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Wie wahr ist die Sprache der Politik?

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majanna

Guest
Wie wahr ist die Sprache der Politik – über die Beliebigkeit politischer Informationen - diese Frage beschäftigt mich schon lange. Hier fand ich einen Ansatzpunkt. " Ein paar kurze Gedanken über "Wahrheit" „
Von: Freiman Kehdingen, © 2002 in Solid/Info Ag- Texte / Freimanns Kolumnen




In diesem Artikel – ich fand ihn unter dem Stichwort Sprechakt in Google – wird die Interdependenz zwischen Wahrheit und Wirklichkeit behandelt.
Da es mir scheint, dass auch bei politischen Diskussionen Grundsätzliches nicht fehlen darf, werfe ich hiermit eine neue Frage auf.


Ansatzpunkt soll nachfolgendes Zitat aus der oben zitierten Kolumne.



„Wir unterscheiden zwischen WIRKLICHKEIT -- also einer Sache, einem Zustand oder Zusammenhang, der beobachtbar und vermittelbar ist -- und der VERMITTLUNG dieser Sache.
Diese Vermittlung allein kann Wahrheit sein.
Eine Wahrheit ohne beobachtbare Wirklichkeit gibt es also nicht.

WAHRHEIT ist ein Begriff, der nur und ausschließlich auf die Vermittlung von Beschreibungen verwendet werden kann.
• Je präziser und genauer vermittelt wird, was wirklich ist, was wirklich geschah und geschieht, desto "wahrer" ist die Vermittlung der Beschreibung, desto mehr "Wahrheitsgehalt" hat eine Mitteilung.
• Je ungenauer, vager, oder verfälschter eine Mitteilung die Wirklichkeit beschreibt, desto "un-wahrer" ist diese Mitteilung, der Mitteilende lebt und kommuniziert in einer (wachsenden) Entfernung zur Wahrheit -- "wahrheitsfern" -- und wird zum Lügner. „


Daran anschließend möchte ich fragen – Lügen alle unsere Politiker? Ich setze allerdings voraus, dass alle Menschen eines Kulturkreises einen Konsens haben, wie sie die sie umgebende Realität sprachlich wiedergeben.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
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Es ist mir wohl bei dieser Fragestellung nicht gegeben, Antwort zu bekommen.

Daher bemühte ich mich, diese ( für mich) zu beantworten.

Also, ich denke mal weiter, also, wenn die Wirklichkeit, die uns umgebende Umwelt und das Geschehen in ihr zwar mittels Beschreibung in Sprache „objektiv“ und daher wahr wiedergebbar wäre, wird Sprache – wie wir alle wissen – das nicht leisten können. Zu sehr wird sie von den Sprechern mitgeformt, ihrer Weltsicht, ihren Absichten, die den Sprechakt entscheidend mitformen.
Es gibt aber trotzdem eine Art intersubjektive Wahrheit, denn sonst verstünden wir einander ja nicht. Peter Bichsels „Kindergeschichte“ umformend, möchte ich sagen, dass ein Tisch eben ein Tisch für alle Sprecher ist. Und wenn der kleine Herr Moritz ihn auch Spiegel nennt, den Spiegel Tisch usw, wird e r wissen, wovon er spricht; aber kein anderer.

An diesen intersubjektiven Wirklichkeitsbegriff muss sich natürlich auch ein Politiker halten.
Wenn er Atomkraftwerk sagt, wird er auch faktisch eines meinen müssen.

Wenn er Sicherheit sagt, wird es schon schwieriger.

Ich meine damit, dass es umso schwieriger sein wird, Abstrakta oder hypothetische Konstrukte präzise und genau wieder zu geben, je verschwommener der intersubjektive Wirklichkeitsbegriff ist.

Und wenn ich nun noch – als Politiker eine Pflichtübung – meine Worte persuasiv , als Mittel der Überzeugung- setzen muss, wird die politische Rede an sich ein schwieriges Unterfangen.

Wen will der Politiker überzeugen? Eine möglichst breite Zuhörerschaft! Und jeder soll das hören, was ihm wünschenswert erscheint.

Und deshalb muss der Politiker verschwommen reden, um möglichst viel Spielraum für die vielen subjektiven „Wahrheiten“ der Zuhörer zu lassen. Der Politiker will ja, dass er von vielen verstanden wird.

