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Politischer Diskussionsstil

Ziesemann

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3. November 2005
Beiträge
929
Politischer Diskussionsstil
Für den Zweck dieser Betrachtung genügt es, den Stil politischer Diskussionen und Debatten von dem eines sachlichen Streitgespräches mit dem Unterfall des Wissenschaftsdiskurses zu unterscheiden.
Bei der sachlichen Auseinandersetzung kämpft Argument gegen Argument, idealiter tritt die Person, gänzlich in den Hintergrund. Man braucht nichts von ihr zu wissen, weder Geschlecht, Alter, Beruf oder Ansehen spielen eine Rolle. Was zählt sind allein Kraft und Stärke des Arguments wie sie in Beweiskraft, Plausibilität, Falsifizierbarkeit und nicht zuletzt auch in der Verständlichkeit zum Ausdruck kommen. Der Konkurrent als Mensch wird geschont, man könnte ja von ihm lernen und auf seinen Argumenten aufbauen, wie das gar nicht mal so selten in einigen Threads dieses Denkforums geschieht

Ganz anders zeigt sich dagegen die politische Diskussion. Hier kommt es darauf an, die Glaubwürdigkeit des Gegners zu erschüttern, ihn dazu als Person zu treffen. Nicht das bessere Argument soll siegen, sondern der vermeintlich (oder tatsächliche) zumindest fähigere und sympathischere Mensch. Im Kampf gegen den politischen Gegner dienen die Waffen der Häme, der Verächtlichmachung, besonders infam in der scheinbaren Höflichkeitstitalatur „der Professor aus Heidelberg“ mit der Weltfremdheit und „soziale Kälte“ verbunden mit der unterschwelligen Abneigung gegen Intellektuelle assoziiert werden sollen. Dem dient auch das vorsätzliche Missverstehen, die Verdrehung, die Vereinfachung bis hin zur Verfälschung. Es geht hier nicht um ein Nachkarten der letzten deutschen Bundestagswahl; aber man kann an einem Beispiel daraus besonders gut zeigen, wie erfolgreich ein solches, sachlich ungerechtfertigtes Vorgehen sein kann. Jener Professor aus Heidelberg, Paul Kirchhof, der als Verfassungsrichter wie kaum ein zweiter an familienfreundlichen Urteilen mitgewirkt hat, empfahl zur radikalen Steuervereinfachung eine Flatrate von 25%, also für alle denselben Steuersatz.
Und er erwartete – das war vielleicht wirklich etwas weltfremd - , dass jeder versteht: 25% ergibt bei einem Jahreseinkommen von 100.000 € einen Steuerbetrag von 25.000; bei einem von 10.000 einen solchen von 2.500 €.
Doch binnen weniger Tage wurde daraus, gedruckt auf vielen Tausenden von Flugblättern (neudeutsch: Flyers): Die Sekretärin zahlt dieselbe Steuer wie der Generaldirektor und bei der berühmten Nachtschwester hieß gleich ganz brutal: Sie zahlt denselben Betrag (sic!) wie der Chefarzt. – Alle Wahlforscher sind sich darin einig, dass Hunderttausende den Steuersatz fälschlich = Steuerbetrag gesetzt hatten. – Das war wahlentscheidend.
Kein demokratisches Parlament kann ein Club frommer Betschwestern und –brüder sein, die um Erleuchtung zur Wahrheitsfindung flehen. Es geht um Macht, Machtvergrößerung und –erhalt zur Gestaltung des öffentlichen Lebens nach den jeweiligen politischen Vorstellungen. Ein CDU-MdB hat in einer Debatte – wohl versehentlich - trefflich zum Ausdruck gebracht, was eine politische Diskussion von einer Sachdiskussion unterscheidet. Er sagte, sich vom Rednerpult zur SPD hinwendend: „Meine Damen und Herren, Sie können auch mit Ihren besseren Argumenten uns nicht von unserer politischen Überzeugung abbringen.“ Wohl wahr – dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

Wir diskutieren hier über Politik, aber deswegen brauchen wir nicht ihren Diskussionsstil zu übernehmen.
Das wünscht sich – Ziesemann (und bitte jetzt keine Diskussion über Pro und Contra des Kirchhof’schen Steuermodells)
 
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Wir diskutieren hier über Politik, aber deswegen brauchen wir nicht ihren Diskussionsstil zu übernehmen.
Das wünscht sich – Ziesemann

da der Stil hier zur Zeit weit beklagenswerter ist, wünschte ich, daß wir zumindest erstmal das Niveau der Bundestagswhl erreichen

wünscht sich Claus

ps
nimmst Du noch grüne Punkte?
hast Dir einen verdient, aber wenn Du jetzt die wertung auch verabscheust, kriegt ihn ein anderer :)
 
Zuletzt bearbeitet:
Claus schrieb:
da der Stil hier zur Zeit weit beklagenswerter ist, wünschte ich, daß wir zumindest erstmal das Niveau der Bundestagswhl erreichen

wünscht sich Claus

ps
nimmst Du noch grüne Punkte?
hast Dir einen verdient, aber wenn Du jetzt die wertung auch verabscheust, kriegt ihn ein anderer :)
Nana, lieber Claus, so tief gesunken sind wie denn doch noch nicht.

