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Gibt es obszöne Kunst?

  • Ersteller Ersteller Marianne
  • Erstellt am Erstellt am
Gaius schrieb:
Was ich damit meinte: Das Stelenfeld in seiner abstrakten Allgemeinheit könnte für sonst etwas stehen, meinetwegen für die anonyme Ausgesetztheit des Subjekts in den großen Städten; schon die einseitige inhaltlich-politisierende Beziehung auf die Shoah bedeutet so gesehen eine Instrumentalisierung. Oder man müßte interpretieren, die Shoah selbst sei bloß allgemein und abstrakt gewesen. Diesen Gedanken empfände ich nun wiederum als zynisch, ja, warum nicht: als obszön.

Nun ja; es ist ja DEIN GEdanke. Das musst du entscheiden, ob der obszön ist oder nicht. Im Übrigen ist ein Denkmal schon per definition ein Instrument:

Ein Denkmal ist ein Ding, „wodurch man eines Verstorbenen Ruhm und Namen, wie auch dessen merckwürdigste Verdienste und Thaten auch bey den spätesten Nachkommen in beständig gutem Andencken zu erhalten sucht.“
so das große vollständige Universallexikon von 1739.
Ein Denk- oder Mahnmal hat eine Ausnahmestellung in der Kunst, weil sich bei ihm schon immer zwei Bedeutungsebenen vermischen:
Die künstlerische Aussage, die durch Form und Material einen Eigenwert darstellt. Und die nicht-künstlerische, die Anlaß zur Errichtung des Denkmals ist und sich meist zumindest im Titel des Monuments artikuliert.
Daher kann ein Denkmal niemals die Kriterien eines autonomen, freien Kunstwerkes genügen; die Frage ist natürlich, ob nicht die meisten anderen Kunstwerke dieses Problem auch haben, wenn auch verdeckt...

Riefenstahl hingegen hat in ihren damaligen Filmen den Monumentalismus und die ästhetische Säuberung des sog. 'Dritten Reichs' begleitend orchestriert, in naiver Verehrung für den 'Führer' und die von ihm propagierte Ästhetik - wo liegt da denn eine Instrumentalisierung ihrer Arbeiten z.B. zu Zwecken der Propaganda? Ihre Arbeiten sind selbst Teil dieser Propaganda,
Ich habe instumenatlisiert im Wortsinn gebraucht. Du scheinst dahinter zu vermuten, dass jemand gegen seinen Willen oder unbewusst intrumentalsiert würde. Dass die Riefenstahl, natürlich vor allem mit ihrem Parteitagsfilm ein Instrument der Propaganda liefert, steht nicht in Abrede.
Was ich als Ausnahme darstellte sind Propagandainstrumente, denen dann im Nachhinein noch künstlerischer Wert zugesagt wurde. So sind wahrscheinlich die meisten Propagandafilme (Jud Süß etc.) einfach zu schlecht, zu plump, um überhaupt als küntlerisch diskutabel zu gelten.

Zu fragen wäre nun nochmals, ob die im nationalsozialistischen Zusammenhang erzeugten Kunstwerke selbst etwas Obszönes gewinnen, allein schon dadurch, daß man weitermacht wo man verstummen müßte und dadurch das Unheil affirmiert, oder ob nur die Umstände, unter denen diese Kunst entstand, als obszön zu bezeichnen wären. Ich tendiere zu ersterem. 'Käuflich' (und sei es im metaphorischen Sinne) waren diese Künstler allemal: nun eine vorgebliche Reinheit der vom Künstler ablösbaren Werke zu postulieren, führt in die Irre, zumindest solange man von der gesellschaftlichen Zweckgebundenheit bzw. Abhängigkeit der Kunst sich überzeugt hält.
Ich postuliere nicht Reinheit. Adorno tut das und man sieht, wie diese Argumentation sich dann verkehren kann, wenn man sie als Rechtfertigung von eigentlich durch das Naziregime korrumpierter Küntler "instrumentalisiert"
Ein paar weitere Beispiele wären sicher hilfreich. Die Frage ist natürlich, von wem und wofür damals 'Kunst' gemacht wurde;

Man könnte sagen: Das dritte Reich hat auch das Tagebuch der Anne Frank hervorgebracht. Und was ist mit den Kompositionen jüdischer Komponisten, die teilweise in den KZs entstanden und jetzt gerne wieder unter dem Label entartete Musik aufgeführt und geschätzt werden? Es wäre doch fatal, wenn man diese Werke herabsetzen würde, weil sie "unfrei" waren. Man kann dann sagen, sie waren dann gerade Ausdruck der Freiheit, weil sie Intrumente gegen die Unterdrückung waren. Aber wären sie dann als Kunstwerk "autonom"? Ich will Adorno da nichts unterstellen, ich finde eben nur die Ungenauigkeit der Definiton problematisch.
Wer sagt, Kunst müsse autonom und frei sein und gleichtzeitig eingesteht, dass das nur eine Utopie ist: Dann wäre Kunst, die dieser Idee folgt, auch wieder instrumentalisiert, nämlich im Sinne dieser Utopie. Und dass das dann auch in der Praxis so läuft, sieht man doch bei Brecht, dessen Kunst sehr wohl als instrumentalisiert für erst die sozialistische Utopie und dann deren reale Ausprägumng gesehen werden muss. Nur empfindet dies kaum jemand als obszön, oder?

