AW: Türkische Schulen und Universitäten in Deutschland
Hallo Thorsten
Bereits seit Tagen bedauere ich, mich in diese Debatte eingemischt zu haben, und kann wahrscheinlich von Glück reden, dass das Thema bereits an Brisanz verloren hatte und ich für meine Dummheit 'nur' von Dir bestraft wurde.
Denke ich nur daran, was mir z.B. im Thread 'Religionsfeindlichkeit in diesem Forum' alles passiert wäre
... -grins.
Meine Antwort war oberflächlich, die Wortwahl unpassend und auf Vorhergehendem basierend, hauptsächlich aber von den französischen Prämissen geleitet, des -mir durchaus bekannten- deutschen bzw. europäischen ,Säkularismus' ungeachtet. Schlimmer noch! Du hast darauf explizit hingewiesen, ich vernachlässigte diesen -für mich fragwürdigen Säkularismus- trotzdem. Pardon!
Somit sollte ich mich besser verabschieden, aber Du und das Thema verdienen eine -hoffentlich- bessere Antwort.
1) Eine >türkische Universität< - vergleichbar einer deutschen Universität in der Türkei - ist das eine; dazu müßte die Initiative aus der Türkei kommen, aber mit einem bißchen weniger beleidigtem Jammern und ein bißchen mehr Zielstrebigkeit türkischerseits könnte das Ding allerspätestens 2011 stehen (Verzeihung, es hätte sicher schon 2003 stehen können)
Über die, von Dir erwähnten Daten, möchte ich nicht spekulieren, sonst bin ich absolut Deiner Meinung. Darüber hinaus, wie schon erwähnt, erachte ich Erdogans Einwurf, die Gymnasien bzw. Universitäten als Beitrag zur Integration zu sehen, als nichtig.
2) Eine <Imam-Ausbildung> ist eine Predigerausbildung, es wird dabei ausschließlich die korrekte mündliche Weitergabe des Koran gelehrt, und die Sprache des Koran ist Hocharabisch - es ist also gleichgültig, welcher Nationalität der Lehrende entstammt. Eine <Koranschule> vermittelt Grundkenntnisse, indem SchülerInnen durch Auswendiglernen mit dem Text der Suren vertraut gemacht werden. Nur daß in islamischen Ländern Schülerinnen meist ab einem gewissen Punkt nicht mehr weiterlernen dürfen; bisher hängt dieser Punkt von dem für Frauen erlaubten Heiratsalter ab, das jeweils staatlicherseits festgelegt wurde. In radikalen Ländern wie Jemen (oder dem Afghanistan der Taliban) haben Frauen ohnehin kaum die Möglichkeit des Schulbesuchs. In einem relativ fortschrittlichen Land wie Iran dagegen werden ausgewählte Suren auch an weiterführenden Schulen für Mädchen vermittelt.
Diese Tatsachen sind mir bekannt. Wenn wir aber so tief in die Materie vordringen wollen, sollten wir zunächst unterscheiden:
a) Koranschulen - die Medresen (für die gesamte islamische Welt) - islamische Hochschulen der Religionswissenschaften und der theologischen Ausbildung zum Imam
b) Koranschulen vgl. Religionsunterricht in unserem Kulturkreis
Ich möchte mich auf die zweitgenannten und nur auf die hier beheimateten beschränken.
Primär bekommt 'jedes' Kind bereits im Kleinkindalter (vom Vater der Sohn, von der Mutter die Tochter) die fünf Glaubenspflichten des Islam in der Familie vermittelt. Mit der Geburt hat sich das Kind bereits für Allah 'entschieden', mit der Erziehung wird es sich dem Willen Allah unterwerfen und die eigene Verantwortung abgeben. Es heisst nicht, Gott verstehen, es heisst nur, Gott anbeten.
