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Kultur des Zweifels

R

Robin

Guest
Wir haben es mit einer Kultur des Selbstzweifels, die uns immer dann am meisten überzeugt, wenn der Zweifel am gelungsten ist [...]. Denn wir trauen nur dem Zweifel.
sagt der Soziologe Dirk Baecker.
Gemeint ist der hohe Stellenwert der "Kritik" in der westlichen Gesellschaft. Lösungen zu finden wird kaum noch erhofft, aber es helfe schon viel "die richtigen Fragen zu stellen". Die intellektuelle Kritik ist auch professionalisiert, etwa im Kabarett - oder in der Opposition .- was immer da der Unterschied ist...
Irgendwann fragt man sich, ob es wirklich reicht, "kritisch" zu sein, oder ob man auch von Intellektuellen mehr erwarten dürfte.
Richtig prekär wird die Frage aber dann, wenn man im Kulturvergleich feststellt, dass andere Kulturen weniger Zweifel zu haben scheinen. Und dass diese Kulturen sich dann rasant ausbreiten.
Oder haben die ihre Kulturzweifel erst noch vor sich?
 
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AW: Kultur des Zweifels

Au, ein echtes Robinthema -- und Marianne hüpft hinein.


Ich gehe es einmal langsam an.

In der frühkindlichen Phase des Menschen scheint Zweifel noch keinen Platz zu haben. Wir brauchen für die Entwicklung zu einem positiven Menschen unbedingt die Fähigkeit des Vertrauens.
Es bedarf deshalb sicher extremer Vertrauensbrüche, wenn schon in einem jungen Kind die Fähigkeit des Zweifelns zu beobachten ist.

Aber --- diese Fähigkeit muss entwickelt werden: als Selbstschutz.

Ich weiß schon, dass ich jetzt auf der Schiene Psychologie fahre, aber die philosophische Seite muss ich mir noch etwas durch den Kopf gehen lassen.
Spontan würde ich mich zu folgendem Ausspruch bekennen:
Ich zweifle, also bin ich.
 
AW: Kultur des Zweifels

Hallo !

Das kritische Betrachten und Anzweifeln jeder Information ist sicher wichtig bis lebensnotwendig. Wie aber auch Marianne schon andeutete, ist für ein glückliches Leben die Fähigkeit des Vertrauens unerlässlich.

Kritik und Skepsis allein schützen uns zwar vor groben Fehlern, sie (allein) werden aber weder unerfüllte Wünsche erfüllen noch Probleme lösen; Kritik sollte nicht so geartet sein, dass sie Kreativität und Konstruktivität unterdrückt.

Mein Priester sagte mir (vor 40 Jahren), dass der Mensch etwas glauben können müsse. Ich kann ihn darin weder bestätigen noch widerlegen; sicher soll ein (einklagbares) Recht auf Zweifel vorhanden sein - es ist ja niemand, auch nicht in der Politik, gefeit davor, Fehlentscheidungen bzw. Entscheidungen, die zu kurz zielen, zu treffen. Mit der "Kultur" des Zweifels tue ich mir hart; Kultur hat für mich immer auch eine ästhetische Komponente und die kann ich nicht entdecken.

Liebe Grüße

Zeili
 
AW: Kultur des Zweifels

Mit der "Kultur" des Zweifels tue ich mir hart; Kultur hat für mich immer auch eine ästhetische Komponente und die kann ich nicht entdecken.

Also Kultur im Sinne von "Kunst und Kultur" ist hier jetzt nicht gemeint. Natürlich vereinfache ich hier etwas, behaupte aber doch, dass der Begriff interessant ist: Der Zweifel wurde, gerade in intellektuellen Kreisen, mehr und mehr "kultiviert". Bzw. der Zweifel hat sich selbst kultiviert ;)
 
AW: Kultur des Zweifels

Habe ein wenig nachgedacht ( und geschaut) - was ich natürlich schon vorher wusste, wurde mir wieder klarer..
Wenn wir Zweifel als europäischen Kulturmovens annehmen, ist das für die Geistesgeschichte richtig.
Skeptizismus ( Skeptik) gesagt - und schon wird das klarer, was ich meine.

Im Wort Zweifel steckt immer noch so ein wenig die pejorative Bedeutung, die uns aus der christlichen Tradition bewahrt blieb, wo er - auf gewisse Wahrheiten angewendet - Sünde war.

Sogar die Skepsis als wissenschaftliche Form, die das kritische Zweifeln als Grundlage jeder Erkenntnis voraussetzt ( seit der Antike, übrigens) , war im Mittelalter ( Scholastik) verboten: wahr war, was die Kirchenlehrer oder höchstens noch Aristoteles als Lehre festsetzten. Alles andere war Häresie.
Deshalb nimmt es auch nicht Wunder, dass hier in Europa erst wieder in der Renaissance Schriften der antiken Skeptiker in unsere Wissenschaftswelt “ zurückgeholt” wurden.

David Hume begründete die neue “ Zweifelsucht” , die dazu führte, dass andere Philosophen ( und nach ihnen die gesamte Wissenschaft ) Falsifizierbarkeit (Widerlegbarkeit, von lateinisch: falsum = Unwahrheit, Falsifikation) zum obersten Prinzip erklärten. Wir sollten uns allerdings klar machen, das das ein Begriff aus der Wissenschaftstheorie ist. Die Forderung der Falsifizierbarkeit einer Theorie verlangt, ein oder mehrere Experimente (Tests, Gegenproben) anzugeben mit denen sich bei entsprechendem Ausgang diese Theorie widerlegen lässt (bzw. Folgerungen, die sich aus ihr ergeben).


