Warum schweigt Wittgenstein trotzdem nicht?
Liebe Forumsteilnehmer.
bin gerade auf das Forum gestoßen.
Unter anderem wurde gefragt, ob jemand dazu (zur Philosophie ein paar Worte sagen kann. Ein anderer Teilnehmer sieht in der Philosophie "Dünnsinn" .(Ich sehe das nicht so.) Und schließlich, W.habe W. später selbst gesagt, sein Tractatus logico-philosophicus sei falsch. (Da stimmt.)
Ich versuche dazu mal was zu sagen, wohl viel länger als in einem Forum üblich, weil ich´s wohl nicht in einem Satz hinkriege (und auch nicht in zweien.) . Trotzdem soll´s ziemlich gerafft werden. Leben und Werk sind interessant, besonders der Zusammenhang. Ich beschränke mich aber auf die Philosophie.
Worauf will W. im berühmt-berüchtigten Tractatus hinaus? Der endet ja mit dem Satz: "Wonon man nicht reden kann, darüber muß man schweigen." Das kann nichts und alles oder irgendetwas heißen. Knapp gesagt soll das Büchlein den (sprachanalytisch-)logischer Beweis liefern, dass man mit bestimmten Sätzen nicht Sinnvolles aussagen kann.
Sätze, die Sinn haben, können sich nur auf Sinneserfahrungen beziehen. "Da steht ein Tisch", wäre ein sinnvoller Satz, weil er sich auf etwas in der Welt bezieht. "Da steht kein Tisch", ist auch sinnvoll, weil, immerhin könnte da einer stehen.
Sinnvolle Aussagen bilden Sachverhalte i n d e r W e l t ab (wie sie ist, oder sein könnte). Das können sie deshalb, weil eine Struktur-"Gleichheit" besteht (kann man sich wie bei einer Tonaufnahme und der Schallplatte vorstellen - die sogenannte Abbildtheorie von Sprache und Welt.) Was die Sprache erstens nicht wiedergeben kann, ist genau diese Abbildfunktion (sozuagen auf ihre eigene Logik noch mal draufgucken). - Und was für W. das Wchtigste ist: Alle Aussagen z. B. über das Gute, das Schöne, über das Glück, über Gott oder den Sinn des Lebens, den Tod sind unsinnig. Denn: Sie bilden keine
T a ts a c h e n i n d e r W e l t ab. Trotzdem reden die Leute daüber, und sagen damit eigentlich - nichts, jedenfalls nichts Sinnvolles.
So weit so gut, oder auch nicht. Nun kommt aber der Clou der Geschichte. Wer den Tractatus kennt, wird es vielleicht schon ahnen. W. meint (an anderer Stelle), der Tractatus besteht eigentlich aus zwei Teilen. Dem Teil, den er hier geschrieben habe, und dem Teil, den er nicht geschrieben habe. Und der zweite Teil sei ihm der wichtigste. Den könne allerdings auch niemand schreiben. Denn der handelte von solchen Dingen, über die er am Ende des Tractatus d o c h schreibt. Allerdings in kryptischen (oder rätselhaften) Formulierungen. Etwa: Das Problem des Leben, merke man am Verschwindenn des Problems, der Tod sei kein Ereignis des Lebens, Gott offenbare sich nicht in der Welt etc.
Gerade das, worüber er nicht schreibt, ist ihm wichtig. Er schreibt darüber aber n i c h t weil e r es nicht kann, sondern, weil niemand (ohne Unsinn zu reden), es kann (Abbildfunktion der Sprache, die nicht über die Welt hinaus kann.) Genau das wollte er aufzeigen. - Unnsinn darf man hier im Übrigen nicht in einem wertenden Sinne verstehen. Denn auch Wert ist keine Tatsache in der Welt. (Davon kommen dann so Sätze wie: In der Welt gibt es keinen Wert, und wenn es einen gäbe, wäre es kein Wert.) Damit ist nur sprachlicher Unnsinn gemeint, der versucht, in Worte zu fassen (abzubilden), was sich nicht sprachlich abbilden läßt. - Genau das ist es, worauf W. hinaus will - und, was ihm so wichtig ist. Im Tractatus schreibt er: Die philosophischen Probleme sind (im wesentlichen) gelöst, aber damit sei wenig getan, weil die Lebensprobleme nicht berührt werden. Klarer schreibt er an einen Freund: der Sinn desTractatus ist ein ethischer. (Was wohl die meisten wundern wird, die mal einen Blick reingeworfefen haben; 80 Seiten mathematische Logik, und am Ende wenige Seiten, meinetwegen Mystik und (scheinbarer?) Nonsens.
W. meint selbst, Das zuvor Geschriebene wäre natürlich selbst unsinnig (also wenn man m i t der Sprache versucht, ü b e r die Sprache hinauszugehen). Aber der Leser könne die Sätze als Leiter benutzen, um zu verstehen, was W. meint. Anschließend braucht er die Leiter nicht mehr: dann sieht er die Welt richtig. Wichtig aber: Dasjenige, worüber man (notgedrungen!) schweigen muß, g i b t es für W.! Es zeigt sich nur nicht i n der Welt. Dieses "darübe rschweigen" heißt, es gibt etwas, w o r ü b e r auß sprachlogischen Gründen geschwiegen werden muß. (Äußerlich wäre natürlich ein bloßes Schweigen freilich von einem Schweigen von einem Schweigen ü b e r etwas wohl kaum zu unterscheiden, oder?)