Wir alle wissen, daß Adorno gerne aus der Zuspitzung heraus argumentiert, um etwas sichtbar zu machen, was sonst im Relativismus verschwände: genau daran entzündet sich die Reflexion.

Historisch betrachtet, hat Adorno offensichtlich diese Funktion gehabt. Aber schon die Voraussetzung, dass alle wissen müssen, dass er zuspitzte, finde ich problematisch. Man muss sich dann nicht wundern, wenn alle zu wissen glauben, was Adorno schrieb und ihn keiner mehr liest...

Dieser Idee der negativen Utopie, soll wohl eine Dialektik erwachsen, im Gegensatz zur realen, kapitalistsisch korrupten Kunst. Aber das gibt theoretisch für mich keinen Sinn, weil die Abhängigkeit ja nicht überwunden werden kann. Autonom ist kein relativiertbarer Begriff, mann kann nicht "ein bisschen autonom" sein. Man erkauft sich nur Freiheitsgrade unter Opferung anderer Freiheitsgrade. Deswegen bringt es für mich mehr, Kunst als Kommunikation zu definieren, die dann unter den Bedingungen agiert, wie alle Kommunikation agiert: Nämlich immer in Abhängigkeiten und Wechselwirkungen.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
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Salut!

M.M.n. ist unsere Gesellschaft enttabuisiert, so sind es höchstens noch die Mittel, die 'Tabus' brechen, bzw. mit denen man mich dazu bringt, 'obszön' zu sagen. Ein Werk ist kaum obszön, die Motivation dazu vielleicht eher.
Möchte aber nicht lang erklären, was ich als obszön betrachte, denn das wäre keine Antwort auf die gestellte Frage.


Robin schrieb:
Dieser Idee der negativen Utopie, soll wohl eine Dialektik erwachsen, im Gegensatz zur realen, kapitalistsisch korrupten Kunst. Aber das gibt theoretisch für mich keinen Sinn, weil die Abhängigkeit ja nicht überwunden werden kann. Autonom ist kein relativiertbarer Begriff, mann kann nicht "ein bisschen autonom" sein. Man erkauft sich nur Freiheitsgrade unter Opferung anderer Freiheitsgrade. Deswegen bringt es für mich mehr, Kunst als Kommunikation zu definieren, die dann unter den Bedingungen agiert, wie alle Kommunikation agiert: Nämlich immer in Abhängigkeiten und Wechselwirkungen.

Dieser Absatz brachte mich zum Nachdenken. Vor ein paar Jahren lernte ich anlässlich einer Ausstellung in Strassburg die Fotografien des Künstlers Mohamed Abdulla, einem gegenwärtig in den Niederlande und seit vielen Jahren in Europa lebenden Iraker kennen. Ich möchte hier ein paar Gedanken von ihm zitieren und Euch bitten, darüber ebenfalls nachzudenken:

Wie erkennt man einen Iraker? Ich war Künstler in Bagdad und dann in den Niederlande wurde ich ein Modernist. Vor drei Jahren wurde ich ein zeitgenössischer irakischer Künstler, der in Europa lebt.
Es gibt Zeiten, in denen Produkte nichts mitteilen müssen, nicht einmal die ästhetische Erfahrung. Manchmal genügt es, wenn sie einfach da sind...
...Ein Produkt wird auf der Basis der Gefühle verkauft, die es erweckt. Wir können ein kulturelles Produkt nicht erfassen, wenn wir nicht die Kräfte verstehen, die seine Entstehung beeinflusst haben...
...es ist eine späte Entdeckung, dass ich unter der Zensur eines Diktators freier und effizienter arbeitete, als unter der Kategorisierung und der Bürokratie westlicher Kunstinstitutionen. Nach 10 Jahren des ständig wachsamen Lebens in Westeuropa, der Diversifizierung der Quellen des Wissens, des Navigierens durch die Topographie der Kulturszenen, des Überquerens der Grenzen von Disziplinen, wandle ich Frustration in Stimulation um, den Ausschluss in Herausforderung, die Marginalisierung in einen jungfräulichen Raum und das aufgedrückte Etikett in eine Disziplin, in der ich neue Schaffensformen erkunde.
Nach 3 Jahren des Arbeitens auf diesem erzwungenen Terrain stelle ich fest, dass ich das aufgedrückte Etikett poliere, statt es in Frage zu stellen. Ich habe die Rolle des orientalischen Künstlers zu spielen und exportiere dieses Etikett zu meinen Landsleuten da drüben, um die Anerkennung der westlichen Institute zu gewinnen und den Forderungen der kulturellen Globalisierung nachzukommen.
Wie kann man ein Künstler und kein Bürger sein? Wie ist es zu vermeiden, entweder Iraker oder Niederländer zu sein? Wie kann man einen sauberen Raum schaffen und kein korrupter Künstler werden? Wie erhält man den Freiraum, der Kunst als einen Akt der Notwendigkeit bewahrt? Wie kann man nackt ohne des Kaisers neue Kleider sein? Wie kann man die Anderen verführen, diese Erfahrung zu teilen?...

