Herr Morris, der Friedensprozess im Nahen Osten scheint eingeschlafen. Wie beurteilen Sie die Bestrebungen der Israelis und Palästinenser, zu einem friedvollen Miteinander zu finden?
Momentan scheint es überhaupt keinen nennenswerten Friedensprozess zu geben, der seinen Namen verdient – die Verhandlungspositionen befinden sich längst in einer Sackgasse. Es scheint auch nicht andeutungsweise eine Vorwärtsbewegung am Horizont sichtbar und für die vorhersehbare Zukunft, ich meine damit die kommenden fünf bis zehn Jahre, wird sich daran wohl auch nichts ändern, wenngleich es sicher immer wieder unvorhersehbare Überraschungen geben können wird …
Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe für diese faktische Verhandlungsunterbrechung?
Der Hauptgrund sehe ich darin, dass die Palästinenser tatsächlich nicht wirklich kompromissbereit sind und einer Zweistaatenlösung, wie sie mittlerweile selbst Israels mitterechtes Parteienspektrum im Prinzip vorsieht, niemals zustimmen werden. Sie lehnen grundsätzlich die Existenz Israels ab und erstreben nichts anderes als ein unabhängiges Palästina. Sämtliche diplomatischen Anstrengungen seitens der Palästinenser sind insofern als reine Augenwischerei zu betrachten, da sie diese nur deshalb betreiben, um ernsthaften Verhandlungen aus dem Weg zu gehen. Verhandlungen werden also lediglich um der Verhandlungen willen betrieben, um insbesondere einer allfälligen Schuldzuweisung der restlichen Welt aus dem Weg zu gehen. Ziel dieser Taktik ist es, in jedem Fall eine Zweistaatenlösung zu verhindern. Die Geschichte der letzten hundert Jahre scheint das doch zu beweisen: Bereits 1937 lehnten sie die Zweistaatenlösung der britischen Peel-Kommission ab, das Gleiche passierte 1947, als die UNO eine Zweistaatenlösung anbot. In jüngerer Zeit, wir blicken lediglich etwa zehn bis elf Jahre zurück, schlugen die Palästinenser unter Führung Yassir Arafats die Vorschläge des damaligen israelischen Premierministers Ehud Barak sowie des US-amerikanischen Präsidenten Bill Clinton in Camp David aus. Ebenso schien 2008 bei den Verhandlungen zwischen Ehud Olmert und Mahmud Abbas keine Einigung möglich. Nicht, dass Abbas tatsächlich «nein» sagte; er nahm zu den Vorschlägen von israelischer Seite einfach nicht Stellung, was letztlich auf ein «Nein» hinauslief.
Sie glauben also, dass dahinter gewissermaßen «ein System» steckt?
Eigentlich ja – letztlich sehe ich darin über die Jahrzehnte hinweg eine gewisse Konstante in der Verhandlungstaktik der Palästinenser, nämlich einer Zweistaatenlösung, die selbstverständlich das Existenzrecht Israels oder zumindest eines jüdischen Staates implizieren würde, aus dem Weg zu gehen. Unter «Palästinenser» verstehe ich hier die gesellschaftliche Hauptrichtung, die politische Mitte, zum einen die Anhänger der PLO, zum anderen das weniger politisch orientierte, aber dennoch säkularisierte Bevölkerungssegment. Das islamistische, eher fundamentalistische Bevölkerungssegment der Palästinenser, die 2006 gar die Wahlen gewannen und mittlerweile wahrscheinlich in ihrer Mehrheit die gesellschaftliche Hauptrichtung bilden, lehnt ja von vorneherein das Existenzrecht Israels ab und tritt erst gar nicht zu Verhandlungen an. Hamas sagt doch ganz offen: «Wir akzeptieren keinen israelischen Staat», ein Spruch, den sie mitunter mit «keine Juden in Israel» noch verschärfen.
Insofern scheint es keine Lösung zu geben…
Nein, absolut nicht. Vielleicht nähmen die Palästinenser eine andere Position ein, wären sie sich nicht eines weiten arabischen Hinterlandes, bildlich wie übertragen, sicher. Solange jedoch die palästinensische Sache, eingeschlossen des Rückkehrrechtes der palästinensischen Flüchtlinge, von den arabischen Staaten sowie der restlichen muslimischen Welt mitgetragen wird, solange wird sich deren Verhandlungsposition kaum ändern. Nochmals: Natürlich wird man niemals ein klares «Nein» zu hören bekommen, vielmehr werde man hier Vorbehalte geltend machen, dort Grundsätzliches durch Detaileinwände in Frage stellen – alles darauf hinauslaufend, einer vollen Anerkennung Israels aus dem Weg zu gehen. Zumindest momentan sehe ich keine neuen Ansätze, mit denen der Friedensprozess aus seiner Sackgasse geführt werden könne.