THEMA: INTEGRATION
"Kopftuch als Flagge des Islamismus"
Alice Schwarzer schreibt in ihrem neuen Buch Klartext. Ein ungewöhnliches Interview von C.Bischofberger über Islamismus und Integration.
Die Parade-Feministin und „Emma“-Chefredakteurin spricht offen über schiefgelaufene Integration.Sie sei "im doppelten Würgegriff", mailt mir Alice Schwarzer am Donnerstag auf die Interview-Anfrage des KURIER: "Emma-Redaktionsschluss und Kachelmann-Prozess."
Die Parade-Feministin ist im Fall des wegen schwerer Vergewaltigung angeklagten ARD-Wettermoderators eine gefragte Frau: Als Prozessbeobachterin berichtet sie nicht nur in ihrer eigenen Zeitschrift Emma, sondern auch für den Boulevard-Riesen Bild - als Gegenpol zu den Gerichtsreporterinnen von Spiegel und Zeit, mit Blick nicht nur auf Kachelmann, sondern auch auf die Frau im Spiel.
Und schon übernächste Woche präsentiert sie ihr neues Buch, "Die große Verschleierung". Daran wird Deutschland, nach den unverdaulichen Thesen Thilo Sarrazins, noch einmal zu kauen haben.
Also vereinbaren wir ein Mail-Interview. Da beamen sich Fragen von Wien nach Köln, und Freitagabend um 17 Uhr mailt Alice Schwarzer ihre Antworten aus dem Wehrturm am Kölner Rheinufer, dem Redaktionssitz der Emma , "mit lieben Grüßen ins schöne Wien", zurück. Es liest sich nicht, als hätte sie lange überlegt. Sondern "vive voix" - mündlich, wie sie zu sagen pflegt. Nur ihre unverwechselbare Stimme fehlt.
Das Interview
KURIER: Frau Schwarzer, wir mailen hier spätnachts und frühmorgens zwischen Köln und Wien hin und her. Ist das überhaupt ein Interview?
Alice Schwarzer: Für mich schon. Ich schreibe, wie ich rede, sehr spontan. Aber lassen wir das doch Ihre Leserinnen und Leser beurteilen.
KURIER: In Deutschland hat Thilo Sarrazin eine bundesweite Debatte über Integration entfacht. Sind seine Sprüche legitime Zuspitzungen oder inakzeptable Ausreißer?
Alice Schwarzer: Ich habe den 460-Seiten-Wälzer noch nicht gelesen. Aber ich denke, dass Sarrazin Berechtigtes und Spekulatives vermischt. Es ist richtig, dass Deutschland einen enormen Nachholbedarf in echter Integration hat. Und zu lange weggeguckt hat bei den Parallelgesellschaften. Aber es ist natürlich unsinnig, von genetischer Bestimmung oder unveränderlich angeborener Intelligenz zu reden. Das ist bei Türken so falsch wie bei Frauen.
KURIER: Darf man das sagen, dass es einen großen Anteil integrationsunwilliger Muslime in Deutschland und wohl auch in Österreich gibt?
Alice Schwarzer: Das darf man nicht nur sagen, das muss man sagen! Und es ist auch im Interesse der Mehrheit der integrationswilligen Muslime, die von den Radikalen unter Druck gesetzt werden.
KURIER: Kann man, wenn es jetzt nicht bei einer Sprüche-Olympiade bleibt, wie der für seine klaren Worte bekannt gewordene sozialdemokratische Bürgermeister von Berlin-Neukölln gesagt hat, Sarrazin einmal dankbar sein für seine unbequemen Thesen?
Alice Schwarzer: Dieses Berliner Urgewächs Buschkowsky hat oft recht. Und auch in diesem Punkt: Der Sarrazin-Skandal hat die deutsche Politik gezwungen, jetzt endlich Farbe zu bekennen. Nein zum Rassismus, Ja zum kritischen Umgang mit Islamisten, die den muslimischen Glauben nur für ihre politischen Strategien missbrauchen.
KURIER: Einerseits denkt Ihr Land über den Ausschluss Sarrazins aus der SPD nach, andererseits ehrt Bundeskanzlerin Angela Merkel einen Mohammed-Karikaturisten. Wie passt das zusammen?
Alice Schwarzer: Ich finde es ausgezeichnet, dass die Kanzlerin sich entschlossen hat, diesen verfolgten dänischen Karikaturisten zu ehren. Das ist ein Zeichen für die Meinungsfreiheit in die richtige Richtung. Emma war damals, 2006, ja eine der ganz wenigen Zeitschriften, die es gewagt haben, die umstrittene Karikatur zu drucken. Aus Solidarität und Protest. Was den Ausschluss von Sarrazin aus der SPD angeht: Das fände ich falsch und verlogen. Ein verdienter Genosse kann sich ja auch mal irren und Unsinn erzählen. Für einen Rassisten halte ich Herrn Sarrazin nicht.
KURIER: Klare Worte, so hat man das Gefühl, werden beim Thema Integration sehr übel genommen. Warum ist das so?
