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Tat twam asi

Harald

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22. Dezember 2008
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919
Im nachfolgenden Text kommt Arthur Schopenhauers - hoffentlich leicht verständliche - geistige Verarbeitung des Sanskrit-Spruchs "tat twam asi" zum Vorschein:

Schopenhauers Mitleidsethik
In der Ethik vertritt Schopenhauer (1788-1860) im Unterschied zu Kant eine Mitleidsethik. Der einzige Grund, uneigennützig zu handeln, ist nach ihm die Erkenntnis des Eigenen im Anderen – das ist Mitleid. So bemerke der vom blinden Willen getriebene Mensch, dass in allen anderen Lebewesen derselbe blinde Wille haust und sie ebenso leiden lässt wie ihn. Durch das Mitleid wird der Egoismus überwunden, der Mensch identifiziert sich mit dem Anderen durch die Einsicht in das Leiden der Welt.

Es folgt hieraus ein im Vergleich zu Kant radikal anderer „Imperativ“. „Neminem laede, immo omnes, quantum potes, iuva. [Verletze niemanden, vielmehr hilf allen, soweit du kannst]“ - SCHOPENHAUER - DAS PRINZIP ALLER MORAL

Schopenhauer schließt in seine Ethik eindeutig den Schutz der Tiere ein. „Mitleid mit den Tieren hängt mit der Güte des Charakters so genau zusammen, daß man zuversichtlich behaupten darf, wer gegen Tiere grausam ist, könne kein guter Mensch sein.“ Wie kaum ein anderer Philosoph hat Arthur Schopenhauer das Mitleid in den Mittelpunkt seiner Ethik gestellt. Mitleid, so Schopenhauer in seinen Schriften zur Ethik, ist ein "alltägliches Phänomen", nämlich die ganz unmittelbare Teilnahme am Leiden eines anderen Wesens. Wir leiden mit ihm, also in ihm. Hierdurch wird die vorher unüberwindbare Mauer zwischen dem "Ich" und dem "Du" mehr und mehr abgebaut: "Wie ist es möglich", fragt Schopenhauer, "dass ein Leiden, welches nicht meines ist, nicht mich trifft, doch ebenso unmittelbar wie sonst nur mein eigenes, Motiv für mich werden, mich zum Handeln bewegen soll? Es ist möglich nur dadurch, dass ich es ...mitempfinde, es als meines fühle, und doch nicht in mir, sondern in einem andern ... Dies aber setzt voraus, dass ich mich mit dem andern gewissermaßen identifiziert habe, und folglich die Schranke zwischen dem Ich und Nicht-Ich für den Augenblick aufgehoben sei....Dieser Vorgang ist mysteriös; denn er ist etwas, wovon die Vernunft keine unmittelbare Rechenschaft geben kann..."

Das Mitleid - und hierbei unterscheidet sich Schopenhauer von fast allen anderen Philosophen seiner Zeit - bezieht sich auf alles, was Leben hat und damit auch auf Tiere. Es ist, was Schopenhauer immer wieder betonte, die wahre Grundlage der Moral. Das Mitleid "ist eine unleugbare Tatsache des menschlichen Bewusstseins, ist diesem wesentlich eigen, beruht nicht auf Voraussetzungen, Begriffen, Religionen, Dogmen, Mythen, Erziehung und Bildung". Schopenhauer hat in seiner "Preisschrift über die Grundlage der Moral" die zentrale Bedeutung des Mitleids für jedes ethische
Verhalten hervorgehoben, und zwar mit Worten, die nahegehen: "Denn grenzenloses Mitleid mit allen lebenden Wesen ist der festeste und sicherste Bürge für das sittliche Wohlverhalten und bedarf keiner Kasuistik. Wer davon erfüllt ist, wird zuverlässig keinen verletzen, keinen beeinträchtigen, keinem wehe tun, vielmehr mit jedem Nachsicht haben, jedem verzeihen, jedem helfen, so viel er vermag, und alle Handlungen werden das Gepräge der Gerechtigkeit und Menschenliebe tragen."

