• Willkommen im denk-Forum für Politik, Philosophie und Kunst!
    Hier findest Du alles zum aktuellen Politikgeschehen, Diskussionen über philosophische Fragen und Kunst
    Registriere Dich kostenlos, dann kannst du eigene Themen verfassen und siehst wesentlich weniger Werbung

Mathematik: entdeckt oder erfunden?

AW: Mathematik: entdeckt oder erfunden?

Was denkt ihr?
Hat der Mensch die Mathematik entdeckt oder hat er sie erfunden? Sprich, ist die Mathematik ein Produkt unseres Geistes oder existiert sie auch unabhängig von unserem Geist?

Hallo Ben,

deine Frage veranlasste mich zunächst darüber nachzudenken, was der Unterschied zwischen "entdecken" und "erfinden" sei.

Im alltäglichen Sprachgebrauch gibt es wohl keinen Unterschied. Ich meine aber, dass es einen Unterschied gibt.

Beispiel: Die Spaltung des Urankerns wurde "entdeckt". Der erste Kernreaktor aber, der auf diesem Prinzip beruht, wurde von Fermi und Mitarbeitern "erfunden". Dass es die Spaltung als physikalisches Phänomen gibt, ist naturgegeben und unabhängig von der Existenz des Menschen. Zur Nutzung des Phänomens in Form einer Maschine bedarf es dagegen des Menschen.

Eine Erfindung setzt also immer eine Entdeckung voraus.

Wie ist es nun mit der Mathematik?

Historisch betrachtet beginnt Mathematik mit dem Zählen. Zählen ist möglich, weil es in der Natur wirklich etwas zu zählen gibt (z. B. die Zahl der Wildtiere, von denen die Urmenschen einige erlegen wollten). Insofern könnte man sagen, dass "Mathematik" entdeckt wurde.

Allerdings hat uns die Evolution anfänglich nur mit bescheidenen Fähigkeiten ausgestattet, nämlich bis zur Anzahl der Finger zu zählen. Erst die menschliche Kultur hat uns in die Lage versetzt, mit beliebig grossen Zahlen zu rechnen und Zusammenhänge zwischen den Zahlen zu erkennen. Insofern ist die Mathematik "erfunden" worden.

Eine klare Antwort auf deine Frage, Ben, kann ich dir also nicht geben. Ich stimme aber dem zu, was Galileo Galilei vor dreihundert Jahren sagte:

Das Buch der Natur ist in mathematischer Sprache geschrieben.

Gruss
Hartmut
 
Werbung:
AW: Mathematik: entdeckt oder erfunden?

die Vorstellung von einer wirkenden Kraft ist selber der 'Irrtum'!

Hallo,

die Vorstellung von einer wirkenden Kraft ist keineswegs ein Irrtum. Der Begriff "Kraft" ist einer der zentralen Begriffe der Physik.

Freilich - in gewissem Sinn (=im 'natürlichen' Weltmodell des täglichen Lebens) ist es dann auch richtig zu sagen, dass sich die Sonne um die Erde dreht; ich kann es täglich beobachten!

Dieses sog. "natürliche" Weltmodell hat allerdings nichts mit dem Begriff der Kraft zu tun. Es stützt sich lediglich auf Beobachtungen ab. Die Beobachtungen beschreiben nur die Bewegungen, nicht ihre Ursache. Es ist das Verdienst von Newton, die Frage gestellt zu haben, was eigentlich die Bewegungen verursacht. Er hat die Ursache in der Gravitationskraft gefunden.
 
AW: Mathematik: entdeckt oder erfunden?

:blume1:Lieber Hartmut,

die Diskussioin würde ersprießlicher, wenn Du vor Deinem eigenen Kommentar das lesen und beim Kommentieren berücksichtigen würdest, was bereits geschrieben wurde. Dann könnte ein roter Gesprächsfaden zustande kommen.
 