Ich möchte es nicht zerreden. Vielleicht empfindet Ihr auch Scham, Irritation, Unbehagen oder gar das Gefühl der Obszönität der Kulturbetriebe.
 
Jérôme schrieb:
Salut!


Ich möchte es nicht zerreden. Vielleicht empfindet Ihr auch Scham, Irritation, Unbehagen oder gar das Gefühl der Obszönität der Kulturbetriebe.
So ist es bei mir, lieber Jeròme!


Es ist irgendwie tief in mir innen eine Scham, mich über Werturteile "im Thema" Öbszöne Kunst zu äußern. Mir ging es anfangs darum, Erkenntnis zur Frage nach überprüfbaren Methodenzu finden , also Parameter für das, was wir öbszöne Kunst nennen.
Einiges kam da ja zutage. Anhand der inhaltlichen Bestimmung geriet dann unser Diskurs in allgemeinere Dimensionen.

Und da sehe ich mich außerstande, mich darüber zu äußern: was ist öbszöner: Das, was Moralisten an Kunst obszön bezeichnen oder darüber noch lange zu reden. Die Diskussion geriete dann - meiner Meinung nach - in psychologische Dimensionen, die - vielleicht - in allzu Persönlcihes abglitten.

Und das könnte dann wieder gewisse Aspekte eines gewissen Voyeurtums befriedigen - was ich für mich als öbszön empfände.

Marianne
 
@Robin, @Jerome

Da ich hier ja nicht weiter etwas zerreden möchte - geschweige denn, daß ich fernab vom Thema, ob Kunst obszön sein könne, in allgemeine kunsttheoretische Diskussionen mich verlaufen möchte - grins; gebt ihr mir wenigstens etwas zu, wenn bei mir der Eindruck entsteht, daß euren Argumenten zufolge nicht-obszöne, das wäre, einem korrupten Kulturbetrieb nicht sich andienende Kunst nur in negativer Bewegung in diktatorischen Staatssystemen entstehen könne; und daß die logische Folge daraus wäre, daß wir in Europa um einer freien Kunst willen umgehend die politische Diktatur wieder einführen sollten?

@Robin
Mit wem kommuniziert der Künstler zuerst?
 
Salut!

Gaius, es war ein Aspekt der Obszönität -noch eher der Scham, die ich empfinde, bezog sich spezifisch auf die 'er- und verkauften' Freiheitsgrade unter Berücksichtigung der Abhängigkeiten und Wechselwirkungen, eine Assoziation, die bei mir Robins Ausführung auslöste, so dass ich bat, darüber nachzudenken. Den Eindruck, der sich dadurch bei Dir eigestellt hat, hatte ich keinesfalls vor, zu erwecken. Entstand er trotzdem, so ist auch Deine Folgerung daraus, eine mehr oder weniger logische, gebe ich zu ;).
Kannst Du ausschliessen, als Künstler von den Abhängigkeiten etc. betroffen zu sein? In wie weit eine umgehende Einführung politischer Diktatur Deiner -aber auch anderer- Kunst förderlich oder hinderlich wäre, alle Nach- und evtl. Vorteile kann und will ich nicht beurteilen. Mir ist, folge ich rhetorisch Deinem Gedanken, ein Leben ohne Diktatur in einem 'unfreien' Kulturbetrieb wesentlich lieber, eine Umkehrung indiskutabel. Pardon!
 
