• Willkommen im denk-Forum für Politik, Philosophie und Kunst!
    Hier findest Du alles zum aktuellen Politikgeschehen, Diskussionen über philosophische Fragen und Kunst
    Registriere Dich kostenlos, dann kannst du eigene Themen verfassen und siehst wesentlich weniger Werbung

Kant und das Luftsicherheitsgesetz

@Ziesemann
Tolles Thema:)


Ich finde in dem Urteil wird das Leben, als höchstes Gut, nur als Scheinmaxime missbraucht. Philosophisch kann ich dieses Urteil für mich nicht nachvollziehen bzw. gut finden.
 
Werbung:
Ich finde das Urteil richtig, wenn auch für den Einzelnen bestimmt nicht einfach zu verstehen und letztlich zu akzeptieren. Dennoch, das Urteil spiegelt nicht nur geltendes Recht wieder, sondern auch den Innbegriff unserer Denkweise und Wertesysteme.

Daß es hier zu einem Interessenkonflikt kommt, macht diese Sache nicht per se zum Problem, aber die Tatsache, daß es um Leben geht. Nun muß man bei alledem auf die Werte des Grundgesetzes zurück gehen und dort steht der Schutz des Lebens nicht aus Zufall an erster Stelle. Damit handelt es sich in unserer Gesellschaft um ein absolutes und tragendes Prinzip, welches nur gleichwertigen Interessen, nicht jedoch praktikablen Interessen geopfert werden darf.

So ist nach unserem Recht jegliche Bewertung von Leben ausgeschlossen und damit auch die Abwägung von Leben. Diese Prämisse ist für den Staat und den privaten Bürger absolut und kann nur dann durchbrochen werden, wenn das eigene Leben so ernsthaft bedroht wird, daß das Leben als solches in Gefahr ist. So darf ich auch keinen Dieb erschießen, der mein Leben nicht bedroht hat. (Siehe Diebstahl/Raub). Ansonsten reden wir von Notwehrexzeß, wonach die Tötung strafbar wird.

Umso mehr gilt die Prämisse in Fällen, bei denen das eine Leben mit dem anderen Leben nichts zu tun hat. Oft zitierter Fall: zwei Verletzte kommen in die Notaufnahme. Eine Person ist 90 Jahre alt, die andere ist ein 10 jähriges Kind. Beide benötigen ein bestimmtes medizinisches Gerät, wobei jedoch nur ein einziges vorhanden ist. Wer wird behandelt, wer stirbt?

Wie immer der Arzt entscheiden wird, die Wertigkeit des Lebens kann und darf bei seiner Entscheidung keine Rolle spielen. Damit scheidet jung vs alt schon mal aus. Es kann also nur medizinische Gründe geben.

Genau so sind auch die Probleme der Euthanasie zu sehen und unser System tut sich da (zum Glück) sehr schwer Tötungen jeder Art zu rechtfertigen. Im übrigen fallen solche Fälle auch unter das "Allgemeine Lebensrisiko" und die Frage muß gestellt werden, ob wir unsere tragenden Prinzipien dafür aufgeben.

Nun wird dies, angesichts der Tatsache, daß es hier um Leben geht, auch zu Widersprüchen führen. Doch muß man auch bedenken, daß die Gesellschaft auf lange Zeit nachhaltig verliert, wenn man erst einmal die Türe öffnet.

Wer bei diesen Grundsätzen die Türe öffnet hat sehr schwere Argumente bei der Behandlung von Themen wie Todesstrafe, Abteibung, Euthanasie und das nicht nur in den "angenehmen" Fällen, sondern vor allem dann, wenn - wie in der NS Zeit - zumBeispiel auch Behinderte unter diese Fragestellung gezogen werden sollen.

Wer den Schutz des Lebens bejaht, kann davon keine Ausnahmen machen. Das ist auch der Unterschied zwischen der amerikanischen und der europäischen Kultur. Der Zweck heiligt eben nicht die Mittel, sondern die Werte bestimmen die Mittel.

