T
_tiLL
Guest
Hallo,
ich beschäftige mich in letzter Zeit mit dem Tao-te-king von Lao Tse. Ein Buch um das man auf keinen Fall herrum kommt, möchte man sich mit der Philosophie des alten China beschäftigen.
In dieser Tradition vermischen sich häufig Religion und Philosophie, Legende und Geschichte. Deshalb ist auch sehr wenige Fakten über den Autor bekannt. Dafür um so mehr Mythen und Legenden. Nichtsdestotrotz ist das Tao-te-king ein philosophisches Werk, dass eine Tiefe besitzt, die in der Geschichte der Menschheit nur selten zu finden ist.
Die Kern Idee des Tao-te-king ist die Idee des Nicht-Handelns. Das bedeutet das durch Langsamkeit und Abwarten viele (lebenspraktische und politische) Probleme zu lösen sind. Es geht darum, dass der natürliche Verlauf der Dinge geachtet wird, und das jeder Eingriff hier sehr kritisch bedacht werden muss. Im 11. Kapitel wird dieses mit einem Rad verglichen: "dreißig speichen umringen die narbe | wo nichts ist | liegt der nutzen des rads". Das Rad rollte besser, wenn möglichst viel Lücke zwischen den Speichen ist. Die Lücken stehen hier für das Nicht-Handeln.
Was sich zunächst wie triviale Lebensregeln anhört öffnet eine Folge von immer tieferen Interpretationsebenen.
Ich möchte hier meine Interpretation des 78. Kapitels zum besten geben. Es spiegelt den Geist des Tao-te-king recht gut wieder.
nichts in der welt ist weicher und schwächer als wasser
und doch gibt es nichts, das wie wasser
starres und hartes bezwingt
unabänderlich strömt es nach seiner art
dass schwaches über starkes siegt
starres geschmeidigem unterliegt
wer wüßte das nicht?
doch wer handelt danach!
so sagt der weise:
wer eines landes übel auf sich nimmt
ist wert, herr der altäre zu sein
wer eines landes unglück auf sich nimmt
ist wert, herr der welt zu sein
als gegenteil ist oft das wort erst wahr
Der erste Absatz nutzt den Vergleich des Wassers, um das Dao (häufig auch übersetzt mit Dau, Tao oder weniger lautmalerisch mit Weg oder Sinn) zu umschreiben.
Das Dao steht für das Prinzip nach dem die Welt abläuft. Dabei wird sich nicht weder auf Naturgesetze noch auf Gottesgestallt festgelegt, sondern es wird ihm sich das ganze Buch über möglichst vorsichtig angenährt, ohne selbst eine vollständige Lösung geben zu können.
Das Dao selbst existiert nicht, da es schon Grundlage für alles existierende ist.
Das "tiefste" das also gerade noch an der Schwelle zum Dao existiert (aber eben doch noch existiert) wird De genannt. Es steht für die Essenz eines Dinges - man könnte auch sagen "Geist" oder "Natur". Das tiefste De, das also der Schwelle zur Nicht-Existenz am nächsten liegt, nennt man Hsüan-De. Soviel zu den Fachbegriffen, mehr kommen im Buch nicht vor.
Das Dao ordnet von allein die Dinge, wenn es genug Zeit hat, zu ihrem vollendeten Zustand. Es ist unaufhaltsam, wie das Wasser das langsam seinen Weg durch einen Berg wäscht. Das Prinzip des Wassers ist ganz offensichtlich stark, auch auf andere Lebenssituationen übertragen. Es ist zum Beispiel schlechter spontan eine mächtige Verzweiflungsaktion zu starten, als langanhaltend, langsam und unnachgiebig vorzugehen.
Im zweiten Absatz bemerkt der Autor, dass dieses altbekannt ist, sich aber erstaunlich wenige Menschen zu Herzen nehmen. Wahrscheinlich gehen sie zu hektisch an die Dinge ran, haben Angst vor Misserfolg, die wiederum von ihrer Nachgiebigkeit her stammt.
