Miriam, in der Tat gibt es in China politische Prozesse, die mit den unseren nicht oder nur schwer zu vergleichen sind und natürlich ist vor allem unser Verständnis für Menschenrechte ein anderes, wie das der führenden Partei in der Volksrepublik China. Doch solche Unterschiede sind nicht nur zwischen Europa und China vorhanden. Ich denke, dass du auch die Systeme und deren Politik im mittleren Osten, Russland oder Afrika nicht besonders einfach mit den europäischen Idealen in Einklang bringen wirst. Eine Fokussierung auf China ist daher zumindest bedenklich und könnte ganz leicht zu einer einseitigen Betrachtung führen.
Wollen wir uns aber einmal mit China beschäftigen, dann können wir nicht einfach einen Fall herausnehmen, sondern sollten uns auch die anderen, für diesen Fall wesentlichen, Rahmenbedingungen ansehen. Diese Bedingungen werden immer wieder galant umgangen und außer Betracht gelassen und ich habe mich während meinen Jahren, die ich in China gelebt habe, doch sehr oft gefragt, ob irgend jemand sich einmal die Mühe macht, zumindest ein Gespür für die Probleme zu erhalten, mit denen man sich in China konfrontiert sieht.
Ich rede hier von Verstehen, nicht von akzeptieren oder von Zustimmung in seiner letzten Konsequenz.
Wenn deutsche Politiker von „Recht und Ordnung“ reden, von gesellschaftlichen Systemen, von„demokratischen Rechten“ und von den Menschenrechten schlechthin, dann tun sie dies vor dem Hintergrund eines Staates, der ein solches System bereits hat und sich auch nur mit etwa 80 Millionen Bürgern zu beschäftigen hat.
Nun schwenke einmal nach China. Wir haben hier eine andere Geschichte und vor allem eine völlig andere Kultur und Werte, die den unseren in vielen Bereichen zumindest sehr fremd sind. Die Kulturrevolution hat so unglaublich tiefe Wirkungen hinterlassen und Außenstehende können sich kaum vorstellen, dass die Folgen der Kulturrevolution im täglichen Verhalten der Menschen noch aktiv weiter lebt.
Shanghai alleine hat etwa 20 Millionen Einwohner und ist doch nur ein kleiner Punkt in einem unendlich großen Land mit etwa 1,5 Milliarden Menschen. Die meisten dieser Menschen sind nicht gebildet und haben auch kaum ein Verständnis für unsere Rechtsordnung oder unser Gerechtigkeitsempfinden. Diese Masse „frei“ zu lassen, würde zu einem Chaos nicht nur in der Region führen, sondern weit über diese Grenzen hinaus.
Natürlich gibt es noch viele andere Gründe, die anzuführen wären und man könnte da auch Bücher füllen. Mein Punkt ist jedoch, dass man auch China eine Chance geben muss und China hat gerade mal erst damit begonnen, sich zu öffnen. Alleine in der Zeit, die ich China von innen kenne, haben sich dramatische Änderungen vollzogen, die allesamt dem Leben der Menschen zugute kommen.
Natürlich ist auch dieser Weg lange. Doch 1,5 Milliarden Menschen versetzt man nicht über Nacht in die Demokratie. Das ist ein langsamer und sehr vorsichtiger Prozess, in dessen Verlauf auch sicherlich einige schlechte Dinge stattfinden werden, der es aber hoffentlich schaffen wird, ein Volk dieser Größe in eine gute und friedliche Zukunft zu führen.
Ich plädiere daher lediglich für mehr Ausgeglichenheit und mehr Fairness gegenüber einem Staat, der zumindest derzeit versucht sich zu transformieren und eine neue Gesellschaftsform zu finden.
Und ich bin mir ziemlich sicher, dass die vorhandenen Probleme und Herausforderungen in China, die meisten deutschen Politiker absolut überfordern würden.