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Nachtleben

Nachmittagsphantast

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27. Januar 2006
Beiträge
200
Auszug aus meiner noch unveröffentlichten Erzählung "Nachtleben"

[...]
In der Bar köpfen routinierte Barkeeperinnen reihenweise Bierflaschen, mixen Cocktails, die zu zwei Drittel aus Eiswürfeln bestehen, aber trotzdem so heiß begehrt sind, als hinge das Leben von ihnen ab. Die Bedienung erweckt nicht unbedingt einen kälteren Eindruck, mit ihren schwarzen, durchsichtigen Beinstrümpfen und dem großzügig bemessenen Dekolleté, das viel nackte Haut übrig lässt und bevorzugt die männlichen Gäste wie angetackert an den Tresen fesselt. Auch ich vermag mich dieser so unvermittelt zur Schau gestellten Offenheit kaum zu entziehen, mir dessen bewusst zu sein, wie ein typischer, männlicher Diskobesucher auszusehen, der sich nicht dazu imstande fühlt, der weiblichen Anziehungskraft einen Riegel vorzuschieben. Endlich reiße ich mich los von dem wie zum Fraß in die Menge geworfenen Stück Fleisch, das – im Doppelpack vertreten - in schier unglaublichen Tempo die von allen Seiten heranströmenden Gäste bedient. Es ist alles in diesem Kellergewölbe vertreten, alles, das man sich vorstellen kann und sich vielleicht auch nicht vorstellen möchte, denke ich mir, als ich die Gestalten, vielfach junge einheimische Frauen in bewusst knapp gehaltener Ausgehkommode, ebenso jungen, muskelbepackten Herren mit gegelten Kurzhaarfrisuren, einige südländische oder dunkelhäutige Gesichter mit dem sprichwörtlich bösen Blick, der mich warnt, sie auch nur anzugucken, um mich herum betrachte. Es wird emsig geflirtet, getuschelt, geflüstert, angebändelt, leidenschaftlich geküsst, verliebte Blicke ausgeteilt, eingesteckt und darauf eingegangen, miteinander ausgegangen, auf die Tanzfläche gegangen. Rhythmisch bewegen sich die durch die Nebelmaschine umwölkten Körper aneinander geschmiegt zu den ungelenken, aggressiven, gewaltverherrlichenden Klängen amerikanischer Hip-Hop-Musik, die jegliche Kerzenscheinromantik beim kennen lernen zunichte macht. Für einen Moment kommt etwas Abwechslung in den monoton stampfenden Rap, als der DJ auf Queen umschaltet. Doch meine aufkeimende Freude über die Abkehr von der widerlich untanzbaren Musik währt nur kurz, da der damalige Diskoklassiker durch das nächste Hip-Hop-Cover verunstaltet, verschandelt, verzerrt, ja geradezu entweiht wird. Dies versetzt meiner bisher neutralen Haltung in diesem Schuppen eine langsam, aber unaufhörlich aufsteigende Wut, die direkt aus dem Herzen kommt. Daran können auch die aufgetakelten Frauen nichts ändern, die mich – nun inmitten der Tanzfläche – umsäumen, als befände ich mich bei einem Fruchtbarkeitsritual, das ich bisher nur von der Traumnovelle her kannte.

Da stehen sie, darauf wartend angebaggert zu werden, wild im fehlenden Rhythmus des entehrten Queen-Songs ihre Hüften schwingend, während nebenan aussichtsreiche Männer mit schiefer Mütze, verlängerten Hosenbeinen, weißen Markenturnschuhen und überlangem Kapuzenpulli in typischer Skater-Pose darauf warten, von potentiellen Verehrerinnen angesprochen zu werden, die da nichts von ihrem unverheißenem Glück wissend aus dem fünften Bacardi-Cola schlürfen, der sie ein Vermögen gekostet haben mag, obwohl die vielen Eiswürfel nicht einmal die Hälfte des Preises rechtfertigen, und dessen Alkoholwirkung in der dampfenden Tanzatmosphäre in viel zu kurzer – jedenfalls für den Preis zu kurzer – Zeit wieder herausgeschwitzt wird, was die Bemühungen insbesondere der etwas schüchternen Gattung unter den jungen, noch nicht entjungferten Frauen erschwert, schneller an die ebenso schüchterne, aber offenbar attraktive Gattung der noch unbefleckten Herren zu gelangen, die sich ihrer Art entsprechend mehr am Rande aufhalten wo sie ungesehen der schönen Aussicht frönen und sich im Gedanken die wildesten Phantasien ausmalen die erst beendet werden wenn sie aus der Disko in aller Herrgottsfrühe hinauswanken im Liebestaumel mit nicht vorhandenen Partnerinnen flirtend in ihr Bett fallen und am nächsten Morgen mit der Gewissheit aufwachen als einsamer Mann in einen weiteren Tag hineinzuleben woran sie zu dieser Stunde aber nicht denken denn jung ist der angebrochene Abend obwohl so jung ist er nicht mehr der zeiger bewegt sich unweigerlich weiter auf die endgültige sperrstunde zu die den einbildungen des schüchternen mannes ein ende bereiten wird aber daran denkt der schüchterne mann noch nicht lieber lässt er sich weiter treiben von den langhaarig blondierten hübschen frauen an seiner seite die ihn mit einem kurzen uninteressierten blick touchieren als sei ihnen gegen ihren willen das auge in einem moment der unachtsamkeit entwischt was er natürlich wahrnimmt also diese gleichgültigkeit die einem schüchternen mann wie ihm entgegenweht wie ein eisiger wind der ihn erkalten lässt unsichtbar macht inmitten des heißen schon meist ziemlich angetrunkenen fleisches das er gerne einmal hätte berühren wollen und auch an diesem abend nicht berühren wird sofern er nicht seine eigene feigheit überwindet in seinem immer noch zu nüchternen klar denkenden zustand eine frau anzusprechen was sein sehnlichster wunsch ist um seine einsamkeit zu beenden die morgen wieder beginnen würde an die er jetzt aber nicht denken wollte denn noch war er hier noch hatte er die gelegenheit noch konnte er träumen noch konnte er hoffen noch konnte er das nachtleben genießen das aus diesen gelegenheiten bestand denen er auf offener straße nie begegnen würde wo er ohnehin viel zu nüchtern wäre und durch helles tageslicht geblendet gar nicht erst der frau seiner träume begegnen würde hier und jetzt konnte er dem ein ende machen hier und jetzt konnte er eine entscheidung fällen und wenn sie nur aus einer nacht bestehen würde die ihm dennoch die erquickung bringen würde nach der er solange gierte....