Im dritten Absatz wird eine Parallele zur Politik geschlagen, was typisch für das Tao-te-king ist. Die frühen Daoisten waren recht systemkritisch eingestellt. Sie warfen der Regierung einen schlechten Willen vor. Das Übel eines Landes auf sich nehmen heißt, dass der Wille des Herrschers sich um das Wohlergehen des Staates dreht. Dies war bei der damaligen Regierung offensichtlich nicht der Fall.
Doch nun kommt die Parallele zum Philosophischen: des Landes Übel auf sich nehmen bedeutet auch gemäß des Dao zu handeln. Das Ich "verschmilzt" quasi mit den "Absichten" eines Landes. Man handelt nicht mehr gegen die Natur und erlangt so quasi von selbst große Wirkung durch kleine Ursachen. So herrscht man im metaphorischen Sinne über das Land.
Es gibt eine Steigerung von "Übel" auf "Unglück". Die erste ist die Hinwendung zum Religiösen ("herr der altäre"). Das zweite ist eine Steigerung von diesem Punkt aus hin zur Welt ("herr der welt"). Diesen Steigerungsschritt verstehe ich als die Rückkehr zum weltlichen, als das Erkennen der Einheit des religiösen und des stofflichen, ähnlich wie im Chtonisch-Tellurischen.
Um etwas ähnliches geht es im 40. Kapitel ("rückkehr ist des Dao bewegung | schwachsein seine wirkensweise | dem seienden entstammen alle dinge | dem nichtseienden entstamt das seiende"), dass keinen Platz für etwas existentes, übernatürliches lässt.
Den letzten Satz lässt sich im politischen Zusammenhang als Beschimpfung der Unehrlichkeit der Politik verstehen.
Philosophisch lässt er sich auf "lediglich das Wort ist manchmal erst als Gegenteil wahr" verallgemeinern. Hierfür spricht die Achtung der Ruhe und der wenigen, gezielten Worte, die sich durch das ganze Buch zieht (z.B. Kapitel 81, "wahre worte sind nicht schön | schöne worte sind nicht wahr | dem guten fehlt die glatte zunge | glattzüngige sind nicht gut").
viele Grüße
tiLL
ich beschäftige mich in letzter Zeit mit dem Tao-te-king von Lao Tse. Ein Buch um das man auf keinen Fall herrum kommt, möchte man sich mit der Philosophie des alten China beschäftigen.
In dieser Tradition vermischen sich häufig Religion und Philosophie, Legende und Geschichte. Deshalb ist auch sehr wenige Fakten über den Autor bekannt. Dafür um so mehr Mythen und Legenden. Nichtsdestotrotz ist das Tao-te-king ein philosophisches Werk, dass eine Tiefe besitzt, die in der Geschichte der Menschheit nur selten zu finden ist.
Die Kern Idee des Tao-te-king ist die Idee des Nicht-Handelns. Das bedeutet das durch Langsamkeit und Abwarten viele (lebenspraktische und politische) Probleme zu lösen sind. Es geht darum, dass der natürliche Verlauf der Dinge geachtet wird, und das jeder Eingriff hier sehr kritisch bedacht werden muss. Im 11. Kapitel wird dieses mit einem Rad verglichen: "dreißig speichen umringen die narbe | wo nichts ist | liegt der nutzen des rads". Das Rad rollte besser, wenn möglichst viel Lücke zwischen den Speichen ist. Die Lücken stehen hier für das Nicht-Handeln.
Was sich zunächst wie triviale Lebensregeln anhört öffnet eine Folge von immer tieferen Interpretationsebenen.
Ich möchte hier meine Interpretation des 78. Kapitels zum besten geben. Es spiegelt den Geist des Tao-te-king recht gut wieder.
nichts in der welt ist weicher und schwächer als wasser
und doch gibt es nichts, das wie wasser
starres und hartes bezwingt
unabänderlich strömt es nach seiner art
dass schwaches über starkes siegt
starres geschmeidigem unterliegt
wer wüßte das nicht?
doch wer handelt danach!
so sagt der weise:
wer eines landes übel auf sich nimmt
ist wert, herr der altäre zu sein
wer eines landes unglück auf sich nimmt
ist wert, herr der welt zu sein
als gegenteil ist oft das wort erst wahr
Der erste Absatz nutzt den Vergleich des Wassers, um das Dao (häufig auch übersetzt mit Dau, Tao oder weniger lautmalerisch mit Weg oder Sinn) zu umschreiben.
