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Vor 75 Jahren ...

AW: Vor 75 Jahren ...

Ohne USA und Bankenmafia kein Hitler Regime. Ein Aspekt, der allzugerne verleugnet und verdrängt wird. Ja es wäre möglich gewesen, Hitler zu vermeiden. Allerdings NICHT durch die Deutschen selbst.

:ironie: Sondern wahrscheinlich :dontknow: durch die Österreicher ....:lachen::lachen::lachen::lachen:

Ich bitte aber höflich zu beachten, daß Adolf HITLER seinerzeit von der Mehrheit der Deutschen gewählt worden ist ....bzw. seine NSDAP ....:schnl:
 
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AW: Vor 75 Jahren ...



Ich bitte aber höflich zu beachten, daß Adolf HITLER seinerzeit von der Mehrheit der Deutschen gewählt worden ist ....bzw. seine NSDAP ....:schnl:

Nein! Ist er nicht. Es war niemand anderes mehr da, was hätte gewählt werden können. Es war ein Schachzug, den Bush Junior wiederholt hat. Dieser wäre ohne die Pedros auch nicht an die Macht gekommen und dieser lag sogar wahlbedingt weit unter seinem Wahlgegner.
 
AW: Vor 75 Jahren ...

Nein! Ist er nicht. Es war niemand anderes mehr da, was hätte gewählt werden können. Es war ein Schachzug, den Bush Junior wiederholt hat. Dieser wäre ohne die Pedros auch nicht an die Macht gekommen und dieser lag sogar wahlbedingt weit unter seinem Wahlgegner.

Wie Du meinst ....:lachen::lachen::lachen:
 
AW: Vor 75 Jahren ...


:ironie: Vater- und Mutter-Land sind aber abgebrannt ..... :ironie: soll ich im Auftrag der Mai-Käfer mitteilen ....:lachen::lachen::lachen:

http://www.youtube.com/watch?v=p3BDLQJu5vs

Stimmt. Sowohl Vater als auch Mutter. innerhalb eines Jahres. Und das Buch wurde tatsächlich verbrannt, bis auf wenige, die gerettet werden konnten.