Ethik, Mitleid, Askese
„Ganz er selbst sein darf jeder nur, solange er allein ist. Wer also nicht die Einsamkeit liebt, der liebt auch nicht die Freiheit; denn nur wenn man allein ist, ist man frei!“
„Bei gleicher Umgebung lebt doch jeder in einer anderen Welt.“ Dieser metaphysische Pessimismus liegt nun auch der Ethik Schopenhauers zugrunde. Diese ist Mittleidsmoral, erwachsend aus der Einsicht in die Wesensgleichheit, Identität aller Leidenden, aller Wesen, durch welche Einsicht der ursprüngliche Egoismus überwunden wird. Das Mitleid ist das Fundament der Moral, das einzige echt sittliche Motiv, die »echte, d.h. uneigennützige Tugend«, die Basis aller freien Gerechtigkeit und Menschenliebe. Moralischen Wert hat nur die aus Mitleid geborene Handlung. Mitleid ist Teilnahme am Leiden eines Anderen. Dieser aber ist an sich eins mit uns selbst (»tat twam asi« - dies alles bist du, wie die indische Lehre lautet). Im anderen leiden wir selbst. Hier ist die Scheidewand, welche die Wesen trennt, aufgehoben und das Nicht ich gewissermaßen zum Ich geworden. Aus der Durchschauung des Erscheinungscharakters der Individualität geht die Gerechtigkeit und die Güte der Gesinnung hervor, das Mitleid, die reine Liebe.
Indem nun aber der Mensch in allen Wesen sein eigenes Ich und in allein Leiden sein eigenes Leiden erkennt, schaudert ihm vor allem Leben und dessen Genüssen (vgl. Buddha). Der Wille wendet sich nun gegen sich selbst, bejaht das (individuellleibliche) Leben immer schwächer, er ist durch Erkenntnis hellsichtig geworden und verneint das Leben. Selbstmord nützt nichts, denn der Tod trifft dann nur die Erscheinung des Willens, nicht diesen selbst. Hingegen erlöst uns immer mehr vom Leben die Askese in allen ihren Arten (Armut, Kasteiung, Keuschheit usw.), die den Lebenswillen abschwächt, ertötet. Kommt dann der Tod, so trifft er auf einen schon fast ganz erloschenen Willen. »Für den, welcher so endet, hat zugleich die Welt geendet.« Für uns ist dieses Nirwana das Nichts, während es an sich das höchste, unsere Welt aber nichts ist. Die Verneinung des Willens zum Leben, diese »Selbstaufhebung des Willens«, diese jähe Wendung des Willens gegen sich selbst, ist ein Akt der (durch Erkenntnis geleiteten) Freiheit des Willens; hier ist der einzige Punkt, wo seine Freiheit unmittelbar in die
Erscheinung tritt.
Quelle: http://www.walterkirchgessner.de/04+Schopenhauers+Mitleidsethik.pdf
 
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AW: Tat twam asi

Ja, diese geistige Verarbeitung ist leicht verständlich.
Die Interpretation Schopenhauers deckt sich sehr genau mit dem, was ich sagte.

Mitleid ist Teilnahme am Leiden eines Anderen. Dieser aber ist an sich eins mit uns selbst (»tat twam asi« - dies alles bist du, wie die indische Lehre lautet). Im anderen leiden wir selbst. Hier ist die Scheidewand, welche die Wesen trennt, aufgehoben und das Nicht ich gewissermaßen zum Ich geworden.

Wenn nun also das Ich Harald über das Ich Gerhard sagt:
Es besteht somit der begründete Verdacht, dass der Herr Kurzmann zur Verschleierung seiner wahren ideologischen Heimat gerne mit Un- und Halbwahrheiten operiert.
und wenn man ernst nimmt, daß die Scheidewand, welche die Wesen trennt, aufgehoben und das Nicht ich gewissermaßen zum Ich geworden ist, dann ist es quasi so, daß das Ich Harald über sich selbst sagt:
Es besteht somit der begründete Verdacht, dass ich zur Verschleierung meiner wahren ideologischen Heimat gerne mit Un- und Halbwahrheiten operiere.