Gut, ich stimme euch nun zu, dass eine Theorie wie die Relativitästheorie vom Menschen erdacht ist. Aber sie ist kein bloßes Produkt des menschlichen Geistes ohne jede Erfahrung. Der Geist mag die Theorie formulieren, aber dies gelingt ihm nur über Erfahrung.

Corsario schrieb:
An der Erfahrung könne eine Theorie geprüft werden, sagt Einstein, doch führe kein Weg von der Erfahrung zur Theorie.

Das denke ich nicht.
Auch die Relativitätstheorie entstand auf dem Fundament von Beobachtungen. Es mag vielleicht stimmen, dass die Theorie selbst erdacht ist, und aus Gedanken formuliert. Doch die Gedanken gehen auf die Erfahrung zurück. Ohne die Erfahrung wären die Gedanken nie in der Form entstanden, und hätten meines Erachtens auch nie entstehen können.

Meiner gewählten Definition (siehe #8) von "erfinden" und "entdecken", der ihr ja nicht widersprochen und auch nichts hinzugefügt habt, ist diese Form von Erkenntnis aber eindeutig "entdeckt" und nicht erfunden.
Erkenntnis lässt sich (meiner Defintion aus #8 nach) nicht erfinden, sondern nur entdecken.

Muzmuz schrieb:
selbst das wort "pferd" ist eine abstrahierung, denn es kann millionen von exemplaren beschreiben, die nahezu unendlich viel information beinhalten

Ja gut, das Wort "Pferd" ist ja auch erfunden. Es ist, wie ich denke, nicht aus Erfahrung entstanden.
Den Vergleich mit der Mathematik halte ich aber für weit hergeholt. Das Wort "Mathematik" mag genauso erfunden sein, wie das Wort "Pferd", genauso wie die Zahlen (sind ja auch nur Wörter) erfunden sind. Dass jedoch ein Pferd (für gewöhnlich) vier Beine hat, ist nicht erfunden, sondern entdeckt. Genauso ist die Erkenntnis, dass eins plus eins zwei ergibt, nicht erfunden, sondern entdeckt.

Ben
 
Zuletzt bearbeitet:
AW: Mathematik: entdeckt oder erfunden?

Lieber Benjamin, kein Mensch, der seine Sinne beisammen hat, würde Dir bestreiten wollen, dass all unser tatsächliches Wissen (=Wissen von diesem oder jenem) auf Erfahrungen beruht; auf unseren eigenen und auf denen, die die Generationen vor uns erworben und uns in festen Vorstellungen überliefert haben. Die Frage ist nur immer, wie diese Erfahrungen in unsre Köpfe hineingekommen sind. Sind es die 'Informationen', die in den Dingen selbst 'enthalten' sind, die von sich aus an unsere Sinneszellen anklopfen und Einlass begehren; oder sind es die 'Fragen', die sich unser... (nennen wir's:) unser Geist 'selbst gestellt' hat, die an den Dingen dasjenige 'erkennen', was auf die Fragen Antwort gibt?

Das ist ganz allgemein die Kernfrage der sog. Erkenntnistheorie.

Mit der Mathematik ist es aber was Besonderes. Es ist durchaus strittig, dass in den Sätzen der Mathematik von 'Dingen' überhaupt die Rede ist. Die Zahl 3 ist keineswegs eine gedankliche Abstraktion von drei vorgefundenen Äpfeln. Mit Zahlen kann man rechnen, mit Äpfeln nicht. In den ersten Grundschulklassen wird das Zählen, Addieren und Subtrahieren mit Klötzchen veranschaulich. Aber eigentlich wird den Kindern da was Falsches 'beigebracht'. Neun kann man durch Drei teilen; auch Drei kann man durch Drei teilen. Aber drei Äpfel kann man nicht durch drei Äpfel teilen, sondern wiederum nur durch 3. Zahlen entstehen, wenn man (aus welchem Grund auch immer) Rechnen will. In der bloßen Anschauung, aus der unsere Erfahrungen stammen, gibt es einen Apfel, mehrere Äpfel, noch mehr Äpfel, unabsehbar viele Äpfel. Zu mehr bringt es die 'Erfahrung' nur, wenn sie mehr beabsichtigt. Dieses Mehr ist nicht selber 'erfahren', sondern gewollt.
 