Hier eine Teilrettung über den Johnny aus dem Webcache

Eins ->

Page 1
„Ein deutscher Jude denkt über Deutschland nach“‘
Der Schriftsteller und Journalist Heinz Liepman,
sein Wirken in Hamburg und seine Auseinandersetzung
mit Antisemitismus und Philosemitismus
in Deutschland nach 1945
Von
Wilfried Weinke
„Ich gebrauche das Wort ‚iieher‘ in der Anrede, weil ich ennehme, daß Sie der
Heinz Liepmann sind, mit dem ich im Jl'ahre 3'933 im Cafä du Dome saß und
der mir damals erzählte, daß er schwer krank sei und die Hitierzeir deshalb
nicht üheriehen ernte-nie.“2 So schrieb am 25. März 1966 Ludwig Wronknw
vom New Yorker „Aufbau" an den mittlerweile in Zürich lebenden Heinz
Liepman. „Cafe du Dome“ war das Codewort, um, am gemeinsam erlebten
Exil in Paris anknüpfend, Heinz Liepman um eine Rezension des Buches
„Die Straße der kleinen Ewigkeit“ von Martin Beradt zu bitten. Schon am
30. März 1966 erfolgte die Antwort. Heinz Liepman schrieb: „Natürlich hin
ich derjenige, ahgieich ich seit meiner amerikanischen Zeit ein ‚n‘ meines
Nachnamens ‘verloren habe. Es stimmt auch, dnß ich damals, 1'933, ziemlich
krank an Leih und Seele war, eher ich habe die Hitierzeit äherieht, habe his
1961’ in Hamburg geieht und hin dann in die Schweiz ernt'griert."‘3 Gern wolle
te er für den „Aufbau“ schreiben, doch eine Krankheit, an deren Folge er am
6.6.1966 starb, verhinderte es.
Der Name Heinz Liepman ist dem heutigen Lesepublikum vermutlich
kaum oder gar nicht mehr geläufig. Dies kann nicht verwundern. Seine
Bücher, die nach 1945 u.a. bei Rowohlt, bei Hoffmann öt Campe, im Fischer-
und im Ullstein-Verlag erschienen, sind im Buchhandel nicht mehr erhält-
l Dieser Text ist die erweiterte Fassung meines Vortrags, den ich anläßlich des
90. Geburtstages des Publizisten Heinz Liepman am 28.8.1995 in Hamburg gehal-
ten habe.
2 Nachlaß Heinz Liepman bei Ruth Liepman, Zürich. Ruth Liepman danke ich
herzlich für die Unterstützung meiner Arbeit.
3 Ebd. — Da Heinz Liepman, wie er im Brief bemerkte, um 1943!!‘944 seinem Nach-
namen die arneriltanisierte Form gegeben hat, übernehme ich diese Schreibweise
in meinem Text für den Zeitraum von 1943 bis heute.
Page 2
184 Wilfried Weinlse
lich. Möglicherweise findet man sie in gut sortierten Bücherhallen oder in
Staats- und Universitätsbibliotheken. Auch in der Literaturwissenschaft, spe-
ziel] der Beschäftigung mit der Exillitcratur, taucht sein Name selten auf;
wenn überhaupt wird vom „Fall Liepmann“4 berichtet. Deshalb sollen zu-
nächst einige biographische Anmerkungen zu Leben und Werk Heinz
Liepmans, eines heute zu Unrecht vergessenen und verdrängten Publizisten,
folgeni’.
Heinz Liepmann wurde am 27.8.1905 in Osnabrück geboren. Kindheit und
erste Schuliahre verbrachte er in Hamburg. Sein Vater, der Kaufmann und
Handelsvertreter Salomon Lieprnann‚ nahm als Soldat am Ersten Weltkrieg
teil; in Gefechten in Frankreich schwer verwundet, starb er 1917. Ein Jahr
später verstarb auch die Mutter. Die Geschwister wurden auseinandergeris-
sen; Heinz Liepman kam zu einem Onkel nach Bielefeld. Dessen zweifelhaf-
ter pädagogischer Obhut entzog er sich recht bald, verließ die Schule, begann
eine Lehre, arbeitete in unterschiedlichsten Berufen, als Bergwerltsarbeiter,
Laufbursche, schließlich als Gärtnerlehrling.
1925 wurde er Dramaturgie- und Regieassistent der Städtischen Bühnen
Frankfurt“; aus dieser Zeit datieren erste Veröffentlichun en im „Israeli-
g
4 Ursula May, Heimat auf Zeit für Verfemte. Symposion: Deutsche Literatur im
lixil in den Niederlanden. Frankfurter Rundschau, 4.10.1993. — Am ausführlich-
sten: Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933-1945. Bd. 6: Exil in den
Niederlanden und in Spanien. Leipzig 1981. S. 41 ff. sowie Hans-Albert Walter,
Deutsche lixilliteratur 1933-1950. Bd. 2: Asylpraxis und Lebensbedingungen in
Europa. Darmstadt und Neuwied 195'2. S. 88 ff. — Erstaunlicherweise finden sich
Ausführungen zu der Inhaftierung, zu Prozeli. und Verurteilung resp. Abschie-
bung Heinz Liepmans nach Belgien weder in Kathinlta Dittrich/Hans Würzner
{Hg.), Die Niederlande und das deutsche Exil 19334940. Königstein/Ts. 1982
noch in dem Katalogbuch Deutsche Literatur im Exil in den Niederlanden: eine
Ausstellung des Deutschen Exilarchivs 1933-1945 der Deutschen Bibliothek.
Frankfurt am Main. Red. Frank Wende. Leipzig, Frankfurt am Main, Berlin 1993.
5 Klaus Müller-Salget, Zum Beispiel: Heinz Liepmann. In: Exilforschung. Ein inter-
nationalesjahrbuch Bd. 3: Gedanken an Deutschland im Exil und andere Themen.
i'flünchen 1985. S. 236-312 sowie Wilfried Weinke, „Deutschfeindliche journa-
listen und Schriftsteller“: justin Steinfcld und Heinz Liepmann. In: Ursula
Wamser, Wilfried Weinke (Hg.}, Ehemals in Hamburg zu Hause: jüdisches Leben
am Grindel. Hbg. 1991. S. 105-119.
ß Undatierte Postkarte Heinz Lieptnanns an Emil Faktor. Bayerische Staatsbiblio-
thek München. Die Adresse in Frankfurt a.M. ist durchgestrichen, ebenso der
Zusatz „Journalist und Schriftsteller. Dramaturgie- u. Regie-Assistent der städti-
schen Bühnen Frankfurt a.M.“. Als neue Adresse ist Hamburg, Schröderstiftstr.
32, angegeben. — Vgl. auch Klaus Täubert, Emil Faktor. Ein Mann und (s)eine
Zeitung. Berlin 1994.51. 90 f.
Page 3
„Ein deutscher Jude denkt über Deutschland nach“ 185
Abb. 1.‘ Heinz Liepman (19054966), Foto E. Bieber, Hamburg, am 1932
Page 4
186 Wilfried Weinke
tischen Familienblatt“, der „Jüdisch-Liberalen Zeitung“, aber auch im sozial-
demokratischen „Vorwärts“. Dort erschien die bislang erste nachgewiesene
Kurzgeschichte „Die verl ösc hende Kerze“ 7 über eine Begebenheit wäh-
rend eines Judenpogroms in einer ostrumänischen Stadt. Seit 1926 lebte er
wieder in Hamburg, arbeitete als Dramaturg an den von Erich Ziegel geleite-
ten „Hamburger Kammerspielen". In Hamburger Tages» und Theaterzeitun-
gen veröffentlichte Heinz Liepmann Kurzgeschichten, Rezensionen, Por-
träts von Schauspielern und Autoren, Auszüge aus ersten Dramentexten!
Seit 1928 lebte er als freier Schriftsteller und Journalist".
ln kurzer Folge erschienen drei Romane Heinz Liepmanns: „Nächte
eines alten Kindes“ (1929), „Die Hilflosen“ sowie „Der Frieden
brach au s“ (beide 1930). Bis auf „Nächte eines alten Kindes“ wurden seine
Romane noch vor 1933 ins Englische und Französische übersetzt“ und ver-
halfen Heinz Liepmann zu internationalem Renomee". Für den Roman „Die
Hilflosen“ wurde er mit dem „Harper-Preis“ des gleichnamigen New Yorl-ter
Verlages ausgezeichnet". Nicht ohne Stolz meldete das „Gemeindeblatt der
Deutsch—lsraelitischen Gemeinde zu Hamburg“ am 10.6.1930: „Heinz Liep-
mann, ein Sohn unserer Gemeinde, ist durch seine Auszeichnung mit einem
zweiten Preise des N etc Yorker Verlages Haiper ö Brothers plötzlich in die
vorderste Reibe der zeitgenössischen Scbrzftstelier gerückt worden.“"
Zwischen 1929 und 1930 veröffentlichte Heinz Liepmann mehrere Artikel
in der von Carl von Ossietzlty und Kurt Tucholsky herausgegebenen Zeit-
schrift „Die Weltbühne“. Aus den literatur- oder theaterkritischen Arbeiten