Kurz: Wer Tat twam asi wirklich glaubt (Ich behaupte nicht, man müsse es glauben), der unterstellt anderen keine Absichten, die er nicht selbst hat. Ich hoffe, das war leicht verständlich. :)
 
AW: Tat twam asi

Hi 5Zeichen,

Kurz: Wer Tat twam asi wirklich glaubt (Ich behaupte nicht, man müsse es glauben), der unterstellt anderen keine Absichten, die er nicht selbst hat.
Was heisst das für dich in Bezug auf deinen Thread "Kauf mich!"?

lg,
fusselhirn
 
AW: Tat twam asi

Ja, diese geistige Verarbeitung ist leicht verständlich.
Die Interpretation Schopenhauers deckt sich sehr genau mit dem, was ich sagte.
Mitleid ist Teilnahme am Leiden eines Anderen. Dieser aber ist an sich eins mit uns selbst (»tat twam asi« - dies alles bist du, wie die indische Lehre lautet). Im anderen leiden wir selbst. Hier ist die Scheidewand, welche die Wesen trennt, aufgehoben und das Nicht ich gewissermaßen zum Ich geworden.

Wenn nun also das Ich Harald über das Ich Gerhard sagt:
Es besteht somit der begründete Verdacht, dass der Herr Kurzmann zur Verschleierung seiner wahren ideologischen Heimat gerne mit Un- und Halbwahrheiten operiert.

und wenn man ernst nimmt, daß die Scheidewand, welche die Wesen trennt, aufgehoben und das Nicht ich gewissermaßen zum Ich geworden ist, dann ist es quasi so, daß das Ich Harald über sich selbst sagt:

Es besteht somit der begründete Verdacht, dass ich zur Verschleierung meiner wahren ideologischen Heimat gerne mit Un- und Halbwahrheiten operiere.

Kurz: Wer Tat twam asi wirklich glaubt (Ich behaupte nicht, man müsse es glauben), der unterstellt anderen keine Absichten, die er nicht selbst hat. Ich hoffe, das war leicht verständlich. :)

Vielleicht verstehst du besser was mit "tat twam asi" gemeint ist, wenn du dir auch diesen Text noch zu Gemüte führst:

In der Ethik vertritt Schopenhauer eine Mitleidsethik, die Metaphysik des Mitleids.
Eigentlich sind wir von Grund auf alle einmal Egoisten – dies bezeichnet man als ethischen Egoismus. Die Haupt- und Grundtriebfeder allen Handelns ist der grenzenlose Egoismus – der Drang zum Dasein und Wohlsein. Biologisch auch sinnvoll, ist jeder von uns einmal an der Selbsterhaltung interessiert. Hier liegt Schopenhauer beim ‚homo homini lupus’ von Hobbes.
Wie ist es aber nun möglich, dass man oft scheinbar moralische, selbstlose Handlungen beobachten kann? Dies erklärt Schopenhauer mit seiner Metaphysik des Mitleids. Dies ist Fundament seiner Ethik. Aus dem Gefühl des Mitleids, des Mitleidens mit anderen, sehen wir uns veranlasst zu selbstlosen Taten. ‚Alle Liebe ist Mitleid’. Und hier kommt wieder das buddhistische Denken zum Tragen: wir sind letztlich im Innersten alle eins, alle mit- und untereinander verbunden, mit allen Lebewesen, auch mit den Tieren: du bist ein Mensch – ich bin ein Mensch. Im Mitleid überspringe ich die Schranken meines eigenen Ichs und erkenne mein Selbst in jedem anderen Wesen. Das ‚principium individuationis’ ist aufgehoben.
Im Sanskrit gibt es die Formel: „tat – tvam asi“: ‚dies bist du’.
Die Vielheit des Seienden ist ein Schein. Wir werden vom ‚Schleier der Maja’ getäuscht, hinter dem ein einheitlicher Weltwille verborgen ist. Die Erscheinungswelt ist nur ein Trugbild.
Quelle: http://www.fischill.com/download/Schopenhauer.pdf (3. Blatt)
 
