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Ist objektive Geschichtsschreibung möglich?

AW: Ist objektive Geschichtsschreibung möglich?

Für einschlägig Interessierte, die im ostösterreichischen Raum leben, hier der Hinweis auf eine Tagung des Wiener "Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften" (Eintritt frei für jedermann, also nicht nur für "Profi-Historiker"), nächste Woche - Interessierte aus anderen Weltteilen können sich zumindest auf der Homepage ein paar weitere Ezzes holen...

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IFK Tagung
DIE UNANSCHAULICHKEIT DER GESCHICHTE. ÜBER DIE DARSTELLBARKEIT DES VERGANGENEN
Ort: IFK, 1010 Wien, Reichsratsstraße 17/DG,
29.-31. Mai 2008 (öffentlich zugänglich, freier Eintritt)


Bilder als historische Quelle, geht das? Die Kunsthistorikerin Monika Wagner wird in der ersten Sektion darüber sprechen, warum und wie der Maler Anselm Kiefer Unmittelbarkeit von Geschichte gerade nicht herstellen möchte, sondern das Gegenteil: Distanz. Für die HistorikerInnen, ihre Verwendung von Bildern und welche Affekte und psychischen Voraussetzungen damit verbunden sind, interessiert sich Bernd Roeck. Historiker sind "Priester der schlechten Laune", so der Mittelalterhistoriker Valentin Groebner, denn Geschichte sei seit langem tot. Trotzdem wird sie dargestellt und ist, so Groebner, die zweitgrößte Dienstleistungsindustrie des Planeten. Trotzdem, die schlechte Laune bleibt - wie mit ihr umgehen, ist seine Fragestellung.
Wie Schlachten dargestellt werden können, ist das Thema des Panels, in dem Marian Füssel über Schlachtenrepräsentationen des 18. Jahrhunderts sprechen wird, Jan von Brevern die Schlacht von Marathon in den Blick nimmt, Egon Flaig darüber nachdenkt, warum begriffene Geschichte nicht anschaulich sein kann, und Heinz Dieter Kittsteiner sich mit dem Modell der drei Zeitschichten Fernand Braudels auseinandersetzt.
In der Sektion "Nacht und Nebel" geht es um Film und Fotografie und ihr prekäres Verhältnis zur geschichtlichen Wahrheit: Robert Capa, Augenzeuge? Fragt der Fotohistoriker Anton Holzer, der sich Capas berühmtes Bild des "Fallenden Soldaten" im Spanischen Bürgerkrieg ansieht. Näher als damals Capa kann man nicht dran sein am Kriegsgeschehen - nur: Wie authentisch dieses Bild ist, wird seit den 70er-Jahren immer wieder hinterfragt. Judith Keilbach beschäftigt sich mit ZeitzeugInnen und Reenactment in Film und Fernsehen, und Ewout van der Knaap untersucht Alain Resnais' Filmessay "Nacht und Nebel", der, so van der Knaap, eine Schaltstelle in der Erinnerungskultur des Holocaust ist.
Abgeschlossen wird die Tagung mit einem Panel zur "Erzählbarkeit der Geschichte": "So also sieht Weltgeschichte in der Nähe aus; man sieht nichts", schrieb Musil in einem essayistischen Rückblick auf den Ersten Weltkrieg. Inka Mülder-Bach wird sich mit diesem Essay Musils beschäftigen. Gerhard Neumann spricht über Bertolt Brechts Darstellung der Historie, und Karl Schlögel hält einen Vortag über die Grenzen eines Extremfalles der Darstellbarkeit: Moskau zur Zeit des Großen Terrors 1937/1938 und wie sich Terror und Nebensächlichkeiten, die gleichzeitig passieren, darstellen lassen.

TeilnehmerInnen, Abstracts und Programm: www.ifk.ac.at
 
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AW: Ist objektive Geschichtsschreibung möglich?

Ist eine länderübergreifende objektive Geschichtsschreibung möglich?
Wenn ja, wäre sie nicht in der EU anzustreben?!

Hallo Raphael

Solche ist unbedingt anzustreben, der Wille dazu ist auch vorhanden.
Hier die erfreulichen Versuche zweier Partner.

Die EU schreibt ihre eigene 'Geschichte' dazu.

Europäische Grüsse :)
Jérôme
 
AW: Ist objektive Geschichtsschreibung möglich?

Hallo Raphael

Solche ist unbedingt anzustreben, der Wille dazu ist auch vorhanden.
Hier die erfreulichen Versuche zweier Partner.

Die EU schreibt ihre eigene 'Geschichte' dazu.

