefühlszustand reden, dann sind wir mitunter auf so "präzise" Formeln zurückgeworfen,
wie: "ich fühle mich nicht gesotten und nicht gebraten".

Ich würde vielmehr eine Neigung der Eltern zur Problematisierung solchen Unvermögens als Symptom eines zu stark schematisierten Bildes von der Gefühlswelt betrachten, das nur einige wenige, sauber getrennte
und ettikettierte Gefühlszustände erlaubt.

Gewissermassen ein Bild von der Gefühlswelt, in dem nur die reinen Farben Rot, Grün, und Blau vorkommen.
Liebe Neugier,

ich finde, dass die Antwort von Lilith deine Schilderung wunderbar vervollständigt.

Durch die Art der Eltern, mit den Gefühlen der Kinder nicht zurande zu kommen und sie in weiterer Folge den Kindern auszureden, entsteht die Grundlage zur Gefühlverwirrung, wie Du sie beschreibst.

Dem so erzogenen Menschen ist es später nicht leicht möglich, die eigenen Gefühle wahrzunehmen und sie evtl. auch einzuordnen. Bei einem von Dir geschilderten Gefühlsmix wird´s dann überhaupt ganz schlimm.

Diese Abtrennung von den eigenen Gefühlen bietet dann eine gute Basis dafür, sich von der Gefühlswelt zurückzuziehen und sich hinter der "sachlichen" Welt des "Wissens" zu verkriechen.
Wobei mit Wissen der "allgemein gültige" Teil desselben definiert wird.
Womit ich wieder die Überleitung zum Thema "Wissen und Glauben" geschlagen hätte.

MMn fällt es dem Kind dann schwer, sein eigenes Gefühl zu definieren, wenn die Eltern ihm nicht erlaubt haben, es zu spüren. Es handelt sich dabei um eine Verdrängung der klassischen Art.
Dies meine ich deshalb, da auf Kindergesichtern jegliches Gefühl allerdeutlichst wahrzunehmen ist und diese Gefühle (Schmerz, Trauer, Zorn, Freude, Schelmhaftigkeit...) prinzipiell von jedem Menschen erkannt und auch deutlich benannt werden können, wenn er nicht gerade selbst damit ein (Verdrängungs-) Problem hat.

Dies meine ich dazu.

:winken1: Kathi
 
wir sind alle eins. alle verschieden , aber alle gleich. jeder entwickelt sich anders , aber alle gehen die gleichen wege. diese wege sehen nur bei jedem anders aus , aber es geht bei uns allen um das gleiche.
 
aphex schrieb:
wir sind alle eins. alle verschieden , aber alle gleich. jeder entwickelt sich anders , aber alle gehen die gleichen wege. diese wege sehen nur bei jedem anders aus , aber es geht bei uns allen um das gleiche.
Ja aphex, das sehe ich auch so. Wir sind alle eins, wir fühlen uns zwar manchmal getrennt, weil wir uns nur so erkennen können, aber wir sind nicht getrennt. :umarm:
herzlich
lilith
 
lilith51 schrieb:
Da vermischen sich mMn zwei verschiedene Themenkreise miteinander.

Bei einem geht es um die Fähigkeit, Gefühle richtig zu benennen,
beim anderen um das Erlernen von Spielregeln (was ist richtig und falsch) in der Gefühlsäußerung.
lilith, genau darum ist es mir ja gegangen,
die Notwendigkeit einer solchen Unterscheidung in Erinnerung zu rufen.


Zum zweiten Teil möchte ich noch zwei Punkte bemerken.

Der erste Punkt ist, dass die emotionale Entwicklung eben nur dann wie beschrieben verläuft, wenn das Kind
regelmässig, oder zumindest ungewöhnlich häufig, die Signale aus dem Umfeld falsch interpretiert.

Missverständnisse sind bei Kommunikationsakten zwar nicht gerade selten, aber bei "stimmiger Begleitmusik"
werden sie sehr schnell neutralisiert.

Bei der beschriebenen Entwicklung wäre demnach der Frage nachzugehen, warum diese Fehlinterpretationen
so lange unentdeckt und wirksam bleiben.


Der zweite Punkt zielt auf die Diagnose "Gefühlstaubheit" durch einen Beobachter ab,
bei der anscheinend eine bestimmte Norm-Gefühlsstärke unterstellt wird,
eine Art Norm dafür, was in einer bestimmten Situation denn gefühlt zu werden hat.

Bei solchen Normierungen beschleicht mich der Verdacht, dass die Verschiedenheit der Menschen hinsichtlich
ihrer angeborenen Antriebs- und Gefühlsprofile zu wenig berücksichtigt wird, dass das Spektrum des Normalen
zu eng gefasst wird.