? „Die verlöschende Kerze. Eine sentimentale Geschichte.“ Vorwärts, 42. ]g., Nr.
421, 6.9.1925.
8 So in der Halbmonatsschrift „Die Tribüne“, in „Der Kreis. Zeitschrift für künst-
lerische Kultur“, den Theaterzeitungen „Der Vorspruch“, „Die Rampe“ und
l‚Der Freihafen“.
9 So noch im Hamburger Adressbuch, 1932, Abschnitt Ill und Export, Sparte
„Schriftsteller“.
IÜ Wilfried Weinke, Heinz Liepman (1905-1966). In: John M. Spalek, Konrad
Feilchenfeidt und Sandra H. Hawrylchalt (Hg), Deutschsprachige Exilliteratur
seit 1933. Bd. 4: Bibliographien. Schriftsteller, Publizisten und Literaturwissen-
schaftler in den USA. Bern und München 199%. S. 1091-1102.
I1 Vgl. die entsprechenden Rezensionen in englischen und amerikanischen Tageszei-
tungen, die in meiner Bibliographie zu Heinz Liepman angegeben sind.
12 Siehe u.a. die Meldung „Der zweite Harperpreis.“ Frankfurter Zeitung, Nr. 126,
21.3.1930. — Vgl. auch die Anzeige des Verlages „Rütten 8c Loening“. Die litera-
rische Welt, Nr. 16/17, 17.4.1930.
13 Veröffentlicht in der Spalte „Kunst, Wissenschaft und Literatur.“ Gemeindeblatt
der Deutsch-lsraelitischen Gemeinde zu Hamburg, 6. ]g., Nr. 6, 10.6.1930, S. 5.
Page 5
„Ein cleutschcrjude denkt über Deutschland nach“ 13?
sticht ein Artikel hervor; es ist der am 12.8.1930 publizierte Artikel „Po-
groman gst “ "', erschienen kurz vor den Reichstagswahlen vom September
1930, in der die NSDAP mit 107 Mandaten zweitstärkste Fraktion im
Reichstag wurde.
In seinem Artikel erinnerte Heinz Liepmann mit bitter-ironischern Ton an
den Tod des Vaters im Ersten Weltkrieg und an einen antisemitischen Vorfall
seiner Kindheit. Gegen die Schläge, die er damals als Kind erhielt, hatte er
sich nicht zur Wehr gesetzt. Lieprnann berichtete von diesen eigenen Erfah-
rungen, um sie auf die damalige aktuelle politische Situation zu beziehen. Er
bedauerte „die politische Verzoirrung, in der sich die einzelnen Gruppen
bekämpfen.“ Gemeint sind die unterschiedlichen Gruppen innerhalb der
deutschen Juden, die sich zwar „in der wortreicben Abwehr des Antisemitis-
mus“ einig seien, sich aber „mit dem Wesen des Antisemitismus" beschäftig-
ten, „als sei die sophistische Behandlung dieser Frage notwendig oder auch nur
zweckmäßig.“ Spitzfindigkeit, Haarspalterei, so lautete der Vorwurf Heinz
Liepmanns. Seiner Meinung nach kam es darauf an, „beim kommenden
Wahlkampf den Parteien die Stimmen zu geben, die ein entscheidendes
Gegengewicht gegen den Rechtsradikalismus bieten, und das sind auf keinen
Fall opporrune Erleennrnisparreien, Mirteiparreien.“ Am Schluß rechtfertigte
er sich für das Ausplaudern ‚jüdischer Interna‘ damit, daß „eine Gruppe von
Menschen, die juden, die nicht verantwortlich zu machen ist fiir das, was ibr
vorgeworfen r‚wird ( man wird jude nicht aus Gesinnung, sondern durch
Geburt), als Vorbur einer Armee attackiert wird, die die geringen Errungen-
schaften der Revolution des Notrembers 1918 schützt.“ Nach Liepmann wur-
den also die deutschen Juden zuerst, aber auch stellvertretend für jene ange-
griffen, die die Errungenschaften der Revolution, mithin die Demokratie von
Weimar, verteidigten.
Am 23.2.1932 wurde Heinz Liepmanns Schauspiel „Columbus“ im
Deutschen Schauspielhaus in Hamburg uraufgeführt. Während in allen
Berichten die Begeisterung und die Zustimmung des Premierenpublikums
für das Stück herausgestellt wurden“, selbst der „Völkische Beobachter“
vom 5. März 1932 in seiner Kritik relativ zurückhaltend blieb, aber heraus-
14 Die Weltbühne 2b. _|g., Nr. 33, 12.8.1930. Alle folgenden Zitate stammen, wenn
nicht anders angegeben, aus diesem Artikel.
15 Vgl. u.a. Friedrich-Gar] Robbe, „Columbus“. Uraufführung im Deutschen
Schauspielhaus. Hamburger Nachrichten, 24.3.1932 oder „Heinz Liepmann:
‚Columbus‘. Uraufführung im Deutschen Schauspielhaus.“ Hamburger Echo
5a. ]g., Nr. 51. 24.2.1932.
Page 6
188 Wilfried Weinke
hob, daß das Stück aus der Feder „des faden Heinz Liepmann“ ‘6 stammt, war
der Artikel im „Hamburger Tageblatt“, der Tageszeitung der Hamburger
NSDAP, unverhohlen antisemitisch. Zum Schluß hiell es dort: „Liepmann ist
wohl zweifellos jude. Das Vorhandensein des Revolutionärer: und der Man-
gel an aufhaufiihigen Gedanken verraten es zu deutlich Immerhin mits-
sen Deutschland und die l‚lllelt sich erfahrungsgemafi davor hüten, sich ihre
Probleme ‘von Juden lösen zu lassen. Von Liepmann hahen wir zwar in dieser
Hinsicht nichts zu befürchten. Er hat uns nur in anserern Verlangen hestärht,
Gegenwartsprohleme mit Gegenwartsrnenschen r‘von deutschem Blut auf der
Bühne zu sehen und zu erleben.“
Seit Mitte der 20er Jahre hatte Heinz Liepmann regelmäßig im sozialde-
mokratischen „Hamburger Echo“ veröffentlicht, zuerst Kurzgeschichten,
seit 1932 vor allem theaterlsritische Aufsätze. Am 31.7.1932 erschien in der
Beilage „Das Echo der Woche“ sein Artikel „Der Beginn der Barbarei
in Deutschland. Eine Antwort an Josef Goebbels“.‘8 Es war eine
Antwort auf eine Rede Goebbels’, die im Berliner Rundfunk übertragen
worden war. Goebbels hatte davon gesprochen, „daß der Nationalsozialis-
rnus im Begriff sei, der deutschen Geistesleultur den ihm eigenen Stempel auf-
zudrücken.“ Er hatte ferner behauptet, „die Sprache der Nazis würde einst
die Sprache der deutschen Nation sein.“ Heinz Liepmann nahm diese Rede
zum Anlaß, vor dem Anwachsen des Nationalsozialismus in aller Deutlich-
keit zu warnen: „Deutschland war einst als das Volk der Dichter und Denker
heriihmt, heute könnte man es heinahe als das Volh der Richter und Henker
bezeichnen, wenn all die Drohungen nationalsozialistischer Koryphäen aus-
geführt werden könnten. Der Begriff des ‚Köpferollens‘ war früher im politi-
schen Lehen einer reifen Nation nnheleannt, gleichfalls die romantischen
Gruselphantasien wie ‚die Nacht der langen Messer‘ usw.“.
Liepmann brandmarlste den „Kanstnandalismits“ und die „Bilderstürme-
rei“ der Nazis und lieferte Beispiele: „Auf allen Gehieten kulturellen Daseins
macht sich diese sinnlose Zerstörungswut geltend. Sie he'weist die geistige
Brutalität dieser netten Herren. Das Buch und den Film ‘von Rernarqae (Ge-
meint ist hier „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque) haben
sie maßlos und erhittert bekämpft ...; die geistigen Argumente gegen Bach
und Film waren Totschläger, weiße Mäuse und Stinlehornhen.“
16 „Hamburg- Heinz Liepmann: ‚Columbus‘ (Uraufführung)“ Völl-sischer Beobach-
ter, 5.J.l932.
l? K.H.E.: „Deutsches Schauspielhaus. Uraufführung: <Columbus>.“ Hamburger
Tageblatt, Nr. 48, 25.2.1932.
I3 Das Echo der Woche, 31.7.1932.
Page 7
„Ein deutscherjude denkt über Deutschland nach“ 189
Auch in diesem Artikel setzte er sich mit dem „programmatischen An-
wachsen des Antisemitismus“ auseinander: „Der Antisemitismus ist immer der
letzte Ausweg politischer Scharlatane gewesen, daran hat sich seit dem Mittel‘
alter nichts geändert. Und da Hitler seinen braunen Garden weder einen
frisch- fröhlichen Krieg bieten kann, noch das H exenleunststüch, ein armes, im
