Der Koran und die auf ihm fußende muselmanische Gesetzgebung reduzieren Geographie und Ethnographie der verschiedenen Völker auf die einfache und bequeme Zweiteilung in Gläubige und Ungläubige. Der Ungläubige ist "harby", d.h. der Feind. Der Islam ächtet die Nation der Ungläubigen und schafft einen Zustand permanenter Feindschaft zwischen Muselmanen und Ungläubigen. In diesem Sinne waren die Seeräuberschiffe der Berberstaaten die heilige Flotte des Islam. Wie läßt sich nun das Vorhandensein christlicher Untertanen im Reiche der Pforte mit dem Koran vereinbaren?
"Wenn sich eine Stadt durch Kapitulation ergibt", sagt die muselmanische Gesetzgebung, "und ihre Bewohner einwilligen, Rajahs zu werden, das heißt Untertanen eines muselmanischen Herrschers, ohne ihren Glauben aufzugeben, so zahlen sie den Charadsch" (die Kopfsteuer); "damit erlangen sie einen Waffenstillstand mit den Gläubigen, und niemand mehr darf ihre Güter konfiszieren oder ihnen ihre Häuser wegnehmen ... In diesem Falle sind ihre alten Kirchen Bestandteil ihres Besitzes; sie dürfen darin Andachten verrichten. Es ist ihnen jedoch nicht erlaubt, neue Kirchen zu bauen. Sie haben nur das Recht, sie wiederherzustellen und verfallende Teile der Gebäude wiederaufzubauen. Zu bestimmten Zeiten sollen von den Gouverneuren der Provinzen abgesandte Kommissare die Kirchen und Heiligtümer der Christen überprüfen, um festzustellen, ob nicht unter dem Vorwand von Ausbesserungsarbeiten neue Gebäude errichtet wurden. Wird eine Stadt gewaltsam erobert, so können die Bewohner ihre Kirchen weiterhin benutzen, jedoch nur als Wohnstätten oder Zufluchtsorte, nicht aber zur Verrichtung von Andachten."
Aus diesem Exposé ist klar ersichtlich, daß Dreh- und Angelpunkt des Systems der Priesterherrschaft über die griechisch-orthodoxen Christen in der Türkei und der gesamten Struktur der türkischen Gesellschaft die Unterwerfung der Rajahs unter den Koran ist, der seinerseits, indem er diese als Ungläubige behandelt - das heißt als eine Nation nur im religiösen Sinne -, die vereinigte geistliche und weltliche Macht ihrer Priester sanktioniert. Schafft man also ihre Unterwerfung unter den Koran durch eine zivile Emanzipation ab, so hebt man gleichzeitig ihre Unterwerfung unter die Geistlichkeit auf und ruft eine Revolution in ihren sozialen, politischen und religiösen Verhältnissen hervor, die sie zunächst unvermeidlich an Rußland ausliefern muß. Wer den Koran durch einen code civil <ein Bürgerliches Gesetzbuch> ersetzt, der muß die ganze Struktur der byzantinischen Gesellschaft nach abendländischem Muster verändern.
Nach der Schilderung der Beziehungen zwischen den Muselmanen und ihren christlichen Untertanen taucht die Frage auf nach den Beziehungen zwischen Muselmanen und ungläubigen Ausländern.
Da der Koran jeden Ausländer zum Feind erklärt, so wird niemand wagen, in einem muselmanischen Land aufzutreten, ohne seine Vorsichtsmaßregeln getroffen zu haben. Die ersten europäischen Kaufleute, die das Risiko des Handels mit solch einem Volk auf sich nahmen, gedachten deshalb, sich anfänglich für ihre Person Ausnahmebedingungen und Privilegien <172> zu sichern, die sich aber später auf ihre ganze Nation ausdehnten. Daher rührt der Ursprung der Kapitulationen. Kapitulationen sind kaiserliche Diplome, Privilegiumsurkunden, die von der Pforte an verschiedene europäische Nationen verliehen werden und deren Untertanen berechtigen, ungehindert mohammedanische Länder zu betreten, in Ruhe dort ihre Geschäfte zu betreiben und ihren Gottesdienst abzuhalten. Von Verträgen unterscheiden sie sich durch den wichtigen Umstand, daß sie nicht auf Gegenseitigkeit beruhen, von den abschließenden Parteien nicht gemeinsam debattiert werden und nicht auf der Grundlage gegenseitiger Vorteile und Konzessionen von ihnen angenommen sind. Die Kapitulationen sind im Gegenteil einseitige Konzessionen von seiten der Regierung, die sie gewährt, weshalb sie auch von dieser nach Belieben wieder zurückgenommen werden können. Die Pforte hat tatsächlich zu verschiedenen Zeiten die Privilegien, die sie einer Nation zugestand, dadurch aufgehoben, daß sie sie auch anderen verlieh oder sie gänzlich zurückzog, indem sie deren ferneren Gebrauch untersagte. Dieser unsichere Charakter der Kapitulationen machte sie zu einer nie versiegenden Quelle von Streitigkeiten, von Klagen seitens der Gesandten und von einem endlosen Austausch sich widersprechender Noten und Fermane, die bei jedem Regierungswechsel erneuert wurden.
In welcher Beziehung steht nun die Frage der Heiligen Stätten zu dem Protektorat?
Die Frage der Heiligen Stätten ist nichts anderes als die Frage eines Protektorats über die in Jerusalem angesiedelten Religionsgemeinden der griechisch-orthodoxen Christen und über die Gebäude, die sie auf dem heiligen Boden besitzen, insbesondere über die Kirche des Heiligen Grabes. Es versteht sich, daß Besitz in diesem Falle nicht Eigentum bedeutet, das den Christen durch den Koran untersagt ist, sondern nur das Recht der Nutznießung. Dieses Recht der Nutznießung schließt die anderen Gemeinden keineswegs davon aus, ihre Andacht an demselben Ort zu verrichten; die Besitzer haben keine weiteren Privilegien als das Recht, die Schlüssel zu behalten, die Gebäude instand zu halten und zu betreten, die Heilige Lampe zu entzünden, die Räume mit dem Besen zu fegen und die Teppiche auszubreiten, was im Orient ein Symbol des Besitzes ist. Ebenso wie die Christenheit an den Heiligen Stätten ihren Höhepunkt erreicht, hat auch die Frage des Protektorats daselbst ihren höchsten Ausdruck gefunden.