In der Koranschule (und solche gibt es auch in D, mind. in den islamischen Kulturzentren jeder Grossstadt) lernt dann das Kind (sofern es dorthin geschickt wird), wie Du bereits erwähnt hast, den Koran (arabisch lesen) auswendig. Das Problem (aus unserer Sicht) wird gefestigt. Auswendig lernen und immer wieder wiederholen, ohne darüber nachzudenken, ohne hinterfragen zu dürfen, eigene Gedanken unterdrückend. Hier sollen die Kinder/Jugendlichen zu praktizierenden und nicht nur gläubigen Moslems erzogen werden.
Während für uns das Grundgesetz der Eigenverantwortung gilt, jeder von uns ethisch, kulturell, sozial, moralisch, politisch und wirtschaftlich gefordert ist und durch die Reformation von kirchlicher Bevormundung befreit,
reproduziert der gläubige Moslem nur eine Ideologie. Es kann die nach Sure 2, Vers 256 der Gebote Allah 'Kein Zwang zur Religion' und auch 'Alle Menschen sind vor Allah gleich, ungeachtet ihres Geschlechts, ihrer Hautfarbe, Herkunft, ihres soz. Status oder ihrer Blidung' sein oder die der Intoleranz gegen Andersgläubige, der islamischen Heilsmacht für die ganze Welt, der Männerherrschaft über Frauen etc. sein.
Die blosse Reproduktion einer Ideologie manifestiert sich am besten in den vorsichtigen Aussagen auch der sehr moderaten, nicht nur ungebildeten Muslime, wenn es darum geht, Steinigungen von Frauen oder Tötungen von Karikaturisten etc. zu verurteilen. Sie glauben, nur Allah entscheidet über das Leben und den Tod eines Menschen, aber Allah braucht dazu Werkzeuge. Dieser Glaube lässt sich bestens instrumentalisieren.
Es ist absurd, anzunehmen, daß an solchen Schulen "fremdsprachlich-naturwissenschaftliche" Inhalte vermittelt würden. Was Dir vorschwebt, Jérôme, sind europäisch-traditionelle Schulen, die neben anderen Angeboten auch islamischen Religionsunterricht anbieten. Wie soll das gehen?
Natürlich wäre absurd, an dieser Stelle Koranschulen als Mittel zu sehen. Deshalb schrieb ich auch, es sollten keine 'islamischen Einrichtungen' sein.
Tatsächlich hatte ich eine laizistische europäische Schule/Universität im Kopf -mit Hauptsprache Türkisch.
'Wie soll das gehen?', fragst Du mich? M.M.n. sehr gut -grins.
Aber s.o., ich achtete nicht darauf, dass Religionsunterricht in den meisten Bundesländern immer noch fast unumgänglich ein fester Bestandteil des Unterrichtsplanes ist.
Zu lösen wäre aber auch das: Koranunterricht separat erteilt, von in D ausgebildeten und zugelassenen Imams, die für den Inhalt (im Einklang mit der Verfassung) verantwortlich wären.
Na also, dann ist das ganze ja eine Schein-Debatte, entsprungen aus einer Schein-Hysterie. Nein, die Jugendlichen, die in die deutschsprachigen Moscheen laufen, sind fast alle Deutsche. (Deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund in der 3. Generation - das sind doch Deutsche? will ich da Unterschiede machen, oder soll ich sie etwa - in einer groben Anspielung - "Vierteltürken" nennen?) Viele dieser Jungs und Mädchen haben mitunter massive Identitätsprobleme, wissen nicht, wohin sie gehören - es ist bald grotesk, daß ihre Anlaufstelle eben die Moschee ist, die das deutsche Angebot ihnen liefert. Richtigen Koran-Unterricht kriegen die da aber nicht, die hören nur dem Prediger zu, wie wenn sie in der evangelischen Kirche wären!
Ein unverzeihlicher Fehler meinerseits, auf den Kontext zu hoffen -grins.