Das Dao steht für das Prinzip nach dem die Welt abläuft. Dabei wird sich nicht weder auf Naturgesetze noch auf Gottesgestallt festgelegt, sondern es wird ihm sich das ganze Buch über möglichst vorsichtig angenährt, ohne selbst eine vollständige Lösung geben zu können.
Das Dao selbst existiert nicht, da es schon Grundlage für alles existierende ist.
Das "tiefste" das also gerade noch an der Schwelle zum Dao existiert (aber eben doch noch existiert) wird De genannt. Es steht für die Essenz eines Dinges - man könnte auch sagen "Geist" oder "Natur". Das tiefste De, das also der Schwelle zur Nicht-Existenz am nächsten liegt, nennt man Hsüan-De. Soviel zu den Fachbegriffen, mehr kommen im Buch nicht vor.
Das Dao ordnet von allein die Dinge, wenn es genug Zeit hat, zu ihrem vollendeten Zustand. Es ist unaufhaltsam, wie das Wasser das langsam seinen Weg durch einen Berg wäscht. Das Prinzip des Wassers ist ganz offensichtlich stark, auch auf andere Lebenssituationen übertragen. Es ist zum Beispiel schlechter spontan eine mächtige Verzweiflungsaktion zu starten, als langanhaltend, langsam und unnachgiebig vorzugehen.
Im zweiten Absatz bemerkt der Autor, dass dieses altbekannt ist, sich aber erstaunlich wenige Menschen zu Herzen nehmen. Wahrscheinlich gehen sie zu hektisch an die Dinge ran, haben Angst vor Misserfolg, die wiederum von ihrer Nachgiebigkeit her stammt.
Im dritten Absatz wird eine Parallele zur Politik geschlagen, was typisch für das Tao-te-king ist. Die frühen Daoisten waren recht systemkritisch eingestellt. Sie warfen der Regierung einen schlechten Willen vor. Das Übel eines Landes auf sich nehmen heißt, dass der Wille des Herrschers sich um das Wohlergehen des Staates dreht. Dies war bei der damaligen Regierung offensichtlich nicht der Fall.
Doch nun kommt die Parallele zum Philosophischen: des Landes Übel auf sich nehmen bedeutet auch gemäß des Dao zu handeln. Das Ich "verschmilzt" quasi mit den "Absichten" eines Landes. Man handelt nicht mehr gegen die Natur und erlangt so quasi von selbst große Wirkung durch kleine Ursachen. So herrscht man im metaphorischen Sinne über das Land.
Es gibt eine Steigerung von "Übel" auf "Unglück". Die erste ist die Hinwendung zum Religiösen ("herr der altäre"). Das zweite ist eine Steigerung von diesem Punkt aus hin zur Welt ("herr der welt"). Diesen Steigerungsschritt verstehe ich als die Rückkehr zum weltlichen, als das Erkennen der Einheit des religiösen und des stofflichen, ähnlich wie im Chtonisch-Tellurischen.
Um etwas ähnliches geht es im 40. Kapitel ("rückkehr ist des Dao bewegung | schwachsein seine wirkensweise | dem seienden entstammen alle dinge | dem nichtseienden entstamt das seiende"), dass keinen Platz für etwas existentes, übernatürliches lässt.
Den letzten Satz lässt sich im politischen Zusammenhang als Beschimpfung der Unehrlichkeit der Politik verstehen.
Philosophisch lässt er sich auf "lediglich das Wort ist manchmal erst als Gegenteil wahr" verallgemeinern. Hierfür spricht die Achtung der Ruhe und der wenigen, gezielten Worte, die sich durch das ganze Buch zieht (z.B. Kapitel 81, "wahre worte sind nicht schön | schöne worte sind nicht wahr | dem guten fehlt die glatte zunge | glattzüngige sind nicht gut").
viele Grüße
tiLL