Im Alltag - und darauf willst Du, Robin, ja sicher hinaus, wurde diese Theorie als “Denkanweisung” übernommen, mit mitunter fatalen Folgen: Krittelsucht an allem und jedem ,ist eine davon.
 
AW: Kultur des Zweifels

Hallöchen!

Interessantes Thema!

Robin schrieb:
Irgendwann fragt man sich, ob es wirklich reicht, "kritisch" zu sein, oder ob man auch von Intellektuellen mehr erwarten dürfte.
Ich erwarte mehr. Ich denke, das Orientierungslosigkeit eine Rolle in der Kultur des Selbstzweifels spielt. Es gibt durch zuviel Individuialisierung keine klare Richtung mehr. Jede Orientierung, jedes Weltbild, jeder Glaube ist kritisierbar. Dies gilt für den Makrobereich(Kultur, Politik) wie auch für den Mikrobereich(Familie, einzelne Person).

fussel

P.S. Ich bin mir aber nicht so ganz sicher.;)
 
AW: Kultur des Zweifels

Zweifel = zweifaltig = dualistisch

ROBIN
Richtig prekär wird die Frage aber dann, wenn man im Kulturvergleich feststellt, dass andere Kulturen weniger Zweifel zu haben scheinen. Und dass diese Kulturen sich dann rasant ausbreiten.

Monismus = die ideelle Hälfte des Dualismus wird zugunsten der materiellen ausgeblendet

zum Beispiel beklagt FUSSELHIRN

Es gibt durch zuviel Individuialisierung keine klare Richtung mehr.

übersetzt heisst das:
es gibt durch zuviel Materialismus keinen Idealismus mehr
bzw.
es gibt durch zuviel Kompromisse keinen Konsens mehr

ROBIN
Irgendwann fragt man sich, ob es wirklich reicht, "kritisch" zu sein, oder ob man auch von Intellektuellen mehr erwarten dürfte.

für die Karriere an der Uni reicht es aus

nichtdualistische Wissenschaftstheorie?
Wissenschaft ohne Zweifel?

dazu fallen mir nicht viele Schriften ein
 
Kritik = Meckern?

Gemeint ist der hohe Stellenwert der "Kritik" in der westlichen Gesellschaft.

Meines Erachtens hängt der Stellenwert der Kritik mit unserem Überfluss an Materiellem zusammen. Kritik taucht dann auf, wenn man sie sich auch leisten kann. Für einen chinesischen Minenarbeiter mag Kritik zum Beispiel Luxus sein.

Ich denke, dieser westliche Zweifel ist weniger ein gesundes, kritisches Hinterfragen als viel mehr ein Ausdruck unseres Wohlstandes. Wohlstand in dem Sinne, als dass es uns in vielerlei Hinsicht vielleicht schon zu gut geht. Die schlichte, wohlhabende Bevölkerung meckert und die so genannten Intellektuellen kritisieren. Ich vermute, es geht vielen gar nicht darum etwas besser zu machen, sondern einfach darum Luft abzulassen, kurz gesagt sich, sich zu beschweren.
Würde es ihnen nämlich tatsächlich ein Anliegen sein, etwas zu verbessern, dann würden sie auch dementsprechende Vorschläge bringen. (In der Politik ist es eher noch ein strategisches Kritisieren, ein Schlechtmachen der Konkurrenten.)

Unsere Gesellschaft ist vergleichbar mit einem materiell verwöhnten Kind. Es hat so gesehen alles, aber vor allem immer wieder Gelegenheit sich über etwas oder jemanden zu beschweren. Im Unterschied zu einem Kind, das arm aufwächst, und schon mit den geringsten Sachen zufrieden ist.

Ben
 
AW: Kultur des Zweifels

Wir haben es mit einer Kultur des Selbstzweifels, die uns immer dann am meisten überzeugt, wenn der Zweifel am gelungsten ist [...]. Denn wir trauen nur dem Zweifel.

sagt der Soziologe Dirk Baecker.
Gemeint ist der hohe Stellenwert der "Kritik" in der westlichen Gesellschaft.

Robin, ich verstand zuerst den "Selbstzweifel" nicht im Zusammenhang und blieb dabei hängen, deshalb:
Aber vielleicht haben wir (ich rede nicht sooo gern von der ganzen Gesellschaft und verwende lieber den ebenfalls etwas schwammigen Begriff "wir") den Zweifel nur deshalb so sehr kultiviert, um keine oder nur wenige echte (individuelle) Selbstzweifel zu haben... ist doch praktischer, nicht? ;)

Hat sich das Gros der Menschen anderer Kulturen (und nicht erst "wenige" Intellektuelle oder "Revoluzzer") emanzipiert, wird es ihnen vermutlich nicht anders ergehen.
 
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AW: Kultur des Zweifels

Das Kind hat aus selbstschutz vertrauen in seine Mutter, jenseits jeden Zweifels und der verletzte Erwachsene hat Zweifel als Selbstschutz, dass er nicht nocheinmal in die gleiche Falle tappt.
 
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