Kunst und Freiheit

In einer so ausdifferenzierten und globalisierten Gesellschaft ist es zum Erkenntnisgewinn wichtig geworden, nicht nur zu fragen, was gesagt wird, sondern wer etwas sagt. Nicht nur im Sinne einer Zurechnung auf Personen und Biografien, sondern auch, aus welchem Gesellschaftsbereich es kommt, zum Beispiel Kunst, Wissenschaft, Medien etc. So wird ein Philosoph aus anderen Gründen über Freiheit in der Kunst reden als ein Künstler.
Noch interessanter wird die es, wenn jemand aus einem fremden Kulturbereich spricht. In diesem Falle aber nicht aus Exotismus-Gründen, sondern weil sich hier ein Umstand verdeutlicht, der mir erst seit kurzem klar ist und der mich seither fasziniert:
Ich rede von der Tatsache, dass die Ausdifferenzierung eines autonomen (und damit in gewisser Weise "freien") Kunstsystems, das sich Kriterien der Qualität, der Relevanz und der Käuflichkeit (!) selber schafft, um ein weltweit einmaligen Vorgang handelt, der sich nur im modernen Europa vollzogen hat.
Daher nehme ich Jérômes irritierendes Zitat zum Anlass, mich hier länger auszubreiten und hoffe, trotz auch schon angedeuteter Ablehnung, damit auch auf Interesse zu stoßen.
Ich werde im Folgenden die Begriffe Autonomie und Freiheit gleichsetzen, um dann später diese Gleichsetzung eventuell wieder zu "dekonstruieren".

Die Autonomisierung der Kunst kann in vier Phasen eingeteilt werden, die, obwohl nicht in allen Bereichen der Künste zeitgleich abgelaufen, doch als evolutionär aufeinander aufbauend gesehen werden sollten. Mit den Phasen werde ich auch versuchen die Freiheitsgrade zu skizzieren, die dabei verloren gehen.

1) Ablösung der Künste von anderen Systemen, insbesondere der Religion. Verzicht auf das Primat der Imitation, der reinen Ornamentik oder (im Bereich der Musik) der Unterhaltung, bzw. Begleitung von religiösen oder weltlichen Ritualen.
Dadurch kann in der Kunst die Themenwahl freier gestaltet werden und es bilden sich auch Formexperimente heraus, die aber noch durch Tradition diszipliniert werden (in der Musik etwas Tänze, die man aber nicht mehr tanzt etc.)
Dabei verloren geht ein "naiver" kunsthandwerklicher Zugang, es bilden sich Kriterien heraus, die dann vom "Geschmack" oder der "Mode" abhängen und den Künstler einschränken. Außerdem entwickelt sich seit dem das Kriterium der Neuheit, das sich mit der Zeit zu einem Primat auswächst.
2) Auflösung des Patronage-Systems und entstehen erster "freier" Künstler (natürlich existiert beides noch eine Zeit parallel). Da der Begriff des Geschmacks außer Mode kommt und nicht mehr nur ein gebildeter Laie bestimmen kann, was auf dem neu entstehenden Markt Wert hat, wird der Kritiker erfunden. Dieser diszipliniert den Künstler und gibt dem Käufer Orientierung. Natürlich schränkt dieses System nicht nur den Künstler ein, der von der Kunst leben muss. Auch der, der qua Geburt ausgesorgt hat, kann sich diesem System nicht entziehen und man bemerkt schon, dass künstlerische Anerkennung und künstlerischer Erfolg kaum zu trennen sind.
3) In der klassischen Avantgarde die Befreiung vom schönen Schein. Musik, Bilder auch Literatur müssen nicht mehr unmittelbar gefallen, sondern wollen "erschlossen" sein. Der Künstler befreit sich von Harmonie, Gegenständlichkeit, Verständlichkeit und darf Anstrenungen des Publikums voraussetzen. Damit nimmt sich der Künstler aber auch die Möglichkeit, von der "Masse" (oder: dem dispersen Publikum) unmittelbar rezipiert zu werden und muss (!), will er sich verstanden wissen, unter seinesgleichen bleiben.
Das Enigmatische der Kunst bereitet aber auch den Boden für vermehrte Richtungsstreits unter Künstlern. Der Künstler muss erklären, erklären und erklären. Ist sogar auf Philosophen angewiesen, auf die er sich gelegentlich in der Kunst dann wieder bezieht.
Vor allem aber bekommt der Künstler die Verantwortung aufgeladen, für die Befreiung der Gesellschaft zuständig zu sein. Er muss gesellschaftlich relevant schaffen und bemerkt erst einige Zeit später, dass das die Gesellschaft gar nicht groß interessiert hat.
Bei einigen Künstlern (im Ostblock aber auch bei Hitler) wird ihre Befreiungsverantwortung gar institutionalisiert und sie müssen nun unter Staatsregie den neuen Menschen schaffen. Wie unfrei sie dabei werden, wird einigen erst schleichend klar.
4) In der letzten Phase stellen Künstler die Kunst selbst in Frage, indem sie deren Grenzen austesten. Dazu gehören Handlungen, die ohne Deklaration als Kunst nicht als solche zu erkennen sind. Oder Kunstwerke, die ihre eigene Erkläung sind und sich dadurch sinnlichem Zugriff entziehen. Die Freiheit, die sich diese Künstler versagen, ist natürlich dann die, Kunst zu machen.