Tja, und dann hat W. eine ganze Weile geschwiegen, wenigsten für die Öffentlichkeit. Wurde Dorfschullehrer und plagte sich, wie seit jeh (ganz persönlich und nicht theoretisch) mit ethisch-moralischen Problemen, was im übrigen lebtags nicht aufhörte, bis zu häufigen Suizidabsichten)
Dann zog es ihn wieder zur Philosophie. Und man wird es kaum glauben, kurz danach hielt einen "Vortrag über Ethik". (Böse Zungen sagen, das wäre das einzig Allgemeinverständliche, was er geschrieben bzw. vorgetragen hat.)
Dort ist er milder gegenüber dem, worüber man nicht sprechen könne: Es sei nach wie vor Unsinn, aber er achte solche Versuche, die vergeblich gegen den Käfig der Sprache anzurennen versuchen. (Er wird dabei sozusagen persönlich und berichtet von dem, was er mit dem Begriff des Guten verbindet. Etwa absolute Sicherheit. Was letztlich wieder unsinnig ist, weil das fehlt, worauf sie sich bezieht. Würde sie aber auf etwas bezogen, wäre sie nicht mehr absolut).
Tja, und dann wirft er das Fundament der Tractatus-Theorie (die Abbildfunktion der Sprache) nach und nach "über den Haufen": Guckt man genau hin, so meint W. nun, ist die Sprache nicht in der Weise logisch, wie er geglaubt habe. Vielmehr gibt es viele verschiedene Sprachspiele, die jeweils ihre eigene Logik (ihre, nicht exakt bestimmbaren, Regeln) haben. Und die sind eingebettet in sogenannte Lebensformen (man könnte es ethnologische Perspektive nennen). Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch, sagt er nun. Das heißt letztlich, man versteht etwas nur, wenn man den Lebens-Kontext versteht (nicht von außerhalb sondern innerhalb) in dem ein Wort, ein Satz gebraucht wird. "Gott existiert" z. B. bedeutet für einen Gott-Gläubigen, etwas ganz anderes als für einen Atheisten. Genauso ist es (neben vielem anderem) mit dem, was für gut gehalten wird. Damit wäre natürlich (wie beim Tractatus) aller Metaphysik der Boden entzogen.
War beim Tractatus noch ein sicherer Grund vorhanden, die Sätze der Natürwissenschaft, die für´s Leben, wie es nun mal so ist, mit seinen Problemen, nur von geringer Bedeutung sind, nun gibt es gar keine Gewißheiten mehr. Auch die Mathematik sei eine Art Religion. - Das letzte Buch von ihm (er selbst hat außer dem Tractatus - und einem Wörterbuch für Volksschulen - keines publiziert; an den enthaltenen Aufzeichnungen arbeitete er bis kurz vor seinem Tod) heißt "Über Gewißheit". Und dem folgend steht, wenn man nur gründlicher weiter fragt, am Boden der Glaube.
Auf Kants Fragen wäre wohl mit W. zu antworten:
- Was kann ich wissen: nichts.
- Was soll ich tun: Der Maßstab fehlt. Das muss jeder es selbst "wissen" (obwohl W. oft genau wußte, was manche seiner Freunde (aus ethischer Perspejtive) tun sollten. Er selbst wollte vor allem "anständig sein", was immer das heißen mag. (Dabei hilft ein Blick in seine Tagebücher.)
- Was darf ich hoffen: Die Frage stellt sich nicht (im Sinne von "darf"). Nur: die geringsten Anhaltpunkte, dass diese Hoffnung berechtigt wäre, zeigen sich nicht in der Welt. Und über deren Grenze kann man nicht (auch durch Sprachspiele) hinaus.
Nun ja, wenn Wittgenstein dies läse, würde er, falls er es für wert hielte (was auszuschließen ist), vermutlich einen Wutanfall bekommen (er konnte sehr aufbrausend werden). Schreiber in philosophischen Zeitschriften waren ihm zuwider. (Internet-Foren wären ihm sicher noch widerlicher.)
Meine persönliche (vorläufige) Meinung: Philosophisch überschätzt (so weit ich das sagen kann), für manche direkt Kultfigur. Aber auf keinen Fall Unnsinn (im Sinne von Blödsinn), den man einfach beiseite tun sollte. Als Gegenüber, für den Versuch, Argumentationen und Gedankenwege (evtl.nicht nur) zu widerlegen, durchaus anregend und herausfordernd. Vielleicht kommt man ja dann zu eigenen "Gewißheiten".
Mich würde im übrigen (auch) sehr interessieren, was die Forumsteilnehmer an Wittgenstein interessiert (und warum!!!)? Und wie sie auf Wittgenstein gestoßen sind?
Gruß Ferdinand