Und das scheint der Grund zu sein, warum ( mir) das Geschwafel der Politiker aller Coleurs so auf den Geist geht.
Sie dreschen Phrasen, Phrasen, Phrasen.
Der eine tut es, indem er möglichst die Leitlinien für Funktionärsinformationen wiederholt ( ob das wohl Gusi ist ?), der andere sagt in aller Klarheit, dass er das, was er gestern gesagt hat, nicht gesagt hat ( Ihr wisst, wen ich meine), der dritte sagt mit tausend Wenn und Aber, dass er und seine Partei ein Glücksfall für Österreich sei.
Und der Herr Professor setzt gekonnt seinen Intellekt ein, um den politischen Gegner als einen Belächelnswerten darzustellen.
Bla bla bla....

Und alle wollen nur das Beste für unser Land! Was ich auch glauben möchte. Nach persönlicher Einflussnahme strebt keiner- i wo!

Und alle wollen zu allen sprechen. Und da liegt meines Erachtens der Hund in der Pfeffermühle.
Das geht nicht. Das ging, als im Anfang des 20. Jahrhunderts die Interessenskonflikte der Gesellschaftsschichten offen zu Tage traten, alle sozialistischen Politiker zu allen Arbeitern sprechen wollten und alle Politiker der christlichen Zentrumsparteien zu Menschen mit aufrechter christlicher Überzeugung und alle liberalen Politiker zu gewissen Wirtschaftskreisen.

Heute sind diese zentrierten Wählerschichten Schnee von gestern. Heute gewinnt man eher den Eindruck, dass der Wahlkampf für indifferente Wechselwähler geführt wird.

Und deshalb meine ich: unsere Politiker lügen nicht, informieren nicht einmal direkt falsch, sondern folgen den von mir ausgeführten Sachzwängen, um das Ziel – Maximierung der Wählerschichten - zu erreichen.
 
Liebe majanna,

du sollst nicht ohne Antwort bleiben. Trotz des umfänglichen Themas will ich doch versuchen auf den Punkt zu kommen. Erst mal ein kleiner historischer (Trost) Hinweis: Schon vor zweieinhalb Jahrtausenden stritt man im Athen um die Wahrheitspflicht der politischen Führer. Dies als Hinweis darauf, dass du ein Problem angeschnitten hast, das bis heute nicht gelöst ist.

Problematisch ist einmal schon der von dir gewählte Wahrheitsbegriff: Wer – nicht nur Politiker – ist tatsächlich in der Lage, Wirklichkeit so zu vermitteln, dass sie vollständig vermittelt und damit wahr wäre? Nicht umsonst gibt es den alten römischen Rechtsgrundsatz: Im Zweifelsfalle für den Angeklagten. Und nicht ohne Grund bemüht man sich bei der Aufklärung von Verbrechen aller Art um eine möglichst lückenlose Beweisaufnahme. Darin deutet sich an, wie schwierig Vermittlung von Wirklichkeit ist. Hast du schon mal versucht, aus dem Streit zweier Kontrahenten, die Wahrheit herauszufinden? Ist es dir schon mal gelungen, zwei Menschen zu finden, die das gleiche über denselben Vorgang oder Gegenstand oder ... berichten?
Ich will damit andeuten: Dass ein falscher Wahrheitsbegriff vielleicht auch ein Grund sein könnte, für die Unwahrhaftigkeit unserer Politiker.

Damit in Zusammenhang stehen könnte vielleicht auch deine zweite Erklärung: Nämlich, dass die Pflicht der Politiker darin bestehe, alle und jeden, von allem und jedem überzeugen zu müssen. Könnten wir das nicht ändern, indem wir uns nicht einfach von allem und jedem überzeugen lassen wollen, sondern lieber nur von davon, was für uns das Beste ist? Auch hier stellt sich wieder die Wahrheitsfrage: Wollen wir nur das als wahr gelten lassen, was uns gefällt? Was uns – aus welchen Gründen auch immer – überzeugt?

Auf deine Gedanken dazu bin ich gespannt.

gruß manni :)
 
Bin ja geradezu gerührt, dass eine aus der Runde mit mir dieses Thema „andenken“ will. Danke, Manni.

Ich gebe Dir völlig Recht, wenn Du meinst, dass materielle und noch viel weniger geistige Wirklichkeit von niemandem sprachlich wiedergegeben werden kann. Vielleicht hat die „Sprache“ der Naturwissenschaften mit Formeln und formelhaften Beschreibungen, mit ihrem Anspruch auf Verifizierbar- und Falsifizierbarkeit der Aussagen noch am ehesten Anspruch darauf.

