Ludwig Cattiaux (1904-1953)

[Rodolphe]

Ich habe heute eine kleine Information gefunden über den Unterschied zwischen "Heilige" und "Weise":
XIII, 34: Durch ihren innigen Lobgesang bringen die Heiligen eine Harmonie hervor, welche die ganze Schöpfung erfreut. Aber durch ihre geheime Operation arbeiten die Weisen gemeinsam hin auf die Wiedereingliederung des Universums in Gott.
Er spricht viel über Weisen und Heiligen, aber ich weiß nicht ob er bewusst unterscheidet einen von dem anderen oder nicht...

 

[Scenon]

Ich weiß nicht ob er bewusst unterscheidet einen von dem anderen oder nicht...

König Salomo, wird gesagt, war ein Weise. War er auch ein Heilige?

 

[Rodolphe]

Alles hängt von der Begriffsbestimmung des Begriffes "Heilig". Etwas was "Heil" bringt? Was heißt genau "Heil"?

 

[Scenon]

Was heißt genau “Heil”?

Das Adjektiv “heil”: “ganz”, “intakt”, “unverletzt”, “gesund”, wie das griechische “holos” und das lateinische “salvus”.

 

[Rodolphe]

Interessant! Und kennst du die Etymologie von Weise?

 

[Scenon]

Kennst du die Etymologie von Weise?

Wer weiß?

 

[shouqici]

Ich denke 'heilig' ist jemand wohl immer nur im Paradigma der [eigenen] Religion -
ein Hindu-Heiliger mag weise sein - für einen frommen Katholiken ist er ein finsterer Heide,
und vice versa. Wenn die Weisen gemeinsam auf die Wiedereingliederung des Universums
in Gott hinarbeiten, dann muss das wohl eine geheime Operation bleiben, damit die Heiligen
keinen Wind bekommen davon - die würden sonst Zeter und Mordio schreien...
Die 'heiligen drei Könige' waren nach dem NT 'Weise' - zu 'Heiligen' wurden sie erst im Mittelalter gemacht...

 

[Scenon]

Ich denke 'heilig' ist jemand wohl immer nur im Paradigma der [eigenen] Religion - ein Hindu-Heiliger mag weise sein - für einen frommen Katholiken ist er ein finsterer Heide.

Ja, wenn der “fromme Katholike” mit einem Sektengeist urteilt. Aber ist der “Hindu-Heiliger” wirklich heilig oder weise, dann ändert sein Urteil nichts.

 

[shouqici]

Ich denke die frommen Hindus haben den frommen Katholen da wenig voraus - und Aufgeklärte und Tolerante gab's auf beiden Seiten - ich denke da etwa an Sri Ramakrishna als Hindu-Guru, Jules Monchanin und Henri le Saux, die als Benediktinerpatres beide Schüler von Ramana Maharshi waren, und in Indien ein Ashram für Hindus und Christen gründeten.

Der Knackpunkt ist hier das Wort 'fromm', das eine interessante Etymologie hat - es kommt vom ahd. fruma, 'Nutzen, Vorteil' - es steckt immer noch in dem Begriff 'zu Nutz und Frommen' - und 'die frumben Landsknecht' waren auch nicht besonders religiös... Die Frommen sind die, die sich gut gebrauchen lassen, die 'nützlichen Idioten' (keine Beleidigung - idiota war 'der Privatmann, der einfache Mann', im späteren Kirchenlatein 'der Laie', wie noch bei Nicolaus Cusanus... )

 

[Scenon]

Aufgeklärte und Tolerante gab's auf beiden Seiten.

Natürlich! Z. B. die Brüder d'Hooghvorst schrieben:

«Weisheit ist so selten in Tibet wie in Paris, sagte Louis Cattiaux. Sie kann jedoch überall unvermutet erblühen.»