Im Übrigen: Wenn man mir was schenken will, gilt das Berlinerische: Ick ekel mir for jarnischt. (Zwinker statt Smiley)

Ziesemann
 
Ziesemann schrieb:
Alle Wahlforscher sind sich darin einig, dass Hunderttausende den Steuersatz fälschlich = Steuerbetrag gesetzt hatten. – Das war wahlentscheidend.

"PISA" lässt grüssen!
Aber waren die Medien wirklich um Aufklärung bemüht?

Wenn ich beispielsweise den Atomstreit mit Iran Revue passieren lasse, dann kann ich nur sagen: An wirklicher Aufklärung sind die Medien nicht interessiert. Sie überschwemmen den Hörer/Zuschauer mit einer Flut von Details und verschweigen doch das Wichtigste.

Hatte H. Heine nicht doch Recht, wenn er sagte:

"Ich weiss, sie tranken heimlich Wein und predigten öffentlich Wasser"

fragt
Hartmut
 
ein bißchen Realitätsverlust?

der Staat, die Länder und die Städte haben massive Geldprobleme
und deshalb will man den Steuersatz auf 25 Prozent festsetzen

die Armen bekommen ein bißchen mehr
die Reichen bekommen deutlich mehr

und was bringt es?
 
Lob, Ziesemann, gutes Thema!

Ich versuche ja immer die Gründe zu finden und mich nicht von den oft allzu entmutigenden Dingen aus der Bahn bringen zu lassen. Im Grundsatz sehe ich die Problematik so, daß die Politik sich so gibt, wie es Erfolg verspricht. So ist es auch bei der Werbung und der geistige Gehalt der Waschmittelwerbung im Vergleich zu ihrem Erfolg hat schon viele erstaunt.

Offensichtlich sind die Wähler mit diesem Gerassel zufrieden und es wäre sicher interessant, wer die Parteiprogramme eigentlich mal gelesen hat. Ich hatte den amerikanischen Wahlkampf sehr intensiv mit CNN und BBC verfolgt und ich konnte auch nach langem nicht verstehen, wer nun für was steht. Das scheint aber ein Standard geworden zu sein, denn die meisten Politiker sagen eigentlich nichts, wenn sie reden.

Warum tun sie das? Weil die Wähler offensichtlich damit zufrieden sind und sich vielleicht ausdenken, was der Kandidat wohl meint, wer er nichts zur Sache sagt. Zudem ist es leichter später zu sagen: "Das habe ich nie gesagt".

Auch die vermeintlichen Kontroversen und Beschimpfungen sind wohl in vielen Fällen für die Tribüne gedacht, um uns vorzumachen, daß sich da jemand für etwas ganz besonders einsetzt. Zwei Wochen später sieht man die Leute dann in einer Koalition und Arm in Arm.

Ja, Ziesemann, es geht um die Macht und die ist genau so zu haben. Man erzähle nichts, verwende Polemik und vor allem nur wenige Schlagsätze, die man dann endlos wiederholt. So gestalten sich auch die Reden von George W. Bush.

Und auch hier ist die eigentliche Frage: warum lassen wir das zu? Und die Antwort ist, daß sich die meisten auch nicht mit den aktuellen Fragen beschäftigen, keine Sachkenntnis besitzen und auch nicht besitzen wollen und nur eines haben: eine Stimme.

So geraten Sachargumente schnell zum Problem, denn wer nichts Besseres vorzubringen hat, die Argumente nicht widerlegen kann, der benutzt den Angriff auf die Person, die Diffamierung und Polemik und wird sich auch nie überzeugen lassen. Die Politiker sind da schon übel genug. Schlimm wird es erst so richtig am Stammtisch ...

Ich habe die meisten Themen in diesem Forum bisher als sachlich empfunden. Natürlich muß man dabei den einen oder anderen überhitzigen "Spring-ins-Feld" da eher ignorieren.
 
Hartmut schrieb:
"PISA" lässt grüssen!
Aber waren die Medien wirklich um Aufklärung bemüht?

Wenn ich beispielsweise den Atomstreit mit Iran Revue passieren lasse, dann kann ich nur sagen: An wirklicher Aufklärung sind die Medien nicht interessiert. Sie überschwemmen den Hörer/Zuschauer mit einer Flut von Details und verschweigen doch das Wichtigste.