Genau so unpraktisch ist für eine Diskussion, wie wir beide sie hier betreiben, die Austinsche Sprechakttheorie, die jeden Satz in Sprechakt ( das Hervorbringen von Gedanken in Sprache) und das Produkt dieses Prozesses, die Aussage unterteilt.
Trotzdem halte ich mich im Wesentlichen an Austin, wenn ich jetzt folgendes meine.
Der Sprechakt setzt Sprechvermögen voraus, allein, so sage ich mal, die Absicht bestimmt zunächst die Aussage.
Will ich darstellen? Will ich bitten, überzeugen ?
Ich glaube, bei Bitten ist die jeweilige Wahrheit im Satz enthalten. Hol mir bitte ein Glas Wasser! Dieser Satz ist objektiv wahr, denn der Sprecher sagt präzise, was er will.
Ähnlich wahr sind Sätze wie: Ich hole mir jetzt ein Glas Wasser. ,wenn ich das tue. Neben dieser „wahren“ Aussage steckt aber bereits die Absicht in dem Satz, irgendjemanden von diesem Akt zu verständigen.
Schwieriger ist es, m.eEs. nach schon bei Sätzen, mit denen ein Sprecher etwas darstellen will. Da purzeln soviel psychologische Bestimmungen in die Rede, dass, wenn zwei dasselbe sehen, sie nie dasselbe darüber berichten. Keiner will natürlich die faktische Wahrheit verbiegen.
Dazu: ich habe einmal mit einer Klasse ( 6. Schulstufe) ein Experiment gemacht. Geübt haben wir brav Erlebnisformen. Die Stunde begann. Ich schrieb auch (brav) zwei Themen an die Tafel. Da polterte plötzlich eine Schülerin der Oberstufe in die Klasse und sagte im fast amtlichen Ton, dass SchülerInnen dieser Klasse beim Diebstahl gesehen worden seien. Der Herr Direktor käme gleich, um das mit uns zu besprechen. Das ganze war natürlich mit mir abgesprochen. Ich spielte Spontaneität und schrieb kurz entschlossen an die Tafel: „Was eben passierte!“ als drittes Auswahlthema. Du kannst Dir vorstellen, dass fast alle dieses Thema wählten und das Ergebnis war alles andere als eine gleiche Darstellung des Vorgangs.
Was ich damit meine: Ich gebe Dir wieder Recht, dass es keine absolute Wahrheit gibt, wenn der Mensch Sprache als Darstellungsmittel benutzt.

Und – mein Beitrag hätte ja heißen sollen: warum können Politiker nicht die Wahrheit sagen – vollends bei der Sprechabsicht Überzeugen/ überreden.
Aber das hast Du ja bereits abgehandelt. Denn bei dieser Sprechabsicht kommt ja noch irgendwie die Hörabsicht der Lesers/Hörers dazu. Ich halte das für wahr, was ich (eben auch aus subjektiv verschiedensten Gründen für wahr halten will.Und das soll so ein armes Politikerwürstchen dann von allen seinen Wählern wissen. Er muss plauschen!!!!

Für heute genug gedacht. Du siehst, dass wir beide zu ähnlichen Ergebnissen kommen.


Allerliebste Grüße
Majanna
:) :) :) :)
 
Es ist doch immer wieder schön zu beobachten, wie friedlich sich zwei denker etwas plauschibel machen können!!:p
Johko
 
Charakter der Sprache

Liebe majanna,

ich möchte deine Einschätzung der Bedeutung von Sprache noch durch folgendes ergänzen. (Ich kenne diesen Austin zwar nicht, aber ich habe – dank deiner anschaulichen Unterrichtsweise - verstanden, worum es geht. ) Deine Beispiele zeigen, das die Sprache nur eine Art Werkzeug ist, durch das „etwas“ mitgeteilt wird, das das Gemeinte ist. Und das jeweils der Sprechende bzw. der Hörende mit diesen Zeichen nicht nur Objektives (i. S. von verabredeter Bedeutung), sondern auch Subjektives (persönliche Bedeutungen) damit verbindet. Bei alltäglichen Gegenständen ist dies in der Regel unproblematisch, schwieriger wird es aber schon bei Abläufen – siehe dein zweites Beispiel – und am schwierigsten bei der sprachlichen Darstellung von Gedanken.