So wie ich irgendwo die Türkischstammigen erwähnte, waren hier die Eingeborenen bzw. ihre Eltern gemeint, besser wäre natürlich, ich hätte gleich zwischen Moslems und Christen unterschieden. Eine böse Falle der 'political correctness', in die ich da getappt bin.
Grotesk finde ich das nicht.
Ich kann diesbezüglich nur über F schreiben, aber die Parallelen in der strukturellen Grundproblematik der Integration sind eindeutig (regionale und lokale Konzentration der Migranten - Ballungszentren, Arbeitslosigkeit, Identitätsprobleme, Ausländerfeindlichkeit etc.). Die Unterschiede liegen evtl. in der Rechtslage, sicher in der Organisation der Schulen, im Laizismus/Säkularismus, evtl. in der politischen Wirkung, aber in beiden Ländern wird immer noch nach einem spezifischen Integrationsmodell gesucht, wobei der soziokultureller Hintergrund überall massgebend ist bzw. die Motivation und Fähigkeit der Migranten zur Integration gleichermassen beeinflusst.
Die jungen Muslime in F kümmert die Religion nicht viel mehr als die jungen Katholiken, es gibt selbstverständlich grosse Unterschiede zwischen den gläubigen und den praktizierenden Moslems.
Die Gemeinschaft einer Moschee gibt aber allen oft mehr Zugehörigkeitsgefühl als unsere Gesellschaft, dazu kommt, dass sie sich in der Not (Identitätskrise, Arbeitslosigkeit, Trauer etc.) wieder der Kirche zuwenden (nicht anders, als es auch bei den Christen zu beobachten ist) und da kommt es gravierend auf den Prediger und seine Auslegung des Korans an/seine Ausbildung/seine Zugehörigkeit/Import-Imam etc.
Generell lässt sich sagen, dass keine Integration möglich ist, wenn der Körper in einer aufgeklärten und der Kopf in einer vollkommen anderen Welt lebt.
Ja, genau. Obwohl die Einschränkung bei unserem "Säkularismus", Jérôme, doch bleibt, daß unser Staat "Religionsfreiheit" garantieren soll und wir die religiöse Vielfalt doch fördern wollen; in D behilft man sich damit, daß jeder einen Gebetsraum einrichten kann, wo er möchte, für größere sakrale Neubauten fühlt sich der Staat erst nach Antrag zuständig (oder Bürgerprotest, falls die Stadtplanung der Glaubensgemeinschaft am Volkszorn vorbei ihr Placet gegeben hat, wie jüngst in Köln geschehen).
Thorsten, mir ist Euer Säkularismus ohnehin weitgehend unverständlich.
Religionsfreiheit und die Vielfalt-Garantie ist das eine, der Umgang damit das andere.
Im Geschichtsunterricht wird die politische Kultur unter Ausschluss der Monarchie vermittelt und vielleicht nur eine Stunde später im Religionsunterricht die absolute Macht (also auch Monarchie) eines Papstes. Der Staat treibt Kirchensteuern ein etc. etc. Die Trennung Staat/Kirche sehe ich zu wenig deutlich.
(Es scheint mir übrigens, es geht hier immer mehr um Geld. Seit Jahren diskutieren m.W. die 'deutschsprachigen' röm.-kath. Kirchen über Unternehmungsführung, über die Grundlagen kirchlichen Managements, Theologie und Ökonomie, Spiritualität und Marketing, betriebswirtschftlliches Denken vs. theologisch/soz. Arbeitsfelder, Zielsetzung, Planung, Entscheid, Kontrolle und Controlling.
Die Finanzen sind Dünger im Weinberg des Herrn.
Ich hätte nie gedacht, die französischen Priester zu loben. Hier tu ich es -grins.
Die Kirchen bekommen keine Zuschüsse und haben auch keine Steuereinnahmen, sie finanzieren sich ausschliesslich aus Spenden, Stiftungen und Legaten. Die Ausnahme ist die staatliche finanzielle Unterstützung der kirchl. Schulen - dafür werden diese vom Staat auf Inhalte überprüft und kontrolliert.