Mittelpunkt der Weltwirtschaftskrise stehendes Land plötzlich fruchtbar und
reich zu machen, so hat er sich vorsorglich ‘von vornherein einen Sündenbock
besorgt, ‘wenn alle seine Versprechungen eines Tages sich als Utopien er-
weisen.“
Seinen Artikel, ll Tage nach dem „Papenschlag“, dem Sturz der sozialde-
mokratisch-gelührten Regierung Preußens, und am Tag der Reichstagswah»
len veröffentlicht, beendet Heinz Liepmann mit einer deutlichen Warnung:
„Aus diesen Beispielen, die beliebig ‘vermehrt werden können, muß der
Werletdtige ersehen, daß es mit seiner persönlichen Freiheit und den Errun-
genschaften von vielen jahrzehnten aus und vorbei ist, wenn die Nazis an die
Macht kommen sollten. Er wird ein rechtloses Strich Stimrrwieh, dem man
von Hitlers (also der Schwerindustrie) Gnaden die Lange der Arbeitszeit, die
Tarife usw. diktiert, ohne daß er das Recht des Einspruchs hätte’. Wer, wie die
Nazis, in trerhdltnismaßig kurzer Zeit, eine in der Geschichte der Menschheit
beispiellose Kultu rleistun g, wie die Deutschlands, an den Rand des Abgrunds
bringen kann, eine solche Bewegung muß - ‘wenn sie nicht vollkommen ‘ver-
toirrt gemacht ‘worden sind — von den Werktätigen abgelehnt werden.“ — In
der Reichstagswahl vom Juli 1932 wurde die NSDAP stärkste Partei. -
Spätestens nach diesem Artikel war Heinz Liepmann Haßobiekt Hamburger
Nationalsozialisten. Als er sich mit seinem Freund, dem Journalisten Justin
Steinfeld", solidarisierte, der am Vorabend des sogenannten „Judenboy-
kotts“ vom 1. April 1933 aus dem Altonaer Stadttheater 1rertlriesen wurde,
erschien in den „Altonaer Nachrichten“ vom 8.4.1933 der Artikel ‚Jüdische
Unverschämtheit. Herr Liepmann provoziert das Deutschtumfqo Darin hieß
es: „Herr Liepmann ist ein herzlich unbedeutender Schreiberling. Aber so
etwas vertritt die Würde ‘von fünfzehn deutschen Zeitungen. So ein Kerl wird
natürlich seine Empörung diesen Organen, die anständige Leute wohl kaum
in die Hand nehmen, mitteilen. Herr Liepmann wird mit seiner Verleumdung
19 Zu Justin Steinfeld siehe Hans Schütz, ‚Ein deutscher Dichter bin ich einst
gewesen.‘ Vergessene und verkannte Autoren des 20. Jahrhunderts. München
1938. S. 255-258, sowie Wilfried Weinke, „Justin Steinleld ‚Ein Mann liest 'Zci-
tung‘. Der Schriftsteller und Journalist im Prager Exil.“ Menora. Jahrbuch für
deutsch-jüdische Geschichte 1996. Bodenheim 1996, S. 146-163.
20 Vgl. auch den ebenso hetzerischen und antisemitischen Artikel „Es ist eine Kul-
turschande!“ Hamburger Tageblatt, 16.4.1933.
Page 8
190 Wilfried Weinlte
wie andere seiner Rasse die Brunnen in Deutschland vergiften. E s wird Sorge
dafür getragen, daß diese Gefahr nicht akut wird. “-"
1'llllienigit: Wochen später, quasi am Vorabend der Bücherverbrennungen,
veröffentlichte die „Berliner Nachtausgabe“ am 26. April 1933 einen Artikel
mit der Überschrift „Schriftsteller auf der Schwarzen Liste“. Die Untertitel
wurden deutlicher: „Die Beriiner städtischen Biicnereien werden gesäubert.
Der Schund wird offentiicb verbrannt. “3 Für den Bereich der schönen Lite-
ratur werden u.a. folgende Autoren aufgezählt: Bertolt Brecht, Max Brod,
Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, jaroslav Hasek, Egon Erwin Kisch,
Heinz Liepmann, Heinrich Mann, Klaus Mann, Theodor Plievier, Erich
Maria Remarque, Arthur Sehnitzler, Kurt Tucholsky, Arnold Zweig und
Stefan Zweig.
Nach eigenen Angaben wurde Heinz Liepmann im Frühsommer 1933 ver-
haftet und ins nahe Hamburg gelegene KZ Wittmoor verschleppt”, aus dem
ihm aber sehr bald die Flucht gelang. Er floh nach Frankreich, nach Paris, wo
er seinen Roman „Das Vaterland. Ein Tatsachenroman aus dem
heutigen Deutschland“ schrieb. In dem in Paris am lU. September 1933
geschriebenen Vorwort seines Buches, das „kein Roman, sondern ein
Pamphlet sein soll“, verbürgte er sich für die Authentizität des Geschilderten.
Bezogen auf die eigene Geschichte schrieb er: „Daß man mich - seit Februar
— ununterbrochen ‘verfolgte (und imjuni zu finden wußte), das erstaunt mich
nicht Auch daß man meine Bücher verbrannte und verfemte, ist mir nicht
unverständlich Ich beieiage mich nicht darüber. Ich war Gegner.“ Heinz
Liepmann widmete sein Buch „den gemarterten und ermordeten deutschen
juderfß‘
Weiter hieß es in seinem Vorwort: „Die Juden ‘waren keine Gegner. Da}?
man sie ‚foiterr und rnordet, noch jetzt, während ichI diese Zeilen schreibe,
atwibrend die Sonne scheint, Kinder spielen, Menschen atmen, Blumen wach-
sen, — jetzt in diesem und in jedem Augenblick, das ist das, war mich nicht
71 Zitiert nach: Heinz Liepmann, Das Vaterland. Ein Tatsachenroman aus dem heu-
tigen Deutschland. Amsterdam 1933. S. 113.
22 Vgl. auch den Artikel „Bücher- geächtet und empfohlen. Berlins ‚Schwarze Liste‘
für die Bibliotheken.“ Berliner Bürsen-Courier, Nr. 211, Beilage, ?.5. 1933.
23 Trotz intensiver Recherchen und Befragungen konnte ich die Inhaftierung
Liepmans im KZ Wittmoor bislang nicht verifizieren. Die Frage der Inhaftierung
werde ich in der Biographie zu Heinz Liepman ausführlicher behandeln.
2-1 Vgl. auch Heinz Liepmann, „Die l-ttimmenden Pogrome in Deutschland.“ Das
Blaue frleft Jg. Xlll, Nr. 7, 15.10.1933, S. 218-220.
Page 9
„Ein deutscher Jude denkt über Deutschland nach“ 191
schlafen laßi. Zwar erließ die deutsche Regierung ein Gesetz, das den Juden
verbot, Rinder und Kiilher auf ihre Art zu schlachten. Aher kein Gesetz
erschien, das verboten hatte, die juden selher zu schlachten, hundertmal grau-
samer, als je ein Tier geschlachtet ‘wurde; und niemals — seit dem 30. Januar
1'933 — ist ein Mensch bestraft ‘worden, der einen ‚luden ermordete. Trotzdem
hatten Deutsche im juden nie etwas anderes als einen Mitmenschen gesehen,
härten die Minister der Regierung Hitler nicht selber ununterbrochen sozusa-
gen: amtlich zu Pogromen gehetzt."
Hier ist nicht der Platz für eine ausgiebige Würdigung dieses Romans”.
Gleichwohl sei zumindest erwähnt, daß cs meines Wissens nach das erste
Buch eines cxilicrtcn deutschen Schriftstellers ist, in dem der sogenannte
„judenboyl-tott“ vom 1. April 1933, der Boykott von Kaufhäusern und Ein-
zelhandelsgeschäftcn, Arzt- und Anwaltspraxen, geschildert wurde. Ende
1933 erschien der Tatsachenroman „Das Vaterland“ im Amsterdamer Verlag
Rampen 8c Zoom“.
lm Februar 1934 wurde Heinz Liepmann in Amsterdam verhaftet und alle
Exemplare der in Holland erschienenen Ausgabe seines Buches beschlag-
nahmt. Er wurde angeklagt, „das Staatsoherhaupt einer befreundeten Macht
heleidigt zu hahen“". Damit war der Rcichspräsident Paul von Hindenburg
gemeint. In seinem Buch hatte Heinz Licpmann einen Zusammenhang zwi-
schen der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler und Geldern der Osthilfc.
die Hindenburg für sein Gut Neudeck erhalten hatte, hergestellt-m. Heinz
Liepmann wurde zu einem Monat Gefängnis verurteilt und mit der Abschic-
bung nach Deutschland bedroht. Es braucht nicht viel Phantasie, um sich
vorzustellen, was dies für ihn bedeutet hätte.
 