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AW: Tat twam asi

Ich lese immer das Gleiche. :confused:

... wir sind letztlich im Innersten alle eins, alle mit- und untereinander verbunden, mit allen Lebewesen, auch mit den Tieren: du bist ein Mensch – ich bin ein Mensch. Im Mitleid überspringe ich die Schranken meines eigenen Ichs und erkenne mein Selbst in jedem anderen Wesen. Das ‚principium individuationis’ ist aufgehoben.
Im Sanskrit gibt es die Formel: „tat – tvam asi“: ‚dies bist du’.

Dein Text (Harald über Gerhard) schien mir dazu im Widerspruch zu stehen, Harald. Aber natürlich kann ich mich auch irren. :)
 
AW: Tat twam asi

Im Sanskrit gibt es die Formel: „tat – tvam asi“: ‚dies bist du’.
Die Vielheit des Seienden ist ein Schein. Wir werden vom ‚Schleier der Maja’ getäuscht, hinter dem ein einheitlicher Weltwille verborgen ist. Die Erscheinungswelt ist nur ein Trugbild.
Na jetzt kapiere ich erst richtig, warum wir auf keinen Nenner kommen konnten Harald https://www.denkforum.at/threads/8871
In jedem Fall habe ich da jedes Mitleid wie Mitgefühl für mich von dir schwer vermisst.

Ich unterscheide noch zwischen Mitleid und Mitgefühl.
Ich wenn ich mitleide, dann leide ich ebenfalls und bin genauso hilflos wie der Leidende.
Beim Mitgefühl, kann ich verstehen worum es geht und Hilfe anbieten oder holen.
Da diese beiden Begriffe im Alltag schwer durcheinander gehen, lässt es sich nicht vermeiden, dass es immer wieder zu Verwirrungen und Verstrickungen von Gefühlen kommt.
Wer aber ein gesundes Ich-Bewusstsein und einen gesunden Eigenwillen entwickelt hat, der lässt sich nicht von der Illusion leiten, welche Du Aussage auch immer einer macht. Er beschränkt sich auf seine Selbsterkenntnis und erweitert diese so gut es geht.

Ich lebe also lieber nach dem christlich jüdischen Modell:
Ich bin
die
ich bin.


erweitert in:

Ich bin göttlich und okay! Du bist göttlich und okay!

:liebe: :geist: :schaf:
 
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AW: Tat twam asi

Ich lese immer das Gleiche. :confused:
Ja, das ist grundsätzlich nicht unrichtig. Der Inhalt der Texte ist auch immer derselbe. Allerdings wird es sicher noch eine Weile dauern,
bis du zu des Pudels Kern vordringen kannst. Tröste dich, mir ist es auch so ergangen.


Dein Text (Harald über Gerhard) schien mir dazu im Widerspruch zu stehen, Harald. Aber natürlich kann ich mich auch irren. :)

Der scheinbare Widerspruch erklärt sich m. E. dadurch, dass du einfach noch zu wenig über die "Mitleidsethik" Schopenhauers nachgedacht hast und somit den Spruch: "Tat tvam asi", von einem falschen Blickwinkel aus betrachtest. Darüberhinaus gilt immer noch: errare humanum est.

Das "Tat tvam asi" so zu interpretieren, dass ich praktisch der Klon vom Gerhard Kurzmann bin und darüberhinaus noch über die exakt gleiche "Software" verfüge, trifft nicht die wirkliche Bedeutung dieses Spruches.

Mit den beiden Texten vom Arthur Schopenhauer hättest du eh die Lösung vor Augen, nur kannst oder willst du sie nicht sehen.
 
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