Im Anschluss an diese Experimente, die schwer wiederholbar sind und langweilen, gibt es nur den Schritt zurück. Sei es, dass man sich aus der gemäßigten Avantgarde etwas herauspflückt. Sei es, dass man als postmoderner Künstler die Hierarchielosigkeit vergangener und gegenwärtiger Kunstformen propagiert und diese zu neuen Formen kombiniert. Sei es, dass man einfach mit der Kunst aufhört.
Der postmoderne Künstler ist unfreier denn je, denn er sieht keine Zukunft der unentdeckten Möglcihkeiten mehr vor sich. Er ist in dem Paradox gefangen, dass von ihm nach wie vor Neues erwartet wird, der entsprechende Kunstbetrieb aber immer schon den Zweifel bereithält, ob dies nicht schon dagewesen sei oder nur ein bisschen neu oder gar "alter Wein" in neuen Schläuchen. Kunstkritik und Medien sind unfähig, die Paradoxie ihrer eigenen Forderungen und Kriterien einzugestehen, denn sie selbst stehen unter dem Novitätendruck, weil sie Entdecker sein wollen und weil sie das Publikum durch immer neue Variationen von Verissen oder plötzlichen hymnischen Lobs interessieren müssen. Außerdem hat sich die Kunst immer stärker institutionalisiert und muss nun aus diesen Institutionen heraus um den Erhalt von diesen und sich selbst kämpfen - oft wider die eigenen Zweifel und der Einsicht in die eigene Beschränkheit/Unfreiheit.

Was hat das alles nun mit Adorno zu tun oder mit einem Künstler im Irak?
Fangen wir mit Adorno an: Was meinte er, wenn er von der Freiheit der Kunst sprach? Auf welche Frieheit bezog er sich, historisch gesehen? Oder hatte er keinen historischen Blick und verkündete die freie Kunst nur normativ aus dem Moment heraus?
Wir wissen, dass Adorno sich zwar als Avantgardist begriff, aber einen merkwürdigen Hang zur Vorstellung des "Flaneurs" hatte, des Künstlers/Kunstliebhabers, der finanziell unabhängig, sich aus Liebhaberei der schönen Kunst zuwidmet. Kann es etwa sein, dass Adorno dieses Bild des 18/19. Jahrhunderts in seine Zeit übertrug, indem er es mit einem zeitgemäßgen Idealismus kaschierte?
Ich behaupte jedenfalls: Es gibt genug Gründe, in der Kunst seine Unschuld, seine Freiheit und seinen Idealsimus zu verlieren. Und Geld ist da nur einer von vielen Möglichkeiten. Aber auch Diktatur ist nur eine der Möglchkeiten.

Jetzt komme ich endlich zu Jérômes Freund: Die These steht, dass die Entiwcklung des autonomen Kunstsystems ein einmaliger, nur aus Mitteleuropa entstandener (und in andere, "westliche" Systeme exportierter) Fall ist. Und das in anderen Teilen der Welt eben ganz andere Kriterien herrschen, die man aber nicht als rückschrittlich bezeichnen muss (schon garnicht als "unfrei", wie ich hoffentlich gezeigt habe). Man könnte dort (Asien?) zum Beispiel statt von Evolution von "Involution" sprechen, was ungefähr heißt, Verfeinerung durch Wiederholung und Ausbau der innerern Struktur.
Sehr paradox ist es, wenn etwa der Kurator der venezianischen Bienale (glaube ich) jetzt aufruft, zum Ursprung der Kunst zurückzukehren und erneut dadurch von der Kunst "Befreiung" zu erwarten. Das soll dann geschehen, indem Kunst aus Gebieten importiert wird, wo die europäische Kunstevolution eben nicht gegriffen hat. Aber dieser Import erliegt dann auch wieder den Zwängen der Neuheit und wird uns nicht kollektiv in die Kontemplation führen. Der Kunstmarkt wird auch diese Rückgriffe aus Eoxtik oder "Ursprung" durchkauen und wieder ausspucken.