Europäische Grüsse :)
Jérôme

Hallo Jerome und Raphael.

Lasst mich einfach eine Art "Solidaritätsadresse" ( wie das damals in der DDR hieß) an Euch richten.
Auch mir ist der europäische Weg mit Abstand der sympathischste.

Gewisse üble Mängel dieses Babys müssen aber auch genannt werden (wer sein Kind lieb hat, lobt es ja auch nicht immer :)).

Da wäre zunächst die gruselige Bürokratenmaschine, die Krümmung und Größe von Gurken und Bananen vorschreibt, um nur ein Beispiel zu nennen.

Zweitens (eigentlich noch schlimmer) ist die ganz schreckliche Subventionspraxis zu nennen- über die wir ruhig diskutieren können, die aber mindestens Millionen afrikanischer, asiatischer und lateinamerikanischer Bauern um die Existenz bringt. An der Stelle haben die Anti-Westler wirklich Recht - aber das ist kein Systemfehler von Demokratie/Kapitalismus, sondern ein Handeln wider das liberale ökonomische Prinzip, das ja im Kapitalismus seine Heimat hat (bzw. haben sollte).

Trotz dieser Kritikpunkte, und obwohl es noch mehr davon gibt, der europäische Geist ist mein Leitfaden, ganz klar.


LG, Euer pispezi :zauberer2
 
AW: Ist objektive Geschichtsschreibung möglich?

Hallo Jerome und Raphael.
...
Trotz dieser Kritikpunkte, und obwohl es noch mehr davon gibt, der europäische Geist ist mein Leitfaden, ganz klar.


LG, Euer pispezi :zauberer2

Nachtrag:
Sorry, wenn dieser Beitrag fern jeder objektiven Geschichtsschreibung lag...
Es soll möglichst nicht mehr vorkommen :)

:zauberer2
 
AW: Ist objektive Geschichtsschreibung möglich?

Ohne diesen europäischen Gedanken unterbrechen zu wollen (sorry!)...

... schnell nochmal ein einschlägiger Veranstaltungshinweis von mir zum allgemeineren Thema des Threads, diesmal bezogen nämlich auf eine Fernsehsendung heute um Mitternacht:
bei "Literatur im Foyer" diskutiert der österreichische Schriftsteller Raoul Schrott die umstrittenen Thesen seines Buches "Homers Heimat" (Hanser Verlag) - hier der Einfachheit halber die Verlagsinfo:

Wer war Homer wirklich? Raoul Schrott ist bei der Arbeit an seiner Ilias-Übersetzung auf eine Sensation gestoßen: Der Schauplatz der Ilias ist nicht Troia, sondern Kilikien. Diese These legt er in seiner großen Studie Homers Heimat mit einer Fülle von Daten, Fakten, Belegen und Indizien vor - und das erste Mal seit über 2500 Jahren wird nicht nur der zeitgenössische Hintergrund der Ilias rekonstruiert, sondern auch die Person Homer und ihre Herkunft erkennbar gemacht. Schrott hat die kilikischen Hintergründe für die Götter und Heldenfiguren der Ilias erforscht; die kilikische Landschaft bereist; die Realgeschichte wiedergefunden, die Homer in den alten Troiastoff projiziert, und die historischen Vorbilder für unsterbliche Figuren wie Paris, Helena, Hektor, Achilleus und Priamos.
Weiteres siehe u.a.: http://www.hanser.de/buch.asp?isbn=978-3-446-23023-1&area=Literatur

Nachfolgend hier auch gleich die (leider recht martialisch geratene) Ankündigung des Senders:

Literatur im Foyer (freitags um Mitternacht im SWR):
Sendung am 23. Mai (0:00 Uhr) / Wiederholung am Sonntag, 1. Juni um 10.15 Uhr in 3 SAT

Autorengespräche um Mitternacht, von den Antikfestspielen in Trier

Es tobt eine Schlacht - im deutschen Feuilleton. Raoul Schrotts Thesen zu Homer haben wie eine Bombe eingeschlagen. Die Fachleute schießen scharf zurück. Wir wollen, während wieder um Troja gekämpft wird, nicht in Deckung gehen, sondern Stellung beziehen.