Ich kann da nur sagen: Wehret den Anfängen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Claus schrieb:
ich verstehe die Entscheidung des Gerichts nicht.
Ich schließe mich dem Inneminister Schäuble an, der fragt:
wenn auf der Autobahn viele andere auf der gleichen spur entgegenkommen, sollte man dann nicht in Erwägung ziehen, daß man selbst der Geisterfahrer ist?
Er spielt damit auf die Gesetzgebung in anderen Ländern an, besonder in USA.
Claus, danke, dass Du zum Thema eingestiegen bist. Aber bei Deinem obigen Zitat liegt, glaube ich, eine Verwechselung mit einem anderen Argumentationsstrang vor, den das Gericht aufgestellt hat. Schäuble meint den Einsatz der Bundeswehr im Innern, z.B. zur Objektsicherung. Die Möglichkeit negiert das Gericht nicht, verlangt nur zuvor eine Verfassungsänderung.
Auch hat das BVerfG ausdrücklich bejaht, dass ein Flugzeug mit Terroristen abgeschossen werden darf, selbst wenn sich darin vielleicht(!) noch ein einzelner Nichttatbeteiligter aufhalten könnte. Das Risiko kann akzeptiert werden. [/quote]

Claus schrieb:
Man stelle sich vor, die Terroristen haben nur eine Geisel an Bord und steuern auf das Frankfurter Zentrum zu, sie machen sich noch lustig über die deutsche Gesetzgebung, das Gestz lähmt jegliche Aktivität und opfert tausende (plus die Geisel) :wut1: :wut1: :wut1:
meint claus
Was ernstlich in einem solchen Extremfall geschieht, geschehen muss, das kann nach Gerichtsauffassung offen bleiben. Das BVerfG hat lediglich gesagt, dass nicht schon im vorhinein gesetzlich geregelt werden darf, dass ein solches Flugzeug abgeschossen werden darf. - Ein Art übergesetzlicher Notstand ist immer denkbar.- Den Entscheider bedaure ich schon jetzt.

Viel Erfolg bei Deinem Projekt und das berühmte Quentchen Glück, das man immer braucht.
Ziesemann



fusselhirn schrieb:
@Ziesemann
Tolles Thema
Ich finde in dem Urteil wird das Leben, als höchstes Gut, nur als Scheinmaxime missbraucht. Philosophisch kann ich dieses Urteil für mich nicht nachvollziehen bzw. gut finden.
Freut mich, dass Dir das Thema gefällt, aber gestatte bitte Widerspruch: In dem besagten Urteil wird das Leben als höchstes Gut eben nicht als "Scheinmaxime" behandelt, sondern mit konkreten, sehr realen bindenden Vorgaben für den Gesetzgeber ausgestattet.
Interessant wäre zu erfahren, warum Du das Urteil philosophisch nicht nachvollziehen kannst.

Grüße Dich - Ziesemann
 
@Ziesemann
Ich finde das Thema sehr schwer und es fusselt ziemlich in meinem Gehirn. Aber ich versuche diese Fussel mal zu ordnen. hmm habe schon 2 x angefangen und wieder alles gelsöcht. na gut, alle guten Dinge sind 3. :)

Nachvollziehen war vielleicht der falsche Ausdruck. Die Logik verstehe ich schon.

Ein Nicht-Abschiessen kann genauso Menschen töten, wie das Abschiessen, nur das man nicht aktiv sondern passiv war. Unterlassene Hilfeleistung, nennt man das glaube ich. Ich bin nicht dafür das man jedes Flugzeug abschiesst, nur das man sich die Möglichkeit offen lässt flexibel auf Bedrohungen zu reagieren. Mit diesem Beschluss fesselt man sich selbst. Ja, ich gebe dir recht, es wäre ein verdammte schwere Entscheidung für den Verantwortlichen. Töten gehört zum Leben dazu.

