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Nietzsche - Götzendämmerung

Ich glaube, daß Nietzsche Beweise hätte liefern können, aber es war ihm unwichtig. Mit logischen Beweisen kommt man vom Hundertsten ins Tausendste, und der Text wird dann zunehmend langweilig. Das wäre für Nietzsche eine Katastrophe, langweilige Bücher zu schreiben.

Nietzsche hält Sokrates und Platon für Niedergangs-Typen. Ich tue das nicht. Im Hinblick auf den klassischen Streit des Sokrates gegen die Sophisten nimmt Nietzsche Partei für die Sophisten, ich hingegen für Sokrates. Niedergangs-Typ war er nicht, aber hier geht es ja um Nietzsches Standpunkt. Wenn er ihn so gesehen hat, dann nehmen wir es für die Lektüre mal so an.
Bei Nietzsche läuft halt alles auf das Leben hinaus. Das ist ihm das Wichtigste. Das Leben erhalten und alles tun, damit es gedeiht, ist sein Zielpunkt, wenn du es so ausdrücken willst.

Sein Problem mit der Moral kommt auch aus diesem Zielpunkt her. Moral, so wie sie jetzt gedacht wird und schon immer gedacht wurde, steht dem Leben feindlich gegenüber. Sie ist das Werturteil eines niedergehenden Lebens.
 
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Die auf den Kopf gestellte Moral, welche Anzeichen eines niedergehenden Lebens ist, wieder auf die Füße zu stellen, indem man auf die Sinne hört, das ist sein Zielpunkt. Da stimme ich mit dir überein.
 
Die auf den Kopf gestellte Moral, welche Anzeichen eines niedergehenden Lebens ist, wieder auf die Füße zu stellen, indem man auf die Sinne hört, das ist sein Zielpunkt. Da stimme ich mit dir überein.
Dazu passt, dass es für ihn durchaus eine gesunde Moral gibt, die von einem Instinkt des Lebens beherrscht ist, die also jede Hemmumg und Feindseligkeit auf dem Weg des Lebens beiseite schafft. Die jetzige Moral ist aber für ihn alles andere als gesund. Sie ist widernatürlich.

Ich denke, er will die Menschen zur gesunden Moral hinführen. Außerdem benötigt Nietzsche tief in sich einen Feind. Die Vergeistigung der Feindschaft besteht für ihn darin, den Wert zu begreifen, den es hat, Feinde zu haben. Dazu passt auch, dass Zarathustra ja einmal gesagt hat, dass der Mensch besser und böser werden muss.

Die gesamte Götzendämmerung zeugt von dieser Vergeistigung der Feindschaft.
 
Wahrscheinlich ist dann auch Sokrates ein Feind für ihn, den er als Feind ehrt und hoch schätzt, Kant hingegen ist nur null und nichtig.
 
Ist Kant für ihn denn nicht einmal eine Fußnote wert?

Jedenfalls scheint man etwas richtig gemacht zu haben, wenn man von Nietzsche als Feind begriffen und als solcher bekämpft wird.

Dass Nietzsche einen Feind benötigt, habe ich jetzt einfach einmal aus dem Teil über die Vergeistigung der Feindschaft geschlossen. Das hat er so nie gesagt. Aber ich denke, bestreiten würde er es auch nicht. Eine Feindschaft hat für ihn etwas Produktives. Das ist auch nur meine Schlussfolgerung über ihn. Aber da steckt schon etwas Wahres drin.

Die Vergeistigung der Sinnlichkeit ist für ihn übrigens die Liebe. Und die Liebe ist der Triumph über das Christentum.

Die Liebe hat für ihn auch einen sehr großen Stellenwert - und zwar aus der Sinnlichkeit heraus. Er hält die Sinne sehr hoch. Es gibt sogar eine Stelle, an der er irgendetwas über die Nase bzw den Geruch schreibt. Sinnlichkeit ist für ihn meiner Meinung nach ganzheitlich zu verstehen. Ein sehr schöner Gedanke!
 