Die Schlachtordnung steht fest:
Kurt Steinmann (gefeierter Neu-Übersetzer der "Odyssee")
Raoul Schrott (Verfechter der streitauslösenden Thesen zu Homer)
Barbara Patzek (Troja-Fachfrau & Professorin für Alte Geschichte)
Christoph Ulf (Professor für Alte Geschichte und Alt-Orientalistik)
Kurt Flasch (Philosoph alter Schule)
Wilfried Stroh (Liebhaber der alten Sprachen, speziell des Lateinischen)

Aus den Befestigungsanlagen deklamieren:
Christian Brückner & Raoul Schrott

Als Schlachtenbummler steht bereit:
Martin Lüdke, SWR (Mainz)
 
AW: Ist objektive Geschichtsschreibung möglich?

Ohne diesen europäischen Gedanken unterbrechen zu wollen (sorry!)...

... schnell nochmal ein einschlägiger Veranstaltungshinweis von mir zum allgemeineren Thema des Threads[/I]

Roman, hast ja mit Recht unterbrochen - wie gesagt.

Aber angesichts Deiner Troja-Empfehlung hier auch eine von mir, die ebenfalls ein zentrales abendländisches (oder weltweites) Thema zum Inhalt hat.
Es geht um das Buch eines österreichischen Geologen-Paares mit dem Titel:

"Und die Sintflut gab es doch", Tollmann & Tollmann

Hier der Amazon-Link (wenn mal erlaubt :)):

http://www.amazon.de/Sintflut-doch-Mythos-historischen-Wahrheit/dp/342677139X

Das ist - in meinen Augen - ein hervorragends Beispiel "objektiver Geschichtschreibung" (vor ca. 9500 Jahren angesiedelt).

Es wird anhand geologischer, ethnografischer und kulturhistorischer Daten ein Bild gezeichnet davon, was die "Sintflut" hervorgerufen hat und welche Folgen sie hatte.

Es wird "nebenbei" erklärt, warum die Genesis der Bibel so lautet, wie sie lautet. Oder warum fast alle Völker der Welt ihre Abstammung auf ein Menschenpaar zurückführen (weil nämlich die Menschheit durch einen Riesen-Kometeneinschlag fast ausgerottet wurde).

Ich kann nur allen Wissens- und nicht Glaubenshungrigen wärmstens empfehlen, das Buch zu lesen!

Übrigens bin ich kein Österreicher, heiße nicht Tollmann, verdiene an keinem Verlag... :D

Ich habe einfach nur ein neues fruchtbares Erklärungsmuster für viele scheinbar rätselhafte Fakten der damaligen Geschichte und Überlieferung gefunden.

LG, pispezi :zauberer2
 
AW: Ist objektive Geschichtsschreibung möglich?

...Auch mir ist der europäische Weg mit Abstand der sympathischste....

...Da wäre zunächst die gruselige Bürokratenmaschine, die Krümmung und Größe von Gurken und Bananen vorschreibt, um nur ein Beispiel zu nennen...

Zweitens (eigentlich noch schlimmer) ist die ganz schreckliche Subventionspraxis zu nennen- über die wir ruhig diskutieren können, die aber mindestens Millionen afrikanischer, asiatischer und lateinamerikanischer Bauern um die Existenz bringt. An der Stelle haben die Anti-Westler wirklich Recht - aber das ist kein Systemfehler von Demokratie/Kapitalismus, sondern ein Handeln wider das liberale ökonomische Prinzip, das ja im Kapitalismus seine Heimat hat (bzw. haben sollte)...

Hallo Pispezi

Ich stimme Dir zwar zu, aber sind 'die EU' nicht wir? All die EU-Politiker sind unsere Politiker, die 'wir' meist mit einem klaren Auftrag nach Brüssel, Luxemburg oder Strassburg schicken. Solange diese Politiker hauptsächlich die (unsere) Interessen (jeweils) eines einzigen Landes und nicht vordergründig die Interessen Europas im globalen Zusammenhang vertreten, ist Besserung kaum in Sicht.
2009 ist wieder Europawahl, wir sollten uns überlegen, ob wir 'der EU' die Politiker schicken, die wir loswerden wollen, oder die, die wir für die Sache für geeignet und qualifiziert halten ;).

Wenn schon off topic, dann aber richtig -grins:

Neben der Änderung der Subventionspraxis, hielte (nicht nur) ich primär das Verbot, Grundnahrungsmittel an der Börse zu handeln -weltweit, versteht sich, für dringend notwendig.

Grüsse
Jérôme


Roman70 schrieb:
"Wer war Homer wirklich?... Schrott hat die kilikischen Hintergründe für die Götter und Heldenfiguren der Ilias erforscht; die kilikische Landschaft bereist; die Realgeschichte wiedergefunden, die Homer in den alten Troiastoff projiziert, und die historischen Vorbilder für unsterbliche Figuren wie Paris, Helena, Hektor, Achilleus und Priamos...

