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Johann Friedrich Herbart - ein Gegner der Schule

Corsario

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6. Dezember 2007
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:buch:Mit seiner "Allgemeinen Pädagogik, aus dem Zweck der Erziehung abgeleitet" hat es Johann Friedrich Herbart als erster unternommen, die Pädagogik...

...zu einer systematischen Wissenschaft auszuarbeiten, indem er ihren logischen Grund bestimmte und ihre Grenzen beschrieb. Heut ist er fast vergessen. Zum einen, weil die Dilthey-Schule, die in der Pädagogik der Bundesrepublik bis in die 1960er Jahre den Ton angab, seinen Gegenspieler Fried. Daniel Schleiermacher in den Vordergrund schob, der die berufsständische Mystifikation der Pädagogik begründet hat, indem er sie zur (selbstbegründeten) "Praxis" verschleierte. Das gelang ihr umso leichter, als zum andern die sogenannten Herbartianer Herbarts Lehren in wesentlichen Punkten in ihr gerades Gegenteil verkehrt, und damit die Entwicklung v. a. des Elementarunterrichts in Deutschland nachhaltig beeinflußt hatten. Ihnen verdankt Herbart, daß er heute als der Begründer der Lernschule verschrieen ist - während er selber doch bis ans Lebensende ein GEGNER der Schule war!

1776 geboren, hatte er in Jena bei Fichte studiert, hatte bald mit der Kritischen Philosophie gebrochen und war seit 1802 Professor in Göttingen, veröffentlichte seine "Allgemeine Pädagogik" 1806 und lehrte seit 1809 in Königsberg Philosophie auf dem Lehrstuhl Kants, wo er von amtswegen mit der Reform des ostpreußischen Bildungswesens befaßt war, und kehrte 1833 wieder nach Göttingen zurück, wo er 1841 starb. Sein pädagogisches Ideal war der Hauslehrer, der diesen Beruf nur als junger Mensch, vorübergehend und mit Begeisterung ausübt. Von einem besondern Stand routinierter Berufspädagogen erwartete er nichts Gutes. Erziehung war für ihn ein individuelles, persönliches Geschehen, das sich nicht institutionalisieren und schon gar nicht politisieren läßt. Das Kind ist Maß, nicht der Lehrplan. Mit der Massenanstalt Schule hat er sich, auf beßre Zeiten hoffend, nur widerwillig abgegeben - als Notbehelf. Er mochte sie nicht, weil erstens zuviel Staat drinsteckt, weil sie zweitens als Institution zu viele verfälschende Eigeninteressen entwickelt, und weil er drittens von der künstlichen Zusammenballung von Kindermassen in einer Zwangsanstalt die Potenzierung nicht der guten, sondern nur jener unguten Eigenschaften erwartete, die Kinder schließlich auch noch haben. Obwohl politisch stockkonservativ, konnte er nicht leugnen, daß eine allgemeine Volksbildung ohne Schulpflicht nicht auskäme, aber irgendwie wollte er sie doch mit der Hauslehrerei kombinieren.

Es geht es nicht darum, Herbarts Lehre "wiederzuentdecken". Zum einen blieb sie von sozialökonomischen Erwägungen ganz unberührt. Zum andern gründet sie in einer Metaphysik, die schon zu seiner Zeit ein Anachronismus war, und in einer nicht minder spekulativen Psychologie. Doch manches klingt hochaktuell. Denn zum Glück sind seine pädagogischen Darlegungen längst nicht so "systematisch", wie er selber dachte. Neben mancher gewaltsamen Konstruktion steht dort eine Fülle von hellsichtigen Beobachtungen, die aus lebendiger Anschauung stammen und nicht aus doktrinärem Räsonnement. Sie sind leidenschaftlich geprägt von seiner eignen Hauslehrerzeit in Bern, wo er 1797-1800 die Söhne eines Patriziers zu erziehen hatte - und dabei erfahren konnte, wie schnell der Pädagoge auf Holzwege kommt, wenn er sich überschätzt.

Und schließlich spürt man unter seinem trocknen Witz überall, daß er - ja wie soll ich sagen? - "ein Herz für Kinder" hatte, worin ihm eine eigne Kindlichkeit erhalten blieb...

"Seine eigentliche Schule macht der Erzieher als Hauslehrer für einen oder zwei Zöglinge von beinahe gleichem Alter. Wer pädagogischen Künstlerberuf hat, dem muß in dem kleinen, dunklen Raum, in welchem er vielleicht anfangs sich eingeschlossen fühlt, bald so hell und so weit werden, daß er darin die ganze Pädagogik findet, mit all ihren Rücksichten und Bedingungen, welchen Genüge zu leisten eine wahrhaft unermeßliche Arbeit ist. So beginnt die Bildung des echten Erziehers. " (S. 374)

Erziehung ist eine private Wechselwirkung zwischen Zweien. Doch wurde die Pädagogik immer wieder für äußere Zwecke in Dienst genommen, namentlich - von Plato bis Rousseau - für politische Absichten. Wenn wir aber

"die Pädagogik auf ihre eignen Füße stellen; wenn wir sie ansehn als die Wohltäterin der Einzelnen, deren jeder ihrer Hilfe bedarf, um das zu werden, was er einmal wünschen wird, geworden zu sein: alsdann verschwinden uns sogleich die Schulen; es verschwindet die frühzeitige Zusammenhäufung der Kinder; denn jedes Individuum bedarf der Erziehung für sich, und darum kann die Erziehung nicht wie in einer Fabrik arbeiten; sie muß jeden Einzelnen vornehmen. Die Schule erweitert nicht, sie verengt vielmehr die pädagogische Tätigkeit; sie versagt die Anschließung an Individuen; denn die Schüler erscheinen massenweise in der Schule; sie versagt den Gebrauch mannigfaltiger Kenntnisse, denn der Lektionsplan schreibt dem einzelnen Lehrer ein paar Fächer vor, worin er zu unterrichten hat; sie macht die feinere Führung unmöglich, denn sie erfordert Wachsamkeit und Strenge gegen so viele, die auf allen Fall in Ordnung gehalten werden müssen.
Wenn gleichwohl die Schulen bleiben, so bleiben sie als das, was sie sind, nämlich als Nothilfen, weil es so viele Zöglinge gibt und so wenige Erzieher. Bleibt nun aber auch das Übel, daß nicht einmal diese wenigen Erzieher zugleich Schullehrer sind, daß vielmehr die Schullehrer bloß nach Kenntnissen und nach derjenigen Art von Lehrgeschicklichkeit geschätzt und ausgewählt werden, die das Einzelne mitteilt, ohne sich um seine pädagogische Zusammenwirkung mit den Übrigen zu bekümmern - alsdann freilich sind die Schulen nicht einmal Nothilfen, sondern sie treten in völligen Gegensatz gegen die Erziehung, und sinken eben dadurch zur alltäglichen Gemeinheit herab." (S. 370;375;370)

Quelle: Johann Friedrich Herbart, Sämtliche Werke, hg. v. G. Hartenstein, Hamburg u. Leipzig 1883ff., Bd. XI ( = Schriften zur Pädagogik)

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