Mohammed Abdulla steht sicher irgendwo in diesem Spannungsfeld und drückt durch seine Worte nicht Affirmation für diktatorische Systeme aus, wie hier platt behauptet wird. Vielmehr erkennt er die Vorteile der Einschränkung und ist sicher reflektiert genug, dies als paradox zu erkennen und vielleicht gar pervers zu finden.
Ich kann mir vorstellen, dass Involution ihre Reize hat, sei es unter Bedingungen der Diktatur oder eines nicht auf Novitätszwang ausgerichteten Kunstsystems. Für mich, der ich im europäischen Kunstsystem feststecke, kann dies jedoch nur eine sehr interessante Irritation darstellen, die nicht den Menschen befreien wird, sondern vielleicht mir selbst ein wenig Luft verschafft
 
Robin, es ist beinahe beängstigend, wie Du meinen unausgegorenen und unausgesprochenen Gedanken aufnehmen, kultivieren, weiter denken und schlussendlich exzellent formulieren kannst. Keine Bange, werde Dir jetzt keine Liebeserklärung machen; bekämpfe so nur den Neid -grins.

In Bezug auf Medien und Kritiker gebe ich Dir vollumfänglich recht, gerade hier ist für mich die Obszönität der wechselwirksamen Unfreiheiten/Zwänge/Abhängigkeiten am deutlichsten, vielleicht, weil ich vom Fach komme und diese mich so nachhaltig anwidert.

Ich erlaube mir, Deine theoretische Betrachtung ein wenig -aus meiner Sicht- zu dokumentieren, verzichte dabei aber bewusst auf Musik und Literatur, für die es im gleichen Masse gilt.

Robin schrieb:
3) In der klassischen Avantgarde die Befreiung vom schönen Schein. Musik, Bilder auch Literatur müssen nicht mehr unmittelbar gefallen, sondern wollen "erschlossen" sein...
Vor allem aber bekommt der Künstler die Verantwortung aufgeladen, für die Befreiung der Gesellschaft zuständig zu sein. Er muss gesellschaftlich relevant schaffen und bemerkt erst einige Zeit später, dass das die Gesellschaft gar nicht groß interessiert hat.

Diese 'Gesellschaft' verhält sich dabei höchst sonderbar. Während jedes Kunstwerk eine Aussage 'haben muss', erfreuen sich z.B. schöne Landschaften eines Bonnard' oder Cézanne' eines extremen Wertzuwachses.

Gleichzeitig werden aber Provokationskünstler hofiert. Wundert sich noch jemand über Schlingensief? Das Publikum wartet trotzdem gespannt, vor allem aber darauf, welche Platitüden -und auch wie- er in den Medien neu inszenieren wird. Davon leben nicht nur die Medien, auch er könnte kaum ohne sie so gut leben und so wird er/lässt sich bereitwillig mal lobend, mal 'zerrissen' aber immer dankbar durch alle Kulturzeitschriften, Feuilletons etc. geschleust/schleusen. Das Publikum ergötzt sich -wenn auch polarisiert- ebenfalls daran. Das ist nur ein Beispiel von vielen, Schlingensief wählte ich nicht, weil ich ihn speziell hasse -grins, sondern, weil wir über ihn bereits anderswo sprachen.


Robin schrieb:
In der letzten Phase stellen Künstler die Kunst selbst in Frage, indem sie deren Grenzen austesten. Dazu gehören Handlungen, die ohne Deklaration als Kunst nicht als solche zu erkennen sind. Oder Kunstwerke, die ihre eigene Erkläung sind und sich dadurch sinnlichem Zugriff entziehen. Die Freiheit, die sich diese Künstler versagen, ist natürlich dann die, Kunst zu machen...

Mein Beispiel dazu: Kann in der Konzeptkunst einer Yoko Ono, die Hörkassetten mit Schneefall in Indien darauf verkauft, überhaupt keine Kunst erkennen. ($ 1500/Stk. - pervers). Müsste ich noch darüber schreiben...

Robin schrieb:
...Kunstkritik und Medien sind unfähig, die Paradoxie ihrer eigenen Forderungen und Kriterien einzugestehen, denn sie selbst stehen unter dem Novitätendruck, weil sie Entdecker sein wollen und weil sie das Publikum durch immer neue Variationen von Verissen oder plötzlichen hymnischen Lobs interessieren müssen. Außerdem hat sich die Kunst immer stärker institutionalisiert und muss nun aus diesen Institutionen heraus um den Erhalt von diesen und sich selbst kämpfen - oft wider die eigenen Zweifel und der Einsicht in die eigene Beschränkheit/Unfreiheit.

Absolut! Vgl. auch oben

Robin schrieb:
Mohammed Abdulla steht sicher irgendwo in diesem Spannungsfeld und drückt durch seine Worte nicht Affirmation für diktatorische Systeme aus, wie hier platt behauptet wird. Vielmehr erkennt er die Vorteile der Einschränkung und ist sicher reflektiert genug, dies als paradox zu erkennen und vielleicht gar pervers zu finden.