Hartmut
"JEIN" möchte ich, wenngleich ungern sagen. "Die Medien" täuschen eine Einheit vor, die es nicht gibt. Es gab und gibt seriöse Presseorgane, wissenschaftliche Abhandlung zu dem Thema auf hohem Niveau; aber allein die schiere Fülle der "Flyers", die notwendige Simplifizierung der Parolen (aller Gruppierungen!) auf großflächigen Plakaten kann die Qualität erdrücken.

Verschweigen die Medien "das Wichtigste"? Und wie wäre die Überlegung, wenn sie selbst nicht wissen, nicht einmal wissen können, was das Wichtigste ist?

scilla schrieb:
ein bißchen Realitätsverlust?

der Staat, die Länder und die Städte haben massive Geldprobleme
und deshalb will man den Steuersatz auf 25 Prozent festsetzen

Scilla, ich hatte ausdrücklich darum gebeten, eben nicht um die Richtigkeit des Steuersatzes zu streiten, es ging bei meinem Beitrag nur um den Diskussionsstil und die gezielte Verwirrung. Die Steuerhöhe ist eine ganz, ganz andere Frage.


Louiz30
auf Deinen substantiellen Beitrag kann ich leider erst morgen eingehen; ich freue mich aber, dass Dir die Thematik gefällt. (Hoffentlich bekommst Du keinen Ärger wg. des Lobs!)

Noch ein Nachtrag: Das Beispiel Steuersatz=Steuerbetrag ist berotet worden, wahrscheinlich weil es parteipolitisch verstanden werden könnte. Ich hatte gleich Bedenken, glaubte es aber nehmen zu können, nachdem Bundespräsident Köhler kurz nach der Regierungsbildung in aller Öffentlichkeit in deutlicher Anspielung auf den Vorgang bekannt hatte, das er eine Zeitlang geschwankt habe, ob er sich nicht mäßigend zu Wort melden müsse. Er unterließ es, um auf keinen Fall den Eindruck zu erwecken, die Wahl beeinflussen zu wollen. Aber ausdrücklich verurteilte er später, dass der Gegner mit dem Begriff der "sozialen Kälte" verunglimpft wurde. Darum glaubte ich, es als Beispiel für schlechten politischen Diskussionsstil wählen zu dürfen.

Ziesemann
 
Ziesemann schrieb:
Verschweigen die Medien "das Wichtigste"? Und wie wäre die Überlegung, wenn sie selbst nicht wissen, nicht einmal wissen können, was das Wichtigste ist?

ooooch, die armen medien...:)
nich bös gemeint !!
vlt. sollte es heißen: "wenn sie es selbst nicht wissen, nicht einmal wissen WOLLEN / DÜRFEN ?" obwohl das auch schon wieder 2 verschiedene paar schuhe sind...
soviel zu meiner unqualifizierten meinung über medien

~~~* ich warte auf den tag der wahrheit, wenn ich die zeitung aufschlagen und lesen darf: "die macht der medien - eine reportage über den wahren gott unseres zeitalters" *~~~
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
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louiz30 schrieb:
Ich versuche ja immer die Gründe zu finden und mich nicht von den oft allzu entmutigenden Dingen aus der Bahn bringen zu lassen. Im Grundsatz sehe ich die Problematik so, daß die Politik sich so gibt, wie es Erfolg verspricht.
Solange die Farbe einer Krawatte wahlkampfentscheidend ist,solange Politiker ungestraft Sprachrohr oder Marionette obskurer Organisationen sein können,solange kann ich Politik nicht mehr ernst nehmen.
Offensichtlich sind die Wähler mit diesem Gerassel zufrieden und es wäre sicher interessant, wer die Parteiprogramme eigentlich mal gelesen hat.
Ich glaube,der realistisch denkende Mensch wird sich sowas freiwillig nicht antun,weiß er doch,daß schöne Worte noch lange kein Garant für gute Politik sind.Ich gehöre zu denjenigen Politikverdrossenen,die sich überlegen,zukünftige Wahlen wenn nicht zu boykottieren ,dann zumindest zu ignorieren....

Und auch hier ist die eigentliche Frage: warum lassen wir das zu? Und die Antwort ist, daß sich die meisten auch nicht mit den aktuellen Fragen beschäftigen, keine Sachkenntnis besitzen und auch nicht besitzen wollen und nur eines haben: eine Stimme.
Ich gehe davon aus,daß sehr viele wachen Auges die politische Landschaft beobachten,sich aber der Machtlosigkeit ihrer Wählerstimme wohl bewußt sind.....
 
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