AW: Mathematik: entdeckt oder erfunden?

....Genauso ist die Erkenntnis, dass eins plus eins zwei ergibt, nicht erfunden, sondern entdeckt.

Ben

hallo,

dass 1+1 2 ergibt ist weniger entdeckt, sondern vielmehr definiert und gilt nicht immer und überall
ein apfel und noch ein apfel ergeben nicht naturgegeben 2 äpfel, denn das zusammenfassen von einem apfel und noch einem apfel zu "zwei äpfel" ist eine menschliche denkleistung, die auf die physischen äpfel keinerlei einfluss hat
klar ersichtlich wird es beispielsweise, wenn wir 1 apfel und 1 birne addieren wollen (mathematisch gesehen entspräche das x+y)
die lassen sich so nicht addieren
lediglich, wenn man apfel und birne andere bezeichnungen gibt, die beide gleich machen, beispielsweise "stücke obst", dann haben wir bei 1 apfel + 1 birne 2 stücke obst, dann funktioniert plötzlich 1+1=2
wiederum hat die art der bezeichnung keinerlei einfluss auf apfel & birne

lg,
Muzmuz
 
AW: Mathematik: entdeckt oder erfunden?

btw, zum pferd mit den 4 beinen:

es hat 4 beine, weil sich die pferdebeine addieren lassen, nachdem wir sie gleich gemacht haben
das müssen wir, denn ein pferd hat nicht 4 gleiche beine, sondern 1 linkes vorderbein, 1 rechtes vorderbein, ein linkes hinterbein und ein rechtes hinterbein
erst wenn wir diese unterschiedlichen beine durch abstrahierung gleich machen (es leuchtet ein, dass ein pferd gehprobleme bekäme, wenn wir operativ 2 seiner beine vertauschten, weil die beine nicht gleich sind), also information der beine außer acht lassen mit ausnahme der tatsache, dass wir allen pferdebeinen den begriff "bein" zusprechen, lassen sich diese beine addieren und die mathematische addition 1+1+1+1=4 ergibt, sodass man sagen kann, ein pferd hätte 4 beine
naturgegeben ist das nicht, denn es braucht einen geist, der diese abstrahierung durchführt, sodass das ergebnis "4 beine" überhaupt möglich wird

lg,
Muzmuz
 
dass 1+1 2 ergibt ist weniger entdeckt, sondern vielmehr definiert und gilt nicht immer und überall

Ich sehe das anders.
Unsere Begriffe, die wir verwenden, mögen frei erfunden sein und sind somit Definitionssache. Die Gesetze dahinter jedoch sind keine Definitionssache. Ich kann ein Pferd auch Kuh nennen oder zwei drei nennen. Ich kann beliege Rechenoperationen erdenken. Das ist alles kein Problem. Ich kann die Dinge nach Lust und Laune definieren.
Die Gesetze dahinter jedoch nicht, sie existieren völlig unabhängig von unseren Definitionen. Es ist völlig egal, welchen Namen ich den Dingen gebe.