Über die Auswirkungen einer bestimmten Erfahrung auf die Entwicklung der Gefühlswelt eines anderen Menschen
können wir meiner Meinung nach keine verlässlichen Vorhersagen machen,
weil dazu die Menschen sowohl hinsichtlich ihrer angeborenen Antriebs- und Gefühlsprofile
als auch hinsichtlich ihres bisherigen Erfahrungshintergrundes zu stark verschieden sind.

Wir können bestenfalls einige Faktoren herausschälen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit
mit einer bestimmten Stärke in eine bestimmte Richtung wirken.

Für die Erziehung eines Kindes gibt es eben kein allgemeingültiges detailliertes Erfolgsrezept,
ganz zu schweigen von einer Erfolgsgarantie.

Vielleicht ist ja doch was dran an dem weit verbreiteten Gerücht, dass gerade Pädagogen und Psychologen
häufig mit ihren eigenen Kindern ernste Probleme haben. Vertreter dieser Berufsgruppen sind ja am stärksten
der Versuchung ausgesetzt, zu eng gefasste Normvorstellungen von der Emotionalität zu entwickeln, sich als
Gefühlsvermessungstechniker beim Vermessen ein klein wenig zu vermessen und dann vermessen genug zu sein,
die Diskrepanz zwischen Messergebnis und eigener Normvorstellung dem Prüfling anzulasten. ==> *ratlosbin*


Den Aussagen des vorletzten Absatzes kann ich wieder weitgehend zustimmen.
Auch ich habe den Eindruck, dass es sehr vielen Menschen anscheinend wesentlich wichtiger ist,
jederzeit "richtig" zu funktionieren, als sich wohl zu fühlen.


Das musste auch einmal gesagt werden.
 
kathi schrieb:
Durch die Art der Eltern, mit den Gefühlen der Kinder nicht zurande zu kommen
und sie in weiterer Folge den Kindern auszureden,
entsteht die Grundlage zur Gefühlverwirrung, wie Du sie beschreibst.
kathi, eigentlich wollte ich gar keine Gefühlsverwirrung beschreiben, sondern zum Ausdruck bringen,
dass ich es für unproblematisch halte, wenn ein Kind den eigenen Gefühlszustand nicht benennen kann.

lilith hat ohnehin schon zu verstehen gegeben, dass sie diesbezüglich eine sehr ähnliche Sichtweise hat.

Zum zweiten Teil, siehe meine obige Antwort an lilith.


Als Kontrastprogramm zur Gefühlsunterdrückungsdiskussion könnte man ja auch einmal den Spiess umdrehen,
und fragen:

Könnte es sein, dass wir einem "Gefühlszeige-Diktat" unterliegen ?

Werden wir zu oft angehalten, Gefühle zu zeigen, weil es sich halt so gehört,
auch wenn uns gar nicht danach ist ?

Wollen sich manche Menschen ganz einfach diesem als unnatürlich empfundenen Diktat nicht beugen ?


So auf nüchternen Magen mögen solche Fragen zunächst ja einigermassen irritierend klingen,
aber vielleicht lässt sich mit diesem Ansatz ein Verhalten erklären, das ansonsten unerklärbar erscheint.


In letzter Konsequenz landen wir wohl wieder bei der Frage aller Fragen:

Wie breit ist das Spektrum des Normalen zu definieren, bzw. wo beginnt die krankhafte Abweichung ?


Das musste auch einmal gesagt werden.
 
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Hallo Neugier!
Die Beobachtungen über den Umgang mit Gefühlen entstammen ja meistens von Störungen in diesem Bereich. Für den üblichen Umgang miteinander lassen sich da höchstens annähernde Rückschlüsse ziehen.

Meine eigenen Kindheitserfahrungen würden in den heutigen Familien so nicht mehr möglich sein. Damals gab es noch andere gesellschaftliche Spielregeln, die sich viel drastischer auswirkten, weil es kaum einen außerhäuslichen Ausgleich gab. Die Vielfalt von heute gab es damals noch nicht.

Den Spieß umdrehen, ja das ist gut! Gefühle nicht herzeigen dürfen bzw. herzeigen müssen, das sind die Extrempunkte des selben Themas. Eine schreckliche Frage ist das "Warum bist du nicht offen?" Das hab ich am eigenen Leib mit einem angehenden Psychotherapeuten (Therapsychopathen :weihnacht ) in meinem Bekanntenkreis erlebt, der seine "Öffnungsmethoden" ausprobieren wollte. :bwaah:

herzlich
lilith
 
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