Die Vorteile der Einschränkung sind sicher paradox, oder gar pervers, die Einschränkung findet aber schon per se, schon durch sich selbst ist der Künstler eingeschränkt; diese Erkenntnis könnte den Einzelnen sogar in die Kontemplation führen.
Im Paradox gefangen zu sein, zu 'Neuem' gezwungen, beginnt schon sehr früh, und sogar beim Laien. Keine künstlerische Arbeit kommt ohne Eigenständigkeit des Künstlers aus, wird verlangt, ist Voraussetzung, wird aber gleichzeitig auch bekämpft. Ein kleines Beispiel: Eine Bekannte meldete sich an einer renommierten Kunstschule zum Kurs 'Einführung in Maltechniken' an, bei der Anmeldung mit Vermerk, nur am Naturalismus interessiert zu sein. Angenommen. Eingeteilt. Im Kurs selbst aber musste sie endlose Variationen in Gelb herstellen, für Klänge Farben suchen, im Kreis stundenlang Bilder besprechen und fing sie an zu fragen, reagierten Kunstlehrer wie auch Teilnehmer genervt - es stellte sich heraus, es handelte sich ausnahmslos um Leute aus dem Sozialbereich. Der Kurs wurde nicht nach Interessen, sondern nach Gesellschaftsbereich zusammengestellt. Um nicht noch mehr von Selbstzweifeln geplagt zu werden, stieg sie aus, psychologisches Deuten konnte ihr das kreative Gestalten nicht ersetzen.
Ich verstehe mich nicht sehr auf Malerei, profitiere oft vom 'fremden' Wissen, aber wenn mir anlässlich einer Ausstellung ein bekannter Regisseur erklärt, dass ein Bild, wie jedes Kunstwerk überhaupt, herausfordern und konfrontieren muss, weil gefällige Kunst keine Kunst sei, so äussere ich meine Zweifel und denke 'Snob!', sowie 'beinhaltet diese Aussage nicht schon wieder die Obszönität des Kulturbetriebes?' Als Banause tendiere ich eher zu der hübschen 'Olympia' von Manet als zu den zerdrückten Orangen von Tuyman, erkenne aber auch die Einzigartigkeit der Herangehensweise und der Perspektive der Kunst, die konfrontiert an. Aber die Eigenständigkeit sieht man bei beiden Werken, also sind beide auch Kunst, oder bin ich blöd?

Wenn sich der Kolumbianer Fernando Botero, der teilw. in Paris lebt, mit der Überzeichnung einer Perversion beschäftigt, würdige ich sein politisches Engagement mit sehr hohem symbolischen Wiedererkennungswert -irakische Häftlinge, US-Soldaten, Abu Ghraib etc.- und auch seine Extravaganz, ohne aber an den Bildern Gefallen zu finden. Seine Aussage: 'Es ist pervers zu meinen, Kunst sein nur dann gut, wenn sie weniger gefällt' sagt mir aber sehr zu.

Ich wollte eigentlich schon als ich Abdullas Gedankenfragmente schrieb, die RAF-Ausstellung in Berlin erwähnen, vielleicht gar als Gegenpol setzen, Adorno, Sartre und Beuys, Niehus u.a. in Verbindung bringen, fand es dann aber obszön -grins. Jetzt steht 'RAF' als Thema in der Politik. Ich äusserte mich also kurz dort dazu. An dieser Stelle vielleicht aber doch noch:
'Spiegel' warf der Ausstellung 'die neue Sorglosigkeit der Kunst mit der Geschichte' vor, TAZ schrieb 'die Zumutung darf sehr weit gehen', die Reduktion auf Kunst und Medienbilder (gerade Spiegel seiner Zeit ist an der Ausstellung u.a. gut vertreten :rolleyes: ) unter Ausblendung der politischen Reflektion muss sich den Vorwurf der Ästhetisierung der politisch-terroristischen Gewalt gefallen lassen. Wenn aber Hr. Biesenbach das Vorwort im Katalog selbstgerecht, jämmerlich und auch unwahr schreibt und behauptet: 'Wir wollen keine Interpretation' so muss doch die Frage erlaubt sein 'liegt die Interpretation nicht in der unkomentierten Auswahl?' Terroristen als Pop-Ikonen, ist das nicht obszön?
'Es geht um mediale Wirklichkeit und nicht um Moral!' so die Antwort. Da wurde m.M.n. zu wenig nachgedacht, das wirft wieder Fragen auf. Z.B. Wem geht es um mediale Wirklichkeit wirklich?
Aber das ist dann vielleicht schon zu sehr abseits des Themas.
 
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Hallo, Robin, hallo, Jeromè! Hallo, Gaius!