Hinsichtlich unseres Themas bedeutet es eigentlich, Politiker (Und nicht nur die! Ich denke da auch an unsere Journalisten, Lehrer, Autoren...) sollten sorgsam mit Sprache umgehen –gerade weil sie andere überzeugen müssen – aber ihnen sollte an der Wahrheit gelegen sein, gerade dann, wenn wir einsehen, dass es kaum möglich ist, mit Sprache die Wirklichkeit vollständig abbilden zu können, was niemand ändern kann, weil dies eben zur menschlichen Sprach-Begrenztheit gehört.

Absolute Wahrheit wird so natürlich nicht erkennbar - da sind wir uns einig -, auch wenn die Frage nach ihr, in diesem Thema drinsteckt. (Diese muss anderswo zu finden sein.) Sich ihr so weit als möglich anzunähern, das sollten auch wir Zuhörer von unseren Politikern fordern und von uns selbst.

gruß manni
 
Original geschrieben von johko
... plauschibel...

Johko, ein schönes Wort, das mich zu folgenden Gedanken angeregt hat: Gemeinsames Nachdenken im Gespräch miteinander sollte tatsächlich auch eine Art "Plauschen" - so eine Art "Plüschsofagemütlichkeit" (welche Sprache!) enhalten und tatsächlich auch dazu dienen, sich gegenseitig etwas "plausibel"
im Sinne von "einleuchtend" zu machen. Ich denke das ist der menschlichste Grund des Sprechens.

manni :)
 
Hallo, Manni!


Aus dem reichen Zitatenschatz ( Internet machts möglich) habe ich noch zu unserem Thema folgendes gefunden.


Der größte Feind der Wahrheit ist oft nicht die Lüge, die bewußt ausgeheckte Unredlichkeit, sondern eine Wirklichkeitsblindheit, zu der beharrlich überredet wird. John F. Kennedy


In Bezug auf unser Thema hieße es, dass ein Politiker nicht nur seiner eigene Sicht auf die Wirklichkeit folgen darf, sondern die seiner Wählertschaft erkennen muss- na, wenigstens sollte.



Liebe Grüße

Marianne
 
von AUSTIN gibt es ein schönes Buch bei der WBG,
in dessen Vorwort (oder war es die Einleitung?) drei Absätze den Tugenden Glaube-Liebe-Hoffnung gewidmet sind

daß Wahrheit eine beobachtbare Wirklichkeit voraussetzt, ist falsch
(das ist eine dualistisiche Unterstellung,
die auf die ausschließliche Wahrheit eines experimentellen Befundes abzielt)

Politiker lügen,
weil sie Eindruck erwecken wollen

Psychologen, Marktforscher... sagen den Politikern,
was sie sagen müssen,
damit ihr Image stimmt

in der Politik geht nur es nur um eine Wahrheit,
nämlich die, gewählt zu werden
 
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Original geschrieben von scilla


daß Wahrheit eine beobachtbare Wirklichkeit voraussetzt, ist falsch
(das ist eine dualistisiche Unterstellung,
die auf die ausschließliche Wahrheit eines experimentellen Befundes abzielt)



Hallo, Scilla,


gerade das, was Du jetzt tust, nämlich das hypothetische Konstrukt Wahrheit als philosophischen Grundansatz zu nehmen, der Wahrheit die Überprüfbarkeit zu nehmen, wollte ich nicht.

Wahrheit ist etwas viel Schlichteres als hehre Grundgedanken über den Urgrund alles Seins. Sie ist, das ist mein philosophisches Credo, in der materiellen Umwelt vorhanden.


Dass es trotzdem keine absolute Wahrheit gibt ( denk an H2O - ist es Wasser, Eis, Nebel?) darüber sind sich Manni und ich einig. Und über die psychologische Beeinflussung dessen,was wir subjektive und objektivierbare Wahrheit nennen ,auch.


In allen Deinen anderen lokutionären Sprechakten ( Der lokutionäre Akt: der Akt der Äußerung eines Satzes mit einem angebbaren (abstrakten) Bedeutungsgehalt )

sagts Du Ähnliches oder dasselbe wie Manni und ich.



Danke für Dein Bemühen, Klarheit in eine, mir gar nicht so klare Sache zu bringen
 
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