Doch, doch, die Fußnote ist er ihm wert. Manchmal geht er auf Kant ein (aber immer negativ). Marx z.B. läßt er außen vor, den ignoriert er vollständig.
Die Philosophen (aber nicht nur die) sind für ihn dekadent, mit wenigen Ausnahmen (etwa Heraklit oder die Sophisten). Das Wort décadence benutzt er oft. Vielleicht ist das ein Schlüsselbegriff.
Beim Abschnitt "Die Vernunft in der Philosophie" kommt ja gerade Heraklit gut weg, weil er die sinnliche Welt nicht ignoriert, also keine Parallelwelt (die des Seins) als die eigentliche Welt schafft. Für die Philosophen zählen nur noch "Begriffs-Mumien". Dieser "Ägyptizismus" ist ihre Eigentümlichkeit. Das geht vornehmlich gegen Platon oder den Eleaten Parmenides, der schon vor Platon die Welt des Werdens (die Sinneswelt) leugnete. Der ganze Abschnitt ist eine große Metaphysik-Kritik, wie er im 2. Kapitel sagt: "Die >scheinbare< Welt ist die einzige: die >wahre< Welt ist nur hinzugelogen". Im 3. Kapitel kommt dann das Beispiel mit der Nase, das du erwähntest, die tauglicher ist als jede Logik (in welcher die Wirklichkeit nicht vorkomme).
 
Immerhin die Fußnote. Mir gefällt ja "Wie die wahre Welt endlich zur Fabel wurde" sehr gut. Schön dargestellt.

Nietzsche geht auf so ziemlich alle bis auf Heraklit negativ ein. Marx hat er hier tatsächlich nie erwähnt. Dennoch meine ich, dass ein Teil der Philosophie von Marx in "Also sprach Zarathustra" anklingt, aber immer negativ. In der Götzendämmerung kommt Marx bis jetzt gar nicht vor.

Ich würde gerne näher auf die Verbindung zwischen "Also sprach Zarathustra" und der "Götzendämmerung" eingehen. Das finde ich spannend.

Die Philosophen stellen ja auch das Letzte - die Begriffe - an die erste Stelle. Das machen auch viele Wissenschaftler so. Nietzsche hat zwar Begriffe, aber er stellt sie nie in die Mitte wie andere Philosophen. Er beginnt keine Abhandlung mit ihnen. Seine Texte wirken eher so, als wäre ihm spontan noch etwas eingefallen und als müsste er das dringend niederschreiben. So kleine Zwischenschübe. Und sie wirken so, als würde er beim Schreiben ganz seinen Gedanken folgen. So spontan war es aber beim Verfassen seiner Texte dann doch nicht. Immerhin hat er sich durchaus Notizen dazu in seine Notizbücher gemacht. Ich finde nur, dass seine Texte so spontan wirken.

Nietzsches Begriffe wie Übermensch oder Umwertung aller Werte oder Wille zur Macht gehören zwar zu ihm, aber um sie kreist nichts allzu Festes. Er definiert sie nie. Dadurch bleiben sie flüssig und ihre Bedeutung kann sich ändern.

Interessant bei Nietzsche ist auch, dass man sich beim Lesen seiner Texte automatisch ein Bild von seinem Charakter macht. Das ist etwas Besonderes. Und das Bild, das man sich von ihm macht, hängt wiederum von der eigenen Sozialisation ab. So hat jeder sein eigenes Nietzsche-Bild.

Aber lass uns das Verhältnis zwischen "Also sprach Zarathustra" und der "Götzendämmerung" diskutieren! Vor allem auch die Rolle Zarathustras, der irgendwie Nietzsche ist, aber irgendwie auch nicht!

Ich bin jetzt übrigens bei "Die vier großen Irrtümer".
 
Immerhin die Fußnote. Mir gefällt ja "Wie die wahre Welt endlich zur Fabel wurde" sehr gut. Schön dargestellt.
Ja, "INCIPIT Zarathustra" (Es beginnt Zarathustra). Nach Platon in Punkt 1 der Geschichte des Irrtums, Kant in Punkt 3, am Ende in Punkt 6 der Neubeginn mit Zarathustra.

