AW: Haiku
Ach Kathi,
meine Mutter ist 86 - und macht permanent Unsinn.
Sie lebt noch allein, ich bin drei volle Tage die Woche bei ihr.
Alles was ich mit den Händen aufbaue, wirft sie wieder um.
Wie, ich bestelle den Rollstuhl, damit wir auch mal eine Ausflug in die Stadt machen können - kaum ist er da, lässt sie ihn wieder abholen.
Wie, ich organisiere Frauen, die ihr helfen- sie schmeisst alle wieder raus.
Klagt aber massiv, dass sich keiner um sie kümmert, und ich nicht mit ihr in die Stadt fahre, zum schoppen...
Ständig setzt sie mich unter Druck, ich soll doch noch öfter kommen, bei ihr bleiben, bin ich aber dort, kann sie nicht mal ertragen, dass meine Hundeschuhe im Flur stehen..., geschweige denn, dass meine Teetasse stehen bleibt, weil ich öfter am Tag daraus trinke.
Dafür ruft sie bis zu 30 mal am Tag bei mir an, und fordert mich auf, ich müsste dringend kommen: Wegen einer Ratte, die sich einbildet..., weil die Apotheke ihr eine Rechnung geschickt hat, die nun auf der Stelle unbedingt bezahlen will, weil die Morgenschwester frech zu ihr war, weil sie jetzt von mir ein Butterbrot gemacht haben will, weil, weil, weil....
Ich lebe aber 60 Kilometer entfernt. Zwischen uns liegt das verstopfte Ruhrgebiet.
Gestern habe ich für die Hinfahrt anderthalb Stunden gebraucht und für die Rückfahrt zwei. Das ist die Regel.
Jetzt gerade hat sie sich mal wieder mit dem Notarztwagen ins Krankenhaus bringen lassen. Wahrscheinlich hat sie nix, wie die letzen Male auch. Aber ich selber sterb dann immer vor Angst, wenn die Nachbarin mich anruft: " Die Mutter ist gerade abgeholt worden!"
Letzte Woche ist ihr Mieter am Herzinfarkt gestorben.
Jetzt ist es so, dass sie denkt, sie würde auch gleich umfallen.
Gestern noch war in meinem Beisein der Arzt bei ihr.
Alles oki, leicht erhöhter Blutdruck, 140 zu 90.
Es kann aber auch sein, dass sie nur ins Krankenhaus gegangen ist, um zu erzwingen, dass ich sie Sonntag besuche. Denn diesen Sonntag wollte ich nicht kommen, stattdessen Montag, weil ich eine Fensterbank neu anbringen muss, dazu müssen Löcher in die Hauswand gebohrt werden, das kommt bei der Nachbarschaft Sonntags nicht so gut.
Aber sie möchte dann, dass ich Sonntags UND Montags komme.
Früher hat sie mich regelrecht vera***ht mit ihren Krankenhausbesuchen.
Ruft bei mir an, erklärt, sie stürbe, unbedingt müsste ich sie ins Krankenhaus bringen. Komm ich hingerast, ist sie sehr erfreut und möchte nun Kaffeetrinken gehen. Krankenhaus? Iwoo!
Einmal wollte ich sie partout eines Sonntagsmorgens nicht ins Krankenhaus bringen. " Das wird Dir noch leid tun!", sagte sie - und war ab da verschwunden.
Alle Krankenhäuser der Stadt habe ich am Montag nach ihr abtelefoniert.- Nix! Also, die Polizei angerufen, sie sollten sich Eingang verschafffen, vielleicht lag sie ja gestürzt daheim? -Nix.
Was hatte Madame gemacht? - Sie war ganz bewusst in ein Krankenhaus in der Nachbarstadt gegangen, damit ich sie nicht finden konnte.
Also, bei mir ist es echt Stress- und ich bin die letzten drei Jahre um 10 Jahre gealtert.
Zum holen könnte ich sie nicht, sie würde nicht bleiben wollen.
Dahinziehen soll ich, darf aber keine eigenen Sachen mitbringen. Darf auch nichts verändern oder umräumen.
Ich soll in Vaters Bett schlafen, meine Anziehsachen am besten im Auto verstauen und ansonsten dasein, um sie von früh bis spät zu bedienen.
Wenn sie allein ist, kann sie zum Beispiel noch problemlos allein auf die Toilette gehen, bin ich da, kann sie es nicht.
Dann kann sie keinen Schritt mehr laufen, ich muss sie fast hintragen, sie aus- und wieder anziehen. Nachts geht sie für's kleine Geschäft sonst auf's Töpfchen, bin ich da, gellen Schrei durch das Haus! " Komm! Komm!" Und bin ich etwas zu spät, geht es daneben.
Bah.
Ich habe hier im Haus meine alte, einbeinige Nachbarin mitgepflegt, bis die mit Magensonde nur noch lag.
Aber gegen meine Mutter war das Gold.
So. Das musste mal sein.
Zum Stressabbau.
Ab Morgen wieder Haikus.
Liebe Grüße,
Anjoli