Alice Schwarzer: In Deutschland waren wir lange gelähmt von einer falsch verstandenen "Fremdenliebe" - die ja eigentlich nur die andere Seite der Medaille von Fremdenhass ist. Muslime sind keine andere Sorte Mensch, und die meisten schätzen Freiheit und Demokratie genau so wie Nicht-Muslime. Denen müssen wir bei stehen gegen die Gotteskrieger.
KURIER: Ihr neues Buch heißt "Die große Verschleierung" - gießen Sie mit Ihren Thesen jetzt noch mehr Öl ins Feuer?
Alice Schwarzer: Nun, ich fordere ein Kopftuchverbot in den Schulen nicht nur für Lehrerinnen, sondern auch für Schülerinnen. Das wird nicht jedem gefallen. Vor allem den islamischen Funktionären nicht, die nicht selten vom Verfassungsschutz beobachtet werden, weil sie zum Fundamentalismus neigen. Aber ich unterscheide zwischen Islam und Is- lamismus. Ich kritisiere nicht den Koran. Die Reformbedürftigkeit des Islams ist Sache der Muslime, finde ich. Und außerdem schreiben in meinem Buch auch etliche Musliminnen und Islamwissenschaftlerinnen. Es geht also wirklich um eine fundierte, konstruktive Kritik an dieser so schiefgelaufenen Integration.
KURIER: Sie sprechen Themen wie Moscheen, Kopftücher und die Scharia an - was wollen Sie mit Ihrem Buch erreichen?
Alice Schwarzer: Mir liegt an einer echten Integration. Auch die muslimischen Kinder und Frauen müssen die Chance haben, gut Deutsch zu lernen und sich in das Land, in dem sie leben, zu integrieren. Und die islamischen Funktionäre sollen lernen, dass sie in einer Demokratie leben, in der die Scharia nichts zu suchen hat. Es ist schon grauenerregend genug, dass die Scharia in manchen muslimischen Ländern geltendes Recht ist und Frauen gesteinigt werden können.
KURIER: Hat die Verschleierung muslimischer Frauen unbedingt eine politisch-symbolische Dimension?
Alice Schwarzer: In den 1960er- und 1970er-Jahren sah man in Deutschland keine Türkin mit Kopftuch, höchstens mal eine alte Frau aus Anatolien. So wie Bäuerinnen in Bayern oder im Hunsrück. Erst Mitte der 1980er-Jahre tauchte das Kopftuch auf, das islamistische Kopftuch, das penibel jedes einzelne Härchen einer Frau verdeckt. Denn die Haare zu zeigen, gilt als Sünde, und die Männer stürzen sich angeblich enthemmt auf eine Frau, deren Haar sie sehen. Wie absurd.
Und was für ein verächtliches Frauen- und Männerbild. Nein, wir müssen gar nicht drumrumreden: Das Kopftuch ist seit Khomeinis Revolution im Iran 1979 objektiv die Flagge des Islamismus - unabhängig von den vielfältigen subjektiven Motiven einer Frau, das Kopftuch oder gar den Tschador zu tragen. Übrigens: Jede zweite strenggläubige Muslimin in Deutschland trägt nie ein Kopftuch.
Schwarzer über den Fall Kachelmann
KURIER: Frau Schwarzer, Sie werden für die Bild-Zeitung, also ein Millionenpublikum, über den Prozess um den deutschen Wetterexperten Jörg Kachelmann berichten. Zahlen die so viel?
Alice Schwarzer: Im Kachelmann-Prozess steht Aussage gegen Aussage. Das mutmaßliche Opfer sagt: "Er hat mich vergewaltigt." Der mutmaßliche Täter sagt: "Das stimmt nicht." Ich hoffe sehr, dass es dem Gericht gelingen wird, die Wahrheit herauszufinden. Aber: Bereits im Vorfeld des Prozesses gingen einige Medien - wie Spiegel und Zeit - her und behaupteten, Kachelmann sei unschuldig und die Ex-Freundin wolle sich nur an ihm rächen. Das ist dreist. Und um dem etwas entgegenzusetzen, kommentiere ich den Kachelmann-Prozess nicht nur in Emma , sondern tagesaktuell auch in Bild . Denn eines weiß ich sicher: Die Klägerin ist ebenso ernst zu nehmen wie der Angeklagte.
KURIER: In Österreich hat Natascha Kampusch gerade ihr Buch "3096 Tage" veröffentlicht - es ist neben dem Buch von Thilo Sarrazin das meistverkaufte. Werden Sie es lesen?
Alice Schwarzer: Ja, ich werde die Autobiografie auf jeden Fall lesen. Ich verfolge den Fall seit Jahren mit Aufmerksamkeit, weil ich finde, dass Natascha eine sehr intelligente, geradlinige und beeindruckende Persönlichkeit ist.
Und das nächste Emma-Cover, worauf dürfen Ihre Fans sich da freuen?
Wir titeln mit der "wahren Lady Gaga" und natürlich der Ankündigung: Alice Schwarzer über den Fall Kachelmann. Deshalb muss ich jetzt auch Schluss machen.
Artikel vom 11.09.2010 17:00 | KURIER | Conny Bischofberger |