Meinungs- und Argumentenaustausch OHNE zu richten - Anja Reschke im Interview:
http://www.planet-interview.de/interviews/anja-reschke/50581/
Sie haben sich schon mehrfach im Dialog Ihren Kritikern gestellt. Gab es Situationen, wo Sie bei Ihrem Gegenüber etwas ‚ausrichten‘ konnten?
Reschke: Es ist sehr schwer, jemanden, der eine feste politische Überzeugung hat, dazu zu bringen, zumindest zuzuhören und eine andere Sichtweise zu akzeptieren. Beim Dialog per Mail habe ich es aber schon hin und wieder erlebt. Einer schrieb mir zum Beispiel mal, wir würden immer nur positiv über Amerika berichten und über Russland nur negativ, wir wären gesteuert usw. – der klassische Vorwurf. Dem habe ich dann zurückgeschrieben. Darüber freuen sich viele erstmal, weil sie in dem Moment merken, dass man sie ernst nimmt. Ich habe ihm erklärt, wie wir zu Zeiten von Bush und Irak- bzw. Afghanistan-Krieg sehr viel negativ über die USA berichtet haben. Er schrieb dann: ‚Ja, das stimmt‘, das hätte er nicht bedacht, da hätte ich sein Bild ein bisschen verändert. Aber so etwas ist selten, muss ich ehrlich sagen.
Wurden Sie in solchen Mails mal von der Gegenseite überzeugt?
Reschke: Überzeugt nicht, aber für mich sind diese E-Mails total wichtig, weil ich dadurch meine Argumente schärfe, überdenke oder auch mal verwerfe. Zum Beispiel: Wenn mir einer schreibt: ‚Ich verstehe das nicht, für die Sanierung unserer Schulen ist ewig kein Geld da, wieso ist jetzt jetzt Geld da für die Flüchtlinge?‘ – dann verstehe ich diesen Menschen. Weil es ein Punkt ist, den die Politik nicht erklärt. Daraus kann ich als Journalist dann den Schluss ziehen: Bei dem Thema haben wir noch nicht genug hingeguckt.
Anderes Beispiel, Kriminalität: Wenn jetzt Menschen in Chemnitz sagen, sie könnten nicht mehr auf bestimmte Plätze gehen, weil sich dort Flüchtlinge rumtreiben und üble Sachen schreien, dann kann man entweder sagen: Das behaupten die nur, weil sie Rassisten sind, oder man sagt als Journalist: Ich gehe der Sache nach, ich schaue mir vor Ort an, wie ist es denn auf diesem Platz in Chemnitz zugeht. Es gibt ja tatsächlich solche Plätze, wo es unangenehm ist, in vielen Städten. Und dann muss man fragen: Warum guckt da keiner hin? Das ist dann nämlich das Problem der Ordnungsmacht, der Polizei und nicht der Flüchtlinge im Allgemeinen. Diese Fragen zu stellen ist unser Job. Und es ist nicht unser Job, darüber zu richten, ob sich Leute richtig oder falsch verhalten.