Muzmuz schrieb:
klar ersichtlich wird es beispielsweise, wenn wir 1 apfel und 1 birne addieren wollen (mathematisch gesehen entspräche das x+y)
die lassen sich so nicht addieren
lediglich, wenn man apfel und birne andere bezeichnungen gibt, die beide gleich machen, beispielsweise "stücke obst", dann haben wir bei 1 apfel + 1 birne 2 stücke obst, dann funktioniert plötzlich 1+1=2

Ja, das mag stimmen. Es hängt, wie du selbst sagst, davon ab, wie ich meine Dinge und die Rechenoperationen definiere. Apfel und Birne lassen sich addieren, je nachdem wie wir unsere Begriffe definieren. Es ist also Definitionssache.
Defnieren müssen wir aber nur, um zu kommunzieren. Die Gesetzmäßigkeiten dahinter bleiben völlig unberührt von unseren Definitionen. Ein Apfel und eine Birne können definitonsgemäß ein Apfel und eine Birne sein, oder zwei Stück Obst. Schön und gut.
Sie können aber nicht einfach so fünf Stück Obst werden, oder dreizehn Äpfel und zwei Birnen. (Vorausgesetzt wir benutzen nun, die selben Definition für die benutzten Wörter.) Warum ist das so?
Keine Ahnung warum das so ist, aber es ist so und das sagt uns nur die Erfahrung.

Corsario schrieb:
Neun kann man durch Drei teilen; auch Drei kann man durch Drei teilen. Aber drei Äpfel kann man nicht durch drei Äpfel teilen, sondern wiederum nur durch 3.

Doch, man kann.
3 Äpfel / 3 = 1 Apfel
3 Äpfel / 3 Äpfel = 1

Aber das spielt im Grunde keine Rolle. Ich denke jedoch schon, dass uns die Natur von sich aus etwas erzählt, ohne dass wir überhaupt eine Frage stellen müssen. Es sei denn man bezeichnet "beobachten" selbst als "fragen". Denn nur durch Beobachtung und der automatisch einher gehenden Verarbeitung in unserem Geist erfahren wir etwas über die Welt. Völlig ungewollt!
Ich habe nie die Frage gestellt, ob ein Apfel vom Baum fällt oder ob er zum Himmel hinauf fliegt. Die Natur hat mir schon die Antwort gegeben, da zog ich diese Frage noch nicht einmal in Betracht.
Das dieses "Apfel fällt vom Baum" auch etwas mit der Bewegung des Mondes zu tun hat, darauf wäre ich wohl mein Leben lang nicht gekommen. Newton mag in dem Sinne, diese Frage schon vorher im Kopf gehabt haben, bevor ihm die Natur die Antwort gegeben hat. Aber nichtsdestotrotz hat er die Antwort auf seine Frage nicht einfach erfunden, und dann die Natur gefragt, ob sie stimmt, und die Natur hat laut "ja" gerufen.
Er dürfte viel mehr beobachtet und beobachtet und beobachtet haben. Dann begann er wahrscheinlich viel zu denken und zu denken und zu denken. In dem Punkte stimme ich zu, dass er damit "erfunden" hat. Er hat Gleichungen erfunden, die irgendwann passten. Aber dieses Kompinieren von Beobachtetem und Vorgestelltem definierte ich in #8 als "entdecken".

Ben
 
Zuletzt bearbeitet:
Werbung:
AW: Mathematik: entdeckt oder erfunden?

Das mach mir mal vor, wie Du Äpfel durch Äpfel teilst!

Und natürlich heißt beobachten "schon" fragen! Denn wer nicht aufmerkt, der sieht buchstäblich Nichts, an dem rauschen Farben und Formen spurlos (sic!) vorbei. Wer nicht fragend 'beobachtet', der döst.

Und glaub's mir nur: Newton hat nicht von Kindesbeinen an beobachtet, beobachtet, beobachtet... Sondern sein Kopf war voller Vor-Urteile über die Beschaffenheit der Welt, und deren wichtigsten Quellen waren Galileo und Descartes. Das waren philosophische Vor-Urteile über die Rolle der Mathematik in "der Natur".

Es ist ein Vorurteil, dass es in der Wissenschaft darauf ankäme, keine Vorurteile zu haben, sagt der Kosmologe und Nobelpreisträger Steven Weinberg; es kommt darauf an, die richtigen Vorurteile zu haben.
 
Zurück
Oben