Nietzsche geht auf so ziemlich alle bis auf Heraklit negativ ein. Marx hat er hier tatsächlich nie erwähnt. Dennoch meine ich, dass ein Teil der Philosophie von Marx in "Also sprach Zarathustra" anklingt, aber immer negativ. In der Götzendämmerung kommt Marx bis jetzt gar nicht vor.
Marx kommt in seinem Gesamtwerk nicht vor. Ich hab mal in einem Nietzsche-Register nachgesehen.

Die Philosophen stellen ja auch das Letzte - die Begriffe - an die erste Stelle.
Das Letzte an erster Stelle, die andere Eigentümlichkeit (Idiosynkrasie) der Philosophen aus dem Abschnitt "Die Vernunft in der Philosophie".

Seine Texte wirken eher so, als wäre ihm spontan noch etwas eingefallen und als müsste er das dringend niederschreiben. So kleine Zwischenschübe. Und sie wirken so, als würde er beim Schreiben ganz seinen Gedanken folgen. So spontan war es aber beim Verfassen seiner Texte dann doch nicht. Immerhin hat er sich durchaus Notizen dazu in seine Notizbücher gemacht. Ich finde nur, dass seine Texte so spontan wirken.
Ganz besonders die "Götzen-Dämmerung". Die scheint keinen roten Faden zu haben. Aber die einzelnen Abschnitte lesen sich gut. Vielleicht ist die décadence der Philosophen der rote Faden.

Aber lass uns das Verhältnis zwischen "Also sprach Zarathustra" und der "Götzendämmerung" diskutieren! Vor allem auch die Rolle Zarathustras, der irgendwie Nietzsche ist, aber irgendwie auch nicht!

Ich bin jetzt übrigens bei "Die vier großen Irrtümer".
Manchmal sagt Nietzsche, Zarathustra sei sein Sohn. Übrigens kommt die "ewige Wiederkunft" als letztes Wort in der "Götzen-Dämmerung" vor (na gut, danach kommt noch eine Art Gedicht). Ich ging ja bislang davon aus, daß nach dem "Zarathustra" die ewige Wiederkunft keine Rolle mehr in seinen Werken spiele, hier aber tatsächlich noch eine ganz kurze Erwähnung an bedeutender Stelle. Diese Hauptlehre des "Zarathustra" war also noch nicht abgetan. Peter Gast hat dann in der Zusammenstellung des Hauptwerkes "Der Wille zur Macht" auch die ewige Wiederkunft als letzten Komplex eingebaut.

Ich hin noch einige Kapitel hinter dir in "Moral als Widernatur".
 
Ja, "INCIPIT Zarathustra" (Es beginnt Zarathustra). Nach Platon in Punkt 1 der Geschichte des Irrtums, Kant in Punkt 3, am Ende in Punkt 6 der Neubeginn mit Zarathustra.
Ja, das meinte ich. Sehr richtig erkannt. Punkt 2 ist das christliche Weltbild. Zarathustra soll die Menschen nun über den Irrtum aufklären: Er soll ihnen erklären, dass die sinnliche Welt die eigentliche wahre Welt ist - und nicht die scheinbare. Er soll den Irrtum beseitigen. Bei Kant ist dann die wahre Welt der kategorische Imperativ. Der kategorische Imperativ ist ein Ideal. Aber meiner Meinung nach nicht sonderlich tauglich, weil er so beliebig einsetzbar ist. Aber mit dem kategorischen Imperativ wird die wahre Welt ein Ideal. Nur derjenige, der nach diesem Imperativ handelt, kann die wahre Welt erreichen.
Marx kommt in seinem Gesamtwerk nicht vor. Ich hab mal in einem Nietzsche-Register nachgesehen.
Aha. Was ist dieses Nietzsche-Register? Und ich meinte, in der Einführung in Friedrich Nietzsche von Werner Stegmaier gelesen zu haben, dass die Nietzsche-Bibliothek zwar zu einem großen Teil, aber noch nicht vollständig erhoben wurde. Die tatsächlich gelesenen Werke Nietzsches übersteigen wahrscheinlich die erhobenen Werke bei weitem. Nietzsche als begeisterter Leser! Und er hat sich anscheinend auch vorlesen lassen. Da kommt man als Leser von Nietzsche niemals nach.
Ganz besonders die "Götzen-Dämmerung". Die scheint keinen roten Faden zu haben. Aber die einzelnen Abschnitte lesen sich gut. Vielleicht ist die décadence der Philosophen der rote Faden.
Die decadence als roter Faden: sehr interessant! Das könnte passen.