Hallo Roman

Ich habe zwar keinen Fernseher, habe aber mir Interesse Deinen Programmhinweis gelesen. Dabei kam mir ein Buch in den Sinn, das Dich oder auch andere interessieren könnte.

Tony Perrottet: In Troja ist kein Zimmer frei: Urlaubsparadiese der Antike
(Original Titel: Route 66 A.D. - On the Trail of Ancient Roman Tourists)

Perrottet studierte Geschichte, ist aber Journalist und Autor.
Als er die Schilderung der Strapazen und Freuden einer Reise nach Olymia zu den Spielen von Epiktet las, war er so begeistert, dass er beschloss, eine für die antiken Touristen typische Route zu bereisen und seine Eindrücke in einem Reisebericht zusammenzufassen. Daraufhin las er sich in Aristides, Plutarch, Seneca, Tacitus...ein und studierte Landkarten aus dem 2.Jh.
Seine Reise führte und führt durch das Buch über die italienischen Küsten, Ausgrabungsstätte in Griechenland, durch Ägypten bis nach Troja.

Sein Reisebericht erhebt selbstverständlich keinen Anspruch auf historisch-wissenschaftliche Relevanz, es geht ihm mehr um die Feststellung, dass die römischen 'Touristen' und das damalige Reisen an sich, mit unserem sehr viele Ähnlichkeiten besitzt. Die Römer reisten nicht nur, um Handel zu betreiben, sondern genauso, um sich zu erholen, zu vergnügen oder weiterbilden. Sie hatten nicht nur ihre Philosophen, sondern auch ihre Reiseführer und 'Animateure'. Auch solche, die sie anschwindelten oder schamlos ausnahmen...

Geschrieben ist es im Stile römischer Satiriker mit heiterer Ironie, locker-flockig :) und m.M.n. mit viel Charme.
Es fehlen weder Quellen-Hinweise noch übersichtliche Zeittafel noch ein 'Who's who' der Antike, damit auch 'Einsteiger' ihren Spass nicht verlieren.
Es ist nicht verkehrt, diesen 'Reiseführer' auch für den Urlaub im Harz mitzunehmen.

Grüsse
Jérôme
 
AW: Ist objektive Geschichtsschreibung möglich?

Das ist - in meinen Augen - ein hervorragends Beispiel "objektiver Geschichtschreibung" (vor ca. 9500 Jahren angesiedelt).

Danke für den Tipp. Ich möchte bloß festhalten, dass das alles erst ein plastisches Bild ergibt, wenn noch einige andere mit derselben Akribie und Entschlossenheit die Sache aus ihrem Blickwinkel untersucht und dargestellt haben.

Erst dann nähern wir uns dem Maß an Objektivität, das ich meine. Denn dann kann man den Blickwinkeln nachgehen und sich selbst ein Bild machen.

lg Frankie
 
AW: Ist objektive Geschichtsschreibung möglich?

Danke für den Tipp. Ich möchte bloß festhalten, dass das alles erst ein plastisches Bild ergibt, wenn noch einige andere mit derselben Akribie und Entschlossenheit die Sache aus ihrem Blickwinkel untersucht und dargestellt haben.

Erst dann nähern wir uns dem Maß an Objektivität, das ich meine. Denn dann kann man den Blickwinkeln nachgehen und sich selbst ein Bild machen.

lg Frankie

Ja, unbestritten, aber zur Sintflut scheint es bisher nur Märchen oder viel zu lokal angelegte wissenschaftliche Ansätze zu geben.

Was mit den Tollmanns Vergleichbares kenne ich nicht - leider.

LG, pispezi :zauberer2
 
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AW: Ist objektive Geschichtsschreibung möglich?

Hallo Jerome!
Dein Beitrag ist sehr spannend, ich selbst las Epiktet sehr leidenschaftlich, den römischen Geschichtsrahmen dazu muss man sich erarbeiten, Du wirst ihn in Buchform nicht bekommen; -eben. Deshalb ist Geschichtsschreibung niemals vollständig objektiv, weil Geschichtsschreiber, entweder jene Politiker ihrer Zeit, oder Historiker, meist Juristen (nahezu alle Propheten und Philosophen der Antike waren Juristen), von ihren zeitgenössischen Herrschern finanziert wurden, oder später (zumindest in Volksbüchern) umgeschrieben werden um den jeweiligen zeitgenössischen Gesetzen zu entsprechen. Es ist die Summe der Erkenntnis mehrerer Historiker der selben Epoche, welche "objektiver" ist.
LG Kultus Maximus
 
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