PhilippP
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- 8. April 2003
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- 931
AW: Wahrheit und Realität
Hallo Zeili,
da bringst Du mich ehrlich gesagt etwas in Verlegenheit, zwar kann ich Dir nun durchaus eine vermeintlich "neueste (philosophische) Erkenntnis" präsentieren, selbige wäre aber - genauer betrachtet - doch nur wieder eine von vielen neueren Darstellungen.
Du siehst: das ist ein Dilemma, dem man so einfach nicht entrinnen kann, möchte man nicht überheblich erscheinen. Schließlich ist die Pluralität der Meinungen in der Philosophie sehr wichtig, auch wenn das eigene Urteilsvermögen dabei bisweilen über Gebühr gefordert wird.
Aber nun der Versuch einer Antwort:
Im Unterschied zur klassischen Aristotelischen Kategorienlehre - Kategorien als allgemeinste Seinsformen: Quantität, Qualität, Realtion, Substanz, Ort, Zeit, Lage, Wirken, Haben, Leiden - werden bei Kant Kategorien a priori als Bedingungen zur Möglichkeit von Erfahrung gesetzt; Kants Kategorientafel: Quantität, Qualität, Relation, Modalität.
Heute wird von der evolutionären Erkenntnistheorie - im Unterschied zu Kant, der die von ihm aufgestellten Kategorien für ewige Gesetze hielt - davon ausgegangen, dass "es Strukturen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit [gibt], die den grundlegenden Umweltbedingungen (z. B. der Dreidimensionalität) Rechnung tragen. Diese Strukturen sind ein Produkt der Evolution, sie gehören zur genetischen Ausstattung, zum kognitiven 'Inventar' des Individuums, sind also vererbt oder angeboren im weiten Sinne. Sie sind deshalb nicht nur unabhängig von aller (individuellen!) Erfahrung, sondern sie liegen vor aller Erfahrung, sie machen Erfahrung (z. B. dreidimensionale Erfahrung) überhaupt erst möglich. Sie sind zwar nicht denknotwendig, aber erfahrungskonstitutiv. In diesem Sinne gibt es also ein synthetisches Apriori! Es bestimmt zwar unsere Wahrnehmungen und Erfahrungen, nicht aber unsere Erkenntnis." (Gerhard Vollmer, "Evolutionäre Erkenntnistheorie", Stuttgart 2002: S. 127)
Das wäre also eine recht aktuelle erkenntnistheoretische Sichtweise, die ich persönlich für sehr plausibel halte; Kategorien sind demnach nicht mehr notwendige und unveränderbare (ewige) allgemeinste Prinzipien (bei Aristoteles Ousia als erste Kategorie, bei Kant Verstandesbegriffe als denknotwendige Urteilsstrukturen), sondern sie fußen auf der Umwelt und dem Prozess der Auseinandersetzung der Lebensentwicklung mit derselbigen. Darauf baut dann die Erkenntnisfähigkeit auf, sie ermöglicht das reflexive Begreifen der erfahrbaren Wirklichkeit und also die Bildung von Kategorien (Aussagen über die Eigenschaften der Wirklichkeit) einerseits, andererseits auch das Kritisieren und Hinterfragen dieser so erkannten Phänomene. Dabei ist keine fixe Setzung einer absoluten Instanz vorgenommen: Kategorien wären demnach begriffliche Hilfsmittel der menschlichen Erkenntnisfähigkeit, die nicht denknotwendig sind, wohl aber mit wirklichen Phänomenen in Zusammenhängen stehen.
Es grüßt Dich,
Philipp
Hallo !
Die mich kennen, werden zugestehen, dass ich kein billiger Schmeichler bin. Trotzdem oder gerade deshalb möchte ich hier bemerken:
Der PhilippP ist wohl einer der wenigen wirklich kompetenten Philosophen im Denkforum.
Darum möchte ich, bevor ich in 6 Büchern 3 widersprüchliche Aussagen lese, gleich Dich, lieber PhilippP fragen:
Was ist nach neuesten (philosophischen) Erkenntnissen eine Kategorie ?
Bitte um Deine kompetente Antwort.
Liebe Grüße
Zeili
Hallo Zeili,
da bringst Du mich ehrlich gesagt etwas in Verlegenheit, zwar kann ich Dir nun durchaus eine vermeintlich "neueste (philosophische) Erkenntnis" präsentieren, selbige wäre aber - genauer betrachtet - doch nur wieder eine von vielen neueren Darstellungen.
Du siehst: das ist ein Dilemma, dem man so einfach nicht entrinnen kann, möchte man nicht überheblich erscheinen. Schließlich ist die Pluralität der Meinungen in der Philosophie sehr wichtig, auch wenn das eigene Urteilsvermögen dabei bisweilen über Gebühr gefordert wird.
Aber nun der Versuch einer Antwort:
Im Unterschied zur klassischen Aristotelischen Kategorienlehre - Kategorien als allgemeinste Seinsformen: Quantität, Qualität, Realtion, Substanz, Ort, Zeit, Lage, Wirken, Haben, Leiden - werden bei Kant Kategorien a priori als Bedingungen zur Möglichkeit von Erfahrung gesetzt; Kants Kategorientafel: Quantität, Qualität, Relation, Modalität.
Heute wird von der evolutionären Erkenntnistheorie - im Unterschied zu Kant, der die von ihm aufgestellten Kategorien für ewige Gesetze hielt - davon ausgegangen, dass "es Strukturen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit [gibt], die den grundlegenden Umweltbedingungen (z. B. der Dreidimensionalität) Rechnung tragen. Diese Strukturen sind ein Produkt der Evolution, sie gehören zur genetischen Ausstattung, zum kognitiven 'Inventar' des Individuums, sind also vererbt oder angeboren im weiten Sinne. Sie sind deshalb nicht nur unabhängig von aller (individuellen!) Erfahrung, sondern sie liegen vor aller Erfahrung, sie machen Erfahrung (z. B. dreidimensionale Erfahrung) überhaupt erst möglich. Sie sind zwar nicht denknotwendig, aber erfahrungskonstitutiv. In diesem Sinne gibt es also ein synthetisches Apriori! Es bestimmt zwar unsere Wahrnehmungen und Erfahrungen, nicht aber unsere Erkenntnis." (Gerhard Vollmer, "Evolutionäre Erkenntnistheorie", Stuttgart 2002: S. 127)
Das wäre also eine recht aktuelle erkenntnistheoretische Sichtweise, die ich persönlich für sehr plausibel halte; Kategorien sind demnach nicht mehr notwendige und unveränderbare (ewige) allgemeinste Prinzipien (bei Aristoteles Ousia als erste Kategorie, bei Kant Verstandesbegriffe als denknotwendige Urteilsstrukturen), sondern sie fußen auf der Umwelt und dem Prozess der Auseinandersetzung der Lebensentwicklung mit derselbigen. Darauf baut dann die Erkenntnisfähigkeit auf, sie ermöglicht das reflexive Begreifen der erfahrbaren Wirklichkeit und also die Bildung von Kategorien (Aussagen über die Eigenschaften der Wirklichkeit) einerseits, andererseits auch das Kritisieren und Hinterfragen dieser so erkannten Phänomene. Dabei ist keine fixe Setzung einer absoluten Instanz vorgenommen: Kategorien wären demnach begriffliche Hilfsmittel der menschlichen Erkenntnisfähigkeit, die nicht denknotwendig sind, wohl aber mit wirklichen Phänomenen in Zusammenhängen stehen.
Es grüßt Dich,
Philipp