Ich hin noch einige Kapitel hinter dir in "Moral als Widernatur".
Aha, ok. Der letzte Punkt in diesem Kapitel ist sehr interessant und zeigt wiederum Nietzsches Lebensbejahung und Schicksalsbejahung. Nietzsche ist ja auch ein großer Schicksalsbejaher! Das finde ich bei ihm sehr schön und vor allem sehr mutig. Es benötigt schon viel Mut, die Welt zu bejahen und nicht zu verneinen!
Manchmal sagt Nietzsche, Zarathustra sei sein Sohn. Übrigens kommt die "ewige Wiederkunft" als letztes Wort in der "Götzen-Dämmerung" vor (na gut, danach kommt noch eine Art Gedicht). Ich ging ja bislang davon aus, daß nach dem "Zarathustra" die ewige Wiederkunft keine Rolle mehr in seinen Werken spiele, hier aber tatsächlich noch eine ganz kurze Erwähnung an bedeutender Stelle. Diese Hauptlehre des "Zarathustra" war also noch nicht abgetan. Peter Gast hat dann in der Zusammenstellung des Hauptwerkes "Der Wille zur Macht" auch die ewige Wiederkunft als letzten Komplex eingebaut.
Zarathustra als Sohn Nietzsches gefällt mir.
"Die ewige Wiederkunft" ist der Gedanke bei Nietzsche, der ihn nie losgelassen hat. Dann ist es doch ganz logisch, dass der noch einmal vorkommt. Er hat ihn eben beschäftigt. Und irgendwie stimmt er. Er ist sehr treffend.
 
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Einen kleinen Nachtrag noch: Ich habe jetzt auch den letzten Teil (Abschnitt 8) aus "Die vier großen Irrtümer" beendet und bin zu der Erkenntnis gelangt: Nietzsche liebt den Menschen. Er bekämpft zwar Götzen, die auch Menschen waren, aber er tut dies, weil er den Menschen liebt. Er kämpft diesen Krieg, weil er Menschen liebt. Er kämpft auch gegen die Moral, weil er die Menschen liebt und sie befreien möchte. Diese Art von Feindschaft befreit. Für ihn muss sich der Mensch nicht ändern. Der Mensch soll genau so bleiben, wie er ist. Er soll kein Ideal von Irgendwas werden und als solches auch nicht missbraucht werden.

Zarathustra hat den Menschen auch geliebt. Und wenn er tatsächlich Nietzsches Sohn sein soll, dann ist die Liebe Nietzsches zu den Menschen in ihn hineingeflossen.

"Er (der Mensch) ist nicht die Folge einer eignen Absicht, eines Willens, eines Zwecks, mit ihm wird nicht der Versuch gemacht, ein Ideal von Mensch oder ein Ideal von Glück oder ein Ideal von Moralität zu erreichen - es ist absurd, sein Wesen in irgendeinen Zweck hin abwälzen zu wollen." - Diese Worte würde ich gerne zu ein paar Menschen sagen. Und diese Worte sind es auch, die mich sagen lassen: Ich liebe Nietzsche. Nicht wie meine Eltern oder einen Partner, aber wie jemand, der sich von jemandem, der schon längst tot ist, verstanden fühlt - auf eine bizarre, aber schöne Weise.
 
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