AW: Vor 75 Jahren ...

Zwei ->...............

Es war dies der erste Versuch der deutschen Regierung, aus Deutschland
geflohene Autoren massiv einzuschüchtern, ihre literarische wie journalisti—
25 Siehe insbcsondcrcjan Hans, „Lieber Gott, mach mich stumm, daß ich nicht nach
Wittrnoor komm?“ Heinz Liepmanns Doltumcntarromanc aus Nazi-Hamburg.
ln: Ingo Stephan, Hans-Gen Winter (Hg), „Liebe, die im Abgrund Anker wirft“.
Autoren und literarisches Feld in Hamburg des 20. jahrhundcrts. Hbg. 1989.
S. lßl - [74, sowie Michael Marshall, Nazi-Terror und Widerstand in Hamburg im
Zeitroman des frühen Exils: Wirklichlteitscrlahrung und Wirltungsstrategicn bei
Willi Bredcl und Heinz Liepmann. Hbg. 1987.
26 Nach der Beschlagnahme und dem Gerichtsverfahren erschien das Buch, über-
Sflzl von P. V00gd‚ unter dem Titel „Het Vaderland (Een Documcntatiertiman uir
het Duitschland van nu)“ 1934 im Amsterdamer Verlag „Arbeiderspers“.
27 „Heinz Liepmann verhaftet“. Pariser Tageblatt, Nr. 65, 15.2.1934.
28 „Sündenregister der Osthilfe“. Das Tagebuch l4._|g. Heft 5, 4.2.1933. - Siehe auch
Heinrich August Winkler, Der Weg in die Katastrophe. Arbeiter und Arbeiter-
bewegung in der Weimarer Republik 1930 bis 1933. Berlin und Bonn 1987. S. 843i.
Page 10
192 Wilfried Weinlte
sehe Aufklärungsarbeit zu be- und zu verhindern. Schon die Inhaftierung,
vor allem aber Prozeß, Urteil und angedrohte Abschiebung waren von der
deutschsprachigen Exilpresse in Paris und in Prag aufmerksam verfolgt wor-
den”. Der „Schutzverhand deutscher Schriftsteller“, mit Sitz in Paris, schick-
te ein Telegramm an den holländischen Justizminister, in dem gegen die
„willkürliche Inhaftierung des Kollegen Liepmann“ protestiert wurde.”
In der Haft erhielt Heinz Liepmann zahlreiche Solidaritätsadressen; so
schrieb ihm Albert Einstein: „Sehr geehrter Herr Lieprnnnn! Ich habe Ihr
Buch „Vaterland“ mit grofltem Interesse gelesen und glaube, daß es die
bedeutendste Publikation ist, die mir über Hitler-Dentschland zu Gesicht
gekommen ist. Die Verbindung der Tatsachen zu einer E rzäblung erzielt eine
Lebendigkeit des Eindrucks, wie sie durch eine Aneinanderreihung unznsam-
menbängender Tatsachen niemals erreicht werden kann. Ich wünsche nicht
nur Ihnen, sondern der ganzen wirklich zivilisierten Welt eine möglichst
weite Verbreitung des Bttches.“" Ähnlich äußerte sich Lion Feuchtwangen
Solchen Solidaritätsbelsundungen sowie den Protesten war es vermutlich zu
verdanken, daß Heinz Liepmann im März 1934 nach Belgien abgeschoben
wurde”. — Es sind diese Vorgänge, die den eingangs erwähnten „Fall
Liepmann“ ausmachen und in der Beschäftigung mit Heinz Liepman immer
wieder Erwähnung finden.
Am 28. September 1934 erschien in der Zeitung „Das deutsche Wort/Die
Literarische Welt“ eine Rezension zu Heinz Liepmanns „Das Vaterland“,
die seinen Roman von Verfolgung und Widerstand in Deutschland als
29 Vgl. die entsprechenden Berichte in den Zeitungen „Pariser Tageblatt“, „Deutsche
Freiheit“, „Der Gegen-Angriff“ u.a.
30 Zitiert nach der Meldung „Protest gegen Liepmanns Verhaftung". Deutsche Frei-
heit 2. ]g.‚ Nr. 50, 1.3.1934. - Siehe auch den Artikel „Holland liefert aus! Vier
Emigranten über die deutsche Grenze gebracht — Auflösung eines geheimen
jugendkongresses.“ zum Latten-Skandal auf der Frontseite der Zeitung.
31 Zitiert nach der Anzeige des Verlages P.N. van Kampen 3c Zoon, Amsterdam. In:
Almanach für das freie deutsche Buch. Hrg. v. Kacha-Verlag, Prag. Prag 1'335. S.
33.
„Herr Liepmann free. N0 Extradition.“ The Manchester Guardian, Nr. 27303,
20.3.1934, sowie im gleichen Tenor „Heinz Liepmann frei. Keine Auslieferung an
Deutschland.“ Deutsche Freiheit 2. Jg, Nr. 69, 23.3.1934. — Zu diesem Gerichts-
verfahren und seiner Bedeutung für exilierte deutsche Schriftsteller hielt ich im
März 1998 während der Jahrestagung der „Gesellschaft für Exilforschung“ in
Amsterdam einen Vortrag mit dem Titel „Ich erinnere an den Fall des Schrift‘
stellers Liepmann in Holland (Ernst Toller). Prozeß und Inhaftierung Heinz
[.icpmanns im Frühjahr 1934 in Holland als Beispiel der Verfolgung von Schrift-
stellern und der Unterdrückung ihrer Bücher“.
32
Page 11
„Ein deutscher Jude denkt über Deutschland nach“ 193
„hysterische Propaganda“ und als „Schandbacb“ diffarnierte. Die Zeitung
empfahl Heinz Liepmann der „Aufmerksamkeit nnseres Auswärtigen
drittes.“-Mr
ln der Ausbürgerungsakte Heinz Liepmanns findet sich ein vom Oktober
1934 datiertes Schreiben der Deutschen Gesandtschaft in Den Haag, in dem
es zum Schluß heißt, „daß im Falle Liepmann Voraussetzungen vorliegen,
die eine Aasbtirgerung TECbIf€TIigCH.“H Mehrseitige Berichte, Zeitungsaus-
schnitte, Briefe des Deutschen Generalkonsulats in Kanada bezeugen, daß
man Heinz Liepmanns Aktivitäten, seine Vortragsreise in den USA und
Kanada, seine Interviews mit dortigen Zeitungen genauestens beobachtete
und verfolgte. Am 8. ]uni 1935 gab der Reichsminister des Innern bekannt,
daß u.a. Bertolt Brecht, Nachum Goldrnann, Rudolf Hilferding, Kurt Hiller,
Max Hodann, Heinz L iep mann , Erika Mann, Walter Mehring, Kreszentia
Mühsam, Erich Üllenhauer, justin Steinfeld, Friedrich Wolf die deutsche
Staatsbürgerschaft aberkannt wurde, Bezogen auf Heinz Liepmann hieß es in
der Begründung dieser Entscheidung: „Heinz Liepmann, jüdischer Schrift-
steiler, treibt in aller Welt üble Greaelhetze durch seine Schriften und in
öffentlichen Vortragen. 1 n Holland wurde er wegen Beleidigung des verewig-
ten Reichsprasidenten mit Gefängnis bestraft und nach Belgien abge-
sc‚l':ri:i.f2enr.“"‘5
Noch im Jahr der Ausbürgerung erschien im Europa-Verlag in Zürich
Heinz Lieprnanns zweites, im Exil erschienenes Buch „... wird mit dem
Tode bestraft“ . Es spiegelt, wie auch der erste Roman, die Zeit unmittel-
bar nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten. Der etwas merk—
würdig klingende Titel des Buches ist ein Zitat des Deutschen Reichsgesetzes
vom 24. April 1934, in dem es hieß: „Mit dem Tode bestraft wird, wer sich
bemüht, einen organisatorischen Zusammenhang aufrecht zu erhalten Mit
dem Tode wird bestraft, rteer eine Beeinflussung der Massen durch Herstel—
lang oder Verbreitung ‘von Schriften etc. versucht?“ lrn Mittelpunkt dieses
33 „Greuelpropaganda“. „Das deutsche Wort/Die Literarische Welt — Neue Folge
1934“, 10. Jg. (Neue Folge, 2. Jahr), Nr. 40, 23.9.ra34.
34 Schreiben Deutsche Gesandtschaft Den Haag an Auswärtiges Amt Berlin,
4.10.1934, betr. Antrag auf Ausbürgerung des Alfred Kantorowicz und NLH.
Liepmann. (fitrchit.r des Auswärtigen Amts Bonn, Inland ll AfB—l28f2, Ausbürge-
rungsakte Max Heinz Liepmann).
35 Ebd. Zitiert nach der Niederschrift zur vierten Ausbürgerungsliste. Die am 8, Juni
1935 bekanntgemachte Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit wurde
am 13. Juni 1935 im „Deutschen Reichsanzeiger und Preußischen Staatsanzeiger“
veröffentlicht.
36 Zitiert nach dem Reichsgesetz vom 24.4.1934; als Vorsatz abgedruckt in: Heinz
Liepmarln, wird mit dem Tode bestraft. Europa-Verlag. Zürich 1935.
Page 12