[...]

Gruß Felix
 
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hallo, inntranetz!

gute darstellung der wirklichen diskoszene aus dem blick eines expositionierten beobachters. ein guter blick auf das, was oft wirklich passiert, was man aber als der tanz- und feiermeute angehöriger nicht bemerkt.
 
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Hier noch der Beginn...

Ein böiger Wind bläst, als ich das Kino in Richtung Innenstadt verlasse. Spät ist es geworden. Leer sind die Straßen. Ab und zu fegt ein Taxifahrer vorbei, der es wie alle seiner Zunft eilig hat. Die Nordkette ist von dichten Wolken eingehüllt, wie in Watte eingepackt. Das Licht der Seegrube hebt sich noch schwach aus dem Nebel ab, der immer dichter wird und den ganzen Berg zu verschlingen droht. Es liegt eine seltsame Stimmung in der Luft, wie immer vor Föhndurchbruch in einem Wintermonat, der sich durch diesen böigen Wind vom Oberland her ankündigt. Noch ist der Föhn nicht da, doch ist es bereits mild wie in einer lauen Sommernacht. Am Eingang der Altstadt kommt wieder Leben auf. Nachtschwärmer häufen sich, torkeln durch die Gassen, laut johlend, schreiend, lachend, sich erregt unterhaltend, nachdenklich am Goldenen Dachl vorbeischlendernd, so wie ich. Die Stadt wirkt in der Nacht noch majestätischer als bei Tageslicht. Das mag an den Touristen liegen, denke ich mir, denn diese füllen die Gassen bis in das letzte Eck aus, ersticken die Schönheit, die Faszination dieser Stadt, an der ich von Beginn meines Daseins hier Gefallen fand, die ich schon mochte, als der hervorstehende, steile Zahn der Martinswand in mein Blickfeld stach. Am Anfang ist man einer dieser Urlauber, denke ich mir, die durch die Stadt laufen, in die Schaufenster starren, die beliebtesten Sehenswürdigkeiten betrachten und sich vom Strom anderer, unzähliger Touristen mittreiben lassen. Es ist die Aufrechterhaltung eines Klischees. Man tut, was von einem erwartet ist, obwohl man es gar nicht tun will. Es werden die üblichen Erinnerungsfotos geschossen, die sich schon dutzendfach in den Alben tausender und abertausender Touristen finden, welche jährlich in Innsbruck einfallen. Der Gedanke an einen Perspektivwechsel kommt erst gar nicht, und selbst wenn er denn einfiele, würde er von den Touristenmassen gar nicht zugelassen. Sie verstecken die Schönheit der Altstadt unter einer Maske der Einfallslosigkeit. In der Nacht fallen die Hüllen. Die Tagesgäste sind verschwunden. Die Stadt erhält einen ganz anderen Flair. Sofern man alleine unterwegs ist, sich nicht ablenken lässt, in sich gekehrt und zugleich mit offenen Augen auf dem Weg zur Selbstfindung ist. Immer wieder streifen Jugendliche oder junge Erwachsene vorbei, schwarz wie die Nacht selbst gekleidet, mit Bierdosen oder Weinflaschen bewaffnet, deren Ballast sie sich auf dem Weg zur nächsten Tankstelle entledigen. Ihnen ist die Verwandlung dieser Stadt gleichgültig. Sie wollen sich ablenken, abschalten, Spaß haben. Ich verüble es ihnen nicht. Betrachte ehrfürchtig den Stadtturm, von dessen Plattform sich vor Monaten jemand absichtlich zu Tode stürzte. Ihm lag Innsbruck zu Füßen, denke ich mir, er hat auf sie herab gesehen. Auf den Alltag, auf die Gleichgültigkeit, die an ihm in den Tagen vor seinem Freitod vorbeilief, die stummen Zeichen seiner Verzweiflung übersehend. Es geschah am helllichten Tag. Er hätte in der Nacht da oben stehen sollen. Mir wäre er aufgefallen.

[...]
 
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