Die Priester werden von den Diözesen entlöhnt und es handelt sich dabei um absolute Mindestlöhne. Trotzdem finden sie es natürlich, dass Religion Privatsache ist und übernehmen immer mehr soz. Aufgaben -z.B. auch die Betreuung entwurzelter Muslime- streiken sah ich sie noch nie -grins. Pardon!
[
QUOTE]Nein, ein Religionsunterricht an öffentlichen Schulen kann nicht Privatsache sein, sowenig wie die Ausübung einer Religion private Züge haben kann. "religio" bedeutet "Rückbindung" in einem Sinne, der über das individuelle und familiäre hinausgeht; es geht (wenigstens im Katholizismus und im Islam) um Sinnstiftung für große Gemeinden, die auf dem Wege solcher Sinnstiftung ja gerade erst erzeugt werden. "Unterricht" bedeutet dann immer die Zubereitung des Ich auf die religiöse Botschaft hin, die sich in der Gemeinschaft verkörpern soll - und das würde ich nicht als Privatsache bezeichnen wollen. [/QUOTE]
Aus dieser Sicht würde ich den Unterricht natürlich auch niemals als Privatsache bezeichnen.
Ich meinte damit aber nur den ersten Schritt, die vollständige Individualisierung, die französische Realität, die vermutlich in Rest-Europa -sage ich arrogant, gar nicht realisierbar ist; Religionsunterricht ausserhalb der Schule und der Entscheid den Eltern überlassen, ob das Kind überhaupt -, wenn ja, in welcher Form(!) und wo Religions- oder Religionenunterricht bekommt.
Was Du ansprichst, ist ein anderes Problem bzw. auch eine 'neue' Entwicklung. Seit ca. 40 Jahren drängen Religionen wieder zurück in den öff. Raum und versuchen ihre Anliegen nicht nur lautstark, sondern eben auch mit Gewalt durchzusetzen. Die Bedeutungslosigkeit oder die Individualisierung der Religionen wird damit überholt.
Ob lokal oder global, Religionen sind heute wieder mit-gesellschaftgestaltend und die religiösen Semantiker bestimmen immer mehr auch die aktuelle Tagespolitik.
Dabei wären noch die kath. Kirchen im Osten Europas zu erwähnen, die ebenfalls in die öff. Bereiche der Gesellschaft drängen und gegen die dort
noch stark entwickelte Privatisierung des Glaubens und die ideologischen Resten des Marxismus kämpfen und den politischen Entwicklungen entgegen zu wirken versuchen.
Wir plaudern hier ungezwungen und auf Umwegen über eine in weiter Ferne schwebende Türkische Universität, während in St. Petersburg für mind. 3 Monate die Europäische Universität geschlossen wurde und 170 Studenten sowie 50 Mitarbeiter in Ungewissheit leben, was mit dieser liberalen Privateinrichtung geschieht. Seit 1994 zum ersten Mal entsprachen die Räumlichkeiten nicht den Brandschutzbestimmungen der jährlichen Kontrolle. Dumm, dass ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt die EU bereit war, das 'Wahlbeobachtungsprojekt' der Universität zu finanzieren. Ganz dumm, dass praktisch gleichzeitig das Kulturinstitut British Council in St. Petersburg und in Jekaterinenburg und der Journalistenverband in Moskau die Brandschutzbestimmungen nicht erfüllen.
Höchstwahrscheinlich hätte ich nach den ersten zwei Absätzen den Beitrag beenden sollen, denn der Sinnlosigkeit des Schreibens bin ich mir voll und längst bewusst, aber draussen regnet es und das Mittagessen ist heute auch erst auf 14 Uhr geplant -grins.
Herzliche Grüsse und
Adieu
Jérôme