194 Wilfried Weinke
Buches, das ebenso wie der Roman „Das Vaterland“ ausschließlich in Ham-
burg spielt, steht der antifaschistische deutsche Widerstand und dessen illega-
le Arbeit. Heinz Liepmann versuchte auch mit diesem Buch an das andere,
das bessere Deutschland, das sich im Widerstand gegen die Nationalsozia-
listen befand, zu erinnern".
Heinz Liepmann lebte von 1935 bis 1937 in England“, ging von dort in die
USA. Für die „New York Times“ schrieb er Artikel über deutsche Exil-
autoren und -literatur3", veröffentlichte sporadisch in anderen amerikani-
schen Zeitungen.“ Nach eigenen Angaben arbeitete er seit 1943 für die ame-
rikanische Zeitschrift „Times“, die ihn zur Berichterstattung 1947 nach
Deutschland schickte.
Heinz Liepman blieb in Deutschland. Für die Herbst-Ausgabe des „Me-
norah Journal“, einer in New York erscheinenden Zeitschrift für jüdische
Kultur und Kunst, schrieb er 1947 den Artikel „Hamburg, Germany:
The Survivors“ *', in dem er die Situation von Überlebenden der deutschen
Judenverfolgung in seiner ehemaligen Heimatstadt schilderte. In der Folge-
zeit arbeitete Liepman für die unterschiedlichsten Zeitungen, die „Hambur-
ger Freie Presseml, erneut für das sozialdemokratische „Hamburger Echo“,
3? Vgl. u.a.: James T. Farrell, „Porträt of a Revolutionary. ‚Fires Underground‘, a
Tense und Tragic Account of What Happens to Hitlcr’s Encmies.“ New York
Herald Tribune Books, 30.8.1936; Boris Erich Nelson, Those Who fight for and
against Hitler. New York Times Book Review, 27.9.1936. — Siehe auch das
Nachwort von Hans Albert Walter in: Neudruck von „... wird mit dem Tode
bestraft“, der 1986, versehen mit Ruth Liepmans biographischem Abriß zu ihrem
verstorbenen Mann, im Gerstenberg-Verlag, Hildesheim, erschien.
38 Laut Auskunft des Home Office, Record Management Services, vom 24.3.1995. -
Tvgl. auch Wilfried Weinke, spent a very short timc in the United Kingdom‘:
Heinz Liepmann im englischen Exil. In: Charmian Brinson, Richard Dove u.a.,
Keine Klage über England? Deutsche und österreichische Exilerfahrungen in
Großbritannien 1933-1945. München 1998 (= Publications of the Institute of
Germanic Studies, University of London, Bd. 72). S. 302-316.
39 Heinz Liepmann, „German Literature Outside Germany.“ New York Times
Book Review, 13.10.1935; Heinz Liepmann, .‚The German Writers in Exile.“
New York Times Book Review, 23.1.1938.
40 Vgl. Anm. 10. Heinz Liepmann hat im amerikanischen Exil natürlich weit mehr
Zeitungsartikel und Kurzgeschichten veröffentlicht, als in dieser knappen Biblio-
graphie aufgelistet werden konnten. Diese publizistische Aktivität Liepmans
werde ich an anderer Stelle ausführlicher präsentieren.
41 The Menorah Journal, Vol. XXXV, N0. 3, October — December 1947.
«I2 U. a. Heinz Liepman, „Wiedersehen mit Hamburg." Hamburger Freie Presse 2.
Jg. Nr. 71. 6.9.1943’.
Page 13
„Ein deutscher jude denkt über Deutschland nach" 195
den ‚.Jülleser-Kurier“-1 in Bremen. Er veröffentlichte Artikel in der Zeitschrift
„Kristall““. Es entstanden eigene Radiobeiträge und Essays; 1956 sendete der
Süddeutsche Rundfunk in Stuttgart sein Radio-Feature „Die Früchte des
Kaktus. Eine Reise durch den Staat lsrael““5, für das Heinz Liep-
man wochenlang in Israel recherchiert hatte. Seit 1959 war er ständiger Mit-
arbeiter der Tageszeitung „Die Welt".
Nach der Rückkehr aus dem amerikanischen Exil hatte er die ebenfalls aus
Hamburg stammende Ruth Lilienstein kennengelernt. Sie heirateten 1949,
ein Jahr später gründeten sie eine für den deutschen Buchmarkt ungewöhn-
liche Einrichtung, eine Literaturagentur, sozusagen eine Schaltstelle
zwischen Autor und Verleger. Die „Liepman AG“ mit Sitz in Zürich ist
heute eine der angesehensten Agenturen der Welt.“
ln ihrer 1993 erschienenen Autobiographie „Vielleicht ist Glück
nicht nur Zufall“ schreibt Ruth Liepman über ihren Mann: „Als ich
ihn traf, rtear er schon seit einer ganzen Zeit aus dem amerikanischen Exil
zurück in Hamburg Er erzählte mir von seiner umfangreichen Korrespon-
denz mit alten Nazis, die auf seine scharfen Artikel über die Gefahren im
Nachkriegsdeutschland reagiert hatten. Zum Beispiel hatte er die ‚Wende-
hälse‘ ‘von damals angegriffen, die vorher Nazis waren und sich nun prohlerns
los als staatstragend in der Bundesrepublik sahen. Diese Korrespondenz, die
leider nicht mehr existiert, enthielt wüste Drohungen und ßeschimpfungeirm’
Die frühen Artikel, auf die Ruth Liepman hinweist, sind offenbar nicht
mehr erhalten. Dafür aber die Artikel: „Müssen wir wieder emigrieren ‚im‘.
43 Die erste Arbeit Heinz Liepmans für den „Weser-Kurier“, die Kurzgeschichte
„Mein erster amerikanischer Gangster.“. wurde am 21.2.1948 veröffentlicht.
44 Heinz Liepman, „Die Mörder G.m.b.H." Kristall 5. Jg, 1950, Nr. 13. S. 4-5, 21.
Bis weit in die fünfziger Jahre publiziert Heinz Liepman regelmäßig in „Kristall“,
vor allem Reportagen in mehreren Fortsetzungen.
45 Gesendet am 13.11.1956.
46 Ruth Bindel „Literarische Agenturen: 3 Dr. Ruth Liepman. Theater, Hotel,
Hühnerfarm, Agentur. Schwergewicht liegt bei den Angelsachsen, die Liebe gilt
den deutschen Autoren.“ Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, 9.2.1975;
Heinrich Maria Ledig-Rowohlt: „Ehen stiften. bei denen es nicht zur Scheidung
kommt.“ Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, 21.4.1989. Ledig-Rtiwohlt
schrieb diesen Artikel anläßlich des 30. Geburtstages von Ruth Liepman.
4? Ruth Liepman, Vielleicht ist Glück nicht nur Zufall. Erzählte Erinnerungen. Kiiln
1993. S. 162. — Siehe auch Matthias Wttgncr, „Rosen für die Dame. Die ‚erzählten
Erinnerungen‘ der Literaturagentin Ruth Liepman." Frankfurter Allgemeine Zei-
tung, Nr. 85, 13.4.1993, sowie Wilfried Weinke, „Jüdin, Antifaschistin, Literatur-
agentin. Die Erinnerungen der Ruth Liepman“. die tageszeitung, 7.5.1993.
43 Die Welt, Nr. 44, 21.2.1959.
Page 14
196 Wilfriecl Weinlse
„Aber er hat doch die Autobahnen gebaut ..."*", „Sollen wir un-
ser eigenes Nest beschmutzen?“5° und „Politik? Um Himmels
willen Selbstgespräch eines Zeitungslcsers.“5‘, die Heinz Liep-
man als Mitarbeiter der Tageszeitung „Die Welt" veröffentlichte und die
große Beachtung fanden.
Den am 21. Februar 1959 veröffentlichten Artikel „M üss en wir wieder
emigrieren P“ leitete die Redaktion der „Welt“ mit folgenden Sätzen ein:
„Hahenlereuze an Synagogentüren, Schändung jüdischer Friedhbfe, Lehrer,
die antisemitischer Äußerungen überführt sind, iible judenhetze in (wenn
auch verschrobenen) Broschuren: Solche Meldungen sind seit geraumer Zeit
häufiger geworden? Wie soll man sie deuten? Was ist überhaupt mit uns los?
Und wie denken diejenigen darüber, die einmal unter dem Ausnahme-
gesetz darteinistischen Mordes standensmsz Heinz Liepman begann seinen
Artikel mit der Bemerkung, daß „gerade 15 fahre ‘verstrichen sind seit der
Zeit, da einige zehntausend Deutsche emigrieren mußten, um ihr Leben zu
retten - oder ihre ‚S'elbstachtung.“ Er schlug einen Bogen zur aktuellen
Situation und wies darauf hin, daß schon wieder Menschen „nicht wegen