Nun ist die Frage ja wieder ins Allgemeine geglitten - ich wollte erst auf Eure Beiträge einzeln antworten, merkte dann aber, dass wir aus dem gegenseitigen Bestätigen mit kleinen Abweichungen irgendwie nicht herausfänden - und - nun mache ich Nägel mit Köpfen und überdenke mal, was Altvater Marx sich so zu dem dachte, was augenblicklich Inhalt unseres Diskurses ist. Adorno war Marxist .
- ich wage mich nicht mit ihm in einem Atemzug zu nennen, aber meine weltanschauliche Prägung kommt aus derselben Ecke. - “Ise sich eh bèkannt!” Adorno billigte aber der Kunst eine wesentliche Aufgabe in der Entdinglichung des Menschen zu. Dort, wo sie sich rein als Marktprodukt ( im Sinne einer Ideologie: Stalinbauten in der Karl Marx Allee /Berlin Mitte in etwa -benutzen lässt , wird sie öbszön. Marx geht ursprünglich gar nicht so weit.
Er lehrt - sinngemäß - folgendes:
Wenn wir davon ausgehen, dass nicht jede Ware, die für den Markt produziert wird, kapitalistisch produziert wird - d h durch Ausbeutung der Lohnarbeit, kann man Kunst durchaus zu den Waren zählen,

Waren haben aber immer Gebrauchswert, der eine von den Produzenten und Konsumenten verschiedene selbständige Gestalt besitzt, also in einem Intervall zwischen Produktion und Konsumtion bestehen können, ... wie bei Büchern, Gemälden, kurz, allen Kunstprodukten, die von der Kunstleistung des ausübenden Künstlers verschieden sind. Ein Künstler selbst kann in nur sehr bescheidenem Ausmaß Kapitalist sein, da er ja kaum jemanden ausbeutet, um zu seinem Produkt zu kommen. Die großen Malwerkstätten in der Renaissance mögen eine Ausnahme sein .z.B. Rubens.
Die Produktion ist nicht trennbar von dem Akt des Produzierens wie bei allen dienstleistenden Künstlern, z.B. Schauspielern, Musikern usw. Sie ist sehr wohl trennbar bei z.b. Bildenden Künstlern oder Literaten.
Das ist aber im Grunde genommen nur ein Nebenwiderspruch, der im Rahmen des Hauptwiderspruches , den wir darin sehen müssen, dass die objektive Welt des Reichtums ( Kapitalisten) sich progressiv durch die Arbeit der Massen vermehrt, die gleichzeitig immer ärmer werden.
Kunst und Kunstbetrieb sind aber vor allem etwas, was von den Machthabern „ gekauft“ wird - oder eben auch nicht, deshalb ein Nebenwiderspruch, der wie Marx noch glaubte, in einer kommunistischen Gesellschaftsform sich von selbst auflöse. Gerade id oben von mir erwähnten Stalinbauten sind ein schlagender Beweis für diesen Irrtum von Marx.
Marx sieht nun in vielen Künstlern produktiven Arbeiter, die, z.B. wenn sie als Musiker in einem kapitalistischen - also auf Gewinn orientierten Orchesterunternehmen „ Kunst machen“, durchaus ihre Kunst als Gegenwert für ihren Lebensunterhalt „ verkaufen. Vergl: Kapital I, MEW 26.1, 385f.

Marx hält sich gar nicht mit irgendwelchen Zuordnungen, wie Hohe Kunst, U-Kunst, gute oder obszöne Kunst auf.

Er teilt den Künstler als Warenerzeuger einen Platz in seiner Theorie ein - und insofern konnte Adorno ja hier eingreifen, indem er das moderne Paradox erkannte und benannte. Ein Künstler erzeugt Werke, deren Wirkung es gelingt, dem Konsumenten eine Weile die Seinsentfremdung, den Zustand seiner Warenhaftigeit vergessen zu machen - muss aber, um seine Arbeitskraft reproduzieren zu können, diese Kunst als Ware verkaufen.
Jeromé ist der Ansicht - wenn ich ihn richtig verstanden habe, dass dieses Faktum an sich noch nicht als obszön zu bezeichnen sei, sehr wohl aber - im Zeitalter der Massenreproduktionen ( Cds - Auflagenzifferngeilheit der Verleger ,) die
Bedeutung der materiellen Kunstproduktion, die greifbare Waren produziert, indem sie Kunst reproduziert, enorm zunimmt und , auch wo die immaterielle Produktion als Urproduktion noch ihre Basis bildet, das Augenmerk im erhöhter Wachsamkeit auf die Tatsache dessen zu lenken, was man kurz. Bedürfniserzeugung nennt: Schlagermusik sei ein Beispiel, Seifenopern ein anderes.

Marianne
 
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