ICH denke es ist eine Scheinmaxime. Leben ist das höchste Gut, aber das Leben darf nicht zu einem unantastbarem Gut werden. Der Staat versucht sich aus seiner Verantwortung zu ziehen, empfinde ich.
 
Für Louiz30

Danke, Louiz30, dass Du meine Bitte erfüllt hast, Dich an diesem Thema zu beteiligen.
Gestatte bitte, dass ich wieder ohne die Zitierfunktion antworte.

Ich sehe das auch so, dass dies Urteil des BVerfG jenseits der juristischen Umkleidung ein Urteil über unser Wertesystem darstellt, weshalb ich den Thread hier und nicht unter „D-Politik“ eröffnet habe.

Nicht ganz klar ist mir geworden, was Du unter „gleichwertigen Interessen“ gegenüber dem Lebensschutz verstehst. Dieser hat doch die absolut höchste Priorität, und zwar uneingeschränkt und kann nicht zu Gunsten anderer Werte relativiert werden, wie z.B. Eigentumsschutz, Meinungsfreiheit, persönliche Freiheit. – Deshalb weist Du zu Recht darauf hin, dass man einen Dieb, der nur nach Sachen und nicht nach dem Leben trachtet, nicht erschießen darf.
Das Beispiel der Selektion schwer Verletzter – fünf Jahre und 90 Jahre alt – ist gut. Aber die Praktikabilität, dass man gezwungen sein kann, eine Reihenfolge festzusetzen, verletzt nicht den Grundsatz des BVerfG. Der besagt nur, dass nicht durch Gesetz ex ante normiert werden darf, das ein Leben gegen das andere aufgerechnet werden kann.
Übrigens kennst Du die Behandlungsregel der im Krieg Verwundeten? Sie werden, wenn die Kapazitäten nicht ausreichen, alle gleichzeitig zu versorgen, in drei Gruppen geteilt:
A: Solche die sowieso sterben werden, auch bei bester Behandlung; sie werden ins Abseits gestellt.
B: Leichtverwundete, die auch dann überleben, wenn sie nicht sofort behandelt werden können.
C: Schwerverwundete, die nur bei sofortiger Verssorgung gerettet werden können - mit ihnen wird begonnen.

Sollten wir die – gerade für uns Deutsche - heikle Frage der Euthanasie nicht in einem gesonderten Thread mal diskutieren? Oder gab es ihn schon? Andernfalls möchte ich Dich ermuntern, ihn zu eröffnen.

Gruß - Ziesemann



Fusselhirn

Das Thema ist auch schwer; werde versuchen, Dir bald zu antworten.

Gruß Ziesemann
 
Ziesemann, um auf deine Frage einzugehen: "was Du unter „gleichwertigen Interessen“ gegenüber dem Lebensschutz verstehst".

Grundsätzlich steht das Leben nach dem Grundgesetz unter absolutem Schutz. Diese Absolutheit schließt damit eine Wertung grundsätzlich aus. Der einzige mir bekannte Ausnahmefall ist die Notwehr.

Bei der Notwehr geht man jedoch von dem Schutz gleichwertiger Interessen aus.
Das kann nun sein:

Leben gegen Leben
Das soll heißen, wenn mein Leben oder das Anderer unmittelbar bedroht ist, dann kann ich - wenn sonst keine anderen Maßnahmen möglich sind - gegen den Angreifer (!) in Notwehr handeln und den Angreifer im Extremfall auch töten. Doch ist auch diese Handlung nach dem Strafgesetz zunächst eine Tötung, die jedoch durch die Notwehrsituation zur Straffreiheit führen kann.

Eigentum gegen Freiheit oder anderes
Ist mein Leben oder das anderer nicht unmittelbar bedroht, dann kann ich auch nur "angemessen" in Notwehr handeln. Den Dieb darf ich daher nicht erschießen (anders in Florida) - das währe dann ein Notwehrexzeß, der mich von der Tötung nicht frei stellen kann. Wie oben gesagt: es ist nach dem Gesetz zunächst eine Tötung. Greift der Notwehr Paragraph also nicht, dann bleibt es eine Tötung.

Notaufnahme
Das Beispiel erklärt jedoch, welche Erwägungen hier zulässig sind und welche nicht. Man kann also nicht sagen, daß der 90 Jährige ja eh bald sterben wird und der 10 Jährige noch sein ganzes Leben vor sich hat, da man hierdurch das Leben eines Menschen als "nicht lebenswert" oder "minderwertig" betrachten würde.

Ähnlich muß man vorgehen, wenn man ein Flugzeug abschießt. Ist das Leben dieser Menschen, die keine Angreifer sind, weniger schützenswert als das Leben der Menschen am Boden? genau diese Abwägung greift nicht und darf auch nicht greifen. Würde man sie zulassen, dann könnte man jedes Leben werten und das Prinzip des Lebensschutzes wäre damit Vergangenheit.

Es würde jetzt zu weit führen, aber Eigentumsschutz, Meinungsfreiheit, persönliche Freiheit sind dem Leben nicht gleichwertig.

Der absolute Schutz des Lebens ist ein Prinzip, das sich die Bundesrepublik nach dem Dritten reich absichtlich gegeben hat, um hier die Wiederholung der Schandtaten des NS Regimes zu verhindern. Deshalb wird das BVerfG hier auch immer sensibel sein.

In deinem Thema geht es aber auch noch um die Frage der Bundeswehr und der Luftsicherheit.

Hoffe deine Frage beantwortet zu haben.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich sitze hier und überlege gerade, was passieren wird, wenn ein Flugzeug von Terroristen in ein mit Menschen überfülltes Fußballstadion zum Absturz gebracht wird.
Wie werden die Verfassungsrichter dann mit ihren Gefühlen umgehen und wie mit ihrem Gewissen... ?

tanne
 
Hallo, Ziesemann!

Nun würde mich sehr interessieren, ob Ihr die philosophische Grundlage des Urteils teilt. Versuchen wir, praktische Aspekte, mit denen sich das Gericht am Rande auch beschäftigt hat, wie etwa, ob sich überhaupt mit Sicherheit feststellen lässt, dass die Terroristen ihre selbstmörderische Absicht wahrmachen werden, außen vor zu lassen. Ziesemann

Ich teile die philosophische Grundlage dieses Urteils. Es lässt sich nämlich auch, wie du sagst, schwer feststellen, ob die Terroristen ihre selbstmörderische Absicht tatsächlich ausführen werden. Vielleicht gibt es auch noch andere Gründe, die dieses Urteil rechtfertigen?

Liebe Grüße


suche
 
Ist das Leben dieser Menschen, die keine Angreifer sind, weniger schützenswert als das Leben der Menschen am Boden? genau diese Abwägung greift nicht und darf auch nicht greifen.
Ist das Leben der Menschen am Boden weniger Wert? Da der Abschuss verboten wurde, ist dort implizit eine Wertung erfolgt. Da beide Leben(Boden, Flugzeug) gleichgestellt sind, sollte es eine situationsabhängige Entscheidung bleiben.
 
Werbung:
Ich kann Fussel hier nur Recht geben.
Schauen wir uns die - wohl zweitbekannteste Definition ( aus der Kritik der praktischen Vernunft) an.


Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.

Es kann nun mal nicht allgemeines Gesetz werden, dass wir beginnen - selbst legistisch abgestützt, ein Leben gegen ein anders abzuwiegen. Wir alle wissen aus der Geschichte ( shoa), wohin so ein Denken führen kann.
In einer anderen Formulierung dieses hypothetischen Imperativs sagt Kant sinngemäß so ( bin zum Googlen zu faul)

Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst."


NUn, im Falle des Inkraftftreten dieses Gesetzes würde das bedeuten, dass wir eine Menschengruppe nur als Zweck unseres politischen Handelns sähen - die nämlich, die zugunsten der andern " geopfert " würden.


Und das widerspricht dann massiv den Überlegungen Kants.

Marianne
 
Zurück
Oben