akuter Lebensgefahr, sondern wegen akuter Gefährdung ihrer Integrität“
vor demselben Problem stünden, „ob sie ihre zweite Emigration vorbereiten
sollen,“
Unter der Zwischenüberschrift „Beunruhigende Zeichen“ lieferte er eine
ironische Zustandsbeschreibung: „Uns alle stört der Antisemitismus, über
den die Zeitungen jetzt wieder so häufig berichten, hauptsächlich als ein
Symptom. Die einzelnen antisemitischen Aktionen beunruhigen uns natürlich
kaum, da uns Polizei und Staatsanwälte versichern, daß die Leute die
Grabsteine in jüdischen Friedhöfen umstiirzen und neue Synagogen mit alten
Hahenhreuzen bemalen, entweder Kommunisten sind oder spielende Kinder.
Und auf Lebenszeit festangestellte Richter bestätigen uns, daß die Leute, die
gelegentlich antisemitische Äußerungen ‘von sich geben, enrttieder betrunken
oder unzurechnungsfähig sind - und daß sie ihre Äußerungen sofort bitter
bereuen, wenn sie‘ zur Rechenschaft gezogen werden sollen.“
Liepman, der sich zu jenen zählte, die „an die sanfte Gewalt der Vernunft
glauben“, störte nicht „der mickrige Antisemitismus in diesem Land Was
uns beunruhigt, ist, daß so viele Übermenschen rvon Anno dazumal jetzt - 'tciie
49 Die Welt, Nr. 135, 13.6.1959.
50 Die Welt, Nr. l, 2.1.1960.
51 Die Welt, Nr. 152, 2.7.1960.
53 Siehe Anm. 48. Wenn nicht anders angegeben, folgen die Zitate dem Wortlaut die—
ses Artikels.
Page 15
„Ein deutscher-Jude denkt über Deutschland nach“ 197
auf ein Zeichen - plötzlich Morgenluft wittern, daß sie i'iberaii in diesem Land
plötzlich wieder au fta neben. “
Er kritisierte, wie er schrieb, die „Satrbeit und die Saturiertbeit“ im
„Wirtsebaftswunder-Paradies" Deutschland und beklagte die Einsamkeit des
diese Entwicklung kritisierenden Schriftstellers: „... ‘wenn man das Land, in
dem man geboren ist und in dem man lebt, genügend liebt, um es verbessern
zu ‘wollen, indem man unabbdngig bleibt und Kritik übt - dann werden ‘wir
im Osten Reaktionare oder Faschisten genannt, und bei uns im Westen
Vateriandstrerriiter oder Kommunisten.“ Sein Resümee lautete: „„. ich weiß:
auch wenn wir ernigrieren, finden ‘wir dieselben Gründe der Beunruhigung,
mehr oder weniger, in den anderen Ländern. Aber es ist dieses Land, zu dem
wir gehören, das wir lieben, in dem wir uns mitverantwortlich fühlen.“ Da
dieser Artikel ein ungeheures Echo hervorrief, die Briefe, die die „Welt“
erhielt, nach Angaben der Redaktion „ein Buch mittleren Umfangs füllen“
konnten, sah sich die Zeitung aufgefordert, am 7. März 1959 eine ganze Seite
für das Leserecho einzuräumen. Überschrift und Tenor der Leserbriefe: „Sie
sollen nicht auswandern" 53
Am 2. Januar 1960 veröffentlichte „Die Welt“ Heinz Liepmans Artikel
„Sollen wir unser eigenes Nest besehmutzen?“M Gleich mit den
ersten Sätzen beschrieb er das Problem, das er in diesem Artikel behandelt.
„Beschmatzen wir unser eigenes Nest, wenn wir noch beute, im Jahrs’ 1'960,
von unserer ,unbewditigten Vergangenheit‘ sprechen - wenn ‘wir einen Spaten
einen Spaten nennen, einen Nazi einen Nazi, einen Verbrecher einen Ver-
brecher? l n diesen letzten jabren sind wir- Publizisten und andere Mahner
— immer wieder beschuldigt werden, auf solrbe Art das eigene Nest zu
beschrnutzen. Von wem kommen diese Beschuldigungen? Kommen sie von
Leuten, die gar nicht merken, daß ibr Nest schmutzig ist, oder —— von Men-
scben, die sich in diesem Schmutz wobfiiibien .9“
Für Liepman stellte sich die Auseinandersetzung der Deutschen mit ihrer
Vergangenheit so dar: „Bei uns bat sich — das wissen wir aiie — in den jabren
des Dritten Reiches derart viel Unrat und Gift angesammelt, daß nicbt nur
unser Haus, sondern ein großer Teil der Weit davon infiziert wurde. Nun
müssen wir erkennen, daß ‘viele Leute sebr ‘viel von dem, was damals geschah,
verdrängt und ‘vergessen baben und daß außerdem viele Menschen rnancbes
wirklich nicht 'wußten oder wissen wollten.“
53 „Sie sollen nicht auswandern. Starkes Echo der Leser auf den Artikel <Müssen wir
wieder emigrieren?>“‚ bearbeitet von Güsta v. Uexltüil. Die Welt, Nr. 56,
7.3.1959.
54 Siehe Anm. 50. Die folgenden Zitate stammen aus diesem Artikel.
Page 16
198 Wilfried Weinl-te
Diese Menschen, die zudem offen dazu neigten, Gestapo- oder SS-Män-
nern zu bescheinigen, daß sie in ihren Anttszimmern, in Gefängnissen oder
Konzentrationslagern nur ‚ihre Pflicht erfüllten‘, diese Menschen nannte er
„denlefaule und scheuklapprtge Bagatellisierer“, die unter Verweis auf das „ Un-
recht, das den Deutschen tiiihrend des Krieges 'tttiderfirhren ist“, vergessen,
„daß lange hetior ein einziger Deutscher seine Heimat verlassen mnßte, Mil-
lionen von faden und ausländischen Zivilisten umgebracht oder 'vertrielaen
wurden.“ Liepman führte als Beispiele Rotterdam, Coventry und Lidice an.
Für den heutigen Leser und „Nachgeborenen“ scheint Liepman völlig
selbstverständliches auszusprechen, aber Ende der 50er, Anfang der 60er
jahre, als sich im Wirtschaftswunderland Deutschland der Wunsch nach
einem Schlußstrich unter die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit
immer häufiger und lauter artikulierte, mußten solche Sätze und Überlegun-
gen störend wirken. Heinz Liepman forderte, daß auch wir unser eigenes
Nest beschmutzen müssen: „Ein Volle kann nur dann seinen Kindern eine
gute Zukunft bieten, wenn es die Wahrheit über sich selbst kennt I n diesem
Sinne sollten wir niemals anfhören, unser ‚eigenes Nest zu heschmutzen‘ -
seihst auf die Gefahr hin, daß wir es dadn rch weniger gemiitiich machen.“
In der gleichen Ausgabe, in der Liepmans Artikel erschien, veröffentlichte
die „Welt“ auch ein Gespräch zwischen dem Kölner Rabbiner Asaria und
Heinrich Böll, Paul Schallück und Wilhelm Unger; ihre Unterhaltung kreiste
um die Frage „Können Juden nach Deutschland zurück ltehreniwß
Das Echo der Leser auf Artikel und Gespräch war immens. So schrieb die
Verlegerin Dr. Hilde Claassen aus Hamburg: „Ich möchte Ihnen sagen, wie
sehr ich es begrüße, daß Aufsätze wie ‚Sollen wir das eigene Nest heschmat-
Zen?‘ in ihrer Zeitung abgedruckt werden. Angesichts der erschreckenden
und heschämenden Vorkommnisse der letzten Zeit in Köln und anderswo
scheint es mir wichtig zu sein, daß Stimmen gehört werden, die mu tig und mit
einer gewissen Lautstärke, aher ohne jede Beirnischitng von Aggressivität die
Dinge heim Namen nennen und sie so zu klären ‘versuchen. “5°
Ernst Wiedemann, Schriftleiter beim Hamburger Elternblatt, schrieb: „Zu
Ihrem Artihei ‚Sollen wir unser eigenes Nest heschmutzen?‘ möchte ich Ihnen
meine uneingeschränkte Anerkennung aussprechen. Er war mir aus dem
Herzen geschrieben. l n mein er langen politischen Vergangenheit hin ich
S5 Die Welt, Nr. I, 2.1.1960. - Vgl. auch „Geduldet oder gleichberechtigt. Zwei Ge-
spräche zur gegenwärtigen Situation der Juden in Deutschland.“ Schriftenreihe
der Germania Judaica. Kölner Bibliothek zur Geschichte des deutschen Juden-
tums. Heft II. Köln. Oktober 196'111.
5h „Aus Briefen an die Redaktion der WELT“. Die 1liiütdt, Nr. I0, 13.1.1960.
Page 17
 
AW: Vor 75 Jahren ...

Drei -> ........

„Ein deutscher Jude denkt über Deutschland nach“ 199
immer wieder auf diesen Vorwurf gestoßen und mnßte mich hesonders in der
Weimarer Zeit dagegen verteidigen. Aher er ist auch heute so aktuell ‘wie eh
undje.“”
Ein Leser aus Frankfurt a.M. bemerkte: „Sie sehen manches nicht ohjehtit:
an, Herr Liepman, besonders die judensache, und deshalh hin ich Ihnen höse.
Auf teelche Art kann man in dieser harten Zeit unser Treuegefiihl zu
Deutschland hesser in Gefahr hringen als nur mit dem Propagandawort
‚jndentrerfolgnrtg‘. Sie tischen uns eine Selhstverachtung auf, die nicht ange-
hracht ist. Sie hennen und sehen Deutschland nur dnrch das Schlüsselloch. Die
richtigen Deutschen verstehen sich mit j'aden, *****-n und mit jedem anderen
lllensclsezit.“W Die „Welt“ hatte diesen Leserbrief allerdings ein wenig geglät-
tet; die Frage „Sind Sie ein Dentscher?“"’ wurde weggelassen!
Heinz Licpman ließ dieses Thema nicht mehr los. Persönliche Erfahrun-
gen und Beobachtungen verdichteten sich in seinem im September 1960
geschriebenen Artikel „Ein deutscher Jude denkt über Deutschland
nach“ .“n
„Man kann mir ansehen, daß ich ein jnde hin. Und immer, wenn ich
Ausländer treffe, hesonders Amerikaner, hemmt nach einigen Minuten
Unterhaltung der Augenblick, wenn sie mich heiseite nehmen und mit
gedampfter Stimme fragen: ‚Sagen Sie, mein Lieber, Sie sind doch jnde, nicht
wahr?‘ und ohne auf mein Kopfnicken zn warten, fortfahren: ‚Wie kann man
heutzutage als fade in Deutschland lehen?‘ Man hört so viel Widersprüch-
liches .lst es schlimm — oder hat es sich toirhlich gebessert?“ Liepman ver-
suchte, eine facettenreiche Antwort zu liefern. Er begann seine Überlegungen
mit einem konkreten Ereignis, der Grundsteinlegung für ein neues jüdisches
Krankenhaus in Hamburg im Mai 1959. Er berichtete: „Unter den eingela-
denen Gasten waren ein halbes Datzendjnden und ein paar hundert Nicht-
jnden. Zn meiner Üherraschung harten sich auch etwa ein halbes Hundert
57 Ebd.
58 Ebd.
59 Brief von julius Pontzen, Frankfurt a.M., an Heinz Licpman, 3.1.1960, Nachlaß
Liepman bei Ruth Liepman, Zürich.
60 ln. Heinz Liepman, Ein deutscher Jude denkt über Deutschland nach. München
1'961. S. 5-21. In einer Vorbemerkung des Autors heißt es, daß dieser Artikel für
„The Menorah Journal“, New York geschrieben, rückübersetzt und überarbeitet
wurde. Liepman datiert diese Fassung mit September 1960. Die von ihm erwähn-
te erste Fassung des Artikels erschien unter dem Titel „Hamburg. [.ights and
Shadows in West Germany.“ in ‚.The Mentirahjournal“, Vol. XLVII, Nns. I 8c 2,
Autumn — Winter 1959. S. 86-103. - Alle folgenden Zitate stammen aus der deut-
schen Fassung.
Page 18
200 Wilfried Weinke
uneingeladener Männer und Frauen eingefunden. Während der feierlichen
Reden heohachtete ich ihre Gesichter. Was ging in ihnen ‘vor? Nichts regte sich
in ihren Gesichtern. Waren sie ehemalige Totschliiger? Waren sie selher
Opfers‘ Oder waren sie die vielen Mitahner, dann Mitwisser, und schließlich
Mittuer, die ihre alte Schuld siihnen wollten? 1UVer waren sie? Man weiß es
nicht. Das ist das Schlimmste in diesem Land.‘ man weiß nicht, wer sie waren
und was sie taten.“
Jenseits dieser beklemmenden Fragestellung beschäftigte ihn etwas ande-
res: „Dann iiherlegte ich.‘ in Hamhurg, einer Stadt von 1,8’ Millionen E inwoh-
nern, giht es heute noch 1'330 Jluden. Fiir die wird nun ein riesiges Jiiidisciires
Krankenhaus gebaut. Es giht weder genügend jüdische Ärzte noch jüdische
Krankenschwestern — und es giht sicher nicht geniigend jüdischen Patienten.
Warum also haut man dieses Krankenhaus?“ Liepmann schlußfolgerte: „Es
ist wohl jedem klar, daß die Errichtung eines neuen großen jüdischen
Krankenhauses in Hamburg als eine Geste gemeint ist: daß die Regierung und
Bevölkerung ‘von Hamburg tief in die Tasche gegriffen hahen als eine Art
Demonstration — gegen die Quäler und für die Gequdlten. Es ist eine sehr
kostspielige — und eine ergreifende Demonstration.“
Liepman verwies auf zahlreiche Demonstrationen dieser Art, auf den
Neubau von Synagogen aus öffentlichen Geldern, die Restaurierung und
Pflege iüdischer Friedhöfe und auf die Wiedergutmachungszahlungen an
Juden. Allerdings beließ er es nicht bei dieser positiven Bilanz, sondern frag»
te — wie viele andere ihn — nach den Motiven für diese Maßnahmen. Seine
Antwort: ‚Jeder deutsche Nachhriegs-Politiher wußte natürlich, wie ‘wichtig
es war, einen neuen moralischen Kredit fiir Deutschland in der Welt zu
gewinnen. Ohne moralischen Kredit keinen good will und Wiederaufhau,
keine wirtschaftlichen Hilfen und Aufrüstung, keine Partnerschaft in den
Verbänden der freien Nationen Das ist die häufige Frage.‘ sind die deut-
schen Nachhriegspolitiher ehrlich anständig - oder praktisch? Vielleicht sind
sie heides. Wer weiß es?“
Diese Unsicherheit hatte Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre Gründe,
die Liepman auch benannte: „E in gewisses Mifitrauen entstand — und herrscht
noch heute unter den Wohlmeinenden — durch die Wahl der Mitarbeiter unse-
rer fiihrenden Politiker und Industriellen. Man wird betroffen, wenn
Staatsmänner mit grojier Lautstärke in ihren Reden Jiede Nazi-Aktivität trer—
darnmen und große Summen bewilligen, um ihren guten Willen gegenüber
den überlebenden Opfern zu zeigen — aher auf der anderen Seite schwer bela-
stete Nazis in ihre Vorzirnmer setzen.“ Aber Liepman führte auch weitere
„merhteiirdige Vorkommnisse“ an, die eher zufällig bekannt wurden: die
Pension für die Witwe Reinhard Heydrichs, ebenso die Pensionen für die
Page 19
„Ein deutscher Jude denkt über Deutschland nach“ 201
„berüchtigten Richter des Nazi- Volksgerichtshofs“ sowie die vielen milden
Urteile gegen ehemalige Kfz-Wächter und andere NS-Verbrecher. Liepman
erwähnte die unter der Mehrheit der Deutschen verbreitete Meinung, „man
solle endlich einen Strich unter die Vergangenheit machen.“ Seine Gegenrede
war einfach, aber präzise: „Diesen Leuten fehlt die Fantasie, sich die Qualen
der Opfer und der Angehörigen vorzustellen. Die Qualen sind zwanzig fahre
alt - aber sollen sie darum ‘vergessen sein?“
Zum Thema Antisemitismus schrieb er: „Auf der anderen Seite kann
man heute wohl mit einem gewissen Recht hehaupten, daß jeder Antisemi-
tismus offiziell vollkommen unmöglich ist. Niemand könnte sich heute unge-
straft erlauhen, Menschen anzugreifen, weil sie Jluden sind. Antisemitismus ist
unpopular in der Bundesrepublik. Und so ist rein äußerlich gesehen das Lehen
für ‚luden in Deutschland heute bedeutend leonfliletloser als, sagen wir, im
jahre 1930.“
Liepman ging in seinem Artikel auch auf die Vorfälle in der Weihnachts-
nacht 1959 ein, in der die Kölner Synagoge mit Hakenkreuzen und dem
Slogan ‚Juden raus“ beschmiert wurde, sowohl eine Welle der Empörung als
auch eine Welle antisemitischer Parolen in ganz Westdeutschland auslöste.
Die Täter charakterisierte er als „körperlich Halbstarke und geistig Halli-
schwache“, erwähnte die Briefe von Freunden und Verwandten, die ihn auf—
forderten, „sofort Deutschland zu verlassen“.
‘Was Liepman irritierte, waren die Reaktionen in Deutschland selbst. „Nie
wurde uns (den Juden, die in Deutschland leben) — selhst rvon ganz Fremden
— spontan derart oft gesagt, wie sehr man die Schmierereien der dummen
jungen und dummeren Älteren oeru rteile. Man uherhot sich in ganz privaten,
persönlichen Demonstrationen rvon Anteilnahme und Freundlichkeit. Ich
erwähne gar nicht erst, daß die Politiker und die Zeitungen, die politischen
Parteien, die Gewerkschaften und zahllose Organisationen heftige Erklärun-
gen gegen die Schmierer ahgahen. Das mußte wohl so sein.“
Ohne das Wort Philoseinitisrnus"I auszusprechen, beschrieb er weitere
Formen der ‚Zuwendung‘: „Sehr ungern dagegen hahe ich die Leute, die man
überall trifft, au)r Gesellschaften, in der Eisenhahn oder in Läden, und die -
sobald sie erkennen, daß ich Jude hin — ihre Jfreuzirdsclntjrtliehen Gefühle fiir
61 Siehe Eleonore Sterling, „judenfreunde —]udenfeinde. Fragwürdiger Philosemi-
tismus in der Bundesrepublik.“ Die Zeit, Nr. 50, 10.12.1965. - Vgl. zu Liepmans
Darstellung auch die vorzügliche Arbeit von Frank Stern, im Anfang war
Auschwitz. Antisemitismus und Philosemitismtts im deutschen Nachltricg. (iüf-
lingen 1991 (= Schriftenreihe des Instituts für Deutsche Geschichte, Universität
Tel Aviv, 14}.
Page 20
202 ‘Clfillried Weinke
die ‚luden im allgemeinen heteuern. Die meisten dieser Begegnungen verlau-
fen nach einem ganz hestimmten Schema. Sie sehen mich an, nochmals und
ein drittes Mal. Dann nähern sie sich und sagen: Entschuldigen Sie die Frage,
aher sind Sie Jude? — In den ersten fahren nach meiner Rückkehr, nach l 947,
trat ich dann zurück und antwortete: ja, und pajit Ihnen das nicht? - Heute
heschranhe ich mich, stumm mit dem Kopf zu nicleen, denn ich weiß genau,
was min kommt. Sie sagen, wie entsetzt sie a her die Nazi— Verhrechen gegenü-
her den juden gewesen seien. Entweder fahren sie dann fort, sie selher hätten
zwar ‚mitgemacht‘, aher hätten nie eine Ahnung gehaht, was die Nazis wirk-
lich angerichtet hatten, his es zu spiit war. Oder sie sagen, sie seien ‚im H er-
zen‘ immer dagegen gewesen, sie hatten sich ‚heinah‘ den Mund trerhrannt
und waren nahe daran gewesen, mit der Gestapo in Konflikt zu kommen.“
Im Gegensatz zu Juden, die Deutschland nur für kurze Zeit besuchen und
der Meinung sind, die Deutschen hätten sich geändert und aus der Vergan-
genheit gelernt, sagte Heinz Liepman: „Wir, die wir seit iiher zehn fahren
wieder in unserer deutschen Heimat leben, wissen, wie wenig diese Anrempe-
lungen bedeuten.“ Es wäre, so Liepman, „eine Aufgahefiir die Psychiater, die
M otit/e festzustellen", danach zu fragen, wie „die meisten der wirklichen Ver—
hrecher von damals inzwischen ihre schrecklichen Erinnerungen kompensiert
oder rationalisiert haben.“ Ihn störte diese „extronertierte Freundlichkeit“.
Zwar konstatierte er, „daß eine politische Partei, die heute Antisemitismus
in ihr Programm schreiben wurde, keine Chance hatte, auch nur einen einzi—
gen Abgeordneten in die Parlamente zu schicken. " Gleichzeitig blieb er bezo-
gen aulC die Demokratiefähigkeit der Deutschen skeptisch. Liepman schrieb:
„Eine der charakteristischen Eigenschaften der Deutschen ist das Bedürfnis,
einem politischen Führer blind zu folgen. Mehr als jede andere Nation der
freien Welt verlangen die Deutschen nach patriarchalischer Führung. Weniger
als zehn jahre, nachdem der Fiihrer sie in Ruinen, Hunger und Schande
zurückgelassen hat, gahen sie Bundeskanzler Adenauer eine ahsolute Mehr-
heit im Parlament. Den Deutschen fehlt merkwürdigerweise die Eigenschaft,
die in den anderen freien Ländern die Demokratie lebendig und wirksam
macht: das Bedürfnis zur politischen Kontrolle, zur Opposition.“ Liepman
spielte hier auf die sogenannten „Adenauer-Wahlen“ vom September 1957
an, in denen die CDU die absolute Mehrheit errang. Er kritisierte vor allem
die Remilitarisierung Deutschlands, die 1956 mit der Aufstellung erster
Bundeswchreinheiten vollzogen wurde.
Seine Betrachtungen beendete er mit folgendem Fazit: „Das sind einige der
Erfahrungen, an die ein deutscher jude denlet, wenn er gefragt wird, wie es
sich heute in Deutschland leht. Unsere größte Sorge ist nicht die Gegenwart,
sondern der Sprung ‘von der Vergangenheit in die Zukunft. Und wenn wir
 
AW: Vor 75 Jahren ...

Ja ja, immer die Zeit und ihre 3 modi/Gestalten - Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ....:lachen::lachen::lachen:

Und die Zukunft ist immer JETZT, :ironie: soll ich im Auftrag von MOMO und Meister HORA, dem Verwalter der Stunden-Blumen, mitteilen